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Vom kleinen Dante

Er hieß Dante und das Hemdchen hing ihm aus der Hose. Das war in Mailand.

Im backsteinbangen kränklichen, gleichsam gebratenen Kämmerchen mit einem Kamin wie ein Grab.

Da sitze ich und wundere mich, dazusein. Neu, unbeholfen, an mich kommen lassend. Neu verpflanzt, eine schwerfällige deutsche Pflanze, muß ich von dem Boden erst in mich hereinziehen lassen, der mich nun vom weißen Alpenzaune her wie ein Garten weit umgibt.

Wie es tönend trappelt auf eisern gespanntem Altan. Wie es nun näher kommt, erinnert es an ein Schlachtstück, wie es wohl ein Biergarten zum besten gibt, der unaufhörlich schmetternd unsere Schlucke hetzt wie ein Pumpwerk. Nun schauen sie hinein durch das offene niedrige Fenster, wie die Erinnyen dem endlich im Asyl geborgenen Orestes anhangen mochten in ohnmächtiger Wut.

Der Orest aber kauert zu meinen Füßen. Er lehnt sein Köpfchen an meine Knie – mein Dante Alighieri, und will nichts sehen und nichts hören von den kleinen Hexen da draußen.

Denn wie oft haben sie ihn verfolgt, wenn er in düsterer Gemessenheit sich auf dem Altane des Binnenhofes erging – alle die wilden Insassen, alle die kleinen Teufel des süßlich rauchigen ersten Stockes mit seinen bräunlich wirbelnden Sonnendämpfen.

Wie Kohlen glühten da alle Augen in feuriger Bosheit, und all die kleinen, pfiffig unschuldigen schwarzen Zöpfe und Lockenschlangen ringelten sich nur so um die bronzenen Köpfe.

Und wer schürte die Glut?

Der kleine, todernste, finsterstrenge Dante mit der gallengroßen Florentinerseele, der weder Spiel noch Spielzeug kannte, in seinem angeborenen Richtersein, sondern nur einsam sinnenden Wandel!

Da waren sie hinter ihm.

Und wie bald war, er erreicht.

Schon zog die Keckste der Mädchen den Zipfel noch mehr aus dem grauen Höschen hervor, so daß der Kleine in seiner bedrängt geärgerten Mannheit knurrte und dabei aussah wie ein kleiner fremdartiger Vogel und noch mehr reizte den Mutwillen, das Lachen.

Nur hier bei mir hatte der Verfolgte Ruhe.

Ich war sein Beschützer. Und mich respektierten sie alle, diese kleinen Unholdinnen, und eine schmeichelte und bat immer noch verführerischer als die andere:

Dolche, Bonboni, Signore! Prego! Ancheoio! Ho fame Signore!

So verflocht es sich wie eine wild erblühende, mit Unkraut durchwachsene Hecke, und ich versuchte zu antworten und etwas dieser fremden Sprache an mich zu ziehen. Aber bald verwirrte sich mein junges Italienisch und ließ alles über sich hinbrausen.

So zahlte ich für meinen kleinen Schützling mit dem großen Namen das Lösegeld. Und dankbar sah er auf zu mir, wenn sich die wilde Jagd verzogen hatte und sein Blick sich wieder aufwagte aus kohlschwarzen, großhungrigen Augen in dürftigem, wie uraltes Pergament, wie ein nicht gehaltener Vertrag vergilbten Vogelgesichtchen.

So ruhelos blicken Vögel in fast glänzender Angst, wenn sie kurz und trocken hüpfen und Einsamkeit piepen.

Und dann nestelte er sich ein zwischen meinen Beinen hinter den Falten meines Schlafrocks, und bald senkten mich seine Atemzüge in Sinnen. Und wie ich nun hier war in der fremden Welt, wo süßliche mattblättrige Maulbeerbaume die staubig brütende, von den huschenden Sonnengeburten der kleinen grauen Lacerten überhüpfte Ebene tüpfelten – und wie zurechtgeschnittene Posen die schrägen hohen italienischen Pappeln. Und ein animaler Seufzer, und wie sich ein dummes vertrauend hingegebenes Hundel wieder zurechtnestelte, rief es mich frisch zurück zum Ausgangspunkte, meines weltverlorenen Staunens.

Und ich sah auf zum Himmel, in dessen Wangen Blut war, auf zu den flinken Schwalben, die da oben, wenn sie hoch genug waren, aufleuchteten im scheidend klaren Abendschein.

Der Lärm der Kleinen hatte sich hier und da hineinverzogen zu den abberufenden Stimmen, gehorsam wie das Leben Folge leistet dem winkenden Tode.

Und leise rieselt Dunkel hernieder, um so voller aber stieg drunten vom Brunnen herauf die ewig sehnende klingende Melodie fließenden Lebens.

Nun nahten Schritte.

Buona sera, Signore!

Buona sera, Roberto!

Und Robert, der Lehrling, war in einem Uhrmachergeschäft, erzählte mir vom kleinen Dante, wie er schon sieben Jahre alt sei, aber nicht zur Schule gehen könnte, da er schwach sei und die englische Krankheit habe.

Dann langte ich sanft das schlafende Bündel Leben herauf und reichte es über den niederen Sims Robert zu, wie der Tod dem Aufseher der Geisterwelt ein Leben zu weiterer Behandlung überreicht, und Robert trug es schlafend rechts um die Ecke zu der zweiten Tür.

Buona sera, Signore!

Buona sera, Roberto!

Und ich glaube, der kleine Dante, der nie gewußt, was Kindheit war und Spiel, nun wird er es bei den Engeln lernen, wenn er es nicht vorzieht, seiner Gewohnheit treu, zu den Knien zu schlummern seines ewigen Vaters.

Und keine kleinen Hexchen werden ihn mehr stören, noch die groben Püffe ihn treffen, die das rauhe Leben dem Schwachen zu versetzen pflegt, bis der große Stoß allen ein Ende macht.

Buona notte, Dante!


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