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Seufzender Saft

(Schlummernde Kinder)

»Wo sind die Kinder?«

»Sie sind vorn und machen ihre Schularbeiten.«

So still – so streitlos, traulich, das bin ich nicht gewohnt hier. Da stört die eine mit lautem Aufsagen. Da gibts zu Friedenszeiten einen Tanz: »Nun wollen wir erst einen machen: Siehst du wohl, da kimmt er, lange Schritte nimmt er.« Zur größeren Feierlichkeit aber wurden vorher Rosenblätter gestreut. Dann nimmt man sich in den Arm und wiegt sich ein.

In den viel häufigeren Kriegsausbrüchen aber führt eine schnelle Entscheidung bald zu Greinen oder Anklagen. Ich öffne die Tür.

Da liegen die auf dem Sofa.

Aber nun – nichts – kein Atemzug und kein Schnarchen trotz des offenen Mäulchens des Pussels Mathilde.

Und doch atmen die zarten, lebensheftigen Leiber in leisen, Rührung weckenden Rhythmen.

Das schlafende Leben ist ein Geheimnis, das man nicht stören mag.

Ich wenigstens habe eine solche Ehrfurcht vor Schlummer, ich vermags nicht über mich, daraus zu wecken.

Und so setze ich mich denn als Schutzengel mit meinem langen, rotbraunen Bart auf die Sofalehne, sah mit Beobachterfreude die heftig roten Wangen und scheuchte die Fliegen, die sich, angelockt von der mit feinsten Schweißtropfen feuchten Duftregung der Haut, auf Arm und Nacken hartnäckig, fast klebsam niederließen.

Man mußte ein-, zweimal zuscheuchen.

Ein Regen, ein Stammeln geisterhafter Worte, ein Umlegen und Wiedereinnesteln, ein Hineinruf in diese vermeintliche Ritze des Schlummers fand indes keine Öffnungen.

Einzig schön die Gruppe, wie sie dalagen auf dem Sofa. Man hätte sich eine Kunst gewünscht, die alles das fassen konnte.

So eine lange, bläulich-grün gestreifte Gewandung, aber noch neu in blanken, knitternden Falten, hüllte wie ein Geniengewand ein die kniend gegen die Sofalehne angezogenen Füße der abgewendet, mit Kopf und Arm auf der Seitenlehne Ruhenden.

Hier das blonde weiche Haar, dort das Bronzelockengestrudel, hier die schüchterne Seelengestalt der Kindheit, dort die geschlechtslos abgeschlossene Weibesgestalt des Kindes vor Durchbruch der Reife. Durch die herabgelassenen Vorhänge fiel ein reichgelber, treibhausüppiger Schein.

In Fenstersonne ein Glas mit welkendem Blumenstrauß!

Davon fast körperhaft musikalischer sprechender Duft, wie eine üppige Wehmut redend aus dem müden Mutwillen der Nelken, der Ausgelassenheit des Rittersporns und dem zum Aufklappen reizenden Löwenmäulchen mit den nachdrucksam bekümmert geeckten Kinnhacken.

Dazu am Boden Tornister, Bücher auf der Fensterbank, das wahllos Hingeworfene der Kindheit: Unordnung, die hier nicht beleidigt, sondern zur Sache gehört.

Ach, sie wollen nicht pucken.

Man sagte mir, als ich noch ein kleiner Junge gewesen, hätte ich immer unter dem Birnbaum gesessen und darauf gewartet, daß welche herunterfielen. Und wenn dann gar keine hätten fallen wollen, dann soll ich mich ordentlich beklagt haben: »Sie wollen nicht pucken.«

»Pucken« heißt nämlich soviel wie fallen.

Auch später, als ich heranwuchs, habe ich den Birnbaum immer gern gehabt, auch wenn er gar keine Birnen mehr hatte.

Da sah das Laub so prachtvoll aus, und die Blätter fielen bald hochgelb wie überreife Früchte, bald kräftig gesprenkelt und bald feierlich rot, wie es in dem alten Liede heißt, mit dem meine Geschwister in den Schlaf gesungen wurden :

»Buko von Halberstadt
bring unserm Kinde was.
Was soll ich ihm denn bringen?
Goldne Schuh mit Ringen.«

Ja, so fest und so rot wie solches Leder sehen die Blätter dann aus.

Daß ein kleiner Junge, der noch nicht klettern kann, sich dabei ärgert, wenn nichts zu ihm herunterfällt, daß er hinkriechen kann und es auflesen, läßt sich begreifen. Aber wenn einer groß wird und er wollte sich dann noch hinsetzen und maulen: »Sie wollen nicht pucken«, darüber könnte man ja nicht einmal mehr lachen, darüber müßte man ordentlich ärgerlich werden.

Und das tuen viele, die nichts Ordentliches gelernt haben und nicht arbeiten wollen. Nein, wenn man größer wird, so groß wie Papa, dann klettert man selbst auf den Baum und schüttelt und schüttelt, bis alle Birnen unten liegen.

Dann können alle kleinen Jungen mitessen. Nur für kleine Jungen lassen die Bäume die Sommerbirnen pucken, nicht für die großen.


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