Paul Heyse
Crone Stäudlin
Paul Heyse

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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Am Vormittag des folgenden Tages sah man die zierliche Gestalt der Frau Agnes den Fußweg durch den Buchenwald hinuntergehen, ganz in Schwarz gekleidet, was ihr hübsches rosiges Gesicht trotz des silberweißen Haars um zehn Jahre verjüngt erscheinen ließ.

Sie wußte unten im Städtchen um Wege und Stege Bescheid und wandte sich sogleich nach dem Pfarrhause, das nahe bei der alten Kirche lag. Auf ihre Frage, ob der hochwürdige Herr zu sprechen sei, führte die alte Dienerin sie den düsterlichen Gang hinunter, der zum Arbeitszimmer führte, klopfte an und ließ dann die Besucherin mit einiger Verwunderung, was die lutherische Dame in diesem katholischen Hause zu suchen habe, bei ihrem Herrn eintreten.

Dieser, wie wir wissen, ein noch jugendlicher Mann in der Mitte der Dreißig, erhob sich von seinem lederüberzogenen Drehstuhl und begrüßte die Eintretende mit einem Gesicht, das die gleiche Verwunderung, wie das der Magd, zu erkennen gab.

Er deutete mit einer höflichen aber stummen Gebärde auf das harte Sofa und nahm selbst auf einem der wenigen Sessel ihr gegenüber Platz. Dann erst fragte er, was der Dame, die er nur vom Ansehen kannte, zu Diensten stehe.

Ich muß um Entschuldigung bitten, Hochwürden, daß ich mir erlaubt habe, Sie zu stören, da Sie vielleicht die Rede studieren, die Sie heute bei dem Begräbnis des armen Söhnchens der Frau Harlander zu halten gedenken. Aber gerade wegen dieser Rede hat es mich gedrängt, Sie aufzusuchen und um ein freundliches Gehör zu bitten.

Der Pfarrer neigte nur leise seinen ernsten, nicht unbedeutenden Kopf und wartete ohne vordringliche Neugierde, was sie weiter sagen würde.

Es ist mir mitgeteilt worden – fuhr Frau Agnes fort – ich nenne meine Quelle, die freilich nicht die zuverlässigste sein mag – es ist die Gemüsefrau, die dreimal die Woche sich in meiner Küche oben einfindet – Hochwürden hätten, als sich die Nachricht von dem Verunglücken des Knaben hier unten verbreitet, geäußert: da sehe man wieder Gottes Strafgericht, der die Sünden der Väter an den Kindern heimsuche. Wenn das ein verleumderisches Gerücht sein sollte, bitte ich sehr zu entschuldigen, daß ich es geglaubt habe. Jedenfalls –

Jedenfalls, unterbrach sie der Pfarrer, dem eine leichte Röte ins Gesicht gestiegen war, habe ich diese Äußerung nur gegen eine Person getan, von der ich nicht vermuten konnte, daß sie davon Gebrauch machen würde. Übrigens habe ich keinen Grund, meine Ansichten zu verleugnen, und bin niemand, als Gott, Rechenschaft darüber schuldig.

Gewiß, Hochwürden, versetzte die kleine Frau mit ganz ruhiger Stimme, und ich bin weit entfernt, Sie deswegen zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Nur um eine Bitte auszusprechen, habe ich mir herzukommen erlaubt. Zwar ich selbst teile diese Ansicht nicht. Ich kann mir nicht denken, daß der gerechte Richter der Welt die Unschuldigen büßen lassen werde für eine Sünde, die sie selbst nicht begangen haben. Aber da Gottes Ratschluß unerforschlich ist, können wir nicht wissen, wie er in seiner Weisheit darüber denkt. Nur wir Menschen, denen er geboten hat, uns einander zu lieben, sollten uns doch wohl seine Strenge nicht aneignen, sondern lieber seines anderen Wortes gedenk sein: Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr.

Das Gesicht des Geistlichen nahm einen Ausdruck von Unmut und abweisendem Unwillen an.

Ich weiß nicht, gnädige Frau, warum Sie mir diese Bibelworte vorhalten, die mir nicht unbekannt sind.

Sehen Sie, Hochwürden, ich habe, da ich den so schwer Betroffenen nahe stehe, mir vorgestellt, welchen Eindruck es auf sie machen würde, wenn Sie heute nachmittag bei dem Begräbnis sich etwa gedrungen fühlen sollten, in demselben Sinne, wie Sie schon vertraulich sich geäußert, am offenen Grabe zu sprechen. Die Eltern des toten Knaben sind ohnehin völlig gebrochen. Ich bin überzeugt, daß vor allem der Vater die Sünde, die er vor langen Jahren in jugendlicher Unbedachtsamkeit begangen, aufs schwerste bereuen wird. Daß sie ihm in dieser bitteren Stunde aus geistlichem Munde noch laut ins Gewissen gerückt würde, kann sein eigenes Gefühl kaum noch verschärfen. Aber die unglückliche Frau, die so vor der ganzen Trauergemeinde an ihren Fehltritt erinnert werden würde, nachdem Beichte und Buße ihr Herz erleichtert haben – glauben Sie nicht, Hochwürden, daß ein solches Strafgericht allzu hart sein würde, daß es die Liebespflicht auch von dem Seelsorger erheischte, den Mantel christlicher Schonung über ein Verschulden zu breiten, das sich ohnehin so schwer gerächt hat?

Ich bin von anderer Konfession, fuhr sie mit steigender Wärme fort. Aber in dem, was die christliche Liebe gebietet, sind wir Protestanten doch wohl mit den strengsten Katholiken einverstanden. Und darum vertraue ich, daß Hochwürden, wenn Sie in dem schmerzlichen Ereignis auch wie überall den Finger Gottes erkennen, dies in Ihrer Rede nicht dahin auslegen werden, als ob dieser Finger auf die Person des unglücklichen Vaters deute, als auf einen gebrandmarkten armen Sünder. Es bedarf zu meiner Beruhigung keines ausdrücklichen Versprechens aus Ihrem hochwürdigen Munde. Ich sehe es an Ihren ernsten Augen, daß Sie mit mir einverstanden sind.

Und jetzt – damit erhob sie sich – habe ich noch eine Bitte. Ich weiß, daß Ihre Beichtkinder, die einen teuren Angehörigen durch den Tod verloren haben, Seelenmessen für ihn stiften. Das ist bei uns nicht der Brauch. Dagegen da es Ihrem beichtväterlichen Herzen gewiß wohltut, die Not der Armen in Ihrer Gemeinde zu lindern, möchte ich mir erlauben, im Angedenken an das liebe Kind, das auch ein freundliches Herz hatte, diese Kleinigkeit Ihnen zu überreichen, zur Verteilung unter Ihren Armen nach eigenem Ermessen.

Sie nahm aus ihrem Visitenkartentäschchen ein kleines Kuvert, in dem eine Hundermarknote steckte, überreichte es dem Pfarrer, der ihr eine tiefe Verbeugung machte, und verließ mit der Miene einer stillen Genugtuung, ihre diplomatische Mission glücklich zu Ende geführt zu haben, das Pfarrhaus, von dessen Schwelle die sehr erstaunten Neugierblicke der Pfarrköchin sie noch eine gute Strecke weit begleiteten.


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