Paul Heyse
Crone Stäudlin
Paul Heyse

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Sechstes Kapitel.

Es war inzwischen elf Uhr geworden, die Sonne stand hoch am Himmel, und über der weiten Wiesenflur brütete eine stehende heiße Luft, doch in dieser Höhe nicht beklemmend. Drüben, am äußersten Ende des Plateaus, stand jenes mehrerwähnte dritte Haus, ein massives viereckiges Gebäude ohne jeden architektonischen Schmuck, nur an der Südseite sprang auch hier ein hölzerner Balkon vor, auf zwei Pfeilern ruhend, mit wildem Wein umzogen. Ein hohes schwarzes Schindeldach bedeckte den unförmlichen Bau, der jedoch einen eigenen phantastischen Reiz erhielt durch den freistehenden, an seiner Rückseite aufragenden Turm. Auch dieser erhob sich auf einem schwerfälligen viereckigen Unterbau, der das Erdgeschoß enthielt. Dann stieg er achteckig mit dem oberen Stockwerk hinauf, auf das dann eine Rundmauer aufgesetzt war, von der halbrunden eisernen Kuppel des Observatoriums überwölbt.

Das obere Stockwerk des Turms war mit dem des Hauses durch eine oben geschlossene hölzerne Brücke verbunden, nur ein paar Meter lang. Die ganze wunderliche Ansiedlung nahm sich nun doch trotz aller ungefügen Breite durch den überragenden Kuppelbau ziemlich malerisch aus und stimmte nicht übel zu der schwarzen Bergwand des Hintergrundes.

Mit etwas mehr Geschmack hätte die Besitzerin freilich hier einen Bau aufführen können, der feineren Ansprüchen genug getan hätte. Sie war aber aus einer völlig unkünstlerischen Umgebung hierher verschlagen worden und hatte keinen anderen Wunsch gehabt, als in einem möglichst wetterfesten Hause hier den Winter überdauern zu können.

Dies hing so zusammen.

Ganz jung, noch nicht achtzehn alt, hatten ihre Eltern, adlige Gutsbesitzer aus Ostpreußen, diese ihre Tochter nach Königsberg gebracht, um sie in die Welt einzuführen, da sie auf ihrem entlegenen Landsitz nicht daran denken konnten, eine passende Partie für sie zu finden.

Da das blonde Fräulein sehr hübsch, heiter und liebenswürdig war und auch eine ansehnliche Mitgift in Aussicht stand, hatte es an Bewerbern nicht gefehlt. Mehrere Jahre lang konnte sich aber niemand rühmen, Eindruck auf das junge Herz gemacht zu haben. Als es endlich doch dazu kam, war's von allen Freiern der wenigst glänzende, der aber durch Witz und Geist und eine humoristische Manier, mit der er seine Cour machte, das unerfahrene Kind blendete und auch ihre Eltern bestach.

Es war ein junger Advokat, der schon eine bedeutende Praxis hatte und einer ansehnlichen Zukunft entgegenzugehen schien. Das bewährte sich auch schon in den ersten Jahren nach seiner Verheiratung. Allerlei städtische Ämter wurden ihm übertragen, es schien sicher, daß er in den Landtag gewählt werden würde, und auch in seinem geselligen Hause nahm sich alles im rosigsten Lichte aus.

Dann aber, nach etwa acht, neun Jahren, fing es an mit Glück und Wohlsein abwärts zu gehn. Der ehrgeizige Mann, der inzwischen rasch großen Einfluß gewonnen hatte und Justizrat geworden war, ließ sich, um reichere Mittel für seine Zwecke zu gewinnen, zu Geldgeschäften verleiten, die unglücklich ausfielen. Auch sein Ansehn in der Stadt litt darunter. In der gereizten, unmutigen Stimmung, die sich seiner bemächtigte, wurde er immer rücksichtsloser gegen die Seinigen, sein Haus dünkte ihn ein Gefängnis, und da er darin dem sanften Vorwurfsblick seiner Frau begegnete, suchte er sein Behagen draußen in Wirtshausgesellschaften, wo er trank und spielte, die Nächte durchschwelgte und darüber mehr und mehr sich selbst verloren ging.

Frau Agnes, so sehr sie ihn geliebt und es für ihre Pflicht gehalten hatte, sich ihm unterzuordnen, war doch eine zu energische und klarsichtige Natur, um es auf die Länge wehrlos mit anzusehn, daß der Hausvater sein Haus zerrüttete. Sie versuchte es erst in aller Güte, ihm das Gewissen zu rühren. Als sie damit keinen Erfolg hatte, erklärte sie ihm, sie wolle zu allen übrigen stadtkundigen Ärgernissen nicht noch den Skandal einer Scheidung herbeiführen, hinfort aber in dem Hause, das durch ihr eigenes Vermögen gegründet worden, ihn nur als Gast dulden, der nichts darin zu gebieten und von ihr nichts als ein Gastrecht an ihrem Tische zu erwarten habe.

Nun erschien es ihr zum erstenmal als eine wohltätige Schickung, daß die beiden Töchter und der Sohn, die sie ihm in den ersten Jahren ihrer Ehe geboren, bei einer Epidemie frühzeitig hingerafft worden waren. Seitdem waren dreizehn Jahre vergangen, der Mann hatte sich ihr fern gehalten, und sie selbst war zu einer gleichmütigeren Stimmung gelangt, so daß nur zuweilen die Anforderungen an ihre Kasse, wenn etwa ein bedeutenderer Spielverlust zu decken war, ihr das eheliche Verhältnis von neuem drückend machten.

Auch schien sich der Gemahl zu bessern und wenigstens wieder zur Arbeit zurückzukehren. Nur daß er mehr und mehr seinen Trinkergewohnheiten verfiel, noch aber mit einem Rest von Bewußtsein, das ihn dazu brachte, wenn er spät in der Nacht nach Hause kam, in seinem verwahrlosten Zustand sich den Blicken seiner Frau zu entziehen.

Eines Nachts aber hatte er einmal gegen seine Gewohnheit sich bis vier Uhr morgens bei einem Zechgelage verspätet. Als er heimkam, ging er nicht wie sonst in sein eigenes Schlafzimmer, sondern in das seiner Frau. Sie fuhr aus einem unruhigen Schlaf in die Höhe und erschrak, als sie ihren Mann mit verglasten Augen an ihrem Bette stehen sah. Er fing an, mit der weinerlichen Stimme eines Trunkenbolds zu ihr zu sprechen, ihr seinen Kummer zu klagen, daß sie ihn verstoßen, von seiner leidenschaftlichen Liebe zu reden, die durch die Trennung nur heftiger geworden sei, endlich seine Arme um sie zu schlingen und ihren Hals, ihr Haar, ihre Augen mit widerlichen Küssen zu bedecken. Vergebens suchte sie sich ihm zu entwinden. Ihr Widerstand steigerte seine Begierde bis zur Raserei, und die Unglückliche, die sich scheute, mit Hilferufen die Dienerschaft zu Zeugen des empörenden Auftritts zu machen, war endlich der brutalen Kraft des Sinnlosen erlegen.

Wochen und Monate vergingen, bis die Frau den Eindruck dieses schauerlichen Erlebnisses so weit verwinden konnte, daß sie nicht täglich fürchtete, dem Irrsinn zu verfallen. Dann aber stieg ein noch furchtbarerer Gedanke in ihr auf. Sie erkannte, daß die Schuld eines andern an ihr werde heimgesucht werden, daß es kein Entrinnen gab vor einer Zukunft, in der das Gespenst dieser Nacht beständig in leibhafter Gestalt vor ihren Augen stehen werde.

Es sollte aber noch viel trauriger und niederdrückender über sie kommen.

Denn der Knabe, dem sie das Leben gab, war ihr zwar in den ersten Jahren trotz alledem Trost und Freude, zumal er im Äußeren keinen Zug von seinem unseligen Erzeuger hatte. Sobald er aber in das Alter kam, wo die geistigen Kräfte hell aufzuwachen pflegen, zeigte sich's, daß sie bei ihm in einer ewigen Dämmerung verharrten, und je mehr er körperlich heranwuchs, desto hoffnungsloser blieb der Verstand auf der Stufe der Kindheit, ja er verblödete mehr und mehr, und auch im Äußeren wurden seine regelmäßigen Züge durch den Ausdruck von lächelndem Stumpfsinn entstellt, der solchen armen Stiefkindern der Natur eigen zu sein pflegt.

Als hierüber kein Zweifel mehr bestand, schloß die unglückliche Frau mit ihrem ganzen Leben ab und widmete sich nur dem Kinde, an dem nach dem grausamen Fluch der armen Menschheit die Schuld des Vaters heimgesucht wurde. Sie hatte sich aus der Stadt auf das Gut ihrer Eltern zurückgezogen und ihrem Manne ein für allemal untersagt, sich vor ihr blicken zu lassen. Das dauerte etwa sieben Jahre. Als der Justizrat dann den Folgen seines zügellosen Lebens erlegen war, hatte sie ihre Heimat für immer verlassen und auf dieser sonnigen Bergwiese sich das Haus erbaut, in dem sie vor aller Welt verschollen nur der Pflege des armen Knaben leben wollte. Hier sollte er, da die rauhe nordische Luft sich seiner zarten Natur ungünstig erwies, in einfacher Umgebung erstarken, und mit jenem rätselhaften Selbstbetrug eines Mutterherzens schien es dieser so klaren und sicheren Frau doch ein möglicher Gedanke, daß mit der Gesundung von Blut und Nerven auch der Geist sich seiner normalen Kräfte besinnen möchte.

Sie legte auf dem Grundstück, das sie gekauft, einen großen Garten an, in welchem sie Gemüse aller Art pflanzen ließ, damit ihr Sohn eine tägliche Beschäftigung in freier Luft hätte. Ein Gärtner wurde beauftragt, ihn dazu anzuleiten, ein rüstiger Mann, der auch sonst als Hausmeister allerlei Dienste zu tun hatte. Ihre alte Köchin hatte sie mitgebracht, ein zweites Mädchen aus der Gegend gemietet. So ließ sich in dem wohleingerichteten Hause auch der Winter, so streng er manchmal war, leidlich überstehen.

Und auch an einer Freundesnähe fehlte es der opfermutigen Frau nicht, die ihr so wert war, daß sie ihr alle andere Geselligkeit ersetzte.

Es war das ein Finnländer, der aus Ingrimm über die traurige Bedrückung seiner Landesgenossen durch die russische Gewaltherrschaft seine Heimat verlassen hatte und nach Königsberg übergesiedelt war, wo er an der Universität eine Professur der Mathematik und Astronomie erhielt. Auch er hatte sich vorzeiten um die Hand des reizenden Fräuleins beworben, war aber, nachdem sie ihm einen Korb gegeben, ihr unerschütterlich treu geblieben, eine Stütze für sie in ihren ehelichen Nöten, was sie durch dankbare Freundschaft vergalt. Da aber beiden der kategorische Imperativ im Blute saß, hatten sie jeder Versuchung, sich leidenschaftlicher aneinander anzuschließen, widerstanden, obwohl auch Frau Agnes mit der Zeit erkennen mußte, wie viel glücklicher sich an der Seite dieses trefflichen Freundes ihr Leben gestaltet hätte. In der Stadt galt er für einen Sonderling, mit dem schwer auszukommen sei. Und allerdings war er grillig, jähzornig und mit mancherlei Wunderlichkeiten behaftet, mit denen er auch seine angebetete Freundin nicht verschonte. Sobald er dann aber einen Blick auf ihren Knaben warf, verflog sein Ungestüm, und er bereute jedes heftige Wort, das ihm gegen die unglückliche Frau entfahren war.

Der Justizrat hatte nie den geringsten Argwohn gehegt, das Verhältnis könne zu seiner Kränkung und Unehre ausarten, nicht nur weil er den Charakter seiner Frau kannte, so wenig er sich für ihre Gaben und Tugenden dankbar erwies, sondern auch weil er diesen beharrlichen Hausfreund für einen sehr ungefährlichen Rivalen hielt. Der Professor war freilich keine verführerische Erscheinung, eine kleine, hagere Figur mit großen Händen und Füßen, früh kahlhäuptig geworden und mit einem Gesicht, das in seiner Strenge und Schärfe eher abschreckend als anziehend war. Immerhin imponierte er durch den Ausdruck geistiger Bedeutung und energischer Willenskraft, und in seinen sanften Stunden, wenn Frau Agnes durch ihre heitere Milde ihn entwaffnete, konnte er auch äußerlich, mit dem herzlichen Lachen, das seine geistvollen Züge verschönte, der Liebe eines edlen Weibes werter erscheinen, als ein innerlich roher Gatte mit all seinen äußeren Vorzügen.

Es war auch einmal zu einer leidenschaftlicheren Szene zwischen den beiden gekommen, der ersten und letzten. Damals hatten sie sich ausgesprochen, und für alle Zeit war's dabei geblieben. Nach dem Tode des Mannes aber, als die Witwe ihr Leben in dem Haus auf der Berghöhe neu begann, hatte der Freund seine Professur aufgegeben und war ihr nachgezogen, um sich dann keinen Tag mehr von ihr zu trennen: die böse Welt hatte das nur natürlich gefunden und ihre wohlweisen Glossen darüber gemacht. Denn schon seit Jahren galten die zwei für ein Liebespaar, doch ohne daß man es der Frau zur Sünde gerechnet hätte, da sie als eine Märtyrerin die allgemeinste Teilnahme genoß.


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