Paul Heyse
Crone Stäudlin
Paul Heyse

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Dreizehntes Kapitel.

Die Woche ging zu Ende, ohne daß sich in den äußeren und inneren Zuständen der Leute vom Seehof etwas geändert hätte, was des Berichtes wert wäre.

An jedem Morgen verfügte sich das Schwesternpaar nach dem Pavillon am Waldsaum, um das große Werk, das zunächst die Besitzverhältnisse des Deutschen Reichs, dann hoffentlich auch die der Nachbarländer umgestalten sollte, bis zum Mittag fortzusetzen. Wehe dem ahnungslosen Fremdling, der in diesem Allerheiligsten, der Brutstätte erhabener Gedanken, vor ihnen von einem Morgenspaziergang auszuruhen gedachte. Die große Amanda maß ihn stumm mit einem vernichtenden Blick, während Walli, wenn er nicht sofort begriff, daß er ein unberechtigter Eindringling sei, ihm mit einem leisen Wort zu wissen tat, daß dieser Platz »belegt« sei.

Viel später erhob sich Sascha Berg, der Komponist, von seinem Lager, und nachdem er ein Frühstück eingenommen, so sybaritisch, als es Frau Marias Küche irgend zu liefern vermochte, ging er mit seinen trägen Schritten in den Wald hinauf, unzählige Zigaretten rauchend, ein Notizheft in der Hand, in das er die Skizzen seiner sinfonischen Dichtung eintrug. Seiner Freundin Lilli Flügel war es erst nachmittags erlaubt, ihm dort »zufällig« zu begegnen.

Das wilde junge Ehepaar war abgereist, da es mit seinem Gelde nicht länger reichte. Statt seiner fanden sich drei Freunde ein, kleine Beamte, die ihren Urlaub hier zu genießen wünschten und als unermüdliche Skatspieler nach und nach auf allen lichten Stellen des Waldes ihr Spiel auf einem Plaid, das über den Rasen gelegt wurde, zu beginnen pflegten. Auch sonst wechselte die Gesellschaft häufig, und an dem Tisch in der Halle entstanden Lücken, die aber sofort wieder ausgefüllt wurden. Denn schon warteten Kurgäste, die sich vorgemerkt hatten, unten im Gasthof des Städtchens, da der Ruf der »Höhenluft« sich mehr und mehr ausgebreitet hatte. Frau Maria jedoch hatte sich darein gefügt, den Plan einer Erweiterung ihres Hauses aufzugeben, nur um jeden Anlaß zu vermeiden, daß Helmbrecht sich gänzlich von ihr zurückzog und den Seehof seinem Schicksal überließ.

Mit Yvonne, wenn er ihr im Korridor oder auf einem Waldwege begegnete, tauschte er immer ein paar freundliche Worte. Er konnte sich nicht verhehlen, wie sie zu ihm stand, und daß er ihr keine Hoffnungen machen durfte, doch um so mehr wußte er's ihr Dank, daß sie sich bemühte, ihm stets ein heiteres Gesicht zu zeigen. Ja es war ihm in seiner trübsinnigen Stimmung sogar eine angenehme Zerstreuung, ein wenig bei ihr stehn zu bleiben und ihre munteren Bosheiten mit anzuhören.

Ich habe kein Glück mit meinen Tischnachbaren, erzählte sie ihm lächelnd. Erst sind Sie mir untreu geworden, mein tauber Major reist in ein paar Tagen, und gestern hat mich auch mein treuester Verehrer, der Herr Rektor verlassen. Er scheint in dieser unmittelbaren Nähe Feuer gefangen zu haben – altes Holz, weiß man ja! – studierte in den Pausen zwischen den Gerichten beharrlich mein Profil und erklärte mir gestern, da wir bei der süßen Speise waren, so vom Zaun gebrochen, ich hatte die frappanteste Ähnlichkeit mit Aspasia. Meine Schulbildung reichte noch gerade so weit, daß ich lachend erwidern konnte: ob ich Aspasia ähnlich sähe, wisse ich nicht. Von Perikles aber habe der Herr Rektor keinen Zug, den hätte ich mir ganz anders vorgestellt. Diese Antwort, die allerdings nicht schmeichelhaft war, nahm die Rektorin zum Vorwand, sich im Namen ihres Gemahls beleidigt zu fühlen. Sie hatte schon früher merken lassen, daß sie es bedenklich fand, die Schwärmerei ihres Alten für die tote Antike auf eine junge Lebendige übertragen zu sehn, stand entrüstet vom Tisch auf und sagte, ihren Mann am Rock fassend: Komm, Eduard! Wir haben uns schon zu lange hier aufgehalten. – Das war ihr letztes Wort, kein weiterer Abschied von mir. Heut früh mit dem Morgenzug sind sie abgedampft.

Aber seien Sie unbesorgt, fuhr sie fort, als er ihr lachend sein Beileid aussprach, daß sie so bald um eine so ehrenvolle Eroberung gekommen sei, – ich erzähle Ihnen das nicht, um anzudeuten, der Platz an meiner grünen Seite harre nur seines früheren Besitzers. Er ist bereits wieder ausgefüllt, von einem sehr interessanten Herrn, der mir auf meine Frage nach seinem bürgerlichen Beruf sehr selbstbewußt erklärte, er sei seines Zeichens ein Erfinder. Angestrengte Geistesarbeit habe ihn hierhergeführt, seine Nerven in Höhenluft und Seebad zu stärken. Was er bereits erfunden habe, hat er mir nicht mitgeteilt. Daß es jedenfalls das Pulver nicht gewesen, brauchte er mir nicht zu versichern.

Sie lachten beide und trennten sich als gute Freunde, nachdem Helmbrecht auf ihre Frage nach dem kranken Lenchen noch erwidert hatte, es gehe täglich besser, aber mit so kleinen Schritten, daß er sie noch nicht freisprechen könne. Er werde vielleicht noch eine ganze Woche zu warten haben, bis das Kind reisefähig geworden sei.

Um so besser, sagte sie. So behalten wir Sie noch ein Weilchen. Es könnte sein, daß auch ich Sie noch einmal konsultierte. Ich habe seit einiger Zeit meine alten lästigen Zufälle. Aber ich vergesse, Sie überlassen ja die Praxis hier oben Ihrem Kollegen, dem Kurarzt. Oder machen Sie doch gelegentlich eine Ausnahme?

Nur in Notfällen, wenn sich's, wie bei dem Kinde, um augenblickliche Hilfe handelt.

Nun, dann kann ich Sie nicht als Nothelfer anrufen, denn mein Leiden ist chronisch. Auch der Kurarzt, dem ich es klagte, hat die Achseln gezuckt. Ich muß eben so verbraucht werden. Adieu, Doktor!

Sie nickte ihm zu und verließ ihn. Es nahm sich hübsch aus, wie sie das blaue Sonnenschirmchen geschultert trug, während die Sonne in ihrem von keinem Hut bedeckten Blondhaar schimmerte. Denn sie pflegte auch auf weiteren Spaziergängen immer barhaupt herumzustreifen.

Das war ihre einzige Ähnlichkeit mit Crone, nur daß die statt des Sonnenschirms einen festen Stock mit eiserner Spitze in der Hand trug. Ihr war Helmbrecht öfter in der Abendkühle begegnet, ohne von ihr bemerkt zu werden, wie er wenigstens glaubte. Er glitt dann hastig zwischen den Stämmen durch bis zu einem Fleck, wohin auch Fulvos Auge und Nase nicht reichten, und stand mit Herzklopfen regungslos still, bis das Mädchen vorüber war. Was sie davon dachte, die mit ihren scharfen Augen ihn doch wohl erspähte? Ob sie noch an das absurde Gelübde glaubte, daß er keinen Menschen sehen wolle, bis seine Arbeit beendet wäre? – – –

Er hatte keinen Strich mehr daran getan; es war ihm unmöglich, seine Gedanken dazu zu sammeln. Zum erstenmal, solang er denken konnte, verbrachte er viele Stunden müßig, die Arme hinterm Kopf gekreuzt, auf seinem Sofa und brütete vor sich hin. Die einzige Zeit, wo ihm leichter ums Herz wurde, waren die kurzen Mahlzeiten mit Hänsel. Was aber werden sollte, wenn das nun aufhörte, wenn er diesen Ort verließ, um nie dahin zurückzukehren – ein Berg senkte sich ihm auf die Brust, wenn das Bild dieser Zukunft vor ihm auftauchte.


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