Paul Heyse
Crone Stäudlin
Paul Heyse

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Achtzehntes Kapitel.

Der Maler hatte tiefsinnig zugehört. Er stand noch eine Weile regungslos, blickte endlich auf, als ob er etwas erwidern wollte, stülpte dann aber plötzlich den Hut auf sein buschiges Haar und rannte, Helmbrecht zunickend, mit einem kurzen »Lebet wohl!« aus dem Zimmer.

Als er sich allein sah, warf sich Helmbrecht auf das Sofa und gab sich den widerstreitenden Gefühlen preis, die auf ihn einstürmten.

Ja! er konnte nicht länger zweifeln: er wurde geliebt. Kein anderer, auch wenn er die glänzendsten Gaben besaß, die ihm, dem älteren, fehlten, hatte die Macht, ihn aus diesem jungen Herzen zu verdrängen. Torheit, zu glauben, daß nur Dankbarkeit sie an ihn fesselte. Schon lange vor der Krankheit, aus der er sie gerissen, hatte sie ihm viele rührende Zeichen ihrer Neigung gegeben. Damals war sie freilich noch nicht in dem Alter, wo ein junges Herz für sein Lieben und Lassen zurechnungsfähig ist. Aber sie war ja überhaupt ein Wesen besonderer Art, früher gereift als andere, ob auch in vielen Dingen noch kindlicher. Wenn sie jetzt sagte, sie fühle ihr Herz gebunden, so war's nicht eine vorschnelle Illusion, sondern die klare Erkenntnis, es würde das Schicksal ihres ganzen Lebens sein.

Ein hohes, loderndes Glücksgefühl überkam ihn, als er dies alles erwog. Doch sogleich wurde diese wonnige Empfindung niedergeschlagen durch die Frage, die sein ehrlicher Verstand an ihn stellte: ob er glauben könne, daß ihr Herz sich nicht von ihm abwenden würde, wenn sie das Verhältnis erführe, in dem er zu Frau Maria gestanden.

Nie vorher hatte er hierüber ernstlicher nachgedacht. Das wichtigste war ihm immer gewesen, ob er an ihre Neigung und daß sie lebenslang dauern würde, überhaupt glauben könne. Jetzt, da er hieran nicht mehr zweifelte, stand der andere schwere Zweifel wie eine unübersteigliche Mauer vor ihm. Was würde sie denken, wenn er ihr gestände, daß er jahrelang diese Frau in heimlichem Bunde besessen und einen Sohn von ihr habe, zu dem er sich nicht offen bekennen dürfe?

Denn wenn sie, was nicht wahrscheinlich war, noch so frei und unbefangen dachte über das, was er das Naturrecht der Leidenschaft nannte, es konnte dennoch nicht fehlen, daß nach einer solchen Enthüllung sein Bild ihr getrübt erscheinen, daß sie es peinlich empfinden würde, der Frau zu begegnen, die ältere Rechte an ihn besaß, und dem Knaben fernerhin freundlich zu sein, den eine andere Frau ihrem Geliebten geboren hatte.

Dieser quälende Zwiespalt wurde ihm auf die Länge unerträglich. Er stürmte aus seinem einsamen Zimmer und eilte nach dem See. in den er sich so ungestüm warf, als könne er alles, was ihn bedrängte, darin ertränken. Doch empfand er nur eine kurze Wohltat durch die körperliche Erfrischung und Abkühlung. Langsam stieg er dann in den Bergwald hinauf und kletterte eine Stunde lang die schroffsten Pfade auf und ab. Als er den Hexenbühel erklommen hatte, warf er sich ins Gras und ruhte eine Weile. Alles was in jener Stunde mit Crone und den Kindern ihn hier glücklich gemacht hatte, zog wieder an ihm vorüber, doch mit dem schmerzlichen Bewußtsein gepaart, daß eine so reine, harmlose Stunde nie wiederkehren werde. Als er sich in dies bittere Gefühl so recht vertiefte, übermannte ihn der Kummer so heftig, daß ihm die Tränen aus den Augen stürzten und er den Mund gegen den moosigen Stein drückte, um sein Schluchzen zu ersticken.

Zuletzt wurde er seiner Bewegung Herr und erhob sich mit gefaßter Seele. Doch war er von dem inneren Kampf so ermattet, daß er zu irgendeinem Entschluß, der in sein Geschick eingreifen sollte, die Kraft nicht mehr fühlte, sondern sich treiben ließ, wie die Tage kommen und gehen würden. Was das geliebte Mädchen unter dieser untätigen Spannung leiden könnte, dämmerte wohl auch in ihm auf, bewegte ihn aber nicht, eine gewaltsame Entscheidung herauszufordern, nicht einmal, wie er früher mehrmals gedacht, seine Abreise zu beschleunigen.

Als er in sein Zimmer zurückgekehrt war, stand die Lampe bereits auf seinem Arbeitstische. Er fühlte sich aber so ermattet, daß er am liebsten gleich zu Bett gegangen wäre, wenn er sich nicht vor den Hausgenossen geschämt hätte. So kramte er unter den Büchern, die er für seine Ferienlektüre mitgenommen, nahm eins nach dem andern in die Hand, ein Buch von Häckel, eine medizinische Zeitschrift, Wundts Physiologie, legte aber jeden Band wieder hin, ohne ihn zu öffnen, und zog endlich eine kleine Ausgabe von Goethes Faust hervor, die er stets bei allen Ausflügen mit sich führte. Diesmal fiel sein Blick, als er das Büchlein aufschlug, auf die klassische Walpurgisnacht, die er immer langweilig gefunden hatte. Heute fesselte ihn der wunderliche Spuk, den die fremdartigen Märchenwesen und antiken Gespenster miteinander trieben, er bemühte sich, den Lamien, Telchinen, Psyllen und Marsen einen Sinn abzugewinnen und Geschmack an ihnen zu finden, bis es ihm wirklich gelang und diese Traumwelt ihn völlig in ihre Kreise zog. Der Traum wurde endlich so dicht und dunkel, daß er in einen leichten Schlummer überging.

Er mochte wohl eine Stunde so gesessen haben, da fuhr er plötzlich in die Höhe, von dumpfen Tönen geweckt, die aus der Tiefe des Talgrunds durch das offene Fenster zu ihm hereindrangen. Er sah nach der Uhr, es war neun. Vielleicht läuteten die Glocken einen Feiertag ein, der für morgen im Kalender stand. Bald aber wurde ihm klar, daß es Feuerläuten war, und zugleich benahm ihm eine auflodernde Röte, die hinter den Wipfeln drüben gen Himmel stieg, jeden Zweifel. In demselben Augenblick, da er sich aus dem Fenster bog, um einen weiteren Umblick zu haben, sah er von rechts den langen Lutz daherkommen, rief ihn an und fragte, wo es brenne. Im Gärtnerhaus unten! gab der zur Antwort. Vielleicht auch im Schulhaus. Er eile hinunter, um löschen zu helfen. – So nehmt mich mit! rief Helmbrecht. Die Leute unten verlieren gleich den Kopf, es kann nicht schaden, wenn ein verständiger Mensch nach dem Rechten sieht.

Er griff nach seinem Hut und schwang sich, wie damals sein Hänsel getan, über den Fenstersims. Das dumpfe Geläut wurde stärker und dringender, der Schein hinter den lichten Zweigen dunkler, und schon stieg auch ein schwerer Rauch über die Wipfel empor. Während sie ihren Gang beschleunigten – auf der Fahrstraße, die dem Fußweg vorzuziehen war, da sie direkter zu der Brandstätte führte – berichtete Lutz in abgerissenen Sätzen, daß es ein großes Unglück für den Gärtner sein würde, wenn das Feuer größeren Schaden anrichtete. Er sei ein junger Anfänger, habe das Geschäft erst vor wenigen Monaten übernommen, das sehr gut gegangen sei, da er besser als sein Vorgänger sich auf die Gemüsekultur und die Pflege der Fruchtbäume verstehe, doch stecke er in Schulden und habe zum Ankauf des Grundstückes Geld aufnehmen müssen. Um das alte Schulhaus, wenn es auch ergriffen würde, sei's kein Schade. Es stehe auch zu weit draußen in der Nähe des Bahnhofs, dessen Lärm die Kinder zerstreut mache, und die Stadt habe längst ein neues Gebäude herzustellen beschlossen.

So legten sie, mehr laufend als gehend, in der Hälfte der Zeit. die man sonst gebrauchte, den Weg hinunter zurück und fanden unten um die beiden Häuser ein dunkles Gewimmel, das mit vom Brande angeglühten, ratlos starrenden Gesichtern sich drängte und die Arbeit der ohnehin ziemlich unbeholfenen Feuerwehr behinderte. Der Bürgermeister und die Herren vom Magistrat bemühten sich umsonst, Ordnung zu schaffen, der einzige Polizeidiener hatte mit ein paar frechen Gesellen, die ihm nicht gehorchen wollten, seine Not, und die Löschversuche schienen nur geringen Erfolg zu haben.

Helmbrechts Erscheinen kam gerade zur rechten Zeit, um einen frischeren Zug in die Arbeit zu bringen. Man wich ihm respektvoll aus, der Leiter der Feuerwehr, der sich bisher mit den nächsten Hausbrunnen beholfen hatte, sah ein, wie viel fördersamer es wäre, bis zu dem ganz nah vorbeiströmenden Flüßchen eine Kette zu bilden, an der die vollen Eimer bis zur Spritze gelangen könnten, und bald wurde die Wirkung dieser zweckmäßigen Maßregel sichtbar, da die Wut der Flammen, die das hohe Gärtnerhaus verheerten, nachließ und nur die Dachgiebel noch einmal hochaufloderten.

Das Schulhaus, wo das Feuer ausgekommen war, mußte man dem Verderben überlassen. Die alten dürren Tische und Bänke in den Klassenzimmern waren eine zu bequeme Nahrung der gefräßigen Glut. Auch hatte der Lehrer seine ganze Habe – auch nur sehr dürftiges Gerät –, da die Treppe zu glimmen anfing, im Stich gelassen und sich mit Weib und Kind aus einer Hintertür ins Freie gerettet.

Nun standen nur noch die kahlen Mauern, und auch diese hatten große Risse bekommen und drohten nach innen einzustürzen. Die Menge umstand stumm und untätig das schauerliche Schauspiel. Auf einmal aber ertönte ein heller Schrei aus einem Kindermund. Die kleine, etwa sechsjährige Tochter des Schullehrers brach in lautes Weinen und Schreien aus und deutete mit beiden ausgestreckten Ärmchen jammernd nach einem der Fenster des Obergeschosses, auf dessen Sims ein kleiner schwarzer Spitz gesprungen war und kläglich bellend das Kind um Hilfe anzuflehen schien.

Niemand rührte sich, so herzbrechend die Kleine schrie und ihr Mohrle zu retten bat. Da wurde plötzlich dicht unter dem Fenster eine Leiter an die Hauswand angesetzt und man sah mit Schrecken, da durch die Mauerrisse schon ein schwerer Qualm hervorquoll, Helmbrecht hinaufklimmen, das winselnde Tier im Genick packen und die schwankenden Sprossen mit seiner Beute wieder hinabsteigen.

Zwei Minuten später neigte sich die Mauer nach hinten und sank mit dumpfem Getöse in das rote Flammengewoge, das das ganze Innere des ausgebrannten Hauses wie einen tiefen Kessel ausfüllte.


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