Paul Heyse
Crone Stäudlin
Paul Heyse

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Elftes Kapitel.

Helmbrecht hatte am Hause der Frau Agnes den Gärtner gefunden und ihm den Knaben ans Herz gelegt. Der Mann versprach, nach Feierabend noch einen Gang in den Wald mit ihm zu machen. Eben wollte der Doktor sich dann entfernen, da rief die Justizrätin, die seine Stimme gehört hatte, aus einem Fenster des oberen Stockwerks ihm zu, ob er nicht hinaufkommen wolle, dem Professor guten Tag zu sagen.

Er tat es widerwillig, der Sinn stand ihm auf Einsamkeit, doch war kein Grund, es abzulehnen. Er fand den alten Herrn im Wohnzimmer beim Tee, über dem Lesen von Briefen und Zeitungen, die ihm Nachrichten aus Helsingfors, seiner Heimat, gebracht hatten. In allen klang der bittere Ingrimm über neue Vergewaltigungen der Rechte Finnlands durch die russische Zwingherrschaft, von denen der Professor so erfüllt war, daß er den eintretenden Freund sogleich damit überfiel.

Helmbrecht hörte ihn schweigend an. So lebhaften Anteil er sonst an dem patriotischen Kummer des Alten nahm, heute war sein Gemüt von ganz anderen Eindrücken und Gefühlen bewegt. Dann, als der erste Sturm der Entrüstung verbraust war und die Frau Rätin die schwüle Pause benutzte, nach den Stäudlins zu fragen, wie das Mittagessen verlaufen sei, und ob Crone, die sie nicht genug loben konnte, auch als Wirtin sich Ehre gemacht habe, wachte Helmbrecht aus seiner Versonnenheit auf und sagte, wie wohl ihm in diesen Stunden bei Vater und Tochter gewesen sei. Er stockte plötzlich, da er die blauen Augen der klugen Frau mit einem eigentümlichen Ausdruck auf sich gerichtet sah, stand auf und verabschiedete sich, er habe eine Arbeit angefangen, die rasch gefördert werden müsse.

Er hatte in der Tat vor, wieder an seine Abhandlung zu gehen. Draußen aber konnte er sich nicht entschließen, in sein Zimmer zurückzukehren. Statt dessen schlug er den Weg nach dem Walde ein, stieg hastig den Weg zwischen den Fichten hinan, als ob er einem Verfolger entfliehen wolle, und erst, als ihm der Atem ausging, stand er still, drückte die Augen zu und starrte in sich hinein.

Es wogte wunderlich in seiner schwer arbeitenden Brust. Bei den Worten der Frau Agnes, mit denen sie alle guten Eigenschaften Crones pries, war es ihm plötzlich zumut gewesen, als müsse er laut ausrufen: Was wißt ihr alle von ihr! Niemand kennt ganz, was sie wert ist, als ich, und daß auf der Welt nichts Holderes, Reineres, Liebenswürdigeres lebt als dieses Mädchen. Was für ein armseliges Beginnen, ihre einzelnen guten Seiten aufzählen zu wollen! Das Eigentlichste, Beste, Geheimnisvollste, was sie unwiderstehlich macht, was wie der Duft aus einer Blume aus ihrem innersten Wesen einem entgegenströmt, das kann mit noch so überschwenglichen Worten nicht ausgesprochen, nur stumm gedankt werden, wie man nicht zu sagen weiß, was den Zauber eines jungen Frühlingstages ausmacht, und wenn man der größte Dichter wäre.

Ein Dichter war Helmbrecht nun freilich nicht, und seine dunklen Empfindungen hätte er kaum in Worte zu fassen vermocht. Nur die Summe von ihnen stand hell vor seinem Sinn, und wie ein Blitz auf einmal nach langer, dumpfer Schwüle eine Gegend erhellt, ging's in ihm auf, daß er dies Mädchen liebe, wie er kein anderes Weib je geliebt habe.

Doch wie man vor einem Blitz erschrickt, der die Augen blendet, so erschütterte die plötzliche Helle dieser Erkenntnis sein Innerstes. Er war gewohnt, sein Leben in fester Hand zu halten, sich von keinen dunklen Gewalten aus der Bahn locken oder reißen zu lassen, die Pflicht und Neigung ihm vorgezeichnet. Und nun, da er gegen die Versuchungen des Blutes und jugendlicher Leidenschaft völlig gestählt zu sein glaubte, freilich auch durch sein Schicksal, das ihn hier oben übermannt hatte, zum Verzicht auf ein friedlich häusliches Glück genötigt – nun öffnete sich ihm auf einmal die Pforte eines neuen Lebens, das wie ein paradiesischer Garten sich vor ihm auftat und mit Glanz und Duft und süßen Vogelstimmen ihn hineinlockte.

Nein, es war nur der Eingang in ein Labyrinth, in dessen Irrgängen er sich verlieren würde, wenn er nur den ersten Schritt über die Schwelle wagte. Er tat die Augen weit auf, wie um einem trügerischen Traum zu wehren, der ihn einlullen wollte. Nein, so durfte es nicht weitergehen! Wie durfte er sich dem Wahn überlassen, in seinen reifen Jahren noch einmal einen Liebesfrühling zu erleben, wie jenes junge Herz, das sich selbst noch nicht kannte, sich's vielleicht träumen ließ! Er würde ein Verbrechen an diesem Herzen begehn, wenn er nicht alles täte, es zu enttäuschen, ehe es mit der Beharrlichkeit einer redlichen jungen Seele sich tiefer in seinen Irrtum verstrickt, Dankbarkeit für Liebe genommen hätte. Ein Wort fiel ihm wieder ein, das sie erst vor einer Stunde gesagt hatte, als der Vater, da sie nach dem Essen aufstanden, sie bat, ihrem Gast zum Nachtisch nun etwas vorzuspielen. O tun Sie es, liebe Crone! hatte Helmbrecht gebeten. Sie wissen, welche Freude Sie mir damit machen! Sie hatte ihn ernst angesehn und erwidert: Bitte, verlangen Sie es nicht. Ich kann Ihnen ja nichts abschlagen und muß alles tun, was Ihnen Freude macht. Aber ich habe jetzt keine reine Stimmung zur Musik, und wenn ich sie zwingen will, ist mir's, als beleidigte ich eine Freundin.

Da hatte er natürlich davon abgestanden. Jetzt aber fiel ihm erst aufs Herz dies »Ich muß alles tun, was Ihnen Freude macht«. Auch seine Frau zu werden, würde sie ihm nicht abschlagen, und täte sie's auch jetzt mit der Einwilligung ihres Herzens – was weiß sie von dem, von seinen Bedürfnissen, wenn es herangereift wäre und Welt und Menschen nicht mehr mit Kinderaugen ansähe!

Wohl eine halbe Stunde hatte er auf demselben Fleck gestanden und den schweren Kampf zu Ende gekämpft. Erst als er Schritte und Stimmen hinter sich vernahm, fuhr er auf und flüchtete die Steile weiter hinan. Im war sehr weh zumute, der Schweiß stand ihm vor der Stirn, seine Glieder aber waren kalt. Endlich, auf einem weiten Umwege fand er sich nach Hause und betrat sein stilles Zimmer, entschlossen, sich hier für die nächste Zeit gegen alles, was von außen käme, abzusperren, nur seiner Arbeit zu leben und nach ihrer Vollendung in die Stadt zu seinem Beruf zurückzuflüchten.

Als er aber seine Augen im Zimmer herumgehen ließ, erblickte er die Landschaft, die er heute geschenkt bekommen hatte. Seine mühsam errungene Standhaftigkeit brach bei diesem Anblick zusammen, die Tränen stürzten ihm aus den Augen, er warf sich auf das Sofa und weinte eine Weile wie ein Kind.

Der heftige Ausbruch seines Schmerzes erleichterte ihn. Er stand wieder auf, ging zu dem Bilde, das auf einen Stuhl dem Fenster gegenüber gestellt war, und trug es in sein Schlafkabinett, wo er es gegen die Wand kehrte. Dann setzte er sich an den Schreibtisch, nahm seine Hefte wieder vor und zwang sich, die heut früh unterbrochene Arbeit fortzusetzen.

Wirklich gelang es ihm. Er hatte sich dazu gewöhnt, seinen Willen in der Gewalt zu haben und ihn auf das zu richten, was die Pflicht von ihm forderte. Als um sieben die Tischglocke läutete, unterbrach er sein Schreiben nur, um das Mädchen herbeizurufen und ihm zu sagen, er werde nicht zum Nachtessen kommen, sie solle ihm eine Tasse Tee aufs Zimmer bringen.

So vergingen die Stunden.

Helmbrecht hatte längst die Lampe angezündet, das Lachen und Summen der Gespräche draußen im Wirtsgarten, wo die Kurgäste der Abendkühle genossen, war verstummt, im Korridor hatte er das seidene Kleid Yvonnes vorbeirauschen und ihre Tür gehen hören, und immer noch flog seine Feder über das Papier, das sie mit statistischen Zahlen und den Ergebnissen physiologischer Forschung angefüllt hatte. Erst als es draußen und im Hause völlig still geworden war, warf er die Feder weg und stand mit einem tiefen Seufzer der Befreiung auf. Er hatte berechnet, daß die Arbeit in drei Tagen beendet sein würde, wenn er sie in diesem Tempo fortsetzte.

Er rückte einen Stuhl an das offene Fenster und ließ die balsamische Luft über sein heißes Gesicht hereinwehen. In seinem Innern war es still geworden, er konnte sogar an das Mädchen denken, ohne daß die Wunde wieder zu bluten anfing. Aber müde war er, todmüde. Und doch konnte er sich nicht entschließen, zu Bett zu gehn. Es war, als fürchte er, im Traum, wenn er mit gebundenem Willen wehrlos daliege, werde der Kampf von neuem beginnen und all seine Schmerzen wieder aufwühlen.

Endlich – es war elf Uhr geworden – erhob er sich dennoch, schloß das Fenster und ging in sein Schlafgemach. Er hatte eben angefangen sich zu entkleiden, als er einen raschen Schritt auf dem Gang sich nähern und eine leichte Hand an seine Tür klopfen hörte.

Er fragte, wer draußen sei? Die Stimme des Zimmermädchens, die er kannte, erwiderte: ob der Herr Doktor nicht einmal rasch in das alte Haus hinüberkommen möchte. Das Fräulein von Nummer 17 lasse sehr bitten, ihre kleine Tochter sei plötzlich erkrankt, sie fürchte, es sei Krupp; wenn der Herr Doktor die Güte haben wollte –

Er komme sofort, gab Helmbrecht zur Antwort. Rasch fuhr er in den Rock, den er eben abgelegt, wieder hinein und trat auf den langen Gang hinaus, den ein paar Hängelampen notdürftig erhellten. Leise auftretend schritt er ihn entlang und dann durch die Arkaden, die den Anbau mit dem alten Hause verbanden. Es war eine stille, von Sternen überglänzte Nacht, kein Blatt regte sich draußen im Garten, nur vom Talgrunde herauf hörte man Hunde bellen und den klagenden Ruf eines Käuzchens im Buchenwalde.

Auch im Gasthof drüben schlief alles. Er stieg die wohl bekannte Seitentreppe zum ersten Stock hinauf, dann die Stufen, die zu den Dachzimmern führten. Hier war alles dunkel. Er fand aber die bezeichnete Nummer 17, da unten an der Schwelle ein Lichtschimmer auf den engen Gang fiel. Als er die Tür öffnete, sah er vor einem Kinderbette, das an der abgeschrägten Wand der geräumigen Mansarde stand, eine weibliche Gestalt knien, die alsbald sich erhob und ihm entgegenging. Eine andere, in der er Frau Maria erkannte, stand am Fußende des kleinen Bettes und grüßte ihn nur mit einem stummen Blick.

Auf dem runden Tisch in der Mitte brannte eine kleine Lampe, eine Kerze auf dem Nachttischchen, das neben dem größeren Bette an der Wand gegenüber stand. Das Zimmer war völlig schmucklos, aber sauber gehalten, durch das einzige Fenster floß die Nachtluft herein. Es war außer den Magdkammern das geringste Gemach im Hause.

Auch die Frau, die Helmbrecht entgegenkam, erschien in einem dürftigen Nachtgewande, während die Wirtin des Seehofs trotz der Eile, mit der sie der geängstigten Mutter zu Hilfe gekommen war, in ihrem bequemen häuslichen Anzug sich wohl sehen lassen konnte. Die andere war eine große Figur mit starken Gliedern und reichte fast bis an die niedrige Zimmerdecke hinan. Unter der Nachthaube, die auf dem rötlichen Haar saß, kamen einzelne wirre Strähnen hervor, das unschöne Gesicht war mit Sommersprossen bedeckt, und die dunklen Augen flackerten von einem unsteten Glanz, so daß man sie für die Kranke hätte nehmen mögen. Doch war bei alledem in ihren Gebärden und Mienen eine gewisse Hoheit, die ihre Häßlichkeit überwog, und die Nachlässigkeit ihres Anzugs ließ erkennen, wie gleichgültig in der Sorge um ihr Kind es ihr war, welchen Eindruck ihre Erscheinung machen konnte.

Sie stammelte nur einen leisen Dank, daß der Doktor sich herbemüht habe, dann trat sie sogleich wieder an das kleine Bett, zu dem Helmbrecht ihr folgte. Das Kind lag im Fieber und ließ von Zeit zu Zeit einen heiseren Hustenton hören. Das kleine Gesichtchen erschien stark gerötet, so daß die Sommersprossen, die auch ihm über Stirn und Wangen ausgestreut waren, verschwanden. Doch war auch sonst die Ähnlichkeit mit der Mutter auffallend.

Helmbrecht untersuchte das Kind gründlich, beklopfte die kleine schmale Brust, leuchtete ihm in das Hälschen hinein und maß die Blutwärme. Eine bange Viertelstunde verging so, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Dann richtete er sich auf und sagte: Ich kann Sie beruhigen, werte Frau. Ob irgendeine Kinderkrankheit im Anzug ist oder eine leichte Influenza, vermag ich im Augenblick nicht zu bestimmen. Jedenfalls ist es nicht Krupp und überhaupt kein Zustand, der Sie besorgt machen müßte. Die Kleine scheint sich erkältet zu haben, was hier oben, ehe die Naturen sich an unsere Höhenluft gewöhnt haben, bei alt und jung häufig der Fall ist. Es ist gut, daß Sie mich gleich gerufen haben. Wir werden die Gefahr, daß es schlimmer werden könnte, hoffentlich im Keime ersticken.

Er wandte sich an Frau Maria und bat sie, allerlei herbeizuschaffen, was fürs erste notwendig schien. Die Kleine hatte ihn mit großen Augen angeblickt und, da er ihr freundlich zusprach, durch ein schwaches Lächeln ihm gezeigt, wie wohl seine Nähe ihr tat. Als dann der heiße Brusttee kam und um das magere Hälschen ein feuchter Umschlag gelegt worden war, beruhigte sie sich und lag ganz still in ihrem Bettchen, immer aber die Augen groß aufgeschlagen. Frau Maria hatte das Zimmermädchen, das gern noch aufbleiben wollte, zu Bett geschickt: Du hast einen Arbeitstag hinter dir, von dem du ausschlafen mußt, um morgen wieder früh aufzustehen. Was zu tun ist, kann ich selbst besorgen.

Dann hatten die drei sich um das kleine Bett gesetzt, kaum einmal ein Wort wechselnd. Da der Zustand nach einer halben Stunde sich noch nicht zu ändern schien, hatte Helmbrecht Frau Maria gebeten, aus der Hausapotheke ein Pulverschächtelchen zu holen, das er ihr genau bezeichnete. Sie wußte schon Bescheid und verließ eilig das Zimmer.

Als sie es dann brachte, gab er dem Kinde, das sich unruhig hin und her warf, eines der Pulver, und die drei nahmen ihre Plätze wieder ein.

Schon nach einer Viertelstunde zeigte sich die günstige Wirkung. Das Kind schloß die Augen und lag und atmete ruhig. Als Helmbrecht ihm die Stirn befühlte, war sie feucht geworden. Fühlen Sie nur selbst! flüsterte er der Mutter zu. Die erhob sich, drückte die zitternden Lippen auf die kleine Stirn und brach dann in Tränen aus. Auch Frau Marias Augen waren feucht geworden.

Sie saßen noch eine Stunde beieinander. Dann stand Helmbrecht auf, maß noch einmal die Blutwärme und sagte dann: Das Fieber ist um zwei Grad gesunken und wird wohl noch weiter hinuntergehn. Sie sollten sich nun niederlegen, liebes Fräulein. Ich bleibe hier noch ein paar Stunden, und Sie lösen mich dann ab.

Die Mutter bestand darauf, daß er sie sogleich verlassen solle. Sie würde ja doch kein Auge zutun, und wenn irgendeine Änderung einträte, ihn wieder herbeirufen. Er mußte sich endlich fügen, befestigte sorgsam das Bettdeckchen und nahm, nachdem er ihr noch einige Verhaltungsmaßregeln gegeben, mit einem herzlichen Händedruck Abschied.

Frau Maria umarmte die Zurückbleibende und ging dann Helmbrecht voran die Bodentreppe hinab. Es war totenstill im Hause. Sie kamen in den Gang des ersten Stocks und standen an der Tür von Frau Marias Zimmer einen Augenblick still.

Du glaubst wirklich, daß die Kleine der Mutter erhalten bleibt? fragte die Frau leise, die Hand auf der Türklinke.

Wenn keine unvorhergesehene Komplikation eintritt, gewiß! erwiderte er.

Sie schwieg eine Weile. Wie glücklich bist du, Johannes! hauchte sie dann. Wie viele danken dir ihre Rettung! Was bist du mir gewesen, nicht als Arzt, als Freund! Und jetzt – Johannes, ich meine, ich könnt' es nicht tragen! Ich müßte vergehen vor Gram und Sehnsucht! Muß es denn sein! Ist es gewiß, daß ich mein Seelenheil verscherze, wenn ich meinem Herzen folge?

Du hast es selbst gewollt, erwiderte er. Du mußt wissen, was dir frommt, du allein kannst es wissen. Aber nun es einmal entschieden ist –

Er fühlte, wie es um sie stand, daß er nur ein Wort zu sagen gebraucht hätte, und alle Schreckbilder der Hölle hätten keine Macht über sie behalten. Sie stand vor ihm in dem helldunklen Gange, hilflos und wehrlos, die Augen überfließend, ihre Hand suchte die seine, plötzlich sank sie ihm an die Brust und brach in ein heftiges Schluchzen aus.

Einen Augenblick regte sich auch in ihm ein warmes Gefühl, nicht nur des Mitleids. Wie oft hatte er um Mitternacht an diese Tür gepocht, und das Herz hatte ihm geschlagen, wenn der Riegel fortgeschoben wurde und eine weiche Hand ihn über die dunkle Schwelle führte. Jetzt stand zwischen ihnen eine andere Gestalt, die zu umfangen ihm versagt war und die ihn doch von der alten Zeit und der erloschenen Liebe trennte.

Komm, Maria! sagte er, indem er sie sanft von seinem Halse zurückdrängte. Wir müssen standhaft bleiben. Was einmal sein soll, dürfen wir uns nicht selbst erschweren, indem wir einer schwachen Stunde erliegen. Hier nebenan schlafen deine Töchter. Du mußt ihnen morgen früh frei in die Augen sehn können. Auch mir – setzte er hinzu, um seine Unerbittlichkeit milder erscheinen zu lassen – glaub es nur, auch mir wird es schwer, mich darein zu finden. Aber was vorbei ist, darf nicht wieder Macht über uns gewinnen. Geh hinein und schlaf deinen Kummer aus. Wir sind Menschen, das heißt, wir müssen zu verzichten lernen, auch auf das Liebste, wenn eine höhere Pflicht es gebietet.

Er fühlte, daß all diese weisen Worte ihr erregtes Innere nicht beschwichtigen konnten, so kaltherzige Vernunftgründe sie nur tiefer kränken mußten. So riß er sich von ihr los und hastete den Korridor entlang. Am Ende angelangt, wandte er sich noch einmal um, da stand sie noch immer vor der Schwelle, er glaubte den trostlosen Blick ihrer Augen zu sehen und eilte sich, im Dunkel des Treppenflurs ihr zu entschwinden.


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