Paul Heyse
Crone Stäudlin
Paul Heyse

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Siebzehntes Kapitel.

Er hatte aus den Worten des strengen alten Herrn eine Anspielung auf sein eigenes Verhältnis zu Frau Maria herauszuhören geglaubt, über das sie nie gesprochen hatten. Bei nächster Gelegenheit sich darüber auch gegen ihn zu erklären, fühlte er als eine Notwendigkeit, wenn auch eine reine Verständigung, da sie beide über die Frage der sittlichen Verpflichtung verschieden dachten, nicht zu hoffen war. Nun trug er zu allem, was ihn bedrückte, auch die Verstimmung über diesen Zwiespalt mit hinweg.

Als er dann in seine Wohnung zurückkehrte, sah er zu seiner Verwunderung Veit Stäudlin mitten im Zimmer sitzen, den breiten Malerhut auf dem Kopf, übrigens in dem Anzug, den er in seinem Atelier zu tragen pflegte, einer dunkelbraunen Sammetjoppe, ohne Halstuch, bequeme gelbe Hausschuhe an den Füßen. Es machte den Eindruck, als sei er aus irgendeinem wichtigen Anlaß hastig von der Arbeit weggelaufen, und auch sein bekümmertes Gesicht verriet eine Sorge, für die er bei dem Freunde Rat und Trost gesucht habe.

Bei Helmbrechts Eintritt stand er auf, streckte ihm die Hand entgegen und sagte mit einem Seufzer: Zürnet nüd, lieber Freund, daß ich bei Euch eingebrochen bin und Euch hier zur Last falle. Aber das Herz ist mir schwer, und ich weiß mir niemand als Euch, der mir's erleichtern könnte. Ich darf wohl den Hut aufbehalten. Meine Stirn ist heiß und es weht ein frisches Lüftli vom Fenster herein. Wenn Ihr aber etwas Dringendes zu tun hättet –

Nichts in der Welt, versetzte Helmbrecht, indem er das Fenster schloß. Sagt nur, worin ich helfen kann.

Ich dank' Euch, Lieber, sagte der andere. Es ist besser, das Fenster bleibt geschlossen. Es könnte einer von draußen hereinlauschen, und was mich bekümmert, braucht niemand zu erfahren.

Seht, lieber Doktor, 's ist um das Kind, das Chröneli. Seit dem häßlichen Auftritt vom Sonntag abend ist's nimmer wie sonst. So recht lustig ist's ja überhaupt nicht, aber es lächelt doch und treibt manchmal sein Späßli mit dem alten Ätti, wenn das große Kind etwas Einfältiges macht, und kommt auch ins Atelier hinauf und hilft mir malen. Denn es hat ein feines Auge, und wenn es wollte, könnt' es manchen, der für einen Meister gilt, beschämen. Nun, wie gesagt, seit vier Tagen ist's ganz still, tut seine Geschäfte wie sonst und antwortet auch, wenn es gefragt wird, aber alles wie im Traum, und die Geige hat es nicht angerührt. Mir ist nicht danach zumut, hat es gesagt, als ich's dazu ermuntern wollte.

Ob es noch immer an die Beleidigung denke, hab' ich gefragt. Es sollt' das doch nicht so tragisch nehmen und hab' es ja auch verziehen. Nein, daran denke es nicht mehr. Der Mensch könne sich aber nicht gebieten, ob er froh oder ernst sein wolle. Es werde sich schon bessern.

Ein paarmal hab' ich auch den fremden jungen Herrn ums Haus streichen sehen und gedacht, am Ende trage der die Schuld, das Kind habe Angst, er möcht' es wieder ansprechen und eine Szene machen. Als ich Crone aber gefragt hab', hat sie den Kopf geschüttelt: der sei ihr ganz gleichgültig und werde sich auch ruhig verhalten. Am dritten Tag, als sie mit Fulvo und Theodor im Wald herumgestiegen, da das Wetter sich endlich ein bitzli besserte, sei sie plötzlich ihm begegnet. Er habe ihnen aber den Weg freigegeben, sei ohne ein Wort zu sprechen stehn geblieben und habe sie, indem er ehrerbietig den Hut gezogen, vorbeigelassen.

Mich hat die Sache doch gewurmt. Durch die Cattina hab' ich erfahren, der Herr Student habe sich unten im Gasthof festgesetzt, während seine Kameraden abgezogen seien, und komme täglich herauf, wo er dann stundenlang herumlaufe, augenscheinlich um das Chröneli zu attrappieren, rede mit keinem Menschen und schaue aus wie das Leiden Christi.

Ich hatte mir schon halb und halb vorgenommen, einmal hinunterzugehen und mit dem Herrlein offen zu reden, daß mir's lieb wär', wenn er sich davonmachte und mein Töchterli nicht weiter beunruhigte. Dann aber dacht' ich, es schicke sich doch nicht und könne so scheinen, als beachte das Kind sein Tun und Treiben, als ob es sonderlich ängstlich sei und seine Würde nicht zu wahren wisse.

Und nun denkt, so eben am Nachmittag, da ich wieder an die Arbeit gegangen bin, froh daß wieder Malwetter ist, – das Kind hatte sich auch an sein Blumenstück gesetzt – kommt die Cattina heraufgerannt, der Fremde, der bel giovinotto sei unten, hab' ihr seine Karte gegeben und lasse fragen, ob Herr Stäudlin zu sprechen sei. Sie hab' ihn einstweilen ins Wohnzimmer unten hineingeführt und gebeten, Platz zu nehmen.

Ich sah erst aus der Karte, daß es ein Freiherr Fritz von Dürenstein ist, aber ich nahm mir doch vor, ihm zu zeigen, daß ein freier Schweizer sich's nicht zur Ehre schätzt, wenn ein junger Baron sich gegen seine Tochter ungebührlich aufführt. Ging also stracks hinunter und fragte schon auf der Schwelle mit einem steifen Gesicht, womit ich dem Herrn dienen könne.

Ich gestehe, daß mich sein hübsches Gesicht und seine bescheidene Miene rasch zu seinen Gunsten stimmte. Er war sichtlich in großer Aufregung und hatte Mühe, seine Verlegenheit zu verbergen. Wir saßen ein paar Minuten stumm einander gegenüber, dann fing er an: mir sei ohne Zweifel genau berichtet worden, wie unverzeihlich er sich gegen mein Fräulein Tochter betragen habe. Da sie ihm aber in ihrer großen Güte sein Vergehen verziehn, würde nun für jeden andern die Sache damit ihr Bewenden haben. Zu seinem Unglück aber habe gerade das nur noch dazu beigetragen, den Eindruck, den das Fräulein schon durch ihr Äußeres auf ihn gemacht, zu verstärken, da er daraus gesehn, welch ein edler, hoher Sinn, wieviel Güte und Freundlichkeit in ihr wohne, so daß er in eine heftige Leidenschaft geraten sei und verzweifeln müsse, je im Leben wieder froh zu werden, wenn er dies herrliche Mädchen nicht fürs ganze Leben gewinnen könne.

Er habe sich deshalb ein Herz gefaßt, zu mir zu kommen und zu fragen, ob ich ihm meine Tochter zur Frau geben wolle, vorausgesetzt, daß sie selbst ihm erlaube, um sie zu werben, bis sie ihn näher kennen gelernt und gefühlt habe, daß sie seine Gefühle erwidere.

Er sei Student im fünften Semester, zweiundzwanzig Jahre alt, und werde, nachdem er im nächsten Frühjahr sein juristisches Examen bestanden, das Majorat antreten, das sein Vater ihm hinterlassen. Der habe ihm, als er vor einem halben Jahr gestorben, zur Pflicht gemacht, erst sein Universitätsstudium zu absolvieren, dann möge er immerhin seiner Neigung zur Landwirtschaft folgen.

Seine Mutter lebe noch und eine einzige Schwester. Er sei überzeugt, daß sie die junge Frau, die er ihnen zuführe, mit offenen Armen aufnehmen würden.

Er hatte sich sehr in Eifer gesprochen, sein offenes junges Gesicht glühte, und die Augen sahen so treuherzig darein, daß ich nicht umhin konnte, einen solchen Schwiegersohn sehr wünschbar zu finden.

Ich nahm aber eine ganz geschäftsmäßige Miene an, sagte nicht einmal, wie das so üblich ist, ich fühlte mich durch seinen Antrag sehr geehrt, sondern erwiderte nur, ich könne ihm nichts anderes versprechen, als daß ich meine Tochter befragen würde. Es stehe ihm frei, die Antwort hier unten abzuwarten. Eine Bedenkzeit werde mein Kind sich schwerlich ausbitten.

So ging ich zu Chröneli hinauf, der es die Cattina schon gesteckt hatte, welch ein Besuch gekommen sei. Doch ahnte sie freilich nicht von fern den Grund. Als ich ihn ihr sagte, bemerkte ich nicht, daß es einen sonderlichen Eindruck auf sie machte. Wie wenn sich's um eine Landpartie handelte, zu der sie eingeladen würde und fühlte keine Lust dazu, antwortete sie ohne Besinnen: Sag dem Herrn, Ätti, ich dankte ihm für seinen Antrag, könne ihn aber nicht annehmen.

Laßt mich Euch gestehen, lieber Freund, daß mir dieser kurzangebundene Bescheid gar nicht nach dem Sinne war.

Wenn Ihr Euch in die Seele eines Vaters hineinversetzen könnt, werdet Ihr begreifen, daß es ihm Sorge machen muß, was aus seinem Kinde wird, nachdem er das Zeitliche gesegnet und es nun einsam in der Welt dasteht. Einer Stütze und Leitung im Leben bedürfte mein Kind freilich nicht, so jung es ist. Erfahre ich es doch oft, welch ein wundersam klarer und sicherer Geist das junge Köpfli regiert. Aber sein Glück möcht' ich doch gesichert sehn, bevor ich die Augen schließe, und dazu bedarf es gerade bei Chrönelis Natur mancherlei, was nicht auf jeder Gasse zu finden ist. Ein Gemahl, wie er sich hier anbietet, jung, schön von Ansehn, begütert, trotz einiges jugendlichen Übermuts doch von gewissenhafter Natur, mit einem Wort un perfetto galantuomo – wir werden lange warten können, bis sich so viele schätzbare Eigenschaften in einem Freiwerber wieder vereinigt finden.

Ich sagte also dem Kinde, ich wolle es natürlich nicht überreden, etwas gegen sein Herz zu tun, nur – und damit stellte ich ihr vor, was sie alles verscherzte, wenn sie die Werbung ohne weiteres ausschlüge – es sei jedenfalls klug und nicht unter unsrer Würde, auf die Möglichkeit hinzudeuten, daß man bei näherer Bekanntschaft – und so weiter.

Davon aber wollte sie nichts hören. Ich weiß, sagte sie, daß mein Herz nie anders entscheiden wird, und so gut du es meinst, Ätti, du tust mir nur weh, wenn du es mir verdenkst, meinem Herzen zu folgen. Ich bitte dich also inständig, sag ihm –

Noch ehe sie weitergesprochen, ging die Tür auf, und der junge Herr trat in großer Bewegung, aber mit einem demütigen Blick wie ein um Gnade Flehender über die Schwelle. Er bitte, ihm zu verzeihen, wenn er zudringlich erscheine, die Ungewißheit habe ihn aber zu ersticken gedroht, er wünsche nur, aus dem Munde des gnädigen Fräuleins selbst sein Schicksal zu vernehmen.

Natürlich hatte der schlaue junge Mensch darauf gerechnet, daß der Spruch anders ausfallen würde, wenn seine schmucke ritterliche Figur und seine Stimme, die das Kind schon einmal bezaubert hatte, seine Werbung unterstützten.

Crone aber, während ich selbst mich durch diesen ganzen Auftritt und die ehrerbietige Leidenschaft des schönen Menschen gerührt fühlte, stand ruhig wie eine junge Prinzeß an ihrem Maltischchen und wiederholte in einem sanften aber entschiedenen Ton ihre Ablehnung.

Er hörte das an mit einem stillen Gesicht, das ganz blaß war. Sie werden verzeihen, mein Fräulein, sagte er, wenn ich mich damit nicht zufrieden gebe. Auch mein seliger Vater hat sich von meiner lieben Mama erst zweimal einen Korb geholt, bis sie einwilligte, seine Frau zu werden. Sie hat es nie bereut. Ich bin auch ein echter Dürenstein und gebe eine Hoffnung, an der das Glück meines Lebens hängt, nicht beim ersten Fehlschlag auf. Wenn Sie mir gestatten wollen, Ihnen nah zu bleiben, Ihnen von meinen guten und schlechten Seiten näher bekannt zu werden, vor allem Ihnen die Tiefe und Stärke meiner Gefühle für Sie zu offenbaren –

Ich flüsterte dem Kinde zu, darauf wenigstens einzugehen. Aber als ob sie mich gar nicht gehört hätte, erwiderte sie, ohne mit der Wimper zu zucken: Es wäre vergebens, Herr Baron. Ich darf Ihnen nicht die geringste Hoffnung machen, denn – mein Herz ist nicht mehr frei!

Ich sah, wie der gute junge Mensch zusammenzuckte, als wäre dies Wort ein Hieb mit einer scharfen Klinge gewesen. Er dauerte mich in diesem Augenblick herzlich. Aber er richtete sich gleich wieder auf und stammelte: Das – das allerdings – ist etwas anderes. Das zwingt mich, zurückzutreten. Aber trotzdem – Sie können mir nicht zumuten, jeder Hoffnung für immer zu entsagen. Die Zukunft wird zeigen, ob dieser Spruch unwiderruflich ist, ob Ihr Herz, mein Fräulein, nicht etwa doch eine Wandlung erlebt. Des meinen bin ich sicher. Qui vivra, verra.

Damit verneigte er sich tief und stürzte aus dem Zimmer.

Kind, rief ich, da wir kaum allein waren, du bist grausam gewesen. Der arme junge Mensch! War es wirklich notwendig, ihm ein für allemal jede Hoffnung zu rauben, selbst mit einer Notlüge? Denn daß du es ihm nur vorgespiegelt hast, du habest dein Herz schon verschenkt –

Ätti, unterbrach sie mich, ich bitte dich, laß mich jetzt allein und fang auch später nicht mehr davon an. Auch mir hat er leid getan, ich halte ihn für einen edlen Charakter, aber dennoch – ich habe getan, was ich mußte, das weiß jeder nur allein zu beurteilen. Verzeih mir, wenn du's anders gewünscht hättest.

Damit küßte sie mich, und mir blieb nichts übrig, als sie sich selbst zu überlassen. –

Veit Stäudlin hatte, gegen seine schwerflüssige Art, diesen langen Bericht in einem Zuge herausgestrudelt. Nun schwieg er, ließ das Kinn auf die Brust sinken und verharrte in einer nachdenklichen Stille, die Helmbrecht, von vielen Gedanken aufgeregt, nicht unterbrach.

Endlich stand der Maler langsam auf, trocknete sich die Stirn und schritt an das Fenster, das er wieder öffnete.

Es ist heiß, sagte er. Es scheint wieder ein Wetter im Anzug. Verzeiht, Freund, daß ich Euch so ausführlich – aber ich wußte mir nicht zu helfen. Mein liebes Maidli, daß ich nicht aus ihm klug werden kann –! Aber wenn es sagt: Frag mich nicht, Ätti, wie soll ich –

Er seufzte aus der tiefen Brust.

Auch Helmbrecht war aufgestanden. Ihr habt mir nur einen Beweis Eurer Freundschaft gegeben, sagte er, daß Ihr mich in Eure Sorge eingeweiht habt. Aber was ich tun könnte, sie Euch vom Herzen zu nehmen –

Oh, Lieber, Ihr seid der einzige, der es vermag. Von keinem Menschen hat das Kind eine so große Meinung, wie von Euch, zu niemand, selbst zum Ätti nicht, mehr Vertrauen. Was sie dem nicht glauben will, daß es eine Torheit sei, einem solchen Bewerber für immer den Laufpaß zu geben, Ihr vermöchtet es ihr klarzumachen. Euch wird sie's auch eingestehn, daß es nur eine Ausflucht war, wenn sie erklärte, ihr Herz sei schon vergeben, und wenn nicht, so beichtet sie Euch auch wohl, wen sie meint. Wenn Ihr mir also den Gefallen tun möchtet –

Jeden, den Ihr sonst von mir verlangt, lieber Meister, sagte Helmbrecht; diesen aber muß ich Euch verweigern. Was sollte Euer Kind von mir denken, wenn ich sie bereden möchte, etwas gegen ihr eigenes Gefühl zu tun! Und wie dürfte ich mich unterstehn, in das Geheimnis ihres jungen Herzens eindringen zu wollen, das sie selbst vor ihrem Vater verbirgt! Aber glaubt, teurer Freund, auf das Herz Eures Cröneli könnt Ihr Euch verlassen, das wird immer das Rechte ergreifen und nur tun, was ihm frommt. Laßt der Zeit nur Zeit. Über kurz oder lang wird die Sonne auch das an den Tag bringen.


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