Paul Heyse
Crone Stäudlin
Paul Heyse

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Erstes Kapitel.

Am Nachmittag eines heißen Hochsommertages saß die Wirtin des Seehofs, Frau Maria Harlander, auf einer der Bänke vor ihrem Hause, im Schatten eines der Ebereschen- und Akazienbäumchen, mit denen der Platz bepflanzt war. In diesem Wirtsgarten pflegte sich an warmen Abenden an kleinen grüngestrichenen Tischen die Honoratiorenschaft des Städtchens drunten niederzulassen und mit Frauen und Kindern sich an der kühlen Bergluft und der guten Küche der Wirtin zu erquicken.

Heute hatte sich außer dieser selbst kein lebendes Wesen hier herausgewagt. Die fremden Gäste hielten in ihren mit Läden verdunkelten Zimmern Mittagsruhe, oder hatten sich höher in den Bergwald hinaufgeflüchtet, wenn sie nicht ihrer Kurpflicht in den Sonnenbädern oblagen. Nur in dem großen Gartensaal, der sogenannten »Halle«, saß hinter herabgelassenen Jalousien ein ältliches Ehepaar, ein grauhaariger, seine Hundstagsferien genießender Gymnasialdirektor, der noch eine und die andere Partie Schach mit seiner dicken kleinen Frau spielte, wobei man es dieser ansah, daß sie einen Schlummerwinkel auf ihrem Sofa vorgezogen hätte.

Frau Maria Harlander aber schlief nicht, wenn sie auch die Augen auf das große Wirtschaftsbuch, das vor ihr lag, nur träumend gesenkt hatte und an andere Dinge als die Zahlen darin zu denken schien.

Sie war eine stattliche Frau, mit ihren Vierundvierzig an jener Altersgrenze angelangt, wo die weibliche Blüte ihre Höhe erreicht und gewöhnlich schon überschritten hat. Letzteres war auch bei der Wirtin vom Seehof der Fall. Zwar zeigten sich in dem runden Gesicht, das noch immer, wenn sie lächelte, reizend erscheinen konnte, nur erst wenige Falten, die starken weißen Zähne hatten kaum eine Lücke, und nur das schlicht gescheitelte braune Haar begann sich ein wenig zu lichten. Doch mit der zunehmenden Fülle hatten die Züge einen derberen Ausdruck bekommen und alles jugendlich Feine verloren. Man erkannte, daß ihr Sommer sich seinem Ende zuneigte.

In ihrer Kleidung aber hielt sie sich noch zierlich, ohne sonderliche Künste. Sie hatte ein schwarzseidenes Tüchlein über den Kopf geschlungen, dessen dicke Fransen einen Teil des sorgfältig geflochtenen Knotens am Hinterhaupt bedeckten und nach vorn über den oberen Rand der etwas zu hohen Stirn hereinfielen. Das dunkle Kattunkleid mit roten Tupfen, das sie trug, ließ den kräftigen, sehr weißen Hals unter dem Doppelkinn ganz frei, und eine schwarzseidene Schürze, bis an die Mitte der vollen Brust hinaufreichend, war mit zwei kleinen silbernen Spangen befestigt, die ihrer Kleidung einen Anstrich von eigenem Geschmack gaben, wie er in dieser Gegend sonst nicht herkömmlich war.

So saß sie nun schon eine halbe Stunde, vor sich hinstarrend und ins Tal hinunterhorchend, von wo der Signalpfiff einer Lokomotive heraufgedrungen war. Doch der Gast, den sie zu erwarten schien, wollte immer noch nicht kommen. In nervöser Unruhe hatte sie die Feder eingetaucht und es nicht geachtet, daß ein schwerer Tintentropfen auf das Blatt gefallen war, das sie sonst peinlich sauber hielt. Von Zeit zu Zeit nippte sie an dem Glase Wasser, das vor ihr stand, aber ihre Lippen wurden sofort wieder heiß und trocken, und ihre Brust atmete immer schwerer, während ihr seine Schweißtropfen auf die Stirn traten.

Plötzlich aber fuhr sie von der Bank in die Höhe und stand aufrecht, die Hände gegen die Tischplatte gestützt, als suche sie einen Halt, da ihr ein Zittern durch die Glieder lief. Im Schatten der Bäume hinter der Gittertür, die sich in dem Zaun am Rande des Wirtsgartens öffnete, war eine Männergestalt aufgetaucht, das Pförtchen wurde aufgestoßen, und mit dem lauten, freudigen Ausruf »Guten Tag, Maria!« trat der Ankömmling rasch ein und wand sich zwischen den Tischen und Bänken durch bis zu dem Platz, wo die Seehoferin stand, regungslos immer noch sich am Tisch haltend, als wäre ihr der Mann, der ihr die Hand entgegenstreckte, ein Fremder und sie stände im Zweifel, wie sie seinen Gruß erwidern solle.

Sie nickte nur leise, sah ihm aber jetzt voll ins Gesicht. Er hatte den breiten Strohhut abgenommen und trocknete sich jetzt mit dem Taschentuch, daß er zum Gruß geschwenkt hatte, die hohe weiße Stirn, deren Farbe sich von der sonnegebräunten Haut des übrigen Gesichtes abhob. Ein sehr ausdrucksvolles, aber unregelmäßig gebildetes Gesicht, mit einem ins rötliche spielenden braunen Vollbart umrahmt, während das kurzgeschnittene starke Haar dunkler um die Schläfen stand. Die mittelgroße, gedrungene Figur mit breiten Schultern steckte in einem nachlässigen grauen Sommeranzug, statt der Weste hatte er einen leichten schwarzseidenen Schal umgegürtet, und die Zipfel eines dunklen Halstuchs hingen über die schneeweiße Hemdbrust herab. Wie er sich rasch und elastisch bewegte, traute man ihm die fünfunddreißig Jahre seines Alters nicht zu, sondern nahm ihn für einen Studenten in höheren Semestern, bis man dem scharfen, durchdringenden Blick seiner schwarzen Augen begegnete, oder die Falte zwischen den Brauen bemerkte, die bei jedem ernsten Wort sich vertiefte.

Ein paar Sekunden lang hatten die beiden sich stumm gegenübergestanden. Von dem Gesicht des Mannes war der freudige Ausdruck gewichen, und der energische Mund hatte sich zusammengepreßt. Als die Frau jetzt ihre Hand in die seine legte, die er über die Tischplatte weg immer noch ihr entgegenhielt, hörte er sie leise sagen: Willkommen, Johannes! Du kommst spät.

Er hielt ihre kräftige weiße Hand noch eine Weile fest, ehe er sie frei gab.

Bist du krank, Maria? sagte er dann. Deine Hand ist kalt und feucht. Und auch sonst – du bist wie verwandelt zu mir. Ist das dein Empfang, nachdem wir seit Ostern getrennt waren?

Sie machte eine halbe Wendung mit dem Kopf nach der Halle hin.

Sprich leise! Wir sind nicht allein. Da drüben hören sie jedes Wort. Laß uns Sie zueinander sagen. Die Rektorsleute sitzen beim Schach in der Halle.

So laß uns ins Haus gehn, wo wir unter vier Augen sprechen können. Mein Zimmer ist doch bereit? Wenn du wüßtest, wie ich mich nach diesem Augenblick gesehnt habe, wo ich meine Arme wieder um dich schlingen und dein liebes Gesicht küssen könnte! Und jetzt dieser Zwang! Du hast es doch sonst so traulich einrichten können, daß unser erstes Wiedersehen von niemand gestört wurde.

Sie atmete schwer und suchte seinem forschenden Blick auszuweichen.

Dein Zimmer, flüsterte sie endlich mühsam – es tut mir leid, Johannes, aber diesmal kannst du nicht darin wohnen.

Das Fältchen zwischen seinen Brauen vertiefte sich. Die Stimme, obwohl er sich Mühe gab, sie zu dämpfen, klang rauh und fast drohend.

Wer hat mich daraus zu verdrängen gewagt? Und wie hast du's leiden können?

Zürne mir nicht, Johannes, erwiderte sie stockend. Die Kinder wohnen jetzt darin – ich hab' es ihnen geben müssen – wie schwer mir's wurde, weiß Gott im Himmel, aber – es mußte sein!

Sie sank auf die Bank zurück und bedeckte die Augen mit der Hand, als könne sie's nicht ertragen, zu sehn, welchen Eindruck ihre Worte auf ihn gemacht hätten.

Eine Weile blieb es still zwischen ihnen. Man hörte von der Halle herüber das Klappern der Schachfiguren, die in das Brett zurückgelegt wurden.

Dann sagte der Mann: Wenn mir das ein andrer gesagt hätte, würde ich ihn ausgelacht und einen Narren genannt haben. Erkläre mir –

Sie nahm die Hand von den Augen und sah ihm mit einem rührenden Ausdruck des Flehens ins Gesicht.

Ja, seufzte sie, ich muß es dir erklären, aber ich beschwöre dich, hör' mich ruhig an, ohne in Wut zu geraten. Bin ich doch ganz so unglücklich wie du, oder noch mehr, denn du weißt nicht, wie einsam ich hier oben bin, trotz der Kinder, wie ich keinen anderen Trost habe, zumal in dem langen Winter, als zu denken, noch so und so viel Monate, dann kommst du, und ich erlebe wieder ein kurzes Glück.

Aber es gibt Menschen, die so neidisch sind, daß sie einem armen durstigen Herzen auch den Tropfen Erquickung nicht gönnen, den das Schicksal ihm zuweilen spendet.

Zu Pfingsten, als unser alter Pfarrer gestorben war, ist unten ein neuer gekommen, ein junger, sehr hitziger Seelsorger, der kein Erbarmen kennt mit menschlicher Schwachheit. Dem hat irgendein hämischer Zuträger erzählt, was ja für die Leute unten kein Geheimnis ist, wie wir zwei zueinander stehen. Alle andern haben's so angesehn, wie wir selbst, daß es Gottes Wille war, der uns zusammengeführt hat, und sind auch gescheit genug, um zu begreifen, daß es so bleiben muß, daß wir uns vor Gott und Menschen nicht anders angehören können, weil ich hier oben mein Geschäft hab' und du das deine in der Stadt. Und nachdem sie erst, als sie dich noch nicht kannten und achten gelernt hatten, über uns gelästert hatten, ist es ja nach und nach still davon geworden, und jetzt red't mir keiner mehr was Übles nach, da ich mich immer ehrbar und anständig gehalten, die Kinder gut erzogen hab' und auch sonst kein Ärgernis gegeben. Für den neuen Pfarrer aber hat das all nicht gegolten. Wie ich zum erstenmal zur Beicht' bei ihm gegangen bin, hat er mir die Hölle heiß gemacht und mir alles als wie eine Todsünde vorgehalten, daß ich die Eh' gebrochen, jahrelang ohne den Segen der Kirche mit meinem Mitschuldigen gelebt hätt', der noch dazu ein Protestant sei. Ich will dich mit den schimpflichen Ausdrücken verschonen, mit denen er mein Betragen verdammt hat. Genug, als er mich fragte, ob ich Reue empfände und Abstellung des sündhaften Wandels gelobte, – das Herz im Leibe wollte mir zerspringen, aber ein Ja konnt' ich nicht über die Lippen bringen. Da hat er mich fortgehen heißen, ohne mir die Absolution zu geben, und mir mit den ewigen Höllenstrafen gedroht, so laut, daß ich gemeint hab', ich müss' vor Scham auf der Stelle des Todes sein, wie ich an den Frauen vorbeigewankt bin, die hinter mir vor dem Beichtstuhl knieten, bis die Reih' an sie käme.

Die Stimme versagte ihr, und die Augen wurden ihr feucht. Als sie sich mit ihrem Tuch getrocknet hatte, sah sie, daß er ohne jede sonderliche Erregung ruhig ihr gegenüberstand.

Ist das alles? fragte er endlich. Ich habe dir versprochen, in deine religiösen Ansichten dir nie hineinzureden. Sie haben dich bis jetzt weder glücklich noch unglücklich gemacht, weil du trotz all dieser kindlichen Vorurteile in allen wichtigen Dingen deinen klaren Verstand hast reden lassen. Wenn dich aber jetzt eine abergläubische Furcht vor den Höllenstrafen dazu bringt, dich von mir scheiden zu wollen, so muß ich dir sagen –

O Johannes, fiel sie ihm ins Wort und sah ihn mit einem Blick schwermütiger Liebe an – sag mir nichts! Das Härteste, was du mich hören lassen könntest, hab' ich mir selbst gesagt. Aber glaub mir: nicht vor der Hölle fürcht' ich mich. Der würd' ich tausendmal trotzen, wenn ich deine Liebe damit erkaufen könnte. 's ist etwas anderes, ganz Irdisches, was mir das Herz schwer macht und mich nach der Absolution verlangen läßt: die Sorge, was meine großen Kinder von mir denken möchten, wenn wir fortleben, wie all die Jahre bisher, wenn Gunled, die schon vom Leben Bescheid zu wissen anfängt, des Nachts aufwacht und die Türe gehen hört, die zum Zimmer ihrer Mutter führt. Sie haben dich beide lieb, mehr als sie ihren leiblichen Vater gern gehabt haben. Und doch – mit welchen Augen müssen sie mich ansehen, wenn sie die Entdeckung machen, daß der Onkel Hans, den sie immer für den bravsten aller Menschen geachtet haben, und ihre Mutter, die ihnen gute und strenge Lehren gegeben, daß diese beiden – o Johannes, wenn du es recht bedenkst – auch ohne daß der Priester dazwischengekommen wär' – es hätt' doch ein Ende nehmen müssen. Überdies – in ein paar Jahren werd' ich eine alte Frau sein, und du bist dann noch ein junger Mann und kannst eine andere finden – und ich, so hart mich's ankommen wird – glaub nur, Johannes, ich werde mir Mühe geben, sie lieb zu haben und sie dir zu gönnen, dir aber werd' ich bis zu meinem letzten Atemzug dankbar sein, daß ich durch dich das einzige Glück meines Lebens –

Die Erschütterung übermannte sie. Sie legte das Gesicht gegen die Tischplatte und schluchzte herzbrechend in ihr Tuch hinein.

Da hörte sie ihn sagen: Beruhige dich. Du hast recht. Ich werde deinen Kindern kein Ärgernis geben. Aber Halbheiten gehn mir wider die Natur. Wenn geschieden sein muß, sei es gleich und für immer. Ich werde meine Ferien wo anders zubringen und dir den Ort melden, wohin du mir meinen Koffer nachschicken sollst. Nur daß ich den Jungen nicht mehr haben soll, ist mir ein bittrer Kummer. Über alles andere muß ich eben sehn wie ich hinwegkomme. Also lebwohl!

Er wandte sich, setzte den Hut mit einer hastigen Gebärde auf und tat ein paar Schritte von ihr weg. Im nächsten Augenblick war sie aufgesprungen und hatte, ihm nachstürzend, ihn am Arm gefaßt.

Du wirst mir das nicht antun, raunte sie, so von mir zu gehn, und wie du sagst, auf immer! Oder ich müßte glauben, alles, was du mir je von Liebe gesagt hast, wär' eine Lüge gewesen. Auch wenn zwei sich in bitterer Feindschaft voneinander scheiden, haben sie doch das Einsehn, daß noch manches sie aneinander knüpft, wären's auch nur die äußerlichsten Dinge. Du aber hast das Wort bereits ausgesprochen: was soll mit Hänsel geschehen? Und du wirst auch außerdem nicht deine Schöpfung, die Kuranstalt, so jählings im Stich lassen, von mir ganz zu schweigen, die zeitlebens dir nur Liebes angetan hat und nun zurückbleiben würde, als wäre sie nicht einmal deine Freundschaft mehr wert. Nein, Johannes, dieser ersten heftigen Regung darfst du nicht folgen. Wenigstens bis morgen mußt du bleiben. Ich hab' dir zwei Zimmer reserviert im Anbau – und sieh, eben kommen die Kinder, dich zu begrüßen, die sollen dich hinführen. Sieh nur, wie sie sich freuen, daß du endlich gekommen bist! Was sollt' ich ihnen sagen, wenn du wie ein schwer beleidigter Mensch plötzlich davonstürztest und es nicht einmal eine Nacht hier oben aushalten könntest?


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