Paul Heyse
Crone Stäudlin
Paul Heyse

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

So blieb es zwischen ihnen auch den ganzen übrigen Tag. Sie waren beide an Tätigkeit gewöhnt, heut aber überließ Crone alle häusliche Arbeit der treuen Dienerin, und der Vater rührte keinen Pinsel an. Er kramte in allen Fächern, wo er die Andenken an sein geliebtes Weib aufbewahrt hatte. Die Tochter betraf ihn dabei, da mußte er ihr von der Toten erzählen, besonders wie es in der ersten Zeit ihrer Liebe und Verlobung gewesen war. Er holte alle Bilder, die er von ihr gemacht, hervor. Nun erst, da das Herz ihres Kindes herangereift war und ihr Geist sich voll entwickelt hatte, trat die große Ähnlichkeit der Züge und besonders der Ausdruck des Mundes, der jungfräulich herb und doch lieblich war, überraschend hervor.

Sie wäre gern ins Freie gegangen, die volle Brust in der waldigen Höhe zu lüften. Doch fürchtete sie, irgend jemand zu begegnen, der sie anspräche und ihr Geheimnis aus ihrem verwandelten Wesen erriete. So trat sie nur gegen Abend auf den Balkon hinaus und legte sich mit einem Buch, das der Vater ihr gegeben – Werthers Leiden, das sie nie zuvor gelesen hatte – auf den Amerikaner, Fulvo zu ihren Füßen. Doch kam es nicht zum Lesen. Das Buch blieb unaufgeschlagen auf ihrem Schoß, sie schloß die Augen, um ihren Glücksträumen nachzuhängen, und bald hatte ein leiser Schlummer sich ihrer bemächtigt.

Um diese Zeit kam Yvonne langsam den Fußweg daher, der vom Hause der Frau Agnes zum Stäudlinhause führte. Sie hatte ihren Abendspaziergang um die weite Halde herum gemacht, das blonde Haupt ohne Hut mit einem blauen Schirmchen gegen die untergehende Sonne geschützt, in einer Stimmung des heftigsten Ingrimms gegen Gott und Menschen, der seit dem gestrigen Abend in ihrem Innersten tobte und, wenn sie den Hausgenossen begegnete, nur mühsam mit dem Aufgebot ihres ganzen Stolzes verheimlicht worden war.

Während gestern das Konzert zu Ende ging, hatte sie sich Gewalt antun müssen, nicht merken zu lassen, wie tief sie die Beleidigung empfand, daß Helmbrecht sich entfernte, nachdem das Geigenspiel verklungen war, ohne ihre Soloszene abzuwarten. Dazu kränkte es ihre Eitelkeit, daß der Beifall, den sie fand, weit hinter der Begeisterung zurückblieb, die Crones Spiel geweckt hatte, und sie durfte sich doch sagen, daß es eine Virtuosenleistung gewesen war, was sie dieser freilich nicht sehr urteilsfähigen Zuhörerschaft geboten hatte. Auch die Komplimente, die ihr die Gebildeteren machten, waren ihr ein geringerer Trost, und der junge Baron, an dessen Beifall ihr noch am meisten lag, hatte zwar lebhaft applaudiert, ihr aber kein Wort gesagt und gleich darauf den Saal durch die Künstlertür verlassen.

Er war dann freilich nach einer halben Stunde zurückgekehrt und hatte sich sogleich ihr genähert, doch nur um sich von ihr zu verabschieden. Er werde morgen abreisen, sein Bleiben habe keinen Zweck mehr, er hätte klüger getan, überhaupt sich keine weiteren Hoffnungen zu machen.

Von diesen Hoffnungen war bisher zwischen ihm und der schönen Gräfin noch nicht näher die Rede gewesen. Nur in leisen, mehr neckenden Anspielungen hatte Yvonne durchblicken lassen, daß sie über den Zustand seines Herzens klar zu sein glaube. Auch diese Vermutung erfüllte sie mit Neid gegen ihre Rivalin. Nun aber floß der Mund des jungen Herrn über von dem, wessen sein Herz voll war. Er beichtete der Dame, die sich kokett zu einer »mütterlichen Freundschaft« für ihn bekannte, daß er um das Fräulein geworben und immer noch sie zu gewinnen gehofft habe. Jetzt aber habe er sie im zärtlichen Tete-a-tete mit dem Doktor betroffen und gesehn, wie sie Arm in Arm den Pavillon verlassen hätten, ganz wie ein heimlich verlobtes Paar.

Diese Eröffnung hatte so furchtbar auf Yvonne gewirkt, daß es ihr kaum gelungen war, die Erschütterung vor den Augen des Jünglings zu verbergen. Bald darauf in ihr Zimmer zurückgekehrt, war ihr die Nacht in der bittersten Qual vergangen, und auch der nächste Morgen hatte keine Beschwichtigung gebracht. Denn die Erkenntnis, daß sie im Grunde kein Recht hatte, irgend jemand anzuklagen, als ihr eigenes törichtes Herz, das sich hatte fortreißen lassen, diesen Mann, der ihr seine Abneigung offen gezeigt, leidenschaftlich zu lieben, schärfte noch ihren Grimm und Gram. Und zudem sah sie keinen Weg, ihren Rachegelüsten den Zügel schießen zu lassen. Die beiden Menschen würden in aller Stille glücklich werden und nicht entfernt sich darum kümmern, was sie, die von ihnen Gemiedene, dabei litt.

Das alles hatte sie den ganzen Tag in ihrer Seele gewälzt und schlich jetzt, an Geist und Gliedern tief erschöpft, nach ihrem einsamen Zimmer zurück, als sie, dem Hause der glücklichen Braut sich nähernd, diese zwischen den Ranken der Balkonlaube zu erblicken glaubte. Sogleich dämmerte ein feindseliger Anschlag in ihr auf.

Sie hob den Kopf und schritt auf das Vorgärtchen zu, in dem sie Cattina gewahrte, die beschäftigt war, einen kleinen Blumenstrauß von den paar Sträuchern zusammenzubringen. Sie wollte ihn morgen dem Bräutigam, ihrem verehrten Sor Giovanni, mit auf die Reise geben.

Guten Abend, Cattina, hörte sie plötzlich eine scharfe Stimme hinter ihrem Rücken sagen. Ihr habt ja die schönsten Rosen abgeschnitten, die Euer Garten noch trägt. Freilich, für eine junge Braut ist das Beste gerade gut genug. Laßt nur auch für den Herrn Bräutigam noch etwas übrig. Oder ist der Strauß für ihn bestimmt?

Das gute Geschöpf hatte sich umgewendet und starrte die Dame mit weitaufgerissenen Augen an. In ihrer Bestürzung vergaß sie jede Besonnenheit und erwiderte halblaut: Woher wissen Signora Contessa – weiß ja noch niemand –

Oh, das hat mir mein kleiner Finger verraten, der weiß, wie innigen Anteil ich an dem Glück Eures Fräuleins nehme. Kann ich nicht zu ihr, ihr meine Gratulation zu bringen?

Das Fräulein – la piccina – sein nicht zu 'ause, glaub' ich.

Nun so seid Ihr wohl so gut, Cattina, ihr von mir tausend Gutes zu bestellen, und wie aufrichtig ich mich freue, daß sie einen so vortrefflichen Mann bekommt. Ich selbst schätze den Herrn Doktor sehr, und daß Euer Fräulein ihn liebt, macht ihrem Herzen und – ihrem Verstande alle Ehre. Manche andere – fuhr sie mit erhobener Stimme fort, und ein böses Lächeln erschien an ihrem Munde – ja vielleicht, wenn die Mama noch lebte, auch die, hätte vielleicht Anstoß daran genommen, daß der liebe Herr Doktor neun Jahre lang der Geliebte einer anderen gewesen ist, alle Welt weiß ja, daß er mit Frau Maria Harlander gelebt hat wie Mann und Frau, schon bei Lebzeiten ihres ersten Mannes, und daß der liebe Hänsel zur Welt gekommen ist, da sein vermeintlicher Vater schon lange ein kranker Mann war. Aber Euer Fräulein hat ja eine große Seele, die über solche Menschlichkeiten hinwegsieht, und vielleicht nimmt sie gleich das Kind ihres Mannes in ihre junge Ehe mit. Das kann der Liebe keinen Eintrag tun. Somit felice notte, Cattina! Und wie gesagt, meinen Glückwunsch an Euer Fräulein! Welch ein schöner Abend! Die Verlobung wird wohl bis lange in die Nacht hinein gefeiert werden. Ich wünsche Euch viel Vergnügen.

Damit nickte sie der völlig Versteinerten, deren Winke und Zeichen, die Stimme zu dämpfen, sie nicht beachtet hatte, freundlich zu und setzte, ihr Sonnenschirmchen graziös schulternd, nach einem flüchtigen Siegesblick zum Balkon hinauf ihren Weg fort, das Herz gesättigt vom Triumph einer furchtbaren Rachetat.

Die Augen der armen Person, die wie von einem Erdstoß erschüttert zurückblieb, folgten der sich langsam Entfernenden, als könne sie nicht glauben, daß es ein Menschenwesen sei, was diese Worte eben zu ihr gesprochen. Es dauerte eine Weile, bis sie zur Besinnung kam und den ganzen Umfang des Unheils, das jene angerichtet, begriff. Madonna santa! kam es von ihren runzligen Lippen. Questa vipera! Oh oh! la mia piccina!

Dann hob sie die Augen angstvoll zum Balkon hinauf, in der schwachen Hoffnung, ihn leer zu finden. Wirklich regte sich droben nichts, sie atmete schon erleichtert auf, dann schlich sie auf den Zehen die Stufen hinauf. Als sie aber die oberste erreicht hatte, schrie sie laut auf. Vor dem Sessel, von dem sie herabgeglitten war, lag das Kind lang ausgestreckt, mit weit offenen Augen in regungsloser Starrheit. Der Blick in diesen Augen aber schien erloschen und begegnete dem ihren nicht, als sie sich über sie beugte und in heiße Tränen ausbrechend ihren Namen rief.


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