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Viertes Kapitel.

In der Verwirrung jenes herzerstarrenden Augenblicks fragte er sich, wie er seinen Plan seine Familie vom Unglück zu erretten, ausführen könne, wenn er sich ihr nicht zu erkennen geben durfte, und wie er auf seine Tochter Anspruch erheben könne, wenn er nicht hintreten und sagen durfte: »Ich bin ihr Vater und mir gehört sie an,« als der Zufall und ein gesprochener Gemeinplatz – jene Zwillingsschwestern der Erfindung und Weisheit – ihm seinen Weg zeigten.

»Ich werde früh am Morgen geweckt werden müssen, Frau Wirtin, denn ich vermute, der Kreisrichter kommt früh.«

»Der Kreisrichter, mein Herr?«

»Ich habe Ihrem Sohne gerade gesagt, daß ich die Absicht habe, in der Versteigerung morgen früh auf Ihr Gut zu bieten.«

»So, das also war das Geschäft, das Ihrer am Ende der Reise harrte?«

»Ja, das war es, Frau Wirtin.«

Sie sah ihn einen Augenblick an und dann fragte sie:

»Was kann ein Herr, wie Sie, mit einem Pachtgut, wie dem unsrigen, anfangen wollen?«

Er antwortete nicht, und so sagte sie: »Sie können doch nicht daran denken an einem so verlassenen Orte wie Thingvellir zu leben?«

Noch immer sprach er nicht, und sie sagte wieder: »Sie könnten das Gut verpachten, gewiß, aber es ist mageres Land, das versichere ich Sie, und hängt ganz von der Bebauung ab.«

Sie machte sich am Tische zu schaffen, gerade als ob sie versuche, etwas zu tun zu finden. »Mein Sohn,« sagte sie, »ist der einzige, der es je ordentlich hat bearbeiten können, und wenn er schließlich in mißliche Lage geraten ist, so war es nicht seine Schuld, denn es gibt keinen Mann in Island, der hier seinen Kopf über Wasser hätte halten können.«

Sie wartete, daß er etwas erwidern solle, aber er rührte sich nicht. »Seine Schulden sind noch nicht einmal so bedeutend. Achttausend Kronen an Zinsenrückstand – das ist alles in sechzehn Jahren, Herr.«

Wieder wartete sie, aber er sagte noch immer nichts.

»Als der Kreisrichter heute abend fortging, sagte er, wenn mein Sohn vor neun Uhr morgen früh das Geld beschaffen könne, würde er die Versteigerung rückgängig machen.«

Christian Christiansson hatte den Kopf in die Hand gestützt und schien aufmerksam zuzuhören.

»Wenn mein Sohn nur jemand finden könnte ihm das Geld zu leihen.«

Ihre Stimme hatte einen flehenden Ton angenommen, der sie selbst erschreckte, denn sie hielt inne und sagte, sich ängstlich nach dem Fremden umsehend:

»Ich bin sicher, er würde es nie bereuen, Herr. Magnus würde sich die Finger bis auf die Knochen abarbeiten, um jeden Heller zurückzuzahlen. So ist er schon als Knabe gewesen, und mit besseren Jahren und ein wenig mehr Glück –«

Hier fiel Christian Christiansson ein neuer Plan ein, und um über denselben nachzudenken, bedeckte er sein Gesicht mit der Hand, worauf Anna, der veränderten Haltung eine falsche Bedeutung beilegend, stutzte und dann wieder von neuem begann:

»Ich nehme mir eine große Freiheit, Herr, aber ich denke nicht an mich selbst – ich denke an meinen Sohn. In einem Sinne bin ich an allem Unglück schuld. Er weiß es nicht, und ich wage es ihm nicht zu sagen, aber ich bin es.«

Christian Christiansson sah zu ihr auf.

»Es war alles mein Tun, daß sein Vater die Hypothek aufnahm.«

» Ihr Tun?«

»Ja, Herr. Mein Mann hatte den armen verstorbenen Jungen innig lieb, er war aber Gouverneur von Island und jedes Auge war auf ihn gerichtet, um zu sehen, ob er sein eignes Haus in Zucht und Ordnung hielt, und wenn es nicht um mich gewesen wäre, möchte er dem Gesetz seinen Lauf gelassen haben. In dem Glauben, daß nur wir darunter zu leiden haben würden, flehte und bat ich ihn und richtete, in dem Versuch den einen Sohn zu retten, den andern zugrunde – und dabei war doch alles vergebens.«

Christian Christiansson senkte das Haupt, denn die Wässer der Trübsal ergossen sich über ihn, und Anna, im Glauben, sein Herz gerührt zu haben, fuhr dringender fort:

»Dann ist Elin da, Herr, meine Enkelin. Sie haben sie selbst gesehen, und Sie werden sagen, daß sie nicht wie eine Dienstmagd aussieht; aber wenn es zur Versteigerung kommt, wird sie einen Dienst annehmen müssen. Auf manchen Pachthöfen werden die Mägde schändlich behandelt, und mein Sohn kann den Gedanken daran nicht ertragen. Ebensowenig kann ich es, denn ich muß immer an ihren Vater denken. Was er auch immer gewesen sein mag, so war er ein Ehrenmann, und wenn ich denken müßte, seine Tochter sollte jemandes Magd werden –«

Annas Stimme stockte wieder, nach einem Augenblick jedoch fuhr sie mutig fort:

»Was mich betrifft, so bin ich eine alte Frau, und ein wenig Unglück mehr oder weniger macht mir jetzt nichts mehr aus. Meine Zeit ist mir in jedem Falle nur kurz zugemessen, und ich werde, wenn ich gerufen werde, freudig gehen. Die meisten meiner Lieben sind schon drüben – mein Sohn und meine Enkelin sind die einzigen mir Gebliebenen – und wenn ich wüßte, daß ich sie glücklich und ohne Sorgen zurückließe –«

Christian Christiansson konnte es nicht länger ertragen. »Frau Wirtin,« sagte er, »ich hatte mein Herz daran gehängt, das Pachtgut zu kaufen – ich hatte einen besonderen Grund, es kaufen zu wollen – aber statt dessen will ich Ihrem Sohne das Geld vorstrecken, um seine Zinsen damit zu bezahlen.«

Annas Augen öffneten sich weit vor Erstaunen, und jetzt, wo ihr Gebet erhört war, schien ihr der Atem zu stocken.

»Das wollen Sie, Herr?« sagte sie.

»Ich will es unter einer Bedingung.«

»O, einerlei, welche Bedingung, ich muß gehen und es ihm sagen.«

»Meine Bedingung ist die, daß Sie mir das Mädchen als meine Adoptivtochter überlassen.«

»O!«

»Ich bin, wenn auch noch nicht so alt wie Sie, ebenfalls ein einsames Menschenkind und habe weder Weib noch Kind noch Mutter oder Bruder in England mein Leben mit mir zu teilen. Des Mädchens liebliches Gesicht würde mir dort ein großer Trost sein, und ich bin bereit, diese Zinsen zu bezahlen, wenn Sie sie mir überlassen wollen.«

Das Licht in Annas Augen war erstorben – ihr Haupt gesenkt.

»Ich würde Ihnen volle Bürgschaft geben, daß sie in guten Händen wäre. Ich bin reich, für meine Verhältnisse, und es sollte ihr an nichts fehlen.«

»Aber ich dachte nicht, daß Ihre Bedingung darauf hinausging, Herr,« sagte Anna.

»Weshalb nicht? Denken Sie an das Mädchen oder an sich selbst, Wirtin?«

»Ich denke an meinen Sohn. Kein Mann ging je so in seinem Kinde auf. Er hat Elin fast ihr ganzes Leben lang gehabt und liebt sie über alles. Als sie klein war und der Schnee so tief wie heute lag, pflegte er sie auf den Schultern in die Schule, und nachts, wenn sie schläfrig war, auf seinen Armen in ihr Bett zu tragen. Wenn sie sein eigen wäre, könnte er sie nicht zärtlicher lieben. Er fühlt sich ganz wie ihr Vater, und er selbst wird ja doch nie ein Vater werden, weil –«

Anna zögerte, als ob sie sich vor dem, was sie zu sagen versuchte, fürchtete, und dann kam sie unter hervorbrechenden Tränen mit dem Geheimnis zutage.

»Ihnen die Wahrheit zu sagen, Herr, er liebte ihre Mutter, trat sie aber an jemand anders ab, und sie starb, und von dem Tage an, hat er alle seine besten Jahre in grausamem Sehnen nach einem Gegenstand zum Lieben vertrauert. Dann kam das Kind hierher, und es war fast, als ob die Mutter selbst ihr Kleines ihm zum Trost geschickt habe. Sie selbst konnte ihn nicht lieben, weil sie dem andern bis ans Ende von ganzer Seele angehörte, aber das Kind konnte es und hat es getan – Gott segne es, es hat es getan!«

Christian Christiansson war bis ins Herz erschüttert, er überwand sich jedoch und sagte: »So glauben Sie also, daß er sich von dem Mädchen, und sollte es auch zu dessem Besten und zu dessem Glücke sein, nicht trennen würde?«

»Das will ich nicht sagen, Herr, und vielleicht, wenn man es ihm auf die rechte Weise beibrächte –«

»Tun Sie das selbst, Frau Wirtin.«

»Ich wage es nicht! Er möchte glauben, daß ich an mich selbst dächte.«

»Und wenn er es täte, würde das so etwas Schlimmes sein? Kann es ihn gleichgültig lassen, ob die Gefahr obdachlos zu werden, von seiner Mutter abgewandt und ob das Mädchen vor allem Schaden behütet wird? Und keine Unbill soll ihr zustoßen – darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«

Anna dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Sie würden uns alles sagen, wohin sie gehen und was sie tun und wie sie erzogen würde?«

»Gewiß würde ich das.«

»Sie würde beständig an uns schreiben und uns vielleicht manchmal besuchen dürfen?«

»Gewiß würde sie das.«

»Wenn man alles in Betracht zieht, würde es schließlich auch nicht anders sein, als wenn sie in Dienst ginge.«

»Gerade so.«

»Nur würde sie eine Dame und keine Magd sein.«

»Eine vollständige Dame.«

»Sie würden gut gegen sie sein? Eine innere Stimme sagt mir, daß Sie es würden, nicht wahr?«

»Ich würde so gut gegen sie sein, als ob – als ob ich ihr eigner Vater wäre,« sagte Christian Christiansson.

Anna trocknete sich die Augen und sagte:

»Ich weiß nicht was zu sagen, Herr – ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen antworten soll.«

»Antworten Sie mir noch nicht – sprechen Sie erst mit Ihrem Sohne, Wirtin.«

»Sie werden ihm das Geld für die Zinsen sofort vorstrecken?«

»Sofort.«

»Achttausend Kronen – Sie können die ganze Summe bis gegen neun Uhr morgen früh beschaffen?«

»Sehen Sie,« sagte Christian Christiansson, das Taschenbuch aus der Brusttasche ziehend, »da ist genug in diesem Buch, die Zinsen zwanzigmal über zu bezahlen. Und ich will Ihrem Sohne das Geld nicht leihen – ich will es ihm geben, wenn er mir statt dessen das Mädchen überläßt.«

»Es wird ihm schwer werden, sich von ihr zu trennen, aber im Grunde wird doch ein Mund weniger zu füttern sein, und wenn ich nicht mehr bin, der zweite, und dann vielleicht, wenn er keine Bürden und keine Geldverlegenheiten mehr hat –«

»Sprechen Sie mit ihm – dort ist er,« sagte Christian Christiansson, denn gerade in dem Augenblicke kehrte Magnus, einen hölzernen Napf dampfender Kleie tragend, in die Halle zurück.

Dann erzählte Anna ihrem Sohn, mit leiser und zitternder Stimme und ihm kaum ins Antlitz zu blicken wagend, von dem Anerbieten des Fremden, wobei sie hauptsächlich bei dem Vorteil, den Elins Versorgung und ihr Dahinscheiden für ihn selbst bringen würde, verweilte, wenn er nicht länger durch drückende Schulden gelähmt imstande sein möchte, seinen eignen Unterhalt zu bestreiten und sein verlorenes Erbteil zurückzugewinnen. Im Verlauf ihrer Rede stockte ihre Stimme jedoch und verwirrten sich ihre Worte, denn er blickte mit sich verfinsternder Miene auf sie herab, und schließlich hielt sie mit den Worten: »Ich meinte es nicht böse, Magnus. Ich dachte nur –« ganz inne.

»Du dachtest, ich könnte Elin hinopfern, um mich selbst zu retten, Mutter,« sagte Magnus, und bei dem harten Wort sank Anna auf einen Stuhl und schluchzte.

Darauf wandte sich Magnus an Christian Christiansson und sagte: »Ich bin Ihnen sehr verbunden für Ihr Anerbieten, mein Herr, aber meine Nichte ist nicht feil für Geld.«

Damit wollte er aus dem Hause stürmen, als Christian Christiansson von Kopf zu Fuß bebend, rief:

»Halt!«

»Nun?«

»Sie haben schnell genug für sich selbst entschieden – haben Sie aber auch an sonst noch jemand gedacht?«

»An wen sonst ist da zu denken?«

»An Ihre Mutter vor allem. Wenn Sie mein Anerbieten ausschlagen, und das Haus Ihnen morgen früh übern Kopf verkauft wird, was soll dann aus der werden?«

Magnus stieg, als ob eine unsichtbare Hand ihm übers Antlitz geschlagen hätte, das Blut ins Gesicht.

»Was soll ebenfalls aus dem Mädchen werden – haben Sie daran gedacht? Haben Sie ein Recht, sie in Dienst zu schicken – sie zur Magd von jemand anderem zu machen?«

Magnus schauderte sichtlich zusammen – selbst der Napf in seinen Händen zitterte.

»Zweifelsohne lieben Sie das Mädchen und sind gut zu ihm gewesen, aber selbst wenn es Ihre eigne Tochter wäre, würde es ein eignes Wesen für sich sein, und Ihnen in einem Falle wie diesem kein Recht zustehen, für dasselbe zu entscheiden.«

»Dann soll Elin selbst für sich entscheiden,« sagte Magnus, und den dampfenden Napf auf den Tisch stellend, ging er nach der inneren Tür hinüber und rief mit erregter Stimme: »Elin! Elin! Elin!«

In einem Augenblick kam das Mädchen erschrocken angelaufen und sagte: »Was gibt es? Ist etwas vorgefallen?«

»Höre!« sagte Magnus, und Christian Christiansson bemerkte, wie er ruhig zu sprechen versuchte, wenn seine Stimme auch vor Seelenerregung bebte. »Dieser Herr,« sagte er, »hat deiner Großmutter erzählt, daß er dich an Tochter statt anzunehmen wünscht, und er erbietet sich, meine Schulden zu bezahlen, wenn ich dich gehen lassen will.«

»Onkel!« rief das Mädchen.

»Ich habe ihm gesagt, daß ich dir die Wahl überlasse und das werde ich, und was du zu tun dich entschließest, damit werden deine Großmutter und ich einverstanden sein.«

»Aber Onkel!«

»Antworte noch nicht, mein Kind. Es ist nur billig, daß du alles erfährst. Ich bin ein zugrunde gerichteter Mann, Elin, und kann dir nicht länger mehr ein Heim bieten. Nach der Versteigerung morgen früh weiß ich nicht, was aus deiner Großmutter und dir und mir werden wird, oder wohin wir uns wenden können, oder welches Dach uns schützen soll. Aber dieser Herr ist reich und verspricht, Zeit deines Lebens für dich zu sorgen und dir alles, dessen du bedarfst und was du nur wünschen kannst, zu geben. Wenn du bei mir bleibst, magst du Entbehrungen zu leiden haben; wenn du aber mit ihm gehst, wirst du nie, solange du lebst, wissen, was Armut heißt.«

Nur mit äußerster Anstrengung konnte er seine tiefe Stimme beherrschen, er hielt sich aber bis ans Ende aufrecht, und dann sagte Anna, deren Augen so schnell, als sie sie nur abwischen konnte, sich füllten:

»Ist es nicht merkwürdig, Elin? Ist es nicht wie ein Wunder? Wie eine Antwort auf dein Gebet, mein Kind, gerade als wir so verzagt und gebeugt waren? Der Herr will uns darüber zufriedenstellen, daß du in ein gutes christliches Heim trittst und geziemend erzogen und versorgt wirst.«

Und dann trat Christian Christiansson, obgleich die widerstreitenden, seine Seele zerreißenden Gefühle ihm kaum zu sprechen gestatteten, selbst vor und sagte:

»Laß mich dir sagen, wer ich bin, Elin. Wir sprachen von Christian Christiansson, dem Komponisten, und du sangst mir ein Lied von ihm vor und sagtest, du möchtest etwas über ihn hören. Ich bin Christian Christiansson.«

Das Mädchen stieß einen unwillkürlichen Schrei aus, und Christian Christianssons Stimme stockte einen Augenblick.

»Ja, der bin ich, und die Geschichte, die ich dir erzählte, war die Geschichte meines eigenen unglücklichen Lebens, nur – daß ich meine Tochter, seit ich das Lied schrieb, verloren habe und nun ganz allein bin. Willst du nicht zu mir kommen, um ihre Stelle einzunehmen, mein Kind? Du sollst wie meine eigne Tochter gehalten werden und nie einen Unterschied kennen lernen. Du sollst mit mir nach England zurückkehren und mein Leben mit mir leben, und was ich tue, sollst du mit mir tun, und wohin ich gehe, sollst du auch gehen.«

»Denke einmal, Elin!« sagte Anna. »Du liebst die Musik – du artest darin nach deinem armen Vater – du wirst in der Welt herumreisen, gerade wie deine selige Mutter es auch tat!«

»Es würde herrlich sein!« sagte Elin.

Sie hatte die ganze Zeit am Tische gestanden, die eine Hand leicht darauf gestützt, während ihr liebliches Gesicht den wechselnden Ausdruck von Bestürzung, Überraschung und Freude widerspiegelte.

»Ich kann mir in der Welt nichts Schöneres als das denken, aber – ich kann nicht, ich darf nicht.«

»Elin!«

»Großmama, sagtest du mir nicht selbst, als ich vor langer Zeit hierher kam, und du mich das erste Mal zu Bett brachtest, daß ich Onkel Magnus nie verlassen und daß, wenn jemals jemand käme mich wegzuholen, ich nicht gehen dürfe? Ich war ein kleines Ding, aber ich gab dir mein Wort, dessen erinnere ich mich, und ich werde es halten.«

»Aber ich dachte damals an jemand anderes, Elin. Ich konnte nicht wissen, daß dieser Herr kommen würde – zu einer Zeit wie dieser dazu –«

»Aber das macht doch keinen Unterschied, Großmama. Außerdem, wenn ich zu diesem Herrn ginge, und er mich wie seine eigne Tochter behandelte, würde ich ihn doch als meinen eignen Vater betrachten müssen. Würdest du das mögen, Großmama? Und würde Onkel Magnus es mögen?«

»Wir würden das Opfer bringen, mein Herz, wir würden unsre eignen Gefühle opfern, um dich in guten Verhältnissen und glücklich zu sehen.«

»Aber ich will nicht in guten Verhältnissen sein, wenn du und Onkel Magnus arm sein werdet. Und ich würde gar nicht glücklich – ich würde elend sein.«

»O je! O je!« stöhnte Anna, unfähig weiter zu sprechen. Und dann wandte sich das Mädchen lächelnd an den vor Stolz und Schmerz bebenden Christian Christiansson und sagte:

»Es ist sehr, sehr gütig von Ihnen, mein Herr, und es gibt kein Mädchen in der Welt, das nicht froh sein würde mit Ihnen zu gehen; aber ich kann nicht. Sie selbst müssen einsehen, daß ich nicht kann – ich muß bei meinem Onkel bleiben. Großmama wird es, und weshalb sollte ich es nicht auch?«

»Er würde besser ohne uns beide daran sein, Elin,« sagte Anna.

»Sag' das nicht, Großmama.«

»Ich sage es aber, mein Kind, und wenn du nur wüßtest, wie grausam die Welt ist –«

»Aber Gott ist es nicht, und Er wird uns jetzt nicht trennen, nachdem wir solange zusammen gewesen sind. Du sagtest das selbst, weißt du, als ich davon sprach in Dienst gehen zu wollen. Du sagtest, Er würde schon einen anderen Ausweg finden, und Er wird es – ich bin sicher, Er wird es.«

Es ergriff Anna tief ihre Lehren als Vorwurf auf sich selbst zurückfallen zu sehen, aber an Magnus denkend, machte sie noch eine Anstrengung mehr. »Aber siehst du nicht, Herz, daß, wenn du bei Onkel Magnus bleibst, er das Landgut verlieren wird; wohingegen, wenn du mit diesem Herrn gehst, er es behalten kann.«

Hierauf umwölkte sich das unschuldige junge Gesicht, das so im vollen, schönen Vertrauen gehofft hatte, Gottes Güte und Macht würde über alle Gefahren und Entbehrungen triumphieren, einen Augenblick, und sie sagte: » Möchtest du, daß ich ginge, Großmama? Und wünscht Onkel Magnus es auch?«

Keiner von beiden antwortete, und sie blickte von einer zum andern – von Anna, die mit der Rückseite ihrer faltenreichen Hand sich über die Augen fuhr, zu dem unbeweglich dastehenden Magnus, von dessem bleichen Gesicht die Tränen wie schmelzender Schnee herniederträufelten – und dann legte sich das grausame Herzweh, und ihre Augen strahlten wie die Sonne.

»Ich weiß, ihr tut es nicht,« antwortete sie selbst. »Ihr denkt hierbei nur an mich

Und darauf warf die tapfere kleine Seele ihren Kopf mit stolzer Gebärde in die Höhe und sagte: »Was das Grundstück anbelangt – wenn es zur Wahl zwischen mir und ihm käme, so weiß ich, was Onkel Magnus sagen wird. Er wird sagen – ich weiß, daß er es sagt – »Laßt mich meine kleine Elin behalten, und das Grundstück – das Grundstück mag gehen

»Und das sage ich, mein Liebling,« rief Magnus, indem er ihr seine weiten Arme öffnete und sie, nachdem sie hineingestürzt war, an seine Brust drückte.

Im nächsten Augenblick hatte Anna sich ihnen beigesellt, und Magnus um beide seine Arme geschlungen, und es war gerade, als ob sie eine große Versuchung niedergekämpft hätten – als ob ein dunkler Schatten, der sie zu trennen gedroht hatte, verschwunden sei – und sie schienen einander nicht lassen zu können und weinten wie die Kinder.

Christian Christiansson stand einen Augenblick beiseite und blickte auf ihr großes Glück, an dem er selbst keinen Teil zu haben schien, dann wandte er sich, in der Furcht, daß er herausschreien und sich verraten oder gänzlich zusammenbrechen würde, ab und floh in das Gastzimmer.


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