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Achtes Kapitel.

Das Engagement an der Riviera war ein sehr erfolgreiches und Oskar bedeckte sich mit Ruhm, aber als die Opernsaison zu Ende ging, lehnte er alle Anerbietungen ab wieder zu kommen.

Finsen war dort. Unter dem Vorwand geschäftlichen und brüderlichen Interesses hatte er Oskar und Helga im Laufe der Saison mehrfach besucht und am Schlusse derselben wohnte er mit ihnen im selben Hotel.

Oskar war nervös, reizbar und unglücklich. Die nagende Sorge, die ihn in London schon heimlich bedrückt hatte, war mit verdoppelter Last wiedergekehrt.

Helgas Freude an der Heiterkeit und dem großartigen Leben der Riviera war nur zu offenkundig, und Finsen bemühte sich sie zu nähren. Er nährte sie mit allem, was eine volle Börse und eine offene Hand nur gewähren können. Wettrennen, Regattas, Feste und Blumen – alles bereitete er ihr, was andere Frauen in einem Leben des Überflusses genießen. Oskar protestierte, aber sie lachte darüber, oder versuchte seine Eifersucht durch Liebkosungen zu beschwichtigen. Aber ihre Liebkosungen und Zärtlichkeiten fingen an die alte Wirkung zu verlieren. Sich selbst zum Trotz begann er, eine gewisse Nichtachtung gegen sie zu empfinden und sogar eine augenblickliche Art von Haß, die ihm beinahe das Herz zerriß.

Er selbst haßte das Leben an der Riviera. Was die Natur für die Gegend getan, war gut, aber was die Menschen dafür getan, war schlecht. Die weiche Luft, der blaue Himmel, das tiefblaue Meer, die lachenden Gärten, die Blumen, die Oleander- und Orangenhaine, der Duft des Harzes, und dann die stillen Nächte und die Nachtigallen – konnte es etwas Bezaubernderes geben? Und doch war dieses Paradies der Natur, dieser gottgesegnete Fleck Erde von allen niedrigen Lüsten und Begierden entwürdigt, die im Widerstreit mit Schönheit, Kunst und Genie, und den urewigen Gesetzen des Lebens stehen.

Aber Oskars Abneigung gegen das Leben an der Riviera beruhte mehr auf persönlichen Gründen als auf seiner moralischen Empörung – auf einer bitteren Erinnerung an die Vergangenheit. In dem Kasino, das inmitten der Gärten hinter der glänzenden Halle und dem geräuschvollen Orchester stand, befand sich ein Saal, der von scharfsichtigen Türhütern bewacht und von Spähern beaufsichtigt wurde; wo Männer und Frauen an grünbekleideten Tischen in düsterem, kaltem Schweigen saßen; und am dunkelsten Ende des Raumes befand sich eine, fast ganz von Palmen verdeckte Nische, wo zwei Personen ungesehen sitzen konnten. Hier hatte er einmal mit Helga gesessen und sie hatte ihn angefleht, etwas zu tun, wovor seine Seele zurückbebte, und er hatte es getan. »Warum denn nicht?« hatte sie gesagt. »Er wird es nie erfahren, und es ist nur eine Sache der Form. Mein Glück muß sich wenden, es muß, und wird es tun, und dann geben wir das Geld zurück und alles ist ausgelöscht. Tu es, Oskar, um meinetwillen, ich bitte dich!«

Aus Furcht diese Erinnerung aufzuwecken, hatte Oskar das Kasino während seines diesmaligen Aufenthaltes vermieden. Dies war leicht getan, solange die Opernsaison dauerte, aber als sie vorüber war und seine Tätigkeit ihn nicht länger in Anspruch nahm, war es hart mit anzusehen, wie Helga Abend für Abend mit Finsen dorthinging, um wie ein ruheloser Geist darin herumzustreifen. Die in seinem Herzen nagende Eifersucht vermochte diese Qual nicht lange zu ertragen und als Helga sagte: Welch ein Unsinn! Warum willst du nicht mitkommen? Du brauchst ja nicht zu spielen – wozu auch?« da folgte er ihr in die Spielsäle.

Er sah das gewöhnliche Bild vor sich, fand die gewöhnliche, den Mittelklassen angehörende Gesellschaft um die Tische versammelt – lauter Mittelstand, trotz Rang und Lebensstellung – der Mittelstands-Finanzier, der Mittelstands-Millionär, der Mittelstands-Baron, der Mittelstands-Lord, die Mittelstands-Herzogin, die ihre Zigaretten rauchte, und dann die Demimonde-Dame mit ihren Federn und der Spieler mit seinen Brillanten, und daneben die achtbaren Männer und tugendhaften Frauen, denn der Spielsaal kennt keine Unterschiede der Mittel, der Moralität oder des Verstandes und ist der Tummelplatz für die Demokratie des Teufels.

Als Oskar den ersten Abend mitging, spielte Helga und verlor; und als er den gespannten Blick in ihren Zügen bemerkte, ward ihm das Herz schwer und er schritt in die Gärten hinaus. Am zweiten Abend verlor sie wieder, und er sah, wie sie sich von dem hinter ihr stehenden Finsen Geld borgte. Am dritten Abend spielte Finsen und gewann glänzend, worüber Helga, die neben ihm saß, in einen förmlichen Rausch von Entzücken und Aufregung geriet.

Am nächsten Tage zeigte sie ihm einen kostbaren Schmuck, den ihr Finsen von seinem Gewinn gekauft hatte. »Er soll mir Glück bringen,« sagte sie und als Oskar gegen das Geschenk Einspruch erhob, setzte sie hinzu.

»Warum sollte ich es nicht nehmen? Jeder Pfennig, den er für mich ausgibt, macht mich ihm unentbehrlicher für die Zukunft. Sei doch nur nicht eifersüchtig, Liebster. Sagte ich dir nicht schon, daß ich manche Dinge würde tun müssen, die weder dir noch mir angenehm sein würden?«

Bei diesen und ähnlichen Vorkommnissen erstickte Oskar fast vor Scham. Seine Empfindung für Helga schwankte jetzt fortwährend zwischen Liebe und Haß. Bald liebte er sie, bald haßte er sie, bald war er stolz auf sie, bald verachtete er sie, und dieser stürmische Aufruhr seines Blutes trieb ihn zur Verzweiflung.

Einen Augenblick hielt er ihre Natur für völlig egoistisch und glaubte, sie würde alles und jedes aufopfern, um ihre Ziele zu erreichen; im nächsten Moment glaubte er wieder an ihre selbstlose Liebe zu ihm, und daß nur ihre Veranlagung sie zu diesem Kampfe zwischen ihrer Liebe zu ihm und ihrer Neigung zu Luxus und Erfolg veranlasse, und dann fand er sie gerade so zu bemitleiden wie sich selbst.

Mitunter, wenn er in den Gärten des Kasinos umherwanderte, dachte er an Thora, die dasselbe gelitten hatte, was er jetzt durchmachte, und während die Nachtigall über seinem Haupte schlug, und der nächtliche Frieden seine Seele beruhigte, sagte er sich, daß ihn die gerechte Strafe getroffen habe. Wie er gehandelt hatte, so wurde jetzt an ihm gehandelt, und das einzig Mannhafte, was er tun konnte, war Helga zu verlassen und auf und davon zu gehen; wenn sie ihn wirklich liebte, würde sie alsdann ebenfalls leiden, und das war die einzige Genugtuung, die er sich verschaffen konnte.

Aber wenn er bei anderen Gelegenheiten sah, wie Helga die Armbänder und Broschen trug, die Finsen ihr geschenkt hatte, dann sah er das Unmögliche seiner Flucht ein. Er mußte diesen Mann mit seinen eigenen Waffen bekämpfen und diese Frau nach ihrem eigenen Wesen unterwerfen.

Wie aber war das zu machen? Auf diese Frage gab es nur eine einzige Antwort, die sich ihm mit jedem Atemzuge aufdrängte, den er in dieser Spielatmosphäre tat – die alte schmeichlerische, trügerische Antwort – es ließ sich nur mit Hilfe des Spiels machen.

Aber wenn sein Geld auch für seine eigenen Bedürfnisse ausreichte, so hatte er doch keins für den Spieltisch, und er sah nicht gleich Mittel und Wege vor sich, um es sich für den Anfang zu verschaffen. Plötzlich kam ihm ein Gedanke – der Mann selbst sollte ihm dazu verhelfen – und ohne weitere Überlegung und ohne den Preis zu bedenken, den er dafür zu zahlen hatte, lief er klopfenden Herzens und atemlos vor teuflischer Freude ins Kasino, zog Finsen in die Nische hinter den Palmen und sagte mit unsicherer, zitternder Stimme:

»Alter Freund, erinnerst du dich wohl noch an das erstemal, als ich dich in Covent Garden besuchte?«

»Als du mir sagtest, du lebtest wie die Lilien auf dem Felde. Natürlich.«

»Du botest mir damals etwas an, wenn ich dir ein paar Kompositionen von mir verkaufen wollte, die in Island begraben sind.«

»Und du sagtest, du würdest lieber in der Gosse sterben.«

»Bist du noch immer willens, dein Glück damit zu versuchen?«

»Warum nicht? Mein Vater ist jetzt Gouverneur. Es wird keine Schwierigkeit machen.«

»Und würdest du bereit sein mir das Geld gleich auszuzahlen?«

»Gewiß; sobald du bereit bist, die notwendige Ermächtigung dazu zu unterzeichnen.«

»Ich bin bereit, sie gleich zu unterzeichnen,« sagte Oskar mit der gleichen zitternden Stimme.

In zehn Minuten war alles abgemacht, und Oskar steckte die Scheine ein, die ihm die Kasinobank auf Finsens Konto hin ausgezahlt hatte. Seine Hände zitterten, seine Lippen bebten und sein Gesicht war kreideweiß.

»Das Fieber hat dich also auch endlich gepackt, alter Junge,« sagte Finsen lachend. »Und was du früher nicht wolltest, um deinen Magen zu nähren, das tust du nun, um dein Glück zu fördern.«

»Ganz recht, um mein Glück zu fördern,« sagte Oskar.

An diesem Abend spielte Oskar vorsichtig und gewann. Am nächsten Abend spielte er etwas lebhafter und gewann von neuem. Am dritten Abend hielt er die Bank und gewann ebenfalls. Er hielt die Bank auch am vierten, fünften, sechsten und noch an manchen folgenden Abenden mit demselben Resultat. Ein solches ununterbrochenes Glück hatte man kaum je erlebt.

Der Kasinodirektor, eine angenehme Persönlichkeit mit rotem, freundlichem Gesicht gratulierte Oskar. Das »Haus« hatte selten einen zugleich so allbeliebten und glücklichen Bankhalter gehabt und freute sich über seinen Erfolg.

Während dieser Zeit war Oskar keinen Augenblick Herr seiner selbst. Er schien von einem wilden Seelenrausch befangen zu sein. In vierzehn Tagen war er reich geworden, aber er machte sich aus dem Gelde selbst nichts, sondern überhäufte nur Helga damit. Er machte ihr kostbare Geschenke, um Finsen auszustechen, veranstaltete Ausflüge mit Dampfern und Automobilen und auch gesellige Unterhaltungen. Der anziehende und stattliche Kapellmeister, mit seiner schönen und ein wenig sorglosen Schwägerin, erregte Aufsehen. Sie gaben ein oder zwei Diners im Kasinorestaurant, wo die reichen Leute aus aller Herren Ländern speisten, umglitzert von tausend Diamanten und beim Klange eines in roten Röcken und schwarzseidenen Kniehosen und Strümpfen gekleideten Orchesters.

Und dann trat der Umschwung ein, der unvermeidliche Umschwung. Eines Abends merkte man augenscheinlich, daß Oskars Glück sich gewandt hatte. Er zuckte nicht mit der Wimper – verdoppelte nur seinen Einsatz und spielte weiter. Die Ebbe setzte mit unheimlicher Schnelligkeit ein; aber er vergrößerte von Abend zu Abend seine Einsätze und verlor sein Geld mit lächelnder Miene. Am Ende der Woche wurde Helga, die außer sich vor Entzücken gewesen war, blaß vor Schreck.

»Das Glück verläßt dich – wäre es nicht besser, du hörtest auf?« sagte sie, aber er wollte nicht hören.

Endlich hatte er den Boden erreicht. Auf seinem gewohnten Platze sitzend, rief er nach neuen Spielmarken und sagte lachend. »Leben oder Tod – dies ist mein letztes.«

»Meinst du das im Ernst?« sagte Helga und er nickte und lachte von neuem.

Finsen hatte an der anderen Seite des Tisches schweigend pointiert, und nun ging Helga hinüber und stellte sich hinter seinen Stuhl. Es war nur ein Strohhalm, der zeigte, woher der Wind wehte, aber Oskar sah es und sein zuckendes Gesicht rötete sich.

Die unerforschlichen Götter des Zufalls schienen den Tisch zu umschweben. Es hing vom Ausfall des nächsten Spiels mehr ab als nur der Geldgewinn und beide Männer wußten es.

Als die Karten abgehoben waren, verteilte Oskar sie langsam, ganz langsam, und als er an die letzte Karte kam, schienen seine zitternden Finger sie widerwillig umzudrehen. Endlich schlug er sie mit rascher Bewegung auf und stand zugleich von seinem Sitze auf und lachte.

Er hatte verloren, und das eisige Schweigen war gebrochen.

»Gehst du?« fragte Helga mit gleichgültigem Ton und erstaunten Augen.

»Gewiß. Und du?«

»Noch nicht – Finsen gewinnt ja prachtvoll.«

Im selben Moment verließ ihn der monatelange Rausch seiner Seele, und er sah, wo er war und was er getan hatte. Er hatte Geld von Finsen genommen für die Erlaubnis, das Grab seines Weibes öffnen zu lassen, und er hatte mit diesem Gelde gespielt und es verloren!

Als er sich in dieser Weise über alles klar wurde, vermochte er sich kaum aufrecht zu halten, aber er gab sich einen Ruck und schritt aus dem Spielsaal hinaus und den Korridor hinunter, wo die Späher Wache hielten, an den Restaurants vorbei, wo die Säumigen rauchten, durch die Halle, wo die Kapelle spielte, und hinaus in den Garten.

Hier suchte er sich eine dunkle Stelle aus und setzte sich auf eine Bank unter einem Baum. Die Nacht war klar und ruhig, die Sterne standen am Himmel und das Meer rauschte von fern, aber er hörte nichts als eine Eule, die irgendwo unter Dach und Fach schrie. O, wie sehnte er sich nach dem Schnee seines Heimatlandes, um seine heiße Stirn zu kühlen! Wie sehnte er sich nach den Stürmen Islands, um den lärmenden Wirrwarr seines Gehirns zu betäuben!

Als er über seine Handlungsweise nachdachte, haßte er sich selbst, und als er seiner Versuchung gedachte, haßte er Helga auch. Der eine Haß hintertrieb den anderen, sonst würde er sich umgebracht haben. Er mußte leben, wenn auch nur um Helga niederzuzwingen, sie zu seinen Füßen zu sehen und sie dann für immer von sich zu stoßen.

Wie konnte er dies erreichen? Es gab einen Weg, aber er war für ihn verschlossen – durch den Schwur verschlossen, den er am offenen Sarge seines Weibes abgelegt hatte, als er, aus Strafe für sich selbst, weil er sie vernachlässigt und schlecht an ihr gehandelt hatte, vor Gott schwor seinen Ehrgeiz in ihrem Grabe zu begraben und solange er lebe nie wieder eine Zeile Musik zu schreiben.

Wenn er nur diesen Schwur auslöschen, nur noch einmal von neuem beginnen könnte, wenn er nur eines Tages imstande sein würde zu sagen: »Oskar Stephenson ist tot!« Aber das konnte nie geschehen, und Oskar Stephenson mußte bis ans Ende ausharren und die Schlacke seines ausgebrannten Lebens hinter sich herschleppen.

Entschlossen sofort nach England zurückzukehren ging er nach dem Hotel zurück und forderte seine Rechnung. Als er sie erhielt, merkte er, daß sein übriges Geld kaum ausreichte, um seine Schuld zu begleichen und die Ausgaben für die Reise zu bestreiten. Ohne einen Augenblick zu überlegen, setzte er sich hin und schrieb an Helga:

 

»Liebe Helga! – Ich kehre noch mit dem Mitternachtszuge nach England zurück und da mein Geld nicht ganz für die Fahrkarte reicht, bitte ich dich, mir durch den Überbringer dieser Zeilen hundert Franken zu senden. Laß mich nicht zulange warten. Ich kann keine Nacht mehr an diesem Orte verleben. – Oskar.«

 

Er hatte sie so mit Geschenken überschüttet, daß er nicht im Traume daran dachte, sie könnte es ihm abschlagen, aber er erhielt die folgende Antwort:

 

»Liebster Oskar! – Es trifft sich sehr unglücklich! Ich habe soeben meinen letzten Sou verloren, und es wäre dir gewiß nicht recht, wenn ich mir von Finsen etwas borgte. Aber du böser Bube denkst doch nicht im Ernst daran um Mitternacht abzureisen. Es ist unmöglich! – Deine dich zärtlich liebende Helga.«

 

Oskar besaß außer seiner Uhr nichts, was er zu Geld machen konnte, und diese war ein Geschenk seines Vaters und das einzige, was er zur Erinnerung an ihn hatte; aber nach kurzem Kampf ließ er den Wirt rufen und trennte sich von seinem Andenken.

Als die Rechnung bezahlt und das Gepäck besorgt war, schlug die Uhr jenseits der Gärten elf. Er hatte noch eine Stunde Zeit, und so bittere Gefühle er auch gegen Helga hegte, mochte er doch nicht fortgehen, ohne ihr Lebewohl zu sagen, und begab sich daher auf dem Strandwege nach der Seitentür des Kasinos.

Hier war es, wo ihm sein Schicksal in den Weg trat.


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