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Zwölftes Kapitel.

Es dauert lange Zeit, bis die Wahrheit sich von fern her den Weg bahnt, aber eine Lüge fliegt auf Windesflügeln dahin. Die Nachricht von Oskars Tode in einem Spielhause an der Riviera gelangte mit dem nächsten Dampfer nach Island.

Drei Tage vor der Ankunft des Schiffes hatten Magnus und seine Mutter vor ihrem Pachthause in Thingvellir gesessen, Anna spann und Magnus machte Stricke mittels einer Rolle, die von einem kleinen Jungen in einer Entfernung von einem Dutzend Meter gedreht wurde; es war bald nach der Schafschur und kurz vor der Heuernte.

Die Sonne ging hinter den Klippen des Almanagja unter, das Heidelbeerkraut rötete sich über den grünen Wassern der Schlucht, und man hörte keinen Laut in der stillen Abendluft, außer dem Plätschern des Axe-Wasserfalls, dem Brüllen der Kühe, und dem Schrei des Brachvogels. Da erklang über das Schnurren des Rades und das Surren der Rolle hinweg ein dumpfer Hufschlag auf dem hohlen Boden, und Anna hielt ihr Rad an, um zu horchen.

»Es wird wohl die Post sein,« sagte sie, und Magnus antwortete, »Vielleicht,« ohne einen Blick auf den Weg zu werfen, der, so weit das Auge reichte, leer war.

»Ich bin doch neugierig, ob nicht ein Brief von Oskar kommen wird!«

»Wie kommst du darauf, Mutter? Hat er etwa deinen Brief von vor drei Jahren beantwortet? Hat er das Anstandsgefühl und die Menschlichkeit gehabt, auf die Nachricht vom Tode seines Vaters zu antworten? Nein!«

»Und doch kann ich die Hoffnung nicht aufgeben. Er muß jetzt wissen, wie du mit dem Pachthof gestellt bist und wartet vielleicht nur, bis er dir etwas zur Beihilfe schicken kann.«

Magnus gab keine Antwort, aber das Surren des Strickes wurde lauter.

»Er weiß ja allerdings nicht, wie alles steht. Er weiß nicht, daß sein Vater nichts hinterlassen hat, als die Schuld bei der Bank, und daß die Bank so hart ist –«

»Mutter, wenn du fortfährst so zu reden, dann kriege ich diesen Strick niemals fertig. Ich brauche niemandes Beihilfe, um meinen Verpflichtungen nachzukommen, und die Bank soll jede Weihnacht ihr Geld haben, wenn es durch harte Arbeit zu schaffen ist.«

»Du wirst dich noch tot arbeiten, Magnus – ja, ja, so wirst du es machen. Da hast du Aeher im Winter fortgeschickt, obgleich er das Vieh so gut fütterte, wenn draußen der Schnee lag, und nun, wo das Heu geschnitten ist, und die Lämmer geschlachtet sind, entlässest du auch Hans Vidalin.«

»Wir müssen uns irgendwie einschränken, und je eher wir damit anfangen, um so besser – es ist zu spät zum Sparen, wenn man den Boden des Mehlfasses sieht, wie du weißt.«

»Das nennst du einschränken, wenn du jeden fortschickst, der dir auf dem Pachthof helfen kann, und das Haus voll Frauenzimmer hältst, die für nichts zu gebrauchen sind.«

»Nun, welche von ihnen ist denn zu nichts zu gebrauchen, Mutter?«

»Gudrun zum Beispiel. Sie melkt nur morgens die Kühe und abends die Mutterschafe und beides könnte ich selbst tun und ihren Lohn und Unterhalt ersparen.«

»Unsinn, Mutter! Du bist nicht mehr jung genug, um Winter und Sommer um vier Uhr aufzustehen, und davon kann gar keine Rede sein.«

»Dann ist Maria da – sie ist alt genug, und wozu ist sie noch zu gebrauchen?«

»Maria ist in unserer Familie gewesen, schon ehe ich geboren wurde, und wir können sie nicht fortschicken, nun sie alt und rheumatisch ist.«

»Und dann Eric,« sagte Anna, leiser sprechend, mit einem Blick auf den Knaben, der die Rolle drehte.

»Eric? Der arme kleine Kerl. Er hat seinen Vater verloren und bekommt ja nur ein Lamm als einzigen Lohn.«

»Dies Jahr ist es schon ein Schaf, wie du weißt, und dann sein Unterhalt – aber wenn du ein Waisenhaus oder ein Siechenhaus halten willst –«

»Halloh! Da kommt die Post! Und wen bringt sie mit? Den Rektor! Den Rektor und zwei Fremde!« rief Magnus, als ein mit Leinwand bedeckter Wagen, von vier Ponys gezogen, über die Brücke bei dem Wasserfall rasselte und nach dem Pachthaus hinauf galoppierte.

»Willkommen, Rektor,« sagte Anna.

»Dank, Anna. Dies sind Freunde aus Amerika, die das Land bereisen. Wir möchten gern die Nacht hier schlafen und morgen nach dem Geyser weiter gehen.«

»Mit Vergnügen! Maria! Gudrun! Hans Vidalin!« rief Anna, und während die Gäste in das Fremdenzimmer geführt und die Pferde in den Stall gebracht wurden, ging der Rektor mit Anna und Magnus hinein, und sie setzten sich plaudernd um den Tisch in der Halle.

»Ihr seht munter aus, Anna, trotz allem Vorgefallenen.«

»Und Ihr auch, Rektor!«

»O ja, altes Holz brennt langsam. Aber ich überlege mir mitunter, ob es eigentlich gut ist, lange zu leben. Besser früh zu Bett gehen, als spät aufbleiben, sage ich.«

»Was gibt's Neues in der Stadt?«

»Mit dem Faktor ist es nun ganz aus, armer Kerl.«

»Meinen Sie damit, daß er –«

»Bankrott ist, jawohl, und alles wird zwangsweise verkauft werden, die Faktorei, das Bureau, kurz alles.«

»Die arme Margret Neilsen!«

»Was wird denn aus dem Kind?« fragte Magnus.

»Das Kind? Das gibt er gewiß jetzt her. Die Wahrheit zu sagen, ist er jetzt sehr aufgebracht gegen Oskar. »Es kommt keine Taube aus einem Rabenei,« sagte er gestern.«

»Das hat er gesagt?«

»Der neue Minister sagt es wenigstens – aber es war ja auch der Minister, der ihn bankrott gemacht hat.«

»Und ich dachte, sie wären so gute Freunde; und als der arme Stephen die Eingabe an den König machte –«

»Dann haben Sie noch nicht gehört, was mit Thora geschehen ist?«

»Mit Thora?« sagte Magnus.

»Mit dem Grabe der armen Thora, meine ich. Mir gerinnt förmlich das Blut in den Adern, wenn ich nur daran denke.«

»Erzählen Sie es uns,« sagte Anna.

Nun berichtete der Rektor ihnen, wie der Minister, auf Instruktionen von außerhalb hin, hatte Thoras Grab öffnen lassen, um gewisse musikalische Kompositionen, die darin begraben waren, herauszunehmen; wie dies geschehen und die Papiere nach England gesandt seien; wie der Faktor davon gehört und in seiner Wut dem Minister mit einem Prozeß gedroht habe; und wie schließlich der Minister, um dem Faktor den Boden unter den Füßen fortzuziehen, die Bank veranlaßt habe ihn bankrott zu machen.

Während der Rektor erzählte, hatte Magnus, ohne ein Wort zu äußern, dabei gesessen, aber seine Wangen wurden von Minute zu Minute bleicher, seine Augen starrten vor sich hin und seine Lippen bebten. Anna hatte ihr Antlitz bedeckt und sagte:

»Es muß Neils gewesen sein, der dies getan hat. Ich konnte den Jungen nie leiden – er glich seinem Vater immer allzusehr – und nun, wo dieser –«

»Es war nicht Neils, Anna. Es war Oskar.«

»Oskar?« sagte Magnus, und seine Hände krampften sich um die Ecken des Tisches.

»O Gott! O Gott! Das hätte ich nie von Oskar geglaubt. Aber wer weiß, in welche Versuchung er geraten sein mag? Vielleicht war er mittellos, ja, vielleicht war er doch in Not und man bot ihm Geld dafür. Es gibt so viele Wechselfälle in diesen fremden Ländern – vielleicht litt er bittere Not in den Straßen von London –«

»Er war gar nicht in London, Anna. Er war in Monte Carlo oder Nizza oder da herum.«

»Dann meinen Sie, er hätte das Geld nur gebraucht, um – dasselbe zu tun wie damals, als er – ich kann es nicht glauben!«

»Sei ruhig, Mutter,« sagte Magnus mit der krächzenden Stimme eines Raben, und dann wandte er sich an den Rektor. »Wer hat es getan – die Sache selbst, meine ich?«

»Der Schiffer Hans – sie konnten keinen andern dazu kriegen, wie es scheint.«

»Der Schiffer Hans,« wiederholte Magnus mit demselben heiseren Krächzen, und während der Tisch unter dem Griff seiner großen Hände knackte, wurde sein Gesicht hart und häßlich.

Während des übrigen Tages ging Magnus herum, ohne mit irgend jemand zu sprechen, und als am nächsten Morgen die Fremden ihre Reise angetreten hatten, sattelte er Silvertop und ritt nach Reykjavik zu. Anna sah ihn fortreiten und Hans Vidalin rufend, sagte sie zu ihm:

»Nimm dein schnellstes Pferd und reite den Richtweg nach der Stadt und suche den Schiffer Hans auf. Sage ihm, er möge fliehen, ehe Magnus kommt, und niemals wieder zurückkehren.«


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