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Neuntes Kapitel.

Als er das Kasino betrat, traf er den Direktor, der ihn überschwenglich begrüßte.

»Oh, Herr Stephenson, man sagte mir eben, Sie gingen fort – ich freue mich, daß es nicht wahr ist.«

»Es ist aber wahr, Herr,« sagte Oskar.

»Aber warum wollen Sie fort? Die Saison ist noch durchaus nicht zu Ende.«

»Aber mein Geld,« sagte Oskar, worauf der Direktor lachend seinen Arm unter Oskars Arm schob und mit ihm in das Bakkaratzimmer zurückschritt, während er ihm zuflüsterte:

»Herr Stephenson, ich sagte Ihnen schon, das Haus hätte sich gefreut, als Sie die Bank übernahmen. Das Spiel geht gut, wenn Sie den Vorsitz haben. Nun sind heute nacht ein paar Herren hier, die hoch spielen würden, wenn man sie richtig animierte. Gehen Sie nicht fort, Herr Stephenson.«

»Aber ich besitze keinen Pfennig mehr – verstehen Sie mich recht? Keinen Pfennig.«

»Kommen Sie hier entlang.«

Sie befanden sich jetzt im Bakkaratzimmer, und der Direktor zog Oskar nach der Nische hin.

»Bitte, entschuldigen Sie mich. Ich muß noch eine Dame sprechen und darf meinen Zug nicht versäumen,« sagte Oskar.

»Hören Sie mich einen Moment an,« sagte der Direktor, und mit einem flüchtigen Blick auf die Gesellschaft, die gespannt und schweigend unter dem hellen Lichtschein inmitten des Saales stand, fügte er mit leiser Stimme hinzu: »Herr Stephenson, ich mache Ihnen den Vorschlag an den Spieltisch zurückzukehren und die Bank zu übernehmen. Lassen Sie sich ruhig Spielmarken kommen. Wenn Sie ihr erstes Spiel verlieren, dann trägt das Haus den Verlust, und wenn Sie es gewinnen, so kommt es Ihnen zugute.«

Oskar lachte und sagte, ein paar Handschuhe, die er in der Hand hielt, ungeduldig in der Luft schwenkend: »Leiten Sie das Haus jetzt nach philanthropischen Grundsätzen?«

»Still! Beim zweiten Spiel lassen Sie sich neue Karten kommen, was Ihr gutes Recht ist, und wenn Sie sie erhalten, werden Sie – werden Sie gewinnen. Verstehen Sie mich? Sie werden gewinnen

Das Schwanken in der Luft hörte auf, und Oskar sah dem Manne fest in die Augen.

»Beim nächsten und übernächsten Spiel werden Sie wieder neue Karten verlangen und nach dem vierten Spiel vom Tische aufstehen.«

»Und dann?«

»Dann werden Sie Ihren Gewinn mit dem Hause teilen und reicher sein, als Sie je in Ihrem Leben waren.«

Oskar hatte zuerst voll Erstaunen zugehört, das sich dann in Empörung und zuletzt in Wut verwandelte. »Wie können Sie es wagen? Wofür halten Sie mich?« sagte er mit lauter, würgender Stimme, und die Hand aufhebend, schlug er dem Manne mit seinen Handschuhen quer über das lächelnde Gesicht.

Das Unerwartete des Angriffs entlockte dem Direktor einen entsetzten Schrei, und im selben Moment drängten sich die um den Spieltisch versammelten Leute heran und fragten: »Was gibt es?« »Was ist geschehen?«

Aber der Direktor faßte sich augenblicklich und sagte:

»Es ist nichts! Der Herr verstand etwas nicht richtig, was ich ihm sagte. Ich bitte Sie, ruhig weiter zu spielen.«

Helga war mit den übrigen näher getreten, und als die anderen an den Tisch zurückkehrten, zog sie Oskar in die Nische und sagte:

»Erzähle mir, was geschehen ist.«

Er sagte es ihr und fügte, noch zitternd vor ungesättigtem Zorn, hinzu: »Soweit bin ich gesunken, Helga, – daß ein Mann es wagen darf, mir einen solchen Vorschlag zu machen! Kannst du dich wundern, daß ich fort möchte von diesem Ort – aus dieser Atmosphäre von Betrügern und Betrug? Und doch sprechen Leute noch von der Ehre des Spielhauses! Sie könnten ebensogut von der Moralität der Hölle reden!«

Helga saß gesenkten Hauptes da, und ihre Finger – an denen einige Geschenke von Oskar funkelten – lagen verschlungen im Schoße.

»Du hättest mir einen von diesen opfern können, Helga,« sagte er, ihre Ringe berührend. »Wir hätten ihn eines Tages ersetzt, und ich hätte mich nicht von der Uhr meines Vaters zu trennen brauchen, die ich nie wieder bekommen kann.«

»Ich wollte nicht, daß du fortgingst, Oskar, darum schickte ich dir die hundert Franken nicht – ich wollte nicht, daß du ohne mich fortgingst.«

»War das der Grund, Helga? Meintest du das wirklich? Wirklich! Dann komm jetzt mit mir! Ich kam nur, um dir Lebewohl zu sagen, aber wie kann ich dich an einem solchen Orte zurücklassen? Er wird dich zugrunde richten, wie er schon soviele zugrunde gerichtet hat. Er wird dir Gesundheit und Geist und Talent und Liebreiz und alles untergraben, was eine Frau zu behalten wünscht. Helga,« sagte er, aufspringend, »ich habe durch die Ereignisse dieser Nacht beinahe meinen Verstand eingebüßt, aber ich weiß, was ich sage. Wenn du dein Los mit dem meinen verknüpfen willst – aber nur mit dem meinen – dann will ich dir mein ganzes Leben widmen und alles tun, was du wünschest. Verlange was du willst von mir, und ich will es tun. Verstehst du mich wohl, Helga?«

»Ja, Oskar.«

»Dann laß uns nach London zurückkehren – in unsere eigene Welt, an unsere eigene Arbeit, Helga!«

»Ich würde gern – herzlich gern mit dir gehen.«

»Warum dann aber nicht?«

»Wenn ich mein Los an das deine knüpfe – an das deine allein – dann muß ich mit Finsen brechen, und ich stehe in Finsens Schuld.«

»O, ich weiß es, ich weiß es wohl!«

»Wenn ich es ihm in irgendeiner Weise zurückerstatten könnte! Aber ich besitze nichts!«

»Du hast deine Schmucksachen, Helga.«

»Sie genügen nicht. Und wie könnte ich mich auch von deinen Geschenken trennen, Oskar? Wenn es nur irgendeinen anderen Weg gäbe, Geld zu verdienen –«

»Helga, woran denkst du?«

»Ich denke daran, daß wir hier in einer Atmosphäre von Betrug und Betrügern leben, vielleicht bist du auch betrogen worden.«

»Helga!« Seine Stimme zitterte vor innerem Widerstreben.

»Würde es so sehr unrecht sein, ihnen dasselbe anzutun, was sie dir angetan haben, Oskar?«

»Helga! Helga!« Seine bebende Stimme brach in keuchender Hilflosigkeit.

»Es würde wohl unrecht sein, aber wie glücklich würde es mich machen, wenn wir zusammen heimkehren und nur für uns und unsere Kunst leben könnten und an niemand sonst zu denken brauchten.«

Oskar stand neben ihr und zitterte wie ein scheuendes Pferd. Es entstand eine plötzliche Stille, in der man nur die Stimme des Croupiers aus der Mitte des Saales hörte. Dann schritt ein Kellner lautlos an der Nische vorüber, ein leeres Präsentierbrett hinaustragend, und einem raschen Entschlusse folgend rief ihn Oskar mit heiserer Stimme an:

»Garçon! Meine Empfehlungen an den Herrn Direktor! Sagen Sie ihm, das eben Vorgefallene täte mir leid, und wenn er noch ebenso gesonnen wäre, wie vorhin, dann wollte ich die Bank übernehmen.«

Wenige Minuten später saß Oskar, der Überzieher und Hut abgeworfen hatte, am Bankhalterplatze des Bakkarattisches. Die umhersitzenden Leute begrüßten ihn nickend und lächelnd, und als er nach Spielmarken rief und einen großen Haufen elfenbeinerner Marken erhielt, sagte ein kahlköpfiger Herr mit finsterem Gesichtsausdruck: »Ich gratuliere Ihnen, mein Herr! Es glückt nicht jedem, so rasch wieder Kredit zu bekommen.«

»Was hat das zu bedeuten?« flüsterte Finsen Helga zu, worauf Helga zurückflüsterte:

»Frage mich noch nicht,« dann ging sie zu Oskar hin und stellte sich hinter seinen Stuhl.

Man sah einige fremde Gesichter am Spieltisch, unter denen sich ein englischer Lord und ein amerikanischer Geldmann befanden. Der Direktor sah aus dem Hintergrunde zu. Es wurde gleich beim ersten Spiel hoch gesetzt, und die Bank verlor.

»Ich fürchte, das Glück ist Ihnen noch feindlich gesinnt, Herr,« sagte der kahlköpfige Mann.

»Ich will es aber noch einmal versuchen,« erwiderte Oskar. »Neue Karten, bitte!«

Die Einsätze waren beim zweiten Spiele bedeutend höher, und die Bank gewann.

»So ist es schon besser,« meinte der Kahlkopf.

»Ein neues Spiel Karten, bitte!« rief Oskar.

Als die Einsätze für das dritte Spiel auf dem Tische lagen, zeigte es sich, daß sie das Doppelte von dem betrugen, was für das zweite gesetzt war. Die Bank gewann von neuem.

»Ihr altes Glück scheint zu Ihnen zurückzukehren, Herr,« sagte der kahlköpfige Mann.

»Ein neues Spiel Karten!« rief Oskar zur Antwort und strich den ganzen Gewinn für die Bank ein.

Die Sätze für das vierte Spiel betrugen viermal soviel als die für das dritte. Die Bank gewann wieder, und Oskar stand auf.

»Werden Sie uns keine Revanche geben, Herr?« fragte der Amerikaner.

»Dies ist die meinige,« entgegnete Oskar und verließ den Tisch.

»Wollen Sie hier herumkommen, Herr Stephenson,« bat der Direktor leutselig, als plötzlich eine Bewegung von rückwärts her entstand.

»Croupier,« sagte eine Stimme mit nasalem Ton, »wollen Sie wohl so gut sein, diese letzten drei Spiele Karten zu prüfen?« worauf der Direktor sich mit gekränktem Blick umwandte.

»Sie wollen doch damit nicht sagen, mein Herr – doch nicht etwa andeuten –«

»Ich sage weiter nichts, als daß ich den Croupier ersuche, die letzten drei Spiele Karten zu prüfen.«

In der nun entstehenden Verwirrung trat Finsen zu Helga heran, die zitternd an Oskars Seite stand und sagte: »Es wäre wohl besser, ich führte Sie hinaus.«

Oskar sah, wie sie zögerte, dann einen Schritt von ihm wegtrat und stehen blieb. Als aber aus der um den Spieltisch drängenden Menge erregt gerufen wurde: »Die Bank muß geschlossen werden,« da sah er, wie ihr Haupt sich senkte und sie Finsen aus dem Zimmer folgte.

»Kommen Sie hier entlang, Herr Stephenson,« flüsterte der Direktor, und während der größte Teil der Gesellschaft sich noch um den Croupier drängte, brachte er Oskar, halb gehend halb schleifend durch eine kleine Tür in einen Privatflur, und gleich darauf hörte man von drinnen ein wüstes Geschrei.

»Bleiben Sie hier, überlassen Sie alles mir. Ich tue, was ich kann,« sagte der Direktor, und dann befand sich Oskar allein in einem kleinen Zimmer, wo es, mit Ausnahme des Lampenschimmers aus dem Garten und des dumpfen Getöses des Aufruhrs, den er hinter sich gelassen hatte, ganz dunkel und still war.

Wielange er hier blieb, war ihm später nie erinnerlich. Es kam ihm wie eine Stunde vor, und konnte doch nicht mehr als ein paar Minuten gewesen sein. Der Tumult steigerte sich, man hörte einen Revolverschuß fallen, und dann verhallte der Lärm nach und nach, bis völlige Stille eintrat.

Unfähig, sich noch länger zu beherrschen, und von dem fieberhaften Verlangen erfüllt, die Folgen seiner Tat auf sich zu nehmen, welcher Art sie auch sein mochten, öffnete Oskar die Tür seines Zimmers, als der Direktor zurückkehrte und ihm Hut, Überzieher und Handschuhe mitbrachte.

»Ich habe das Möglichste für Sie getan,« sagte der Direktor atemlos und keuchend. »Ich habe ihnen gesagt, Sie hätten sich erschossen, und Ihre Freunde haben diese Erklärung bestätigt. Sie müssen sogleich fort. Der Zug nach Paris geht in vier Minuten, Sie können ihn noch erreichen, wenn Sie laufen. Hier ist ein Billet zweiter Klasse nach London. Gute Nacht. Und vergessen Sie nicht,« sagte der Mann zu Oskar, der durch eine Privattür in den Garten hinaustrat, »vergessen Sie nicht – Oskar Stephenson ist tot


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