Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Sobald die Bank am nächsten Morgen geöffnet war, machte Christian Christiansson dem Direktor einen Besuch und ward mit außergewöhnlicher Höflichkeit empfangen.

»Ich muß so frei sein, mich selbst vorzustellen,« begann er.

»Durchaus unnötig,« sagte der Bankier mit einer Verbeugung. »Sie sind der ganzen Welt – ich sage, der ganzen Welt bekannt.«

»Sie werden einen Brief von meinem Bankier aus London erhalten haben –«

»Ja – er war in der von der »Laura« herübergebrachten Post enthalten.«

»Ich glaube, man bittet Sie darin, meine Unterschrift bis zu zweihunderttausend Kronen anzuerkennen?«

»Bis zu dem Betrag, mein Herr – zweihunderttausend Kronen. Und wenn Sie sofort etwas davon ziehen möchten –«

»Ja, das möchte ich,« sagte Christian Christiansson, und aus einer großen, seiner Brusttasche entnommenen Brieftasche ein Checkbuch hervorziehend, nahm er eine Feder zur Hand.

»Herr Palsson,« sagte er – der Bankier stutzte bei Nennung seines Namens, verbeugte sich dann und lächelte, »der Bischof hat gestern beim Essen von einem Notfall erzählt, der mir sehr zu Herzen gegangen ist, und ich möchte, ich könnte ihm Abhilfe leisten.«

»Sie sind sehr großmütig, Herr Christiansson, und wenn ich Ihnen im geringsten nützlich sein kann – ich sage, im geringsten nützlich sein kann, bitte ich, über mich zu verfügen.«

»Es war der Fall der Familie des letztverstorbenen Gouverneurs – ich höre, daß dieselbe der Bank verschuldet ist, und diese im Begriff steht sie auszupfänden.«

»Unglücklicherweise wahr, Herr Christiansson, die Bank ist aber sehr nachsichtig gewesen – ich sage, die Bank ist sehr nachsichtig gewesen und kann unmöglich noch länger Aufschub gewähren.«

»Ich glaube, die Schuld ist für die Zinsen einer aus der Pachtausspannung in Thingvellir lastenden Hypothek, und das Geld vom Vater des jetzigen Besitzers der Bank entliehen?«

»So ist es, mein Herr, die Zinsen aber sind lange im Rückstande und die Hypothek – ich sage, die Hypothek selbst, mein Herr, ist das gerade Gegenteil von einem sicheren Papier.«

»Herr Palsson,« sagte Christian Christiansson, »wenn ich Ihnen aus meiner Tasche die Zinsen zahlte, würde das dem gerichtlichen Verfahren Einhalt tun?«

Dem Bankier schien der Atem zu vergehen. »Sie sind sehr gütig,« sagte er nach einem Augenblick. »Die Zinsen belaufen sich jedoch auf eine hohe Summe, Sie können kaum auf eine solche Ausgabe vorbereitet sein.«

»Wie hoch ist der Betrag?« fragte Christian Christiansson.

»Achttausend Kronen mindestens, mein Herr – ich sage achttausend Kronen mindestens. Und jedenfalls würde ich nicht in der Lage sein, sie anzunehmen. Die Sache ist jetzt zu weit gegangen. Der Vollstreckungsbefehl ist erteilt, die Anzeige der Versteigerung veröffentlicht, und die ganze Sache den Händen des Kreisrichters übergeben worden.«

»Wann wird die Versteigerung stattfinden?«

»Warten Sie,« sagte der Bankier, eine Zeitung zu Rate ziehend, »dies ist der letzte Tag im Jahre, die Versteigerung ist für morgen angezeigt, mein Herr.«

»Morgen, sagen Sie?« fragte Christian Christiansson, plötzlich aufstehend.

»Morgen um neun Uhr in der Frühe, mein Herr.«

Christian Christiansson nahm seinen Platz wieder ein und blieb einige Augenblicke, an seiner Feder nagend, sitzen, dann sagte er:

»Herr Palsson, ich bin viele Jahre im Ausland gewesen, aber ich scheine mich doch noch zu erinnern, daß, wenn Landbesitz in Island gerichtlich verkauft wird, es dreier Versteigerungen bedarf, zwei im Bureau des Kreisrichters und die dritte an Ort und Stelle selbst.«

»Ganz recht, mein Herr, unglücklicherweise ist dies die dritte – die beiden anderen haben schon stattgefunden.«

»So muß die Pachtausspannung unter allen Umständen also unter den Hammer gehen?«

»Das muß sie unter allen Umständen.«

»Sie glauben, es ist nichts dagegen zu machen?«

»Ich bin dessen gewiß, mein Herr, ich sage, ich bin mir gewiß, daß nichts dagegen zu machen ist.«

»Nun wohl – was sein muß, muß sein,« sagte Christian Christiansson, und dann fragte er, wie sich scheinbar eines Bessern besinnend und die Feder eintauchend: »Auf achttausend Kronen, sagen Sie, belaufen sich die Zinsen?«

»Auf wenigstens achttausend Kronen, mein Herr. Mit Gerichts- und sonstigen Kosten wahrscheinlich zehn, ich sage wahrscheinlich zehn.«

»Und das Kapital ist –«

»Das Kapital ist hunderttausend Kronen, mein Herr.«

»Die armen Seelen, die armen Seelen!« sagte Christian Christiansson und fing an, seinen Check zu schreiben, der Bankier aber fuhr fort:

»Es tut mir herzlich leid wegen der Mutter, ich sage wegen der Mutter. Sie gehört einer Generation an, die im Aussterben begriffen ist, es gibt aber noch viele in der Stadt, die sich ihrer erinnern. Eine gute, mütterliche Seele, mein Herr – es ist ein Jammer, daß das Unglück sie am Abend ihres Lebens so schwer treffen soll – Löschblatt?«

»Ich danke Ihnen.«

»Es tut mir auch für den Sohn leid – ich sage, es tut mir für den Sohn leid. Ein Ismael, mein Herr – ist es immer gewesen und wird es immer bleiben – er scheint aber eine entsetzliche Zeit durchgemacht zu haben. Die Wahrheit ist, das Gehöft war furchtbar überschuldet vom Anfang an, und wenn er es vor fünfzehn Jahren schon hätte fahren lassen, möchte es besser für ihn und für die Bank und jedermann gewesen sein. Augenscheinlich hielt er der Familie wegen daran fest, und um dem armen Tropf gerecht zu sein, muß man sagen, er hat mannhaft gekämpft – ich sage er hat mannhaft gekämpft.«

Christian Christiansson hatte seinen Check ausgefüllt und riß ihn aus dem Checkbuch heraus.

»Dann belastete er, wie Sie richtig sagen, mein Herr, das Gut nicht selbst, und jedermann kennt die Umstände, unter denen die erste Schuld kontrahiert wurde. Ach, wenn der Taugenichts von einem Bruder nur heute hier sein könnte! Wenn ein Mensch ein Unrecht begeht, scheint er zu denken, daß mit seiner Tat die Folgen seines Verbrechens enden, dagegen häufen sie sich auf wie im Schnee dahinrollende Schneebälle – ich sage, wie im Schnee – Zweihunderttausend Kronen, mein Herr?«

Christian Christiansson hatte dem Bankier seinen Check eingehändigt, und derselbe, seinen Zwicker zurecht rückend, den Betrag gelesen.

»Meinen Sie wirklich, daß Sie die ganze Summe mit einem Male ziehen wollen, Herr Christiansson?«

»Ja, bitte,« sagte Christian Christiansson.

Der Bankier begann zu lachen. »Gewiß haben wir keine Straßenräuber in Island, mein Herr – ich sage, wir haben keine Straßenräuber – aber nur, wenn das Geld für augenblickliche Zwecke erforderlich ist –«

»Es ist für augenblickliche Zwecke erforderlich, Herr Palsson.«

»In dem Falle – gewiß – darf ich Sie bitten, einen Augenblick zu warten?«

Es währte eine halbe Stunde, um das Geld für Christian Christianssons Check aufzutreiben, und als es kam, war es in drei, besonders vom Minister unterschriebenen Banknoten von je fünfzigtausend Kronen und in fünfzig anderen Noten zu je tausend Kronen. Christiansson steckte alle Scheine in seine Brieftasche, die sie bis aufs äußerste füllten.

»Ich habe Ihnen viele Mühe verursacht, Herr Palsson.«

»Es ist mir ein Vergnügen gewesen, mein Herr, ich sage ein Vergnügen. Es tut mir nur leid, daß ich Ihnen in der andern Angelegenheit nicht habe nützlich sein können. Wenn Sie zwei Tage früher zu mir gekommen wären, würde ich einen Boten an den Kreisrichter geschickt haben, und vielleicht hätte er –«

»Wer ist in diesem Falle der Kreisrichter, Herr Palsson?«

»Der Kreisrichter von Arnes, mein Herr. Er wohnt in Borg.«

»Wie weit ist das von Thingvellir?«

»Nur dreißig bis vierzig Meilen, mein Herr.«

»Ungefähr so weit wie von hier nach dort?«

»Ungefähr ebenso weit, mein Herr, aber in diesem Lande, wo es keine Landstraßen und keine Eisenbahnen gibt, ist das zuweilen eine lange Tagereise.«

»Gewiß! Guten Morgen, und vielen Dank, Herr Palsson!«

»Guten Morgen, Herr Christiansson,« sagte der Bankier, während er, ihm nachblickend, bei sich dachte: »Was mag er nur mit zweihunderttausend Kronen auf einmal wollen, das möchte ich wissen? Und weshalb – ich sage, weshalb wollte er die Zinsen für Magnus Stephenson bezahlen?«

»Gott sei gedankt, ich bin zur rechten Zeit gekommen!« dachte Christian Christiansson.

Und vor Hoffnung und Freude bebend sagte er sich beim Hinausgehen aus der Bank, daß die unerforschlichen Schicksalsmächte, die ihn zum Spielball des Zufalls und der Sünde gemacht zu haben schienen, es doch nicht nur böse mit ihm gemeint haben könnten, wenn sie ihn im Augenblick der höchsten Gefahr und damit er die Seinen aus ihrer äußersten Not erretten und ihnen beistehen möge, nach Island zurückführten.


 << zurück weiter >>