Franz Gräffer
Josephinische Curiosa
Franz Gräffer

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75. Die Wiener und die Wienerinnen unter Josephs Regierung.

(Auszug eines Zeitgenossen und Augenzeugen.)

1. Menschengattung und Tracht.

Der eingeborne Österreicher ist von mittelmäßiger, doch mehr groß als kleiner Statur, schlank und lang gespalten; mit einem Wort, von jener Figur, die im Durchschnitt das schönste Menschengeschlecht darstellt.

Allein in Wien hat sich das vaterländische Geblüt durch Vermischung mit allen Nationen so sehr verdünnt, daß es nicht sehr häufig mehr hervorsticht. Indessen haben die eigentlichern, das heißt, die schon seit längerer Zeit hier nationalisirten Wiener, einen etwas merkbaren Gesichtszug: dieß ist ein langes, spitzig zulaufendes Kinn.

Die Ungarn zeichnen sich durch etwas erhöhetere Knochen unter den Augen einiger Maßen aus.

Die Wienerinnen – denn diese verdienen mehr so genannt zu werden, weil sie doch größtentheils auf dem Platz geboren sind – die Wienerinnen sind schön gewachsen, frischen Blutes, rascher Nerven, leichtfüßig, schlank, schmächtig, weiß von Farbe und fein von Fell. Sie verwelken aber etwas frühzeitig, bekommen schlaffes Fleisch, und werden im Alter etwas dickleibig.

Der Anzug beyder Geschlechter ist immer nach den Gesetztafeln der neuesten Mode; er hat alle Vorzüge und Abgeschmacktheiten dieser launischen Göttinn.

Die Männer tragen heut zu Tage alles kurz und knapp anliegend. Die Frisur ist niedrig. Die ungeheuern Pferdeschnallen erhalten sich noch immer, ob sie schon um ein paar Zoll kürzer und schmäler geworden sind; die hohen altangelsächsischen Hüte erhielten sich nur sechs Monathe allgemein; eben jetzt werden die runden, klein zugeschnittenen englischen Hüte zur Mode-Kopftracht; die zwey Uhrketten werden wieder seltener; die Bänderschuhe und gestreiften Strümpfe sind die neueste Phantasie; zum Alltagshabit sind die rostfarbigen und dunkelgrünen Fracks gewählt. Die Ringe führen die Büsten berühmter Männer, die Degen sind ganz brillantirt.

Und die Weiber! O wer kann ihre Launen zählen? Welche Feder ist schnellfüßig genug, um alle jene tausend Abwechslungen zu haschen; alle jene kleinen Nichts auf das Papier zu heften, welche die Wesenheit des weiblichen Putzes erschaffen, und auf den Flügeln der Frivolität ab- und zustiegen!

So viel ist gewiß, daß sich das schöne Geschlecht in unsern Tagen ungleich natürlicher, geschmackvoller, leichter, und anziehender kleidet, als ehedem.

Die Stoffe sind nicht mehr so schwerfällig, so kostbar und dauerhaft; aber sie werden eben wegen ihrer Leichtigkeit und ihren geringen Preis öfters gewechselt, durch neue ersetzt, und geben also einen vielfältigern, reinlichern und immer frischen Anzug.

Der ländliche Hut auf tausenderley Arten mit Bändern, Blumen, Guirlanden, Spitzen, Federn, Schmucknadeln &c. &c. verziert, wie unendlich reitzender bildet er den Kopf, als das ehmahlige steife Haufengebäude! . . . Die weißen Sommerkleider, mit einem Hüftenbande schattirt, wie nymphenhaft schweben die lebhaften Mädchen darin auf der Promenade umher! . . . Die Pelze im Winter – meine Lieblingstracht – welch griechische Symplicität stellen sie dar! Welche Reize leihen sie dem wallenden Busen: in der That, der Pelz ist eines der besiegendsten Kleidungsstücke unserer Weiber.

Ach! . . . Alle diese Reize, alle diese Schönheiten werden durch die abscheulichen, die plumpen, die vermaledeyten Buffanten zerstört. Nie hat eine Erfindung mehr Niedlichkeit und Grazie zu Grunde gerichtet, als dieses monströse Gereife. Das schlankeste Mädchen wird dadurch in eine Häringstonne verwandelt.

Seht ihr jene wandelnden Pyramiden? Es sind ein paar Fräulein mit Buffanten und dem schwarzen Mantel. So vernichten diese Maschinen Brust, Wuchs, Fuß, kurz, das ganze Wesen der weiblichen Reize.

Wozu sollen sie auch? Etwa die Tugend zu schützen? Getäuschte Mädchen! wißt Ihr den Text nicht:

Dieses siebenfache Bollwerk widersteht nicht stets der List,
Ob es schon mit Wallfischrippen und mit Stachel geschützet ist.

Dank den Huldgöttinnen! Die Damen der obern Stände haben schon wieder angefangen, sich dieses lästigen Gepäckes zu entledigen, und sich in ihrer natürlichen Gestalt zu zeigen. In diesem Fall wird die Nachäffungssucht der untern Stände einen guten Dienst thunIm Jahre 1787 waren alle Buffanten verschwunden..

Der Anzug der berühmten wienerischen Stubenmädchen hat gewisse Vorzüge, die ihn selbst über den Damenanzug erheben.

Die Tracht der Bürgersfrauen und ihrer Töchter ist reich, aber etwas steif.

Was soll man endlich vom Palladium der weiblichen Tugend sagen? . . . Dieses steht unter dem Schutz gewisser dienstfertiger Geister; die mögen für dessen Unentweihung sorgen:

To fifty chosen Sylphs, of special note
We trust th' important Charge, the Petticoat.


2. Der hohe Adel.

Wer zählt die Barone, die Grafen und Fürsten in Wien? . . . Dieß sind drey Classen, welche man gewöhnlich unter die Mitglieder des höhern Adels zählt.

Es ist natürlich, daß sich an einem Platz, wie Wien ist, viel Adel versammelt. Der Thron, die Geschäfte, die große Welt, das Bestreben, seine Talente zu zeigen, zu verfeinern, zu bereichern, auszubreiten, zu entwickeln, in Thätigkeit zu setzen; die Familienverbindungen, die Vergnügungen endlich und die Bequemlichkeit ziehen aus allen Provinzen der österreichischen Erblande eine Menge Standespersonen hieher.

Doch hat Wien in diesem Betracht nicht ganz die Vortheile, welche London und Paris besitzen; in diesen Ländern zieht jeder Edelmann, auch aus der entferntesten Provinz wenigstens einmahl in seinem Leben auf einige Zeit nach der Hauptstadt, sey es auch bloß, um dort gewesen zu seyn. Diese Maxime ist im österreichischen Staat noch nicht allgemein.

Der Adel aus den Niederlanden, aus der Lombardie und aus Steyermark ist im Vergleich mit dem übrigen ungleich seltener. Diese Familien schließen sich theils wegen der Entfernung, theils aus Bequemlichkeit, theils aus öconomischen Gründen, theils aus Eigensinn in ihre Provinzen ein. Sie haben sich Brüssel, Mailand und Gräz zu ihrer Sphäre erkohren, worin sie in behaglicher Selbstgenügsamkeit leben und weben. Auch in Ofen und Pesth, in Prag, Innsbruck, Preßburg, Linz, Hermannstadt, Klagenfurt und Lemberg sind sehr viele Cavaliere.

Es war wirklich eine Zeit, wo man in Wien, so wie an allen europäischen Höfen, den größten Haufen des Adels zu nichts Besserem anzuwenden wußte, als etwa bey feyerlichen Gelegenheiten die Audienzsäle damit zu tapezieren, und bey Processionen und Einzügen Spalieren von Perücken daraus um sich her zu pflanzen. Das verbrämteste Kleid, die flimmerndste Livree machten dann das größte Verdienst aus.

Diese Zeiten sind nicht mehr. Alte Pergamente und neue Kleider verschaffen nun nicht mehr die Gunst des Monarchen, die Ansprüche auf Ehrenstellen, die Ehrfurcht des Publicums. Ein ahnenreicher und verdienstvoller Cavalier mag wohl seine Einkünfte nach Belieben verzehren, mit sechsen fahren, Tafeln geben, die ersten Logen in den Spectakeln besetzen, ein großes Haus halten, dagegen hat man nichts: aber sobald er sich bloß dieser Rubriken wegen für einen wichtigen Mann halten, Hochachtung fordern will, so erhält er sie nicht.

Ein kopf- und sittenloser, unbrauchbarer Fürsten- und Grafensohn wird heut zu Tage von den wahren Edeln nicht geachtet

Wie wäre es auch anders möglich? Die hohe Noblesse besitzt eine Reihe von Köpfen, die durch persönliche Vorzüge eben so viel Glanz auf ihre Abstammung werfen, als sie von denselben erhalten; die sich durch ihre geprüften Talente, durch die wichtigsten Ämter, durch das Zutrauen des Monarchen, und durch ihren Einfluß auf die Verwaltung, das Wohl, und die Bewachung des Staates zu ihrem allgemeinen unwidersprochenen Ruhm auf das vortheilhafteste auszeichnen.

Außer einigen niederländischen und lombardischen fürstlichen Familien leben die Chefs der meisten übrigen Fürstenhäuser der österreichischen Erbstaaten gewöhnlich für immer, oder doch einen Theil der Jahreszeit in Wien.

Diese Häuser sind:
Auersperg. Grassalkowicz. Lobkowitz.
Bathiany. Kaunitz. Paar.
Clary. Khevenhüller. Palm.
Colloredo. Kinsky. Poniatowsky.
Czatorisky. Lichnowsky. Schwarzenberg.
Dietrichstein. Liechtenstein. Starhemberg.
Esterhazy. Ligne. Sulkowsky.

Diese Häuser zeichnen sich durch alte wichtige Verdienste um den Staat, durch fortdauernden Glanz ihrer Familien, durch persönliche Vorzüge ihrer Mitglieder aus.

Das Register gräflicher und freyherrlicher Häuser, die sich aus der großen Menge aller hiesigen hervorgedrungen haben, ist zu zahlreich, als daß ich es hersetzen kann. Das Meiste, was Österreich, Böhmen und Ungarn Ansehnliches und Reiches aus dieser Classe hat, zieht sich in die Residenz.

Wenn man in Anschlag bringt, wie leicht und bequem es einem gebornen Cavalier gemacht wird, sich zum brauchbaren Mann zu bilden; wie er Zeit und Geld zu seiner Disposition hat, welche Erziehung er genießt, wie sorgfältig man ihn mit ausgesuchten Lehrern und Büchern versieht; wie man ihm allenthalben Ermunterung, Beyfall und Belohnung zuwinkt – Vortheile, die dem bürgerlichen Jüngling so selten zu Theil werden; – und wenn er bey dem allen zum Taugenichts aufwächst: so hat man wahrlich das klare Recht, einen solchen Mann zu verachten. Auch scheint dieß das Sentiment der wahren Edeln selbst zu werden. Sie schätzen den bürgerlichen Gelehrten, Künstler, Geschäftsmann ungleich mehr, als den unnützen Edelmann. . . . .

Laßt uns gerecht seyn. Geist, Witz und Kenntnisse sind nicht bloß das Erbtheil der Männer allein. Es gibt unter dem hohen Adel in Wien auch Damen, die wahre Schwestern der Musen und Grazien sind . . .

– – – schön von Sitten,
Voll Geist und Witz; von Zwang und Ziererei,
Und allen ähnlichen Fehlern frey;
Mit der Gabe begabt, so angenehm zu scherzen,
Und mit so guter Art
Die feinsten Gedanken anzubringen,
Daß, wer sie je hörte, von ihnen bezaubert ward.


3. Der zweyte Adel.

In diese Classe gehören die ganz neuen Baronen, die diplomatisch erklärten Ritter und Edeln.

Seitdem aber der Werth der Diplome allenthalben etwas fällt, und ein Ehrenamt und die gute Verwaltung desselben den Mann adelt, ist der Kreis dieses Adels erweitert.

Dieß hat man in Wien allgemein zur Regel gemacht. Man zählt zu dem zweyten Adel diejenigen Personen, welche man sonst die Honoratiores nennt; nähmlich die Räthe, Agenten, Doctoren &c. auch Banquiers und Negozianten.

Dieser Stand besitzt einen Kern von Geschäftsmännern, die den Staatssternen der ersten Größe in die Hände arbeiten, und den Gang der großen Maschine befördern helfen. Patriotismus, Rechtschaffenheit, Fleiß, Sachenkenntniß, Einsichten und Arbeitsamkeit machen sie ehrwürdig und beliebt.

Diese Classe fängt an, sich unter allen Ständen am meisten aufzuhellen, welches eine treffliche Wirkung thut. Da die Gesellschaften derselben für andere ehrliche aber ungeadelte Erdensöhne nicht sogar sorgfältig verpalissadirt sind, wie jene der ersten Noblesse: so verbreitet sich durch sie die lichtere Denkart auf mehrere Köpfe, und durch diese wieder auf mehrere Stände des Publicums.

Hier wirkt besonders daß einige Damen aus diesen Häusern, die nähmliche Denkart mit weiblicher Grazie verbinden, und dadurch doppelt liebenswürdig sind. Ich würde sie nennen, wenn es ihre Bescheidenheit erlaubte, die sie nur um so schätzbarer macht. Sie sind Schülerinnen Musarions: ihr Umgang ist so belehrend und geschmackvoll, als reizend; in ihren Häusern vergähnt man die Abende nicht mit elenden Kartengeblätter. Kleine Musiken, vertrauliches Freundschaftsgeplauder, literarische Neuheiten, Raisonnements über Bücher, Reisen, Kunstwerke, Theater; die Vorfälle des Tages, und interessante Neuigkeiten mit Salz erzählt, beurtheilt, beleuchtet, machte die Unterhaltung aus, und kürzen dem vertrauten Zirkel die langen Winterabende. Man lernt dort die meisten einheimischen, und die fremden, gelegenheitlich durch Wien reisenden Gelehrten kennen.

Sollte man es glauben! Diese Damen erfuhren eben das Schicksal, welches die Madame Geoffrin und Necker in Paris betraf. Einige Kleingeister suchten sie darüber verhaßt zu machen, daß sie Bureaux d'Esprit hielten. Diese Polissons sollten bedenken, daß es ein wahrer Lobspruch für eine Dame ist, wenn sie ein Bureau d'Esprit bildet, indeß so viele andere Weiber Bureaux de Sottise halten.


4. Der gemeine Mann.

So nenne ich nicht den letzten Pöbel, sondern den Bürger, oder, um es eigentlicher auszudrücken, den Professionisten und Handwerksmann, den Hof- und Herrschaftsbedienten von der untern Classe, den Kleinhändler; kurz die gewöhnliche Menschengattung zwischen Adel und Domestiken.

Der gemeine Mann in Wien ist bieder, höflich, offenherzig, dienstfertig, redlich, lenksam, willig und guter Patriot, ob er schon seinem Kaiser nicht immer mit Händeklatschen zujauchzt, wenn er ihn auf der Strasse, auf dem Spaziergang, oder im Schauspiel sieht. Verschlagenheit, feiner Betrug, niedrige Gewinnsucht, Geldgierde, Filzigkeit, mißtrauische Kälte gegen Fremde, Hochmuth, Eigendünkel und Schmähsucht sind weit von ihm entfernt.

Er ist im Handel und Wandel billig und gewissenhaft, verträglich gegen seinen Nachbar, gegen den Fremden freundlich und gutmüthig. Sein allgemeiner Grundsatz ist: man muß leben und leben lassen.

Wer mich über diesen Umriß des Ganzen etwa mit einer aufgerafften einzelnen Gegenanecdote schicaniren will, der verdient keine Antwort.

Der gemeine Mann in Wien liebt Schmaus, Tanz, Spectakel, Zerstreuung. Er spaziert an Festtagen fleißig in den Prater und Augarten, besucht Hetze und Feuerwerk, fährt auch wohl mit seiner Familie über Land, und bestellt sich allenthalben einen wohlbedeckten Tisch. Diese Sünde, welche gewissen Leuten so himmelschreyend vorkömmt, ist in meinen Augen sehr verzeihlich. Da in Wien bis auf Wohnung und Holz, in Verhältniß mit andern Hauptstädten, alles wohlfeil ist, so ist klar, daß der Handwerksmann seine Käufer nicht übersetzt; und da der gemeine Mann im Durchschnitt selten Bancrout macht, im Gegentheil noch wohlhabend ist, so muß man daraus schließen, daß er seine Vergnügungen nicht über seine öconomischen Kräfte treibt.

Worin besteht nun das Verdammliche seiner Vergnügungen? Predigt einem Westphälinger, einem Schweden immerhin Sparsamkeit und magere Schüsseln: die Natur seines Landes will es nicht anders; aber gönnt dem im Überfluß lebenden Wiener seine Tafel; sie macht ihn zum glücklichen und gutlaunigen Unterthan, und was wollt ihr mehr?

Noch armseliger ist es, wenn man den Wiener darüber tadeln will, daß er im zufriedenen Gefühl seiner Herzensfreude manchmahl ausruft: Es ist nur Ein Wien!

Wenn er allein in diesem selbstgenügsamen Taumel schwebte, da möchte es noch hingehen, ihn darüber zu beschnarchen; aber welche Nation ist, die nicht ihre Hauptstadt für die beste hält? Der Pariser sagt: Es ist nur ein Paris in der Welt. Der Portugiese spricht: Wer Lissabon nicht gesehen hat, hat nichts Schönes gesehen. Der Spanier empfiehlt seinem Sohn noch auf dem Todtbette, ja in seinem Leben wenigstens ein Mahl nach Madrid zu gehen. Selbst der hochkluge, bescheidene Brandenburger sagt von seiner Hauptstadt: »Berlin ist die schönste Stadt in Europa; Berlin ist das Emblem der preußischen Monarchie, wo alles zu Nutzen und Vergnügen zusammengedrängt ist, um sich selbst zu genügen; Berlin ist Athen an Geist, und voll Muth wie Sparta«Berlinische Monathschrift..

Was Wunder, wenn auch der Wiener seine Mutterstadt für ein Paradies hält? Er hat doch wohl eben so viel Grund dazu, als der Pariser, Spanier und Berliner.


5. Politischer Charakter der Wiener.

In den neuern Zeiten waren vier gefährliche, politische Krisen für Wien. Das Jahr 1683, da die Stadt von den Osmanen beynahe zur Verzweiflung gebracht ward; der Zeitraum von 1704 bis 1708, da die ungarischen Rebellen unter den Fahnen des Ragoczy und Tekely bis vor die Thore von Wien streiften; das Jahr 1741, da Bayern und Franzosen Linz erobert hatten; und endlich die ersten Märztage des Jahres 1757, nach der verlornen Schlacht bey Prag.

Dieß waren die niederschlagendsten Epochen für die Einwohner Wiens, und das mit gutem Grunde. Angst und Verwirrung bemächtigte sich der Stadt. Glücklicher Weise überstand sie alle diese Crisen, ohne zu erliegen. Jetzt ist sogar das Andenken derselben verwischt; und wenn nicht noch an einigen Häusern gemahlte Türkenköpfe klebten, würde man sich kaum mehr ihres ehmahligen Besuches erinnern.

Die heutigen Wiener haben eine zwar nur dunkle, aber ihnen fest vorschwebende Idee von der gegenwärtigen Stärke und Übermacht ihres Staates. Sie zittern vor Niemanden mehr, in der Überzeugung, daß ihre Minister und Generäle wohl dafür sorgen, daß nie wieder ein feindliches Heer ihren Linien zu nahe komme.

Übrigens lassen sie ihren Landesherrn machen, was ihm gut däucht. Er hat sie schon an sehr empfindlichen Fleckchen angegriffen; aber sie haben keine offene sauere Miene darüber gemacht. Es war für das wienerische Publicum keine ganz gleichgültige Sache, die sogenannten Ketzer toleriren, Mönche und Nonnen aufheben, die Kirchenmusik abstellen, die Andachten vermindern, die Heiligen entkleiden, und sich einen Besuch vom heiligsten Vater Papst auf den Hals zu ziehen. Indessen duldeten die Wiener alles mit froher Gleichmüthigkeit: und hätten sich gewisse Menschen nicht so viele Mühe gegeben, die Gemüther auf alle ihnen mögliche Weise zu verbittern; so würde man auch nicht einmahl in Privatgesellschaften die Stimme der Unzufriedenheit und Schmähsucht gehört haben.

Dieß zeugt von der Weichheit des Charakters der Wiener; sie ist ihnen so eigenthümlich, daß in Wien ein Aufwiegler gewiß sein Glück nie machen wird.


6. Moralischer Charakter der Wiener.

Es ist ein gutes Volk um die Wiener. Auch in diesem Punct stimmen alle Beobachter dieses Platzes überein. Der Character dieser Stadtbewohner ist sanft, leicht, gutherzig, artig, angenehm, gesellig, beugsam und mittheilend. Eine bewunderungswürdige Bonhomie ist ohne Ausnahme über alle Stände und Menschenclassen verbreitet; wozu das milde Clima, der allgemeine Wohlstand, die sanfte Regierung, und der nicht schwer zu findende Erwerb für Jedermann, gewiß auch das Ihrige beytragen.

Wahr ist es, der weiche Character der Wiener erzeugt keine heroische Tugenden. Aber wozu taugt auch Heldengefühl in unsern Tagen, bey unserer Verfassung? Unsere Staatsmaschinen sind so mechanisch aufgezogen; selbst unser bürgerliches und häusliches Leben ist so methodisch eingeleitet, daß große außerordentliche Explosionen des Kopfes und Herzens mehr Verwirrung und Unheil als Nutzen und Segen stiften.

Das Volk zu Wien ist sehr sinnlich; ein Characterzug, den die Beschaffenheit des fruchtbaren Landes mit sich bringt; so wie sie ihn zu allen Zeiten und bey allen Völkern hervorbrachte, die unter einem milden Himmel und auf einem freygebigen Boden leben. Es ist eine abgenützte Sache, daß Völker, die in ärmern Weltgegenden wohnen, den von der Natur begünstigtern Vorwürfe darüber machen, daß sie weichlich leben. Die Spartaner thaten es schon gegen ihre Landsleute, die feinern und wollüstiger lebenden Athenienser; und seit diesen thun das so viele andere; mit welchem Grunde, will ich hier nicht untersuchen. Ich sage nicht wie jener wetterauische Pfarrer, daß es die schweren Sünden machen, daß in der Wetterau und ähnlichen Gegenden keine Ananas, Feigen, Citronen und Mandeln, sondern Kartoffeln und Holzbirnen wachsen: aber lächerlich dünkt es mich immer, wenn ein theoretischer Länderverbesserer es einer Nation verbiethen oder übel nehmen will, daß sie den Reichthum ihres Vaterlandes genießt.

Man hielt ehedem die Wiener für große Tugenden und große Laster gleich unfähig, und einige speculative Beobachter wollen bemerkt haben, daß unter sechs in Wien öffentlich bestraften Verbrechern allemahl vier Ausländer, und daß dieser ihre Verbrechen die gröbern waren. Ich kenne die ehemahligen Wiener nicht; aber wenn grobe Verbrechen ein Beweis eines starken Nationalgeistes sind: so muß es, nach einigen neuen Beyspielen zu urtheilen, den heutigen Wienern nicht an Stärke und Schwungkraft fehlen.

Wenn es nicht an die Linie der Eitelkeit und Prahlerey gränzte, die Wohlthaten und Äußerungen der Mildherzigkeit eines ganzen Publicums herzuzählen: so könnte ich arithmetisch darthun, daß der den Wienern so stark anklebende Hang zur Zerstreuung und Sinnlichkeit sie wahrlich nicht unbarmherzig mache.

Ein Übel, dessen man die Wiener ehedem kaum fähig hielt, und das in der That äußerst selten war; welches aber jetzt hier, so wie in ganz Europa ziemlich häufig wird, ist der Selbstmord. Man findet ihn gegenwärtig unter allen Ständen, obschon die Polizey aus guten Gründen die Opfer desselben, so viel möglich verheimlicht.


7. Freiheit im Reden.

Ungeachtet dieser alles wissenden, alles ausspähenden Polizey, herrscht doch in Wien die ungezwungenste Freyheit im Reden, sowohl in Privathäusern, als selbst an öffentlichen Orten und Plätzen.

Wenn man den hiesigen freyen Ton, sowohl an Reden als Schriften, mit dem Tone der meisten sogenannten freyen Staaten, als da sind: Schweiz, Venedig, Genua &c. vergleicht: so ist man in heißer Versuchung, über jedes hochklingende Prädicat der eingebildeten freyen Leute gewaltig zu lachen. Wenn man dagegen das ängstige Ohrengeflüster hält, das in so mancher kleinen Residenz so manches kleinen Fürsten, so manches kleinen Ländchens nothwendige Vorsicht ist: so preist man sich glücklich, in der Hauptstadt eines mächtigen großen Fürsten zu leben.

Man hat seit der jetzigen Regierung in Wien kein Beyspiel, daß Jemand seiner freyen Sprache wegen von der Polizey Verdruß gehabt hätte. Dieß ist ohne Zweifel der vollgiltigste Beweis von den klugen Gesinnungen der Regierung über diesen Punct.

Die Person des Landesherrn, die Politik und die Religion sind die drey Klippen, an welchen schon so mancher neue Demosthen gescheitert ist, und Ruhm, Vaterland oder Freyheit verloren hat. Nicht so hier. Kaiser Joseph setzt sich für seine Person über die böse Laune einiger Mißvergnügten hinaus. . . Die Politik treibt heut zu Tage ihr Spiel und ihre Plane mit einem so undurchdringlichen Geheimniß, daß sich alle, die im Ernste Kannegießerey treiben, mit ihren vermeintlich feinen Nasen bloß lächerlich machen, und die Regierung mehr belustigen als beunruhigen. . . Die Religion greift ein nüchterner, mit seinen fünf Sinnen versehener Mensch nie gröblich an. Wenn also etwa in einem schmutzigen, finstern, abgelegenen Saufwinkel sich ein toller Tropf, plumpe, grausliche Lästerungen dagegen entfahren ließ, so weiß man, daß dieß das Gebrüll der Beschaffenheit ist, welches den unsinnigen Wicht selbst bey seinen Zuhörern verächtlich macht.


8. Reife Mädchen.

Ihre Zahl ist groß, und ihre Lage sehr unangenehm. Die von der zweyten und dritten Ordnung sind am schlimmsten daran. Die Hofdienste, welche doch hier einigen tausend Männern Beschäftigung und Unterhalt geben, sind heut zu Tage so sehr in die Form einer Schneckentreppe gebracht, daß die Leute dabey vierzig Jahre alt werden, ehe sie zu einer Stelle kommen, die ihnen erlaubt, eine Frau zu nehmen.

In Sparta peitschten die Weiber jährlich die Hagestolzen im Tempel der Venus mit Ruthen, um sie für ihre Ehelosigkeit zu strafen. Diese Strafe, welche in Sparta wohl angebracht seyn mochte, wäre bey uns höchst unbillig, weil der größte Theil der Hagestolzen es wider seinen Willen ist. Man sieht eine Menge von Kanzeleymännern, Hausofficieren &c., die schon seit Jahrzehenden ordentliche Liebschaften unterhalten, und als Freyer sammt ihren Liebsten grau werden. Um diesem Mißstand einigermaßen abzuhelfen, würde es besser seyn, wenn man statt der Spartanischen Methode, Ehestandsproselyten zu machen, die alte Babylonische einführte. Wer ein schönes Mädchen zur Frau nahm, mußte eine Taxe erlegen, und mit diesen Taxen steuerte man die Häßlichen und Armen aus, um ihnen ebenfalls Männer zu verschaffen.

So frey und flüchtig die verheiratheten Weiber leben, so gezwungen und langweilig ist hingegen die Lebensart der ledigen erwachsenen Mädchen. Es jammert einen ordentlich, sie keinen Schritt machen, in keine Gesellschaft kommen zu sehen, ohne eine grämliche Tante, eine hämische Gouvernante, oder die Mama selbst mit der Miene ihrer ganzen mütterlichen Autorität zur Forscherinn aller ihrer Worte und Aufseherinn aller ihrer Blicke an der Seite zu haben. Man lehrt sie die Regel des Putzes, der Gefälligkeit; alle Beschäftigungen zielen dahin, um ihnen die Kunst zu gefallen einzupflanzen, natürlich zu machen, und dann fordert man, daß sie die Spröde spiele, daß sie bey den Siegen ihrer Reitze fühllos bleibe!

In der That ist auch ihre Conversation ziemlich trocken. Eine sogenannte Unschuld – nach dem alten Begriff von diesem Worte – ist leider in den Zirkeln der großen Welt nach dem heutigen Tone eine Geschöpf, das mehr zur Belästigung als Belebung der Gesellschaft beyträgt. Man unterhält sich lieber mit Weibern. Das Wesen eines Mädchens hat etwas gezwungenes, ängstiges, leeres und geziertes, das in die Länge nur ein in sie Verliebter aushalten kann. Sobald aber das Mädchen einen Liebhaber erhascht hat, in den auch ihre Ältern willigen, dann wird aus dem blöden, zimperlichen Dinge oft plötzlich ein stolzes, schnippisches, naseweises Püppchen.

Die Mädchen kennen die Vorzüge der Weiber; daher trachten sie so sehr nach diesem Stande.

Viele junge Mannspersonen meiden jene Häuser, wo reife Mädchen ohne Liebhaber sind, weil man ihre öfters widerholten Besuche gern für eine Liebeserklärung nimmt, oder sie nach einiger Zeit wohl gar zwischen vier Wänden constituirt, und zwingt, zum väterlichen und mütterlichen Protocoll auszusagen, mit welchen Absichten sie in das Haus kommen.


9. Lustmädchen»Die öffentlichen Häuser, welche seit mehreren Jahren eingegangen waren, sollen vor allen Instanzen und mediz. Behörden, als für den Gesundheitszustand der Stadt durchaus unerläßlich, wieder hergestellt werden, und man soll beabsichtigen, deren auf dem Kopniker Felde anzulegen«. Corresp. Nachr. Berlin, Humorist 1849. N. 5..

Es sind nicht fünfzehn Weiber und Mädchen in Wien, denen ihre Liebhaber Kutscher und Pferde halten; und unter diesen fahren nicht fünf als bekannte Mätressen großer Herren herum: eine Anzahl, die im Verhältniß mit andern großen Städten wahrlich geringe ist.

Größer ist die Zahl derjenigen, welche auf einem ganz artigen Fuß von reichen Liebhabern unterhalten werden; aber meistentheils in ihren Häusern versperrt sitzen, nie öffentlich mit ihren Liebhabern erscheinen, und denselben jährlich zwey bis dreytausend Gulden kosten.

Noch größer ist die Zahl derjenigen, die von minder reichen Leuten unterhalten werden, zu zwey bis dreyen bey einer gutherzigen Matrone beysammenwohnen, jährlich fünf bis sechshundert Gulden von ihrem Liebhaber ziehen, und diesem, bey plötzlicher günstiger Gelegenheit, einige Ducaten zu erwischen, von Zeit zu Zeit auf eine Viertelstunde untreu werden.

Alle diese unterhaltenen Mädchen gehen von Hand zu Hand. Es wird nach einiger Zeit entweder der Liebhaber ihrer satt, oder es bietet sich ein Anderer an, der jährlich einige Ducaten mehr verspricht, und so, wie billig, vorgezogen wird.

In die vierte Classe gehören diejenigen, welche zwar von Niemand unterhalten werden, aber doch nicht jedem zu Gebothe stehen, sondern nur bekannte gewisse gute Freunde haben, von denen sie wechselweise besucht werden.

Nach diesen folgt die Schaar derjenigen, die ganz leidlich, zum Theil auch niedlich gekleidet, in der Mittags- und Abendstunde auf den volkreichsten Straßen der Stadt herum streichen, und jeden, der seinem äußern Ansehen nach einen Gulden im Sack zu haben scheint, gutwillig mit sich nach Hause nehmen.

Die letzten, unter diese Rubrike gehörigen Mädchen sind jene brutalen Dirnen, die in den Saufhäusern der Vorstädte sich mit Bierkannen berauschen, und dann mit Soldaten, Fiakerknechten, groben Handwerksburschen &c. im wilden Taumel erliegen.

»Irre ich, frägt der Verfasser der Schwachheiten der Wiener – wenn ich behaupte, daß Wien zehntausend weibliche Geschöpfe hat, die Jedermann für jeden Preis zu Dienste stehen, und viertausend andere minder ausschweifende, die von Hand in Hand gehen? . . . Freylich irrt er: seine Rechnung ist um ein merkliches übertrieben. Ich glaube der Wahrheit näher zu kommen, wenn ich sage, daß Wien ungefähr zweytausend öffentliche Straßendirnen, und etwa fünfhundert unterhaltene Mädchen hat. . . . Ich würde jene Angabe nicht berührt haben, wenn sie nicht Herr Nicolai, trotz ihrer auffallenden Unwahrscheinlichkeit, getreulich in seine Reisebeschreibung eingetragen hätte, vermuthlich bloß, weil sie so gelegen kam, den Wienern eine Schlappe mehr anzuhängen.«

Soll ich es wiederhohlen, daß die Wienerischen Lustmädchen, im Vergleich mit den Parisischen und Berlinischen züchtig sind? Wenn man den Reisenden glauben darf, ist dieß wirklich so. In Wien wird euch ein solches Mädchen nie verfolgen, nie in den Weg treten, nie beym Rock an sich ziehen. Sie blickt euch verständlich genug an, oder sagt höchstens im Vorbeigehen leise: Kommen Sie mit? . . Dagegen beklagen sich die Dilettanten auch, daß die hiesigen Mädchen zu wenig in ihrem Metier raffiniren, daß sie nicht bequem eingerichtet sind, daß sie ihre Gesellschaft sehr wenig zu unterhalten wissen. – Wie wäre es auch anders möglich! Unter der vorigen Regierung wurde mit äußerster Strenge gegen diese armen Geschöpfe verfahren, und seit der jetzigen ist die Zeit noch zu kurz, um diesen Zweig des Luxus schon in einiger Vollkommenheit hergestellt sehen.

Ehemahls wüthete man, wenigstens dem Vorgeben nach aus religiösen und moralischen Gründen gegen den unehlichen Genuß der Liebe. Die Moralität der Sache überläßt man zwar heute dem Gewissen des Sünders; aber man hat sie dagegen zu einem politischen Problem gemacht. Immer hört man noch die Fragen: Kann der Staat öffentliche Mädchen dulden? Wie hoch kann er ihre Zahl anwachsen lassen? Bis auf welchen Grad kann er die Publizität ihres Gewerbes dulden? Soll er sie ihrem eigenen Schicksal überlassen, oder soll er eine Art von Aufsicht darüber führen? . . . daß er sie nicht gänzlich vertilgen oder aufreiben könne, scheint er wohl endlich durch sein Benehmen zu bestättigen. Das Ob? ist also so gut als entschieden, und es kömmt noch auf das Wie? an.

Indessen dünkt mich, man lege dieser Sache mehr Ernst und Wichtigkeit bey, als sie verdient. Wenn der ganze Staat mit öffentlichen Priesterinnen der Liebe angefüllt wäre, dann müßte er freylich auf kräftige Gegenmittel denken. Allein, wie ausgebreitet ist denn das Reich der Lustmädchen? Es ist die Hauptstadt und etwa noch ein Paar der größern Provinzstädte; da habt ihr den ganzen Wirkungskreis des Unwesens. Wie nun die Hauptstadt in der ganzen Form ihrer Verwaltung gewöhnlich eine große Ausnahme von der Verwaltung des Staates macht, so wird sie es auch wohl in diesem Artikel machen müssen.

So abgeschmackt und beleidigend für das Publicum es ist, wenn ein Mann, der jährlich 60000 Gulden verzehrt, dem Monarchen eine Rechnung vorpinselt, worin er klar zeigt, wie jeder Beamte von hundert Gulden Besoldung ganz bequem mit Weib und Kindern leben könne, er, der auf jede Schindmähre, die an seinem Wagen zieht, jährlich mehr verwendet; der gar keinen Begriff haben muß, was hundert Gulden für eine ganze Familie in unsern Zeiten sind, eben so abgeschmackt ist es, wenn ein Mann, der eine sehr einträgliche Stelle, ein schönes Weib, und etwa nebenher etwas noch Schöneres hat, nachdem er niedlich getafelt, und eine Stunde mit seiner schönen Frau Cabinetsruhe gehalten hat; wenn er dann hingeht, und ganz trocken predigt: Man muß der Lüderlichkeit Einhalt thun, um dadurch die Leute zum Heirathen zu zwingen.

Was sind es für Leute, die nicht heirathen wollen, die den Lustmädchen nachlaufen? Sie sind nicht aus der Classe der Bürger, der Handwerker, des geringen arbeitssamen Volkes: nein, es sind junge Cavaliers, reiche Wollüstlinge, Leute vom Mittelstande, junge Beamte, Künstler &c. die bey geringen Einkünften doch in ihrem Äußern für die große Welt präsentabel erscheinen müssen.

Wer solche Leute durch Verjagung der Lustmädchen zum Heirathen zwingen zu können glaubt, der muß die Menschen wenig kennen. Was werden die Folgen des Zwanges sein? Entweder die abscheulichsten Laster, oder man wird sich an ehrliche Weiber und Mädchen machen, und sie zu seinen Absichten zu leiten suchen. . . Man hat von jeher die Lustmädchen als moralische Strahlableiter für die Sicherheit der tugendhaften Weiber gehalten. Was die gewissen abscheulichen Laster betrifft: diese sind dem Staat sichtbar noch unendlich schädlicher als die unehliche Liebe, sie schwächen ihre Anhänger noch mehr, und bringen gar nichts hervor, da die Mädchenfreunde doch immer jährlich zwey Drittheile von Schwangern in das Gebärhaus liefern.

Endlich, wer kennt die Tyranney der Weiber, ihre Herrschsucht, ihren Stolz, ihren Trotz nicht! Da uns ein unglückliches physisches Bedürfniß von ihnen abhängig macht, so wissen sie sich ihrer Macht gewöhnlich nur zu wirksam zu bedienen. Will man einen ehrlichen Mann zur Verzweiflung, zu Unthaten; will man einen Weisen zu Albernheiten, zu Narrenstreichen verleiten, so gebe man ihn nur einer schönen Spröden Preis. Wie der arme Teufel Monathe und Jahre lang zu den Füßen der schelmischen Cokette seufzen wird; wie er Zeit und Vermögen verschwendet, ihren Genuß zu erringen, wie er darüber zum Mährchen der Stadt wird, wie er Freundschaften, Pflichten, Verbindungen vergißt und aufopfert? – In solchen verzweifelten Fällen ist kaum ein anderes Gegenmittel, als ihm ein Freudenmädchen in die Hände zu spielen: dieß kühlt sein Blut ab, und gibt ihm seine Vernunft wieder, daß er lachend seine Unerbittliche verläßt.

Die Weiber wissen, wie sehr die Lustmädchen ihrer Herrschsucht im Wege stehen; darum sind sie ihre unerbittlichen Feindinnen, und haben stets an den Verfolgungen derselben den größten Theil gehabt.


10. Der Kaiserhof!

Der Wiener Kaiserhof hat besonders unter der jetzigen Regierung eine ganz eigene Gestalt. . . . Wenn man den Maßstab von den Höfen zu Versailles, Petersburg, Madrid &c. nehmen wollte, um ihn nach denselben zu beurtheilen: so würde man vergebens suchen, gewisse Ähnlichkeiten zwischen ihnen zu entdecken.

Wer ist in Europa, der nicht von einer gewissen Gattung Geschöpfe gehört hat, die um die Häuser der Könige schwärmen, Ränke knüpfen, Gift im Busen und Honig auf den Lippen tragen; die mit beugsamen Rückgelenken und geläufiger Zunge jedem zuvorkommen, seine Geheimnisse ausforschen, ihn heute umarmen, und morgen in den Abgrund stürzen, die auf jede Frage eine Antwort fertig haben, alles wissen; den Thron umlagern; die schwache Seite des Fürsten ausspähen; ihn am Gängelbande führen, während sie ihn von Selbstherrschung träumen lassen; die ewigen Maskenhändler, welche die Göttinn der Wahrheit stündlich mit falschen Farben bepinseln, und sie so bepinselt, mit Spott und Hohn aus den Cabineten verscheuchen; deren Nahrung Cabale ist; die der Stimme des Elends und der Unschuld den ehernen Schild ihres verstumpften Gefühls entgegen halten, und ihr den Weg zum Thron abschneiden? . . . Kurz wer kennt die Pest der Höfe, die Hofschranzen nicht, welche die Triebräder und Lebensgeister so mancher europäischen Höfe ausmachen!

Geht nach Wien, und fragt nach dieser Menschengattung: man wird euch nicht verstehen. Weder der Monarch, noch die an der Verwaltung des Staates mitarbeitenden Großen leiden ähnliche Geschöpfe um sich. Überhaupt gibt es am hiesigen Hofe keine Bedienungen und Titel, die den damit Versehenen Gelegenheit und Muße verschaffen, den Höfling im gewöhnlichen Verstande zu spielen.

Es ist ein Schauspiel von einer besondern Art, wenn man die Geschichte einiger europäischen Höfe genauer ansieht, wie Günstlinge, Weiber und Priester darein wirken, wie Minister steigen und fallen, Feldherrn erschaffen und vernichtet werden, wie der Fürst mitten unter seinem Volk in einem so dichten Hofnebel lebt, sein Volk so wenig kennt, und von demselben so wenig gekannt ist, als ob er dreytausend Meilen weit von demselben entfernt lebte.

Der Hof in Wien ist auf den einfachsten Ton gestimmt. Der Kaiser ist die Seele von allen seinen Stellen, er will selbst allenthalben und alles sehen und hören, und ist beynahe täglich von Jedermann, wessen Ranges und Standes er immer sein mag, zu sprechen.

Gählinger Ministerwechsel, Hinterschleichungen der höchsten Gewalt, Protectionen ohne Grund und Verdienste, politische Eifersüchteleyen, verwickelte Intriguen und alle dergleichen kleinliche Maschinerien, sind am Hofe zu Wien Dinge, die man theils nicht kennt, theils verachtet.

Dieser einfache offene Gang der Sachen ist freylich gewissen Leuten nicht am angenehmsten, weil es nicht Jedermanns Bequemlichkeit ist, gerade zu handeln und behandelt zu werden. . . . Auch jene müßigen Gaffer, die sich bloß davon nähren, die Ärger-Chronik der Höfe auszuspähen, Anecdoten herumzutragen, um das kleine Hofgesinde herumzuschmarozen, sind nicht damit zufrieden. Aber wer bekümmert sich darum?

Der Character der deutschen Nation war von jeher etwas ernster. Es ist gut, daß der Hof in diesem Punct eine Art von Würde erhält, die auch auf die Denkart des Publicums Einfluß hat.


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