Franz Gräffer
Josephinische Curiosa
Franz Gräffer

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54. Vom Minister Thugut.

Franz Thugut war im Jahre des schmähligen Belgraderfriedens (der wieder wett zu machen mehr als einmahl seine Aufgabe war), geboren, (8. März 1739 zu Linz; starb im achtzigsten Lebensjahr, 28. May 1818 zu Wien). Er entstammte einer aus der Straubingergegend in jene von Linz hinabgezogenen Schiffersfamilie. Wie in derley Zünften nicht selten, trug sie ihren Spitznahmen Thuniggut allmählig als Geschlechtsnahmen. Er war schon Freyherr und Gesandter, als einst Joseph II., von Budweis kommend, ober Linz über die angeschwollene Donau setzend, von seinem Fuhrmann unter andern Anecdoten über Thugut auch vernahm, wie ein schlechter Spaß der Mitschüler den Vater Schiffmeister vermocht habe, um des Sohnes willen, den Nahmen in Thugut zu verändern. Sein Vater Philipp Joseph, ein Client des Kaisers Franz I., früher Schiffmeister, starb früh als Verwalter des Vicedomamtes in Linz. – Schon der Knabe Thugut zog die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, auch der practischesten Schätzmeister der Jesuiten. Der einflußreiche Pater Franz, erster Director der 1752 gestifteten orientalischen Academie und sein biederer Gehülfe Ignaz Menak, interessirten sich ungemein für den Jüngling. Kein Plebejer machte vor ihm in Österreich so schnelles Glück. Kaum zählte er 30 Jahre und er war schon Minister-Resident an der ottomanischen Pforte, und noch nicht vierzig, war er in der wichtigsten Epoche, während des grossen rußischen Krieges und der ersten Theilung Pohlens, Internuntius in Constantinopel, 1774 designirter Gesandter auf dem (nicht zu Stande gekommenen) Congreß, hatte den Türken, die zur Verbindung des neuerrungenen Galizien und Siebenbürgens höchstwichtige, Bukowina abgeschwätzt, die Freyherrn-, die Geheimrathswürde, das Commandeurkreuz des Stephansordens erhalten, – hinter Josephs Rücken und zu seinem höchsten Zorn, auf Theresia's Befehl, Friedensentwürfe zur Beylegung des bayrischen Erbfolgekrieges an Friedrich II. gemacht und den Weg zum Teschner-Congreß durch die Braunauer-Conferenzen geebnet, – Reisen nach Neapel und zweimahl nach Paris gethan, und dort die vielvermögenden königl. Schwestern, Caroline und Antonie mit den Ansichten des hohen Bruders vertraut gemacht. Er hatte sofort den Gesandtschaftsposten in Warschau angetreten, den ihm Stackelberg und Luchesini so arg verbitterten (1780), diesen Posten kurz vor dem Ausbruche des Türkenkrieges mit Neapel vertauscht, 1789 aber beym Coburg-Suwarow'schen Heere in der Moldau und Walachey, so wie bey der Einleitung der, von dem hinwelkenden Joseph zu ungeduldig herbey gewünschten Friedensanwürfe große Dienste geleistet. – In der letzten Waffenthat des Türkenkrieges, in der Belagerung von Giurgewo, erlitten die österreichischen Waffen einen Affront, wie zwey Jahre früher bey Lugos und Karansebes. Prinz Coburg recognoscirte in einiger Entfernung. Die Türken thaten einen rasenden Ausfall. Der Commandant der Trencheen, General Aufseß, wurde schwer verwundet, der Commandant der Artillerie, General Graf Thurn, zusammengehauen, die Verwirrung allgemein, die Belagerung aufgehoben. – Die Einzigen, die den Kopf nicht verloren, waren der einzige Civilist und die einzige Frau im Lager, eine Frau, zu deren ungemeiner Erhöhung Thugut nachmahls nicht weniger beytrug, als sie zu seiner Befestigung. – Er zog in allem Ernst seinen Galanteriedegen auf die Türken und machte die zweckmäßigsten Anordnungen. – Bald darauf mußte er in den kochenden Krater der Tuilerien, der unglücklichen Marie Antonie guten Rath zu geben, der aber zugleich zu früh und zu spät kam. Er führte schlau und gewandt die Unterhandlungen mit Mirabeau, die ohne dessen unvermutheten Tod nicht erfolglos geblieben wären. – In Paris von mehreren Machthabern persönlich beleidigt, voll Verachtung des französischen Heeres, angesteckt von den sanguinischen Hoffnungen, von den lügenhaften Verheißungen der Emigranten, stieß er (obgleich unvermögend, dem nunmehr versöhnten und enge verbündeten Preußen auch nur zum Schein ein freundliches Gesicht zu machen), leidenschaftlich in die Kriegstrompete, Kaunitz und Lascy, und fast alle alten Diener ohne Ausnahme des Kleinmuthes und der Kurzsichtigkeit anklagend, »weil sie den Vulkan im eigenen Innern austoben lassen«! Im zweyten Feldzuge (1793) mit Mack zu Coburgs Heer berufen, das in vier Wochen Belgien glorreich über Dumouriez erstritt, zauderte und zögerte er in Wien, wohl wissend warum? Als sein alter Freund, der Staatsreferendär Spielmann, und der Vicekanzler Graf Philipp Cobenzl, von der Gründonnerstags-Communion bey Hofe nach Hause kamen, wo Kaiser Franz besonders gnädig gegen sie gewesen, fanden sie dort ihre Entlassung, und Thugut vorerst als Generaldirector der auswärtigen Angelegenheiten. Streng und fest griff der Schiffmeisters-Sohn nach dem Ruder, und handhabte es nach Innen und nach Aussen mit möglichst wenigem Plätschern, aber desto stärkerem Schlag.

Thugut war von kaum mittlerer Größe, im vorgerückten Alter (er erreichte beynahe das achtzigste Jahr) sehr gebückt, – seine Züge die eines faunischen Mephistopheles, – selbst seine Artigkeit nicht ohne Anstrich versteckten Hohnes und eines gewissen Cynism. – Von heiterer Annehmlichkeit, von Grazie oder selbstbewusster Vornehmheit war nichts in seinem Wesen. Dennoch war er viel zu geistreich, um jemahls gemein zu seyn. Er war ungeheuer einseitig und sah doch aus wie hundert Seiten aus dem Principe! In einem Wachscabinet hätte kein Österreicher in dieser Figur einen Landsmann vermuthet, – weit eher einen Geheimschreiber Ludwigs XI., des Lodovico Moro-Sforza, des Cäsar Borgia, oder einen der vertrautesten Emissären Louvois, oder der chambre ardente.

Thugut sprach nur, wenn er wollte, und was er eben wollte. Wie Wilhelm von Oranien hätte er seine Perücke verbrannt, hätte eines seiner Geheimnisse in sie transpirirt. – Ohne Kaunitzens andoctrinirte stereotype Physiognomie, entlockte ihm nicht einmahl der leichtbewegliche Zorn eine unmotivirte Sylbe. Diesen verriethen höchstens das schnellere Abbrechen und das Zusammenziehen der buschigten, weissen Augenbraunen. – Ein Glas Wasser und sieben Pflaumen waren sein unverbrüchliches Abendessen, sein Schlaf war kurz, aber noch im hohen Greisenalter so sanft, wie eines Kindes. Oderint, dum metuant! murrte er oft zwischen den Zähnen und erzählte lachend, was Nero für ein charmanter Mann, den man nur nicht verstanden habe! und wie sehr sein: qualis artifex pereo! – wahrheittreu gewesen sey! Was sich doch begeben hätte, wenn der dicke König Friedrich von Würtemberg etwa Kaiser von Rußland und Thugut sein Minister gewesen wäre??

Seine schönsten Jahre hatte Thugut in der Türkey verlebt. Dieser Serailsduft zog durch sein ganzes Leben. Andächtig war er, wie der Verfasser des Buches: »de tribus imposteribus«. – Immer voltairisirend, liebte er den Clerus (den er nicht einmahl mehr als kräftiges Werkzeug des leidenden Gehorsams und des Nichtdenkens gelten ließ) und die Oligarchie im Sinne von Diderots bekanntem Sprüchlein. – Pohlen gab ihm die Wasserscheue gegen die Aristocraten. Paris hielt ihm das Medusenhaupt der Demokratie entgegen. Es ist auch für einen bloßen Gewaltmenschen Nichts schrecklicher, als eine (gleich empörten Elementen) unwiderstehliche Gewalt!? Man kann sich denken, was dieser Mann in seinem Innern gelitten haben mag, als er in geheimer Sendung in Paris, zum Beystande der unglücklichen Königinn und zur Unterhandlung mit Mirabeau, der gerade jetzt im verhängnißvollsten Augenblick hinweg starb und aus welcher Thugut Nichts mitbrachte, als den jungen talentvollen Geheimschreiber des Verstorbenen, Pellenc, der zwanzig Jahre als einer der geheimen Arbeiter und französischen Redacteurs der Staatskanzley in Wien lebte, und erst nach dem Kriege vom 1809 kurz vor Bonaparte's Vermählung wieder in sein Vaterland ging. – Trotz des allgewaltigen Unterdrückungs- und Verfinsterungs-Instinktes liebte Thugut (für sich selbst) die Gelehrsamkeit. Er liebte den Umgang mit Gelehrten, weil er lieber fragte, als las. Übrigens war seine geschichtliche, seine staatsrechtliche und seine politische Bildung eine französische. – Sieben Jahre lang war er unbeschränkter Premierminister.

Der 34jährige, kraft- und talentvolle, in jedem Verwaltungszweig einheimische, in literarischer, devoter und absolutistischer Richtung mit ihm übereinstimmende, Graf Franz von Saurau schloß sich bald an ihn, und schlug zugleich eine, freylich nur lückenhafte, Laufbrücke zwischen dem despotischen Emporkömmling, und zwischen der durch die Emigranten so sehr gesteigerten haute volée. Thugut brachte den Grafen Saurau an die Spitze der Polizey und der Finanzen. Im Hofkriegsrathe duldete er nur blind gehorchende Schreiber. – (Hormayr: Lebensbilder aus dem Befreyungskriege; Auszug.)


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