Franz Gräffer
Josephinische Curiosa
Franz Gräffer

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VI. Kaiser Joseph in Paris.

(Skizzirt von zwey französischen Damen.)

1.

Seit der Thronbesteigung Ludwigs XVI. erwartete die Königinn den Besuch ihres Bruders des Kaisers Joseph II. Dieser Fürst war gewöhnlich der Gegenstand ihrer Unterhaltung, sie rühmte seinen Verstand, seine Liebe zur Arbeit, seine militärischen Kenntnisse, seine außerordentliche Einfachheit. Se. Majestät wünschte lebhaft, einen seines Ranges so würdigen Fürsten am Versailler Hofe zu sehen. Endlich wurde der Augenblick der Ankunft Joseph des II. unter dem Nahmen eines Grafen von Falkenstein angekündigt und selbst der Tag festgesetzt, an welchem er in Marseille eintreffen sollte. Die ersten Umarmungen der Königinn und ihres Bruders hatten das ganze königliche Haus zum Zeugen. Dieses Schauspiel war sehr rührend . . . Anfangs wurde der Kaiser allgemein bewundert: Die Gelehrten, die unterrichteten Militärs, berühmten Künstler, priesen alle den Umfang seiner Kenntnisse. Weniger Huldigungen empfing er am Hofe, und noch weniger von Seiten der Königinn und des Königs. Die Königinn sprach mit ihm von den Appartements, die sie für ihn im Schlosse hatte einrichten lassen, allein er antwortete, daß er keinen Gebrauch davon machen werde, da er auf der Reise stets im Wirthshause (au cabaret – ce fut sa propre expression –) wohne. Die Königinn bestand jedoch auf ihrem Anerbieten und versicherte ihn, daß er ganz frey und von allem Lärm entfernt seyn werde. Er antwortete: er wisse, daß das Schloß von Versailles sehr groß sey, und daß man darin so viele »polissons« logiere, daß er wohl auch einen Platz finden könne, allein sein Kammerdiener habe schon in einem Gasthof sein Feldbett zurecht gelegt, und er wolle dort wohnen.

Er speiste mit dem König und der Königinn, und soupirte mit der ganzen Familie. Er zeigte Interesse für die Prinzessinn Elisabeth, die eben die Kinderschuhe ausgezogen hatte, und die ganze Frische dieses Alters besaß. Es ging damahls das Gerücht von einer Heirath mit dieser jungen Schwester des Königs, allein ich glaube, es hatte keinen Grund.

Ich war täglich bey dem Diner der Königinn. Der Kaiser sprach dabey viel und anhaltend, und drückte sich in unserer Sprache mit Leichtigkeit aus. Die Seltsamkeit seiner Ausdrücke machte diese Unterhaltungen pikant. Ich hörte ihn öfters sagen, daß er die choses spectaculeuses liebe; womit er alles bezeichnen wollte, was einen interessanten Anblick gewährte. Er verhehlte seine Vorurtheile gegen die Etikette und Gebräuche des Hofes keineswegs, und machte sie oft sogar in Gegenwart des Königs zum Gegenstand seiner Sarkasmen.

Der König lächelte, und erwiederte kein Wort, die Königinn schien es anfangs zu dulden. Der Kaiser beschloß oft seine Erzählungen von dem, was er in Paris gesehen und bewundert hatte, mit Vorwürfen gegen den König, dem die merkwürdigsten Dinge unbekannt waren; er konnte nicht begreifen, wie man so viele Schätze an trefflichen Gemälden im Staub der Magazine verwahrlosen könne, und sagte eines Tages zu ihm, daß er selbst die größten Meisterstücke, die er besäße, nicht kennen würde, wäre es nicht üblich, einige davon in den Appartements von Versailles aufzustellen. Er warf ihm auch vor, daß er weder das Invalidenhaus noch die Militärschule besucht habe, und sagte ihm sogar in unserer Gegenwart, daß er nicht nur Alles, was in Paris wäre, kennen, sondern auch Reisen im Lande machen und in jeder seiner großen Städte einige Tage sich aufhalten sollte.

Die Königinn wurde endlich durch die Aufrichtigkeit ihres Bruders verletzt und machte ihm darüber Vorwürfe. Eines Tages war sie beschäftigt mit Unterzeichnung einiger Anordnungen und Befehle zu Zahlungen für ihren Haushalt, und unterhielt sich mit Herrn Augeard, ihrem Secretär, der ihr nach und nach die Papiere zur Unterschrift überreichte und sie wieder in sein Portefeuille legte. Während dieser Beschäftigung ging der Kaiser im Zimmer auf und ab, plötzlich aber blieb er stehen, um der Königinn strenge Vorwürfe zu machen über den Leichtsinn, mit welchem sie die Papiere unterschrieb, ohne sie gelesen zu haben. Er stellte ihr die Gefahr dieses Verfahrens vor. Die Königinn antwortete, daß man die besten Grundsätze schlecht anwenden könne, daß ihr Secretär ihr volles Vertrauen verdiene, und daß sie bey ihrem Verfahren nichts riskire, da alle Zahlungen in der Rechnungskammer einregistrirt würden.

Die Toilette der Königinn war nicht minder ein Gegenstand der unaufhörlichen Critik des Kaisers. Er machte ihr den Vorwurf, daß sie so viele Moden eingeführt habe, und neckte sie wegen des übermäßigen Auflegens von Roth, an das sich seine Augen nicht gewöhnen konnten. Eines Tages, als sie mehr als gewöhnlich auflegte, ehe sie ins Schauspiel ging, rieth er ihr noch mehr aufzulegen und sagte, indem er auf eine Dame wies, welche in der That sehr stark geschminkt war: »Noch ein wenig unter die Augen daß sie aussehe wie eine Furie und wie diese Dame.« Die Königinn bath ihren Bruder, seine Laune zu mäßigen, und seine Späße nur an sie zu richten, besonders wenn sie nichts Verbindliches enthielten. Diese Art, alle Gebräuche zu critisiren, wurde den Leuten, welche an den alten Sitten hingen, sehr unangenehm, und sie wußten ihm wenig Dank für seine übel angebrachte Offenheit.

Die Königinn hatte mit dem Kaiser eine Zusammenkunft im théâtre italien verabredet, besann sich aber eines Andern und begab sich ins théâtre français. Sie schickte einen Pagen in das théâtre italien und ließ ihren Bruder bitten, zu ihr zu kommen. Der Kaiser verließ in Begleitung des Herrn de la Ferté, Intendanten der menus-plaisirs, die Loge, welcher sehr bestürzt war, als er den Kaiser zu dem Schauspieler Clairval sagen hörte: »Eure junge Königinn ist sehr unbesonnen, aber glücklicherweise mißfällt das euch Franzosen nicht.«

Ich befand mich mit meinem Schwiegervater in einem Cabinet der Königinn. Der Kaiser kam dahin, um sie dort zu erwarten, und da er wußte, daß Herr Campan das Amt eines Bibliothekars bekleidete, so unterhielt er sich mit ihm über die Büchersammlung der Königinn. Nachdem er von unsern berühmtesten Schriftstellern gesprochen, sagte er: »Zuverlässig gibt es hier keine Werke über Finanz- und Staatsverwaltung.«

Diesen Worten folgte seine Meinung über Alles was in diesem Fache geschrieben wurde, über unsere berühmten Minister Sully und Colbert, über die Fehler, welche unaufhörlich in Frankreich begangen würden und zwar in Dingen, welche für die Wohlfahrt des Reiches höchst wichtig wären, über die Reformen, welche er selbst in Wien vornehmen würde, wenn er die Macht dazu erlange. Er sprach so mit Herrn Campan, den er beym Rockknopf hielt, über eine Stunde mit der größten Heftigkeit und ohne den geringsten Rückhalt und Mäßigung über die französische Staatsverwaltung, was sehr unpassend gefunden wurde. Das Erstaunen und der Respect veranlaßte uns zu tiefem Stillschweigen, und da dieser Unterredung Niemand zuhörte als ich und Herr Campan, so nahmen wir uns vor, nie davon zu sprechen.

Der Kaiser liebte es, die geheimen Anecdoten von den italienischen Höfen zu erzählen, welche er besucht hatte; die eifersüchtigen Zänkereyen zwischen dem König und der Königinn von Neapel amüsirten ihn sehr. Er schilderte vollkommen die Manieren dieses Monarchen. Er erzählte auch viel von dem Hofe zu Parma, von welchem er mit ziemlicher Geringschätzung sprach. Von seinem Bruder dem Großherzog von Toscana, erzählte er eine heitere Anecdote: Bey einer Zusammenkunft des Großherzogs von Toscana mit dem Könige von Neapel sprach der Erstere viel von den Veränderungen, welche er in seinen Staaten bewirkt habe. Der Großherzog hatte eine Menge neuer Edicte ergehen lassen, um die Vorschriften der Öconomisten in Ausübung zu bringen, in der Hoffnung, dadurch das Glück seines Volkes zu befördern. Der König von Neapel ließ ihn lange reden, dann stellte er ihm die einfache Frage: wie viel er wohl neapolitanische Familien in Toscana zähle? Der Großherzog hatte ihre kleine Zahl bald ausgemittelt. »Wohlan, mein Herr Bruder,« versetzte hierauf der König von Neapel, »ich begreife dann nicht, warum Ihre Völker so wenig das Glück suchen; denn ich habe viermahl mehr ansässige Familien aus Toscana in meinen Staaten, als Sie neapolitanische bey Ihnen haben.«

Als eines Tages die Königinn mit dem Kaiser in der Oper sich befand, und der Letztere verborgen bleiben wollte, nahm ihn die Königinn bey der Hand und zog ihn mit einiger Gewalt zu den ersten Plätzen hervor. Diese Art einer Vorstellung ihres Bruders, machte auf das Publicum den größten Eindruck. Man gab Iphigenie in Aulis. Man verlangte mit großer Hitze die Wiederholung des Chors: Chansons, célébrons notre Reine, und begleitete ihn mit allgemein stürmischem Beyfall.

Im kleinen Trianon wurde eine Festlichkeit neuer Art gegeben. Die Kunst mit welcher man den englischen Garten erleuchtet hatte, machte einen reizenden Effect; Sträucher und Blumen waren von kleinen Lampen beleuchtet und stellten sich in dem seltsamsten und angenehmsten Farbenspiel dar. Einige hundert Reisbündel unterhielten hinter dem Tempel der Liebe im Graben eine große Helle. Das Local erlaubte nicht, eine große Anzahl von Hofleuten zu dem Feste zuzulassen. Die nichtgeladenen Personen wurden mißvergnügt, und das Volk, welches nur die Feste verzeiht, welche es genießt, nahm großen Antheil an den Gerüchten, welche die Mißgunst ausstreute, und nach welchen die Kosten dieser Festlichkeit so groß waren, daß die verbrannten Reisbündel die Zerstörung eines ganzen Waldes erfordert zu haben schienen. Die Königinn, welche davon Nachricht erhielt, wollte durchaus genau wissen, wie viel Holz verbraucht wurde und man erfuhr, daß 1500 Reisbündel hingereicht hatten, das Feuer bis 4 Uhr Morgens zu unterhalten.

Alle Offiziere der Kammer der Königinn hatten während des Aufenthaltes des Kaisers oft Gelegenheit, ihm zu dienen; man erwartete, daß er vor seiner Abreise Geschenke vertheilen werde. Es war ihnen jedoch durch ihren Eid verbothen, Geschenke von fremden Fürsten anzunehmen; man kam daher überein, daß man vorerst die Geschenke des Kaisers ablehnen werde, um mittlerweile die Erlaubniß zur Annahme derselben auszuwirken. Der Kaiser, von diesem Gebrauch unterrichtet, enthob alle diese ehrlichen Leute ihrer Verlegenheit und reiste ab, ohne ein einziges Geschenk zu machen.

Madame de Campan.
(Mémoires sur la vie privée de
Marie Antoinette.)

2.

Der Kaiser kam vorgestern zwischen 5 und 6 Uhr Abends an; er stieg bey seinem Gesandten ab, der ihn wegen eines Hämorrhoidalzufalles nicht begleiten konnte. Er war gestern Morgens in Versailles und besuchte alle Prinzen und Minister. Er zeichnete sich durch eine hinreißende Leutseligkeit aus. Man sagt, er werde keinen Besuch annehmen, aber Jedermann als Graf Falkenstein seinen Besuch abstatten.

Der Kaiser wird allgemein bewundert; er war gestern in der Academie der Wissenschaften. Man erwartete ihn dort seit 12 bis 14 Tagen, und Alles war vorbereitet, um in seiner Gegenwart einige chemische Experimente vorzunehmen. Er wollte durchaus keinen ausgezeichneten Platz einnehmen; es hatte den Anschein, daß er keine andere Academie besuchen werde. Es vergeht kein Tag, an welchem er nicht einige Anstalten, Manufacturen &c. besucht. Er schläft bei seinem Gesandten, dem Grafen von Mercy, steht um 8 Uhr Morgens auf, macht alle seine Touren bis 2 Uhr, worauf er sich in das Hotel de Treville begibt, wo sein ganzes Gefolge wohnt. Er speist dort mit Colloredo, Cobenzl, Belgiojoso, und geht dann mit ihnen oder ohne sie aus. Zuweilen besucht er das Schauspiel, oder die Häuser in der Umgebung von Paris. Er beobachtet Alles, kritisirt nichts; ich glaube, er ist über die außerordentliche Pracht unsers Hofes erstaunt, aber nicht eifersüchtig darauf. Die Schöngeister müssen sehr erstaunt seyn, wegen der geringen Aufmerksamkeit, welche er ihnen erweist, deßhalb erscheint weder in Versen noch in Prosa etwas zu seinem Lobe. Man gibt ihm Dienstag ein Fest im Trianon, und Donnerstag eines in Coisy.

Man spricht hier nur vom Kaiser. Durch Zufall bekam ich ihn zu sehen, ich soupirte am vergangenen Montag bey Necker, und kam um halb 10 Uhr dahin. Der Kaiser war dort seit ein Viertel auf 8 Uhr, hatte sich fast zwey Stunden lang mit Herrn Necker unterhalten, worauf er sich zu Madame Necker verfügte, welche die Herren Gibbon, Boismont, Marmontel und Schouwaloff bey sich hatte. Als ich zur Thüre hineinkam, ging er mir entgegen und sagte zu Madame Necker: »Stellen Sie mich vor.« Ich machte eine tiefe Verbeugung und begab mich auf mein Fauteuil. Er ließ sich hierauf in ein kleines Gespräch mit mir ein. Er blieb bis nach 10 Uhr. Er spricht unsere Sprache sehr gut, ist sehr einfach und wundert sich daß man darüber erstaunt. Er sagt, der natürliche Zustand sey nicht der eines Königs, sondern der Menschen. Es gibt nichts was er nicht sehen oder wissen wollte. Er war Freytags in der Academie der schönen Wissenschaften und gestern in der Academie française. Man weiß den Tag seiner Abreise nicht. Er hat hier große Anerkennung gefunden, allein, da er Niemand auszeichnete, so fangen Jene, welche ausgezeichnet seyn wollen, an, in seinem Lobe zu erkalten. Er wollte Herrn Turgot sehen, und war in dieser Absicht bey der Herzoginn von Enville, und hierauf bey Madame Blondel, unter dem Vorwande, daß Herr Blondel als bevollmächtigter Minister in Wien gewesen sey, und daß er Alle besuche, welche dort gewesen sind. Er schwatzte viel mit Herrn Turgot, welchen er bey diesen beyden Damen antreffen konnte. Wahrscheinlich hat er ihn kennen lernen wollen, weil sein Verwaltungssystem in Florenz angewendet wurde.

Bey seiner Unterredung mit Herrn Necker waren die Herren Colloredo, Mercy, Cobenzl und Belgiojoso gegenwärtig. Noch muß ich Ihnen von einem glücklichen Zufall erzählen, der sich in der comédie française, in Anwesenheit des Kaisers ereignet hat. Man gab den Ödipus, in welchem (2. Akt. 21. Scene.) Jocaste von Laius sagt:

Ce Roi plus grand que sa fortune (!!)
Dedaignait comme vous une pompe importune:
On ne voyoit jamais marcher devant son char
D'un bataillon nombreux le fastueux rempart:
Au milien des sujets soumis à sa puissance,
Comme il était sans crainte, il marchait sans défense;
Par l'amour de son peuple il se croyoit garde.

Bey diesen Versen erhob sich ein stürmischer Beyfall.

Er war überall; er hat die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erforschen wollen, man weiß nicht, welche Epoche er vorzieht. Man hat sich vielleicht zu sehr daran gewöhnt, ihn zu sehen; die Eindrücke, welche er gemacht hat, sind abgenützt, die Einfachheit gefällt, aber auf die Länge scheint sie weniger pikant. Ich glaube, seine Reisen werden ihm nützlich seyn; er schreibt jeden Abend Alles auf, was er gesehen, gehört und behalten hat. Sein Kopf wird mit vielen Kenntnissen angefüllt werden, es können daraus Gedanken entspringen. Es hat allen Anschein, daß er ein sehr guter Souverän werden und mehr ihrem Heinrich VII. oder Carl V. gleichen wird, als Friedrich II.

Marquise du Deffand.
(Lettres à Horace Walpole.)


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