Franz Gräffer
Josephinische Curiosa
Franz Gräffer

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XIII. Joseph II. letzte Augenblicke; sein Characterbild &c., der Kaiserinn Catharina von Rußland

geschildert vom Prinzen de Ligne, am 21. Februar 1790.

Er ist nicht mehr, Madame; der Fürst ist dahin welcher der Menschheit Ehre machte; der Mensch, welcher der Fürsten Stolz und Ruhm war! Dieser glühende Geist ist erloschen, wie ein Licht, dessen äußerer Gehalt aufgezehrt ist; und sein gerühriger Körper liegt zwischen vier Bretern still. – Ich habe seine theuren Überreste begleitet, und war einer von den Vieren, die sie zu den Capuzinern trugen. Gestern würde ich nicht im Stande gewesen seyn, Ew. kaiserlichen Majestät davon Bericht abzustatten. –

Joseph der Zweyte ist mit Standhaftigkeit, wie er lebte, gestorben: mit demselben methodischen Geiste, der ihn beginnen ließ, hat er geendet. Er selbst ordnete den Zug, welcher das heilige Sacrament begleitete, das ihm an sein Bett getragen wurde, und richtete sich auf, um zu sehen, ob alles sey, wie er angeordnet.

Als der niederwerfendste Schlag – der letzte Schlag des SchicksalsDer Tod der Erzherzoginn, gebornen Prinzessinn von Würtemberg. – seiner Leiden Gipfel ihn erreichen ließ, fragte er: »Wo wird man die Leiche der Prinzessinn beysetzen?« – Man antwortete, in der Capelle? – »Keineswegs,« sagte Joseph, »das ist mein Ort; man würde genöthigt seyn, sie wieder fortzunehmen. Bringt sie an einen andern Platz, wo sie ruhig stehen bleiben kann.« –

Ich gewinne Kraft an diesen kleinen Zügen; ich glaubte nicht, einen solchen Bericht fortsetzen zu können.

Er wählte und bestimmte die Stunden für die Gebethe, welche ihm vorgelesen wurden. So viel er es vermochte, las er deren auch selbst; und auch in Erfüllung der christlichen Pflichten hatte es bey ihm das Ansehen, als ob er seine Seele ordne, wie er in seinem Reiche alles hatte selbst ordnen mögen. Den Arzt machte er zum Baron, welcher ihm die letzte Wahrheit nicht vorenthielt, und hatte ihn so lieb, daß er ihn bath, sein Leichenbegängniß bis an das Grab zu begleiten; er bath ihn, den Tag und wo möglich die Stunde, wo er hinabsteigen werde, zu bestimmen; und nur zu bestimmt sagte es der Arzt vorher. Der Kaiser sprach mich wenige Tage vor seinem Tode, als ich von der Armee aus Ungarn, die ich nach Schlesien geführt hatte, zurückgekommen war. »Ich befand mich gestern nicht in dem Zustande, Sie zu sehen,« waren seine Worte, »Ihr Land tödtet mich; – mit Gents Einnahme begann mein Todeskampf, und Brüssel verlassen, ist mein Ende! – welche Beschimpfung für mich! (Er wiederholte das Wort öfter.) Ich sterbe daran. – Der müßte von Holz seyn, der anders könnte. – Ich danke Ihnen für alles, was Sie mir gethan haben. – London hat mir viel Gutes von Ihnen gesagt. – Ich danke Ihnen für Ihre Treue. – Gehen Sie nach den Niederlanden.. Lassen Sie sie zu ihrem Monarchen zurückkehren, und wenn Sie das nicht können, so bleiben Sie dort; opfern Sie mir nicht alle Ihre Vortheile, – Sie haben Kinder! –«

Des Kaisers Worte haben mich so lebendig durchdrungen, sind meiner Erinnerung so fest eingeprägt, daß Ew. kaiserliche Majestät dessen gewiß seyn können: nicht eins steht hier, das er nicht gesagt hat. Mein Benehmen soll meine Antwort seyn: es ist unnütz, daß ich von Thränen unterbrochene Worte wiederhole.

»Hat man hier und da Thränen vergießen sehen, als mir das heilige Abendmahl gereicht ward?« fragte der Kaiser Frau von Chanclos, die er kurz darauf gewahr ward. Ihre Antwort war: »Ja, ich habe unter mehreren den Prinzen von Ligne sehr heftig weinen sehen.«

»Ich glaubte nicht, so viel werth zu seyn,« erwiederte der Kaiser fast in einem schmerzhaften Tone.

Übrigens, Madame, soll ich es zur Schande der Menschheit sagen? Vier große Monarchen sah ich sterben; man beklagte ihren Verlust erst ein Jahr nach ihrem Tode; man hofft die ersten sechs Monathe, und man lästert in den sechs folgenden. So geschah es bey Maria Theresiens Hinscheiden. Man fühlt kaum den Verlust.

Die Neugierigen, die Gleichgültigen, die Ränkesüchtler beschäftigen sich mit den neuen Regenten.

Nur erst in einem Jahre wird der Soldat sagen: Joseph der Zweyte hat vor den Dämmen von Beschania den Kanonenkugeln, und in den Vorstädten von Sabatsch dem heftigsten Flintenfeuer gestanden: der Tapferkeit Denkmünzen schlagen lassen!. Der Reisende aber wird sagen: welche herrliche Stiftungen für Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse und Erziehungsanstalten! Der Manufacturist: welche Aufmunterungen! – – – Der Landmann: er selbst baute Felder an! der Ketzer: er selbst war unser Vertheidiger! die Vorsitzer aller Gerichtskammern, die ersten der Staatsbehörden: er war unser erster Geschäftsführer und Aufseher zugleich! die Minister: er arbeitete sich zu Tode für den Staat, dessen erster Unterthan, seinen eigenen Worten gemäß, er seyn wollte! der Kranke: uns besuchte er ohne Aufhören! der Bürger: unsere Städte verschönerte er durch herrliche Plätze und Spaziergänge! der Bauer, der Dienstmann, der Hausvater, alle werden sagen: wir durften zu ihm reden, wie wir wollten; er war unsere Zuflucht, wenn wir Raths bedurften! – seine gesellschaftlichen Umgebungen: er war zuverläßig, liebreich, ein lustiger Erzähler; seine Unterhaltung sinnreich; man konnte über alles mit unverstellter Wahrheit mit ihm reden!

Doch, Madame, ich wollte Ihnen den Tod des Kaisers erzählen, und unterhalte Sie von seinem Leben!

Ihro kaiserliche Majestät sagten mir vor zehn Jahren auf dem Wege nach Czarskozelo: – Ihr Monarch hat einen Geist, der immer zum Nützlichen sich wendet. Nichts Leichtfertiges in seinem Denken; er ist wie Peter der Erste, er vergönnt, daß man ihm widerspreche, wird nicht beleidigt, wenn man sich weigert, seine Meinung anzunehmen, und mag überzeugen, ehe er befiehlt.

Gemälde Josephs des Zweyten.

Wenn es hinreichend wäre, um den Nahmen des Großen zu erhalten, aller Niedrigkeit unfähig zu seyn, so würde man sagen können, Joseph der Große! allein ich fühle, daß mehr dazu gehört, um diesen Beynahmen zu verdienen. Ein glorreiches, glänzendes, glückliches Herrscherthum, ruhmwürdige Kriegsglücksfälle, unerwartete Unternehmungen, sieggekrönte Erfolge; vielleicht auch schimmernde Feste, Vergnügen und Pracht! Ich vermag nach dem Tode nicht mehr zu schmeicheln als im Leben. Die Umstände versagten Joseph dem Zweyten glänzende Veranlassungen, sein Inneres kund zu thun. Es war ihm nicht gegeben, ein großer Mensch zu seyn; aber er war ein großer Fürst, und der Erste unter seines Gleichen. Weder der Liebe, noch der Freundschaft sich hingebend, vielleicht, weil er sich zu sehr zu ihnen gezogen fühlte; zuweilen Berechnetes in seine Neigungen mischend hielt er zurück im Vertrauen, weil er sah, wie andere Monarchen durch Maitressen, Beichtväter, Minister oder Freunde betrogen wurden; hielt zurück in der Nachsicht, weil er vor allem gerecht zu seyn begehrte, künstelte sich Strenge an, wenn er nur glaubte, pünktlich zu seyn. Man erhielt vielleicht sein Herz, ohne es zu verdienen, allein, man konnte sicher seyn, seine Achtung nie zu verfehlen. Joseph fürchtete für partheyisch bey der Austheilung von Gnadenbezeigungen zu gelten: gewährte sie ohne Anmuth, und versagte sie eben so hart. Er verlangte vom Adel mehr Adel, und verachtete ihn heftiger als jede andere Classe, wenn Adel ihm fehlte; allein falsch ist es, wenn man annimmt, er habe in seinen Rechten ihn kränken wollen.

Er forderte nur darum für sich die höchste Obergewalt, um keinem Rechte einzuräumen, Übles zu thun. – Schonungslos beraubte er sich selbst aller Freuden des Lebens, um Andere zu steter Arbeit zu verpflichten, weil von allen Menschen auf Erden die Müßigen seinen größten Abscheu erregten. Eine treffende Antwort, eine kühne Vorstellung konnte ihn unmuthig machen; dann rieb er sich die Hände, ging einige Minuten im Zimmer einher, kehrte zurück, und hörte, antwortete, untersuchte, als ob nichts vorgefallen sey. Des Kaisers Erziehung war, gleich der so vieler Monarchen, aus übergroßer Sorgfalt versäumt gewesen, man unterrichtet sie in allem, außer in dem, was sie wissen sollen. Joseph der Zweyte hatte in seiner Jugend keine Liebenswürdigkeit versprochen, und erhielt sie plötzlich bey seiner Krönung in Frankfurt. Reisen, Feldzüge, und der Umgang mit einigen ausgezeichneten Frauen vollendeten seine Bildung. Er liebte Vertraulichkeit, und wußte doch an sich zu halten, wenn gleich in alles sich mischend. Seine Sitten waren angenehm, und niemahls pedantisch. Ich habe ihn auf Pergament-Tafeln, deren er immer bey sich trug, einer jungen Person, welche seine Mutter verlassen wollte, die sie zur Verzweiflung brachte, Vorschriften der Moral, der Sanftmuth und des Gehorsams, und einer andern jungen Person, mit deren Fortschritten – nachdem er einer Unterrichtsstunde ihres Meisters beygewohnt – er nicht völlig zufrieden war, Musikregeln aufschreiben sehen. Er konnte es den Leuten gleich anmerken, ob man einer Verordnung, einer Unternehmung, einer Bestrafung wegen mit ihm unzufrieden war. Dann wendete er etwas auf, um mit der Gesellschaft wieder gut zu stehen, den Reiz seiner Unterhaltung, seiner Galanterie gegen die Frauen verdoppelnd; dann rückte er ihnen den Sessel zurecht, öffnete hier eine Thür, verschloß dort ein Fenster, durch seine Beweglichkeit den Dienst im ganzen Zimmer versehend. – Seine Höflichkeit war zugleich eine Sicherheitsmaßregel gegen Vertraulichkeit. Er fühlte genau die kleinen Übergänge: ihm ging die Art von Leutseligkeit ab, von der so viele andre Monarchen ein Gewerbe machen, die ihnen behilflich seyn muß, ihre Übergewalt anzudeuten. Joseph verbarg die, welche in so vielen Rücksichten sein Heil war; dabey erzählte er leicht, und mit sehr viel natürlichem Geiste.

Doch weder zu trinken, noch zu essen, noch sich zu ergötzen, noch etwas Anderes, als Geschäftssachen zu lesen, verstand er; war zu sehr Herrscher und nicht eigentlich Regierer! Seine musikalische Unterhaltung im Laufe des Tages machte er sich selber. Dabey stand er um sieben Uhr auf, und lachte während des Anziehens wohl manchmahl, ohne sich gemein zu machen, wenn gleich seine Kämmerlinge, Wundärzte und die übrigen Leute, die ihn sämmtlich anbetheten, von ihm zum Lachen gebracht wurden.

Von acht Morgens bis Mittag ging er in seinen Kanzleien umher, dictirte, schrieb, corrigirte eigenhändig; des Abends war er im Schauspiele.

Beym Hinausgehen aus seinem Zimmer in das Cabinet begegnete er oft zwanzig, dreyßig, bis auf hundert dürftig gekleideten Männern und Weibern aus dem Volke, deren Bittschriften er empfing, mit ihnen redete, sie tröstete, schriftlich oder anderweitig am andern Tage, zur selbigen Stunde, ihnen Antwort ertheilend, und Klagen, die ihm unstatthaft schienen, mit Stillschweigen übergehend. Er schrieb nur dann schlecht, wenn er allzugut schreiben wollte; seine Wortstellungen waren lang und verwickelt. Vier Sprachen verstand er vortrefflich, zwey andere mittelmäßig.

Sein Gedächtniß, in der Jugend geschont, ward vielleicht erst späterhin tüchtig; denn nie vergaß er ein Wort, ein Geschäft, eine Gestalt. Leute, welche zum Vortritt bey ihm erschienen, ließ er neben sich im Zimmer herumgehen, fast mit überströmender Wortfülle und halb lachend das Gespräch fortführend; er faßte wohl gar einen solchen Mann beym Ellbogen, halb erschreckt wieder in sich gehend, und mit dem Scheine, es zu bereuen, sein ernsthaftes Ansehen wieder annehmend. Oft auch unterbrach er sich, um Holz in den Kamin zu legen, oder die Zange zu brauchen, oder einen Augenblick an das Fenster zu treten.

Nie blieb er eines gegebenen Wortes Schuldner; über das Böse, was man von ihm sagte, machte er sich lustig. Den Papst, den Großherrn, das Reich, Ungarn, Preußen und die Niederlande hat er in Schrecken gesetzt. Die Furcht, für ungerecht gehalten zu werden, und Unglückliche zu machen, wenn er mit bewaffnetem Arme, was er angefangen, durchsetzte, hielt seine Plane an, welche fast immer die Frucht der ersten Aufwallung waren.

Dem heiß bewegten Blute Joseph's des Zweyten muß man die Unruhe seiner Regierung beymessen: er vollendete und feilte keines seiner Werke, und sein einziges Unrecht ist gewesen, vom Guten, gleichwie vom Bösen, nur Umrisse entworfen zu haben.


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