Franz Gräffer
Josephinische Curiosa
Franz Gräffer

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XXXIV. Joseph in Windeln beym Preßburger-Reichstag.

Wie?   Was?   Wann?

(Die gründlichste Widerlegung seitheriger Angaben.)

Jenen ewig denkwürdigen Augenblick, wo die große Theresia in ihrer Bedrängniß die Hülfe der edlen Ungarn in Anspruch nahm, und begeistert und donnernd das classische: »Moriamur pro rege nostro Maria Theresia« erscholl, können sich noch jetzt gar Manche nicht anders vergegenwärtigen, als daß die Königinn das Kind Joseph auf dem Arme gehabt, es empor und den Ungarn hingehalten, daß Letztere die Säbel gezogen zum Schwur und dergleichen. Ja selbst in neueren und neuesten »geschichtlichen« Darstellungen, sogar von renommirten Schriftstellern wird diese theatralische Scene fort und fort weiter verpflanzt. Unser edler ehrenwerther Barde Denis z. B. der, wie angenommen wird, damahls in Preßburg anwesend war, sagt in seinen überaus wohlschmeckenden Lesefrüchten (2r Theil, S. 216, Artikel Theresia): »Unter allen den merkwürdigen Auftritten in dem Leben dieser ewig unvergeßlichen Monarchinn weide ich mich an keinem so gern, als an dem im Jahre 1741 zu Preßburg gehaltenen LandtageRumy vor 20 Jahren verlangte im »Österreichischen Beobachter« daß man Reichstag sage., auf dem sie mit ihrem Erstgebornen in den Armen, jene Begeisterung der edlen ungarischen Nation hervorbrachte, die ganz Europa staunen machte, und gleichsam die Grundlage zur folgenden Größe der Fürstinn ward. Ich habe diese Begebenheit im IV. Liede meiner Bardenfeyer am Tage Theresia besungen; ich habe sie aus einem englischen Dichter verdeutschet meinen Zurückerinnerungen einverleibet; und unlängst bin ich in einem Protrepticon inclitae nationi hungaricae wieder auf sie zurückgekommen &c.« Also auch Denis; nicht zu gedenken, daß diese Scenen häufig in großen und kleinen Kupferstichen, oder als Titelbild (wie bey Kalchberg) existiren. Gleichwohl aber hatte die unsterbliche Fürstinn (wirklich Rex nicht bloß einfach Regina) weder den Prinzen Joseph auf dem Arme (er war damahls 6 Monathe alt; in mehreren Abbildungen aber erscheint er im ungarischen Nationalcostüm und in einem Alter von eben so vielen Jahren), noch hatten die Magyaren die Säbel gezogen u. s. w.

Das Unhistorische dieser und anderweitiger damit im Zusammenhange stehender Angaben ist allerdings hier und da berichtigt worden; von Niemanden aber noch mit solch einleuchtender Nachweisung und schlagender Augenscheinlichkeit, wie von dem geist- und kenntnißreichen Grafen Johann MailáthÖsterreichische Zeitschrift für Geschichts- und Staatskunde, Jahrgang 1835, Wien; redigirt und herausgegeben von dem hochschätzbaren Forscher und Historiker Herrn J. P. Kaltenbaeck, jetzigem k. k. Archivar.. Wir erlauben uns daher, diese wichtige Darlegung unserer Curiositätensammlung einzuverleiben. Unter dem Titel: »Der Landtag 1741« stellt der Herr Graf die Sache folgendermassen fest:

Es ist eine allgemeinverbreitete, selbst in bedeutende Geschichtswerke, namentlich in Feßlers Geschichte der Ungarn B. X. S. 97 und 98 übergegangene Sage, daß die Kaiserinn Maria Theresia den ungarischen Reichstag eröffnet habe, mit ihrem erstgebornen Sohn auf dem Arm, daß von diesem Anblick gerührt die Ungarn, deren Schutz sie anrief, ihre Säbel gezogen, und gerufen: Moriamur pro rege nostro Maria Theresia! Der Erste, welcher an der Wahrheit dieser Sage zweifelte, war ich. Im letzten Capitel meiner Geschichte der Magyaren habe ich gesagt, es sey für diese Sage kein historischer Beweis zu finden; dennoch wird sie von Vielen geglaubt, und ein später erschienenes Compendium der ungarischen Geschichte von Herrn Klein wärmt sie wieder auf und greift mich dabei indirect an.

Folgendes wird, wie ich hoffe, die Frage für alle Zeiten entscheiden.

Der Landtag 1411 wurde am 14. Mai eröffnet, die Königinn gekrönt, die Verhandlungen hatten ihren gewöhnlichen Gang, als durch die Angriffe Frankreichs, Bayerns, Preußens, die österreichische Monarchie in die höchste Gefahr gerieth. Die Kaiserinn beschloß die ungarische Insurrection aufzurufen. Es mußten deßhalb den Ständen nachträgliche königliche Propositionen übergeben werden. Hierzu war der 11. September bestimmt.

Der Hergang dieses Tages, und des 21. Septembers hat zu der oben erwähnten allgemein verbreiteten Sage Anlaß gegeben; ich theile daher die Umstände mit, so wie sie im Tagebuche des Landtags 1741, welches sich bey der königl. ungarischen Hofkanzley befindet, aufgezeichnet sind.

Am 11 September um 11 Uhr Vormittags versammelten sich die Stände im Preßburger Schloß. Die Königinn erschien, bestieg den Thron, und der ungarische Hofkanzler redete zu den Ständen im Nahmen der Königinn folgendermassen:

»Nach der glücklichen Krönung Ihrer Majestät unserer allergnädigsten Frau, die hier unter einstimmigem Zuruf und allgemeinem Jubel vollzogen worden, hatte Ihre Majestät keinen höheren Wunsch, als daß ihr vielliebes Königreich Ungarn unter ihrer glorreichen, gerechten, und gnädigen Regierung im beglückten Frieden, in seinen Rechten und Freyheiten, für alle Zeiten begründet, zu immer höherem Flor, und dem Zuwachs jedes Glückes aufgerichtet werde. Ihre Majestät hofften dabey fest, daß auch ihre andern Erbländer in wünschenswerther Ruhe würden erhalten werden. Wie sehr diese Hoffnung Ihrer Majestät durch den Neid und den Haß der angrenzenden Mächte getäuscht worden, läßt sich daraus abnehmen, daß weder nahe Blutsverwandtschaft, noch ungezweifeltes Recht der Erbfolge, nicht offenkundige Tractate, nicht die Gerechtigkeit der Sache dieselben von ungerechten Versuchen abhalten konnten. Es ist bereits dahin gekommen, daß durch widerrechtliche Angriffe, welche von verschiedenen Reichen auf die unauflöslich verbundenen Erbprovinzen ausgehen, die seit so vielen Jahrhunderten blühende Monarchie beynahe in einem Augenblick mit großer Gefahr bedroht, die Residenz Ihrer Majestät selbst nahe gefährdet und alle Erbstaaten, insbesondere aber dieses Königreich Ungarn durch die ungerechten Ansprüche des Churfürsten von Bayern angetastet werden, welches nicht ohne bitterste Gemüthsbewegung wahrzunehmen ist. Ihre Majestät können dieß den reichstäglich versammelten Ständen nicht nur nicht verschweigen, sondern versichern sie vielmehr in Ihrer mütterlichen Sorge und Besorgniß, daß Sie, in den gegenwärtigen kaum hinreichend ausdrückbaren Drangsalen, Ihr vielliebes Königreich Ungarn nicht zu verlassen denke, sondern vielmehr für jeden unerwarteten Fall Ihre erlauchte Person, das königliche Haus und die geheiligte Krone ihrer erprobten Treue, ihrem in den Geschichten berühmten Eifer und Ruhm zu vertrauen gedenke. Deßhalb haben Ihre Majestät die Stände gnädigst zu Sich berufen lassen, auf daß sie nicht nur aus den alsobald schriftlich zu übergebenden königlichen Propositionen, sondern auch aus dem königlichen Munde dieß Alles vernehmen mögen. Fest und unerschütterlich hoffend, daß die Stände, in Folge ihrer ewigen Treue zu ihrer Herrinn und Mutter, und ihrer wechselseitigen, so wie der Unterthanenliebe, mit einstimmiger Gesinnung, vereinten Kräften, und gemeinsamen Rathschlägen, all ihr Streben dahin richten werden, daß dem ungerechten Beginnen neidischer, ungerechter Feinde schnell möglichst ein Damm entgegengesetzt und für jeden unerwarteten Fall für die Sicherheit Ihrer geheiligten Person, des königlichen Hofes, und der Krone, wie auch das Wohl des ganzen Reiches ohne höchst gefährlichen Zeitverlust gesorgt werde, und auf diese Weise der alt angestammte Ruhm der ungarischen Nation von der ganzen Welt abermahls neu auflebe. Indem Ihre Majestät dieß den Ständen wegen der höchsten Gefahr, die im Verzug liegt, mit königlicher und mütterlicher Zuneigung empfiehlt, bleiben Ihre Majestät den Ständen zugleich königlich und mütterlich gewogen.«

Nach dem Kanzler sprach der Primas, im Nahmen der Stände kurz Folgendes: »Euer Majestät haben in vielfacher Beziehung gerechte Ursache, in der gegenwärtigen Crisis die Stände aufzurufen, für die allgemeine Sicherheit zu wachen. Seyen Euer geheiligte Majestät überzeugt, daß die reichstäglich versammelten Stände alle Kräfte ihres Geistes, Gemüthes und Körpers anstrengen, und so sich benehmen werden, daß Euer geheiligten Majestät geholfen, und gegen alle Feinde Sicherheit geschafft wird.«

Zuletzt sprach die Königinn also zu den Ständen: »Unsere betrübte Lage ist von der Art, daß wir selbe den Ständen nicht verhehlen können. Es handelt sich von der Erhaltung des Königreichs Ungarn, der heiligen Krone, von Unserer Person, Unseren Kindern. Von allen verlassen, flüchten Wir Uns einzig zu der alt angestammten Tugend der Ungarn. Ihrer Treue vertrauen wir Uns und Unsere Kinder. In dieser gegenwärtigen Gefahr muß ohne Zögerung Rath geschafft, das Schwert ergriffen werden, um Unsere und des Reiches Feinde zurück zu drängen. Wir vertrauen fest, daß die Stände nach ihrer Liebe und Treue, Uns mit Rath und That beystehen werden.«

Es war betrübt anzusehen, wie die Königinn, besonders als sie der Kinder erwähnte, in Thränen ausbrach, so daß sie ihre kurze Rede kaum zu enden im Stande war. Viele der Anwesenden weinten mit, und bezeigten ihre Hingebung, indem sie mit lauter Stimme riefen: daß sie Habe, Blut und Leben opfern wollen.

Während sich die Königinn zurückgezogen, und noch einigen aus den Ständen, so wie dem Primas und Palatinus, welche im Schloß einige Zeit zurück behalten wurden, ihre Angelegenheiten noch einmahl dringend empfohlen hatte, verfügten sich die Stände in das Landhaus, wo die königlichen Propositionen kund gegeben wurden.

Noch in derselben Sitzung decretirten die Stände die Insurrection.

Kolinovics, der 1741 beym Landtage gegenwärtig war, und ein ausführliches Tagebuch geschrieben hat, erzählt den Hergang eben so, nur hat er in den Reden selbst einige Varianten, und auch darin ist er verschieden, daß er die Rede des Primas nicht vor, sondern nach der Rede Maria Theresia's anführt. (Gabrielis Kolinovics Nova Ungariae Periodus. Budae 1790, pag. 488 u. d. f.)

Am 20. September wurde Franz, Herzog von Lothringen, Gemahl der Königinn, zum Mitregenten gewählt.

Am Abend desselben Tages um 6 Uhr langte der Erzherzog Joseph und eine Erzherzoginn zu Schiff von Wien in Preßburg an. Viel Volk war versammelt, um die Ankommenden zu sehen, und es war auch gestattet, das Schiff zu besichtigen. Kolinovics im oben angeführten Werk S. 530. Er spricht als Augenzeuge.

Am 21. September um 8 Uhr Morgens stiegen sämmtliche Stände hinauf in das Schloß. Nachdem sie eine kleine Weile im ersten Vorgemach gewartet, gingen sie in das zweyte Gemach. Nach einer kurzen Weile trat die Königinn heraus, mit ihrem Gemahl und dem Prinzen, welcher in Windeln von der Amme getragen wurde. Als sie eintraten, wurde Vivat gerufen. Dann schwur der Herzog den Eid, welchen der Erzbischof von Gran vorlas und als der Eid geschworen war, setzte der Herzog noch hinzu: Blut und Leben für die Königinn und das Reich. Da wurde abermahls Vivat gerufen. Hierauf hob die Amme den königlichen Prinzen in die Höhe, so daß er von Allen gesehen werden konnte, nun wurde zum drittenmahle Vivat gerufen. Die Königinn mit den Ihren zog sich zurück, die Stände aber gingen in ihre Wohnungen hinab.

(Wörtlich übersetzt aus dem oberwähnten Diarium des Landtags 1741.)

Aus den angeführten Daten ergibt sich nun mit Gewißheit Folgendes:

1. Die Königinn Maria Theresia hat die Ungarn beym Beginn des Landtags zu ihrer Vertheidigung aufgerufen.

2. Als sie im Verlaufe des Landtags am 11. September die Insurrection begehrte, hatte sie ihren Sohn den Erzherzog Joseph nicht auf dem Arm.

3. Sie konnte ihn gar nicht auf dem Arm haben, denn Erzherzog Joseph war damahls nicht in Preßburg.

4. Erzherzog Joseph kam erst 9 Tage nach dem Aufruf der Insurrection, nähmlich am 20. September nach Preßburg.

5. Die Stände in Corpore sahen den Kronprinzen Erzherzog Joseph zum ersten Mahl am 21. September, als sein Vater, Herzog Franz von Lothringen, den Eid als Mitregent schwur.

6. Auch bey dieser Gelegenheit hatte nicht Maria Theresia, sondern die Amme den Erzherzog Kronprinzen auf dem Arm, die Amme hob ihn empor, und zeigte ihn den Ständen.

7. Als die Stände durch Maria Theresia zur Insurrection aufgefordert wurden, bezeigten sie ihre Bereitwilligkeit durch freudigen Zuruf, aber die Säbel zogen sie nicht.

8. Aus den Ereignissen des 11. und 21. Septembers hat die mündliche Überlieferung die Eingangs angeführte Sage gestaltet, an welcher

9. Nichts wahr ist, als die große entscheidende Wirkung, welche Maria Theresiens liebenswürdige Persönlichkeit hervorbrachte, und die edle Bereitwilligkeit der Nation, ihrer bedrängten Fürstinn beyzustehen.


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