Franz Gräffer
Josephinische Curiosa
Franz Gräffer

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Auf einem schlechten Wagen fuhr sie die Straße nach Schweden zu. Den dritten Tag geschah es, daß sie vom Wagen fiel, und sich am Kopfe sehr verwundete; sie wurde in den nächstbesten Gasthof gebracht, und mußte da trepanirt werden. In demselben Hause war eine holländische Familie eingekehrt, im Begriffe, nach Schweden zu reisen. Diese menschenfreundlichen Personen nahmen sich der Verlassenen mit dem zärtlichsten Eifer an, bestritten die Auslagen für den Arzt und Wirth, und bothen ihr einen Platz im Wagen an. Sie nahm ihn an, und so reisete sie nach Stockholm. Die Namen der Holländer, und jenen eines protestantischen Predigers, der mit zur Reisegesellschaft gehörte, nannte sie ihren Richtern. Als man in Stockholm angekommen war, miethete sie sich bey Eheleuten ein, welche Deutsche waren; der Mann hatte eine kleine Anstellung. Die Frau war eine sehr würdige Person, und bewies innige Anhänglichkeit zur Fremden. Eines Tages vernahm sie von dem Friseur der Frau, daß der österreichische Minister, Graf Belgiojoso eifrigst bemüht sey, einer von Hamburg weg entflohenen jungen Frauensperson habhaft zu werden. Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf sie. Ihre Lage erwägend, fand sie, daß selbst der Aufenthalt in einem Kloster nicht so abschreckend seyn könne, als der Jammer, der sie erwarte, wenn ihre Baarschaft zu Ende gegangen. Sie erzählte also dem Friseur, daß sie selbst jene Flüchtige sey, und stellte ihm frey, den Grafen davon in Kenntniß zu setzen. Den folgenden Tag brachte man ihr ein Billet des Ministers mit der höflichen Einladung, sich zu ihm zu bemühen. Dieses Billet hatte sie sich von ihrem Dienstmädchen Sophie vorlesen lassen. Noch denselben Tag begab sie sich zu dem Grafen. Nach einem achtungsvollen Empfang wurde sie von ihm um die Details ihrer Entfernung von Hamburg befragt; und als er aus ihren anderweitigen Antworten entnehmen konnte, daß sie in der That die betreffende Person sey, so machte er ihr zu wissen, für sie Sorge tragen zu wollen, wozu er den Auftrag habe. Er werde, setzte er hinzu, nachsehen, ob ihre Wohnung anständig genug sey. Als ihr der Graf Geld antrug, nahm sie es an, da ihr eigenes schon ziemlich auf die Neige gegangen war. Tags darauf besuchte sie der Graf. Er fand, daß ihre jetzige Wohnung nicht für sie geeignet sey; und erklärte, er werde ihr eine passendere, die mehr in seiner Nähe gelegen, einrichten lassen. Diese neue Wohnung war bey einem Spezereyhändler; nach zwey Tagen bezog sie selbe; Sophie wurde von ihr beybehalten. Sie erhielt vom Grafen einen Bedienten; Speisen und Getränke wurden ihr in das Haus geschickt. Einige Tage darauf eröffnete ihr der Graf, daß er nun besondere Rücksichten für sie habe, indem sie ihm eigens empfohlen worden sey; von nun an möge sie belieben, in seinem eigenen Hotel zu wohnen. Wirklich bezog sie dieses noch den nähmlichen Tag. Hier befand sie sich ausgezeichnet und sehr wohl. Eines Tages bemerkte sie in einem der Gemächer des Grafen ein Porträt in Lebensgröße; es war jenes ihres frühern Beschützers in Böhmen. Dieser Anblick überraschte und ergriff sie dergestalt, daß sie ohnmächtig wurde, und in ein Fieber verfiel, das sie an den Rand des Grabes brachte. Die Krankheit dauerte sechs Wochen, und hatte zur Folge, daß die Patientinn in ihrem Wuchs plötzlich auffallend zunahm; auch ihre Gesichtszüge alterirten sich so, als wäre sie dreyßig Jahre alt, während sie doch höchstens sechzehn zählte. Nach ihrer Genesung bemerkte ihr der Graf, er habe von Hamburg aus erfahren, daß sie ihre Flucht von dort mit einem Begleiter, einem Engländer, unternommen habe. Hierauf entgegnete sie mit fester Beharrlichkeit, sie habe nie einen Engländer gekannt. Der Graf aber kam von seiner Behauptung nicht ab, worauf sie sich dann aus Unmuth, und um diese widrige Angelegenheit zu erledigen, dazu bekannte.

Auch diese hier beygebrachten Geständnisse und Erläuterungen konnten nicht genügen, wiewohl gar manches fabelhaft Scheinende, durch die in die Augen springende Verwahrlosung und durch die Naivetät der Erzählerinn gemildert und gewisser Maßen begründet werden durfte. Unter Anderm hatte man den Buchhalter und Associé des kaiserlichen Consuls zu Bordeaux, nach Brüssel kommen lassen, weil man von ihm Aufklärungen in dieser räthselhaften Untersuchung hatte erwarten können. Er wurde einem dieser Verhöre beygezogen. Da sagte die Dame aus, er habe, als sie sich seiner als Secretär bedient, sich nicht dazu entschließen wollen, unter einen der Briefe einen falschen Namen zu setzen. Da habe sie denn ausgerufen: »Wer will mir verbiethen, zu thun was ich will? Kann ich nicht jeden Nahmen, der mir gefällt, wählen und unterzeichnen lassen.«

Es kommen späterhin noch manche Dinge zum Vorschein, geeignet, die Inquisitinn Theils zu entschuldigen, Theils noch schärfer zu graviren. Von der Anklage, mit einem Mann aus Hamburg geflohen zu seyn, kann sie freygesprochen werden. Die Sache beruhte auf einer Verwechslung. Der Zufall hatte nähmlich gewollt, daß zu derselben Zeit die Tochter eines Hamburger Kaufmannes von einem Engländer entführt wurde. Der Graf Belgiojoso war also unabsichtlich irre geleitet worden. Er gab dieser vermeintlichen Tochter eines Handelsmannes 25 Louisd'or zu ihrer Rückreise, und einen Begleiter nach Hamburg, der ein Kaufmann, und eben im Begriffe war, nach dieser Stadt zurück zu kehren. Ihr Erstes war, den Geistlichen aufzusuchen; täglich besuchte sie den Hafen; ununterbrochen ging sie in den belebten Straßen umher. Ein Mann, etwa 50 Jahre alt, einfach gekleidet, war ihr bey ihren Wanderungen mehrere Tage gefolgt. Endlich sprach er sie an, und machte ihr den Vorschlag nach Bordeaux zu reisen. Sie ging darauf ein, in der beruhigenden Voraussetzung, daß sie auf solche Weise am Leichtesten von Denjenigen, denen sie entflohen, könne aufgefunden werden. Der Fremde machte die Reise mit, und unterzog sich der Rolle ihres Bedienten.

Bey Frau Guillaumot hatte sie noch nicht lange gewohnt, als ein Brief, welcher nicht unterfertigt war, einging, des Inhalts, sie möge sich zu dem Marschall von Richelieu begeben, ihn um seinen Schutz zu bitten; er sey, hieß es weiter, auf ihren Besuch schon vorbereitet. Der Marschall nahm sie sehr achtungsvoll auf, und erzählte ihr, er habe von der Fürstinn *** einen Brief erhalten, in welchem ihm das Fräulein von Schönau angelegentlich empfohlen sey. Er bath sie, über seinen Diensteifer zu gebiethen, schlug ihr selbst mehrere Gefälligkeiten vor, und ging endlich in seiner gewohnten Galanterie zu einer Liebeserklärung über. Die Angebethete aber beschwor ihn, abzulassen und fiel ihm mit Thränen in den Augen zu Füssen. Der Marschall bekannte und entschuldigte seine Ungebühr, und beobachtete von nun an das anständigste Benehmen von der Welt. Nach einigen Tagen erhielt sie einen Besuch von ihm. Er munterte sie auf, sich im Französischen zu vervollkommnen. Noch oft besuchte er sie, benahm sich aber stets sehr anständig. Wenn er sie zu Festlichkeiten eingeladen, und Jemand ihn um den Namen und Stand seines Schützlings befragte, pflegte er nur zu antworten: »Sie ist eine sehr verehrungswürdige Person.« Sie machte starken Eindruck auf die Männerwelt; allein wenn die Rede von der ernsten Absicht einer Heirath war, sprach sie mit der größten Bestimmtheit dagegen, eingedenk des Versprechens, welches sie dem fremden Herrn in Böhmen gegeben hatte.

Wie sie früher ausgesagt hatte, kam ihr von einem Manne, der sich nicht zu erkennen geben wollte, die Summe von Tausend Louisd'or zu. Dieselbe Person brachte ihr von Zeit zu Zeit Gelder, so daß sie im Ganzen 150,000 Livres erhielt. Nie vermochte sie zu ermitteln, woher diese Unterstützung komme, und bald kümmerte sie sich auch nicht mehr darum, in der begreiflichen Überzeugung, diese Quelle werde nicht versiegen. Deßhalb auch fröhnte sie den kostspieligsten Launen, verschwendete, und gerieth, als die Gelder ausblieben, in Schulden. Der Betrag derselben belief sich auf 60,000 Livres zu der Zeit, wo sie verhaftet wurde. In dieser Verlegenheit, Bedrängniß und Angst gerieth sie auf den Gedanken, Briefe fabriciren zu lassen. Die meisten dieser Briefe, als man sie ihr bey der Untersuchung vorzeigte, läugnete sie nicht ab, z. B. den ersten an den Grafen Cobenzl, dictirt: »Aus meinem Bette &c..;« einen an den Kaiser nach Florenz unter der Adresse als Grafen von D**n; einen andern an den bayrischen Minister in Paris; jenen an den König von Spanien, durch welches Schreiben die Ertheilung der Mystification veranlaßt worden war. Jenen aber, unterzeichnet: »Ihr unterthänigster Diener Graf von D**n« läugnete sie standhaft, so wie einige andere an die Grafen Cobenzl und Neny.

Als man ihr auseinandersetzen wollte, welchen Verbrechens sie sich durch diese Brieffälschungen schuldig gemacht habe, erklärte sie mit der größten Unbefangenheit und Einfalt, daß sie das nicht begreifen könne; sie sey, wie sie auch dem Secretär des Consuls gesagt habe, stets der Meinung gewesen, thun oder lassen zu können, was ihr beliebe, denn sie habe auch nicht daran zweifeln dürfen, die Tochter eines Monarchen zu seyn. »Nie,« bemerkte sie, »habe ich mich gegen Jemanden geäußert, wie ich von dieser Angelegenheit und diesem Verhältniß dachte. Als jedoch die Unterstützung aufhörte, mußte ich wohl annehmen, die Person, von welcher sie gekommen, sey nicht mehr am Leben. Da ich nun auch glauben konnte, mein Aufenthalt sey nur dieser Person allein bekannt gewesen, und anderseits auch der Meinung seyn mußte, sie habe mehrere Vertraute in das Geheimniß meiner Existenz eingeweiht, so war nichts natürlicher, als daß ich beschloß, an solche vornehme Personen zu schreiben, wie geschehen ist. Denn dadurch mußte ich doch bald wieder in eine, meiner hohen Herkunft angemessene Lage versetzt werden. Hatte mir doch mein Vater das Versprechen gegeben, mich reich und glücklich zu machen! In meinem eigenen Namen und als von mir selbst ausgehend, konnte ich diese Briefe nicht schreiben lassen, da ich mich zweifelhaften und bedenklichen Nachforschungen von Seite derjenigen Personen ausgesetzt hätte, die von meiner Abkunft keine Kenntniß gehabt. Feste Beweise von der Bewandtniß meiner Geburt hatte ich ja nicht in Händen; ich würde mich der Gefahr ausgesetzt haben, für eine Abenteuerinn oder noch für etwas Verfänglicheres angesehen, und darnach behandelt zu werden. Daß ich nicht hatte glauben können, mit diesen unechten Briefen Unrecht zu thun, geht schon aus der Namhaftmachung meines Aufenthalts hervor; und ich hatte ja dabey augenscheinlich einzig die Absicht, mich dem kaiserlichen Hofe in die Hände zu liefern. Hätte ich mich denn also zu einem sonst so gefährlichen Schritte entschließen können, wenn mich nicht die unerschütterliche Überzeugung beseelt hätte, wirklich die Tochter des Kaisers zu seyn?! Welch' schrecklicher Bestrafung hätte ich sonst gewärtig seyn müssen! Das Alles, darf ich behaupten, ist klar und einleuchtend. Bey meinem Verfahren habe ich Niemanden zu Rathe gezogen; ich betheure das aufs Neue. Ich muß aber hinzusetzen, daß der mit dem Namen der Fürstinn *** unterzeichnete, an den Marschall von Richelieu gerichtete Brief nicht von meiner Fabrication sey; ich betheure dieß ebenfalls und auf das Feyerlichste!«

Was diesen letztern Brief betrifft, so stellte es sich heraus, daß das Fräulein von Schönau die Wahrheit gesagt habe. Der Marschall von Richelieu nähmlich, nachdem ihm das in Rede stehende Schreiben zugekommen war, hatte der Fürstinn unverzüglich geantwortet, und ihr gemeldet, daß er Alles Aufbiethen werde, ein so hohes schmeichelhaftes Vertrauen, eine so bedeutungsvolle Empfehlung zu rechtfertigen. Diese Zuschrift des Marschalls wurde der Fürstinn von dem französischen Gesandten in Wien Marqnis du Chatelet eingehändigt und die Fürstinn *** beantwortete ihn nicht. Unsere Quelle setzt hinzu: »Man kann natürlicher Weise denken, daß, wenn die Fürstinn jenen Brief an den Marschall nicht geschrieben hätte, sie ihm geantwortet haben würde, und erklärt, sie kenne Mademoiselle von Schönau nicht; denn Niemand begünstigt dergleichen Betrügereyen; sie antwortete aber nicht darauf. Man kann also glauben, daß dieses Empfehlungsschreiben von ihr war, und daß sie folglich um das Geheimniß der jungen Person gewußt habe.« Diese Quelle schließt mit den Worten: »Aber warum hat die Kaiserinn ausdrücklich verbothen, die Fürstinn darüber zu befragen? Dieß wäre auch das einzige unfehlbare Mittel gewesen, die ganze Sache aufzuklären.« – In Ansehung dieses Umstandes jedoch können wir die Bemerkung beyfügen, daß die Kaiserinn den galanten Sinn ihres Gemahls wohl gekannt, und bey dergleichen Vorfallenheiten stets mit der größten Zartheit und Schonung sich benommen habe, ja mit einer wahrhaft erhabenen Selbstverläugnung und einer Seelengröße, von der die Geschichte des menschlichen Herzens wenige Beyspiele aufzuweisen hat. In dieser Beziehung berufen wir uns auf einen der unpartheyischesten und angesehensten Geschichtschreiber, auf den Engländer Wilhelm Coxe nähmlich. In seiner Geschichte des Hauses Österreich, deutsch von Dippold und Wagner, vierter Band, in der Mitte des 118. Capitels, führt er, was des Kaisers Herzensverbindungen angeht, Folgendes an: »Ob sie (die Kaiserinn) gleich leidenschaftlich liebte, und ein Muster eheliger Zärtlichkeit war, hatte sie doch ohne das mindeste Murren, ja selbst ohne den Schein, es nur zu bemerken, Franzens unzählige Beweise von Untreue ertragen.« Des Kaisers Verhältniß mit der Fürstinn *** insbesondere anlangend, so gibt Coxe auf derselben Seite folgende Anmerkung: »Am Tage vor seinem Tode stellte der Kaiser seiner Geliebten, der Fürstinn *** eine Anweisung auf 200,000 Gulden aus. Da die Zeit nicht erlaubte, sie zu zahlen, so wurde in einer Berathung die Frage aufgeworfen, ob ein solches Geschenk gültig sey. Mehrere verneinten es; Maria Theresia aber, die nur auf ihre und ihres Gemahls Ehre Rücksicht nahm, ließ sie ganz auszahlen.« In der That, ganz des erhabenen Charakters dieser großen Frau würdig!

Kehren wir wieder zu unserer reizenden natürlichen Tochter zurück! In ihren Geständnissen figurirte auch der Herzog von York. Von diesem Herrn erzählte sie Nachstehendes: »Als derselbe in Bordeaux eingeführt war, machte er mir zu wissen, er habe mir eine, mich selbst angehende sehr wichtige Mittheilung zu machen; er ließ mich bitten, ihm Zeit und Ort zu bestimmen, mich sprechen zu können; es solle aber Niemand in Bordeaux Etwas davon erfahren. Ich antwortete ihm, daß es, in Bezug auf den letzten Umstand, am Gerathensten seyn werde, sich zwischen 5 und 6 Uhr des Morgens nach dem Balle bey dem Herzog von Richelieu einzufinden. Wirklich erschien er auch zu dieser Stunde. Der Herzog von York begann damit, mir zu sagen, er sey hier, in Erfahrung zu bringen, worin die Summe meiner Schulden bestehe; eine vornehme Dame habe ihn beauftragt, mir diesen Betrag auszuzahlen. Der Wahrheit gemäß nannte ich denn meinen Schuldenstand, der sich auf 60,000 Livres belief; ich fügte bey, meine Gläubiger setzten mir sehr zu. Der Herzog bath mich, ohne Sorgen zu seyn. Noch denselben Tag schickte er mir 700 Louisd'or mit dem Bedeuten, er werde das, was zur Tilgung noch mangle, nachtragen; und den folgenden Tag reiste er ab. Einige Tage darauf erkrankte ich. Eines Morgens, eben wie Herr St. Gere an meinem Krankenlager verweilte, langte ein Brief des Herzogs von York an, datirt Monaco. Dieser Brief, welchen St. Gere mir vorlas, begann mit folgenden Worten: »Ich war bereit, Ihnen dasjenige zu schicken, was ich Ihnen noch zuzustellen habe; aber, als ich Sie verließ, erhielt ich einen Brief, worin man mir ausdrücklich auftrug, Ihnen dieses Geld nicht auf einmal zu geben. Ich habe an die Fürstinn *** geschrieben.« Bei Anführung dieser Stelle entriß ich St. Gere den Brief; ich verbath mir, daß er fortfahre zu lesen, denn mir war daran gelegen, daß er von diesem Verhältnisse in Unkenntniß bliebe.«

Dieß sagend, langte das Fräulein von Schönau das Schreiben des Herzogs von York aus der Tasche, und wies es vor. Der Graf Neny nahm ihn an sich und las die Fortsetzung, welche also lautete: »Ich habe an die Fürstinn *** geschrieben, sie zu bewegen, daß sie mir erlaube, Ihnen wenigstens diejenige Summe zuzustellen, deren Sie benöthigt sind, um den Verfolgungen Ihrer Gläubiger zu entgehen; allein . . . .« Das Fräulein nahm nun das Wort: »Der Herzog war schnell gestorben. Ich erfuhr es einige Tage nach dem Empfang dieser Zuschrift. Ich ließ an die Personen schreiben, welche die Angelegenheiten des Herzogs zu besorgen hatten, mit der Bitte, mir meine Briefe und mein Porträt zurück zu stellen. Ich erhielt aber außer dem Porträt nur einen Brief wieder.«

Das Verhör hatte bereits aus 24 Sitzungen bestanden; man hatte so ziemlich erhoben, was man bey der verwickelten Beschaffenheit der ganzen Angelegenheit, und bey dem mysteriösen Dunkel, in welches selbe gehüllt war, nur immer hatte erheben können. Der Graf Cobenzl und Herr von Neny beriethen sich nun, was denn mit der Person der Inquisitinn anzufangen sey. Der Wienerhof hatte von diesen Herrn verlangt, daß sie hierüber ihre Ansicht aussprechen sollten. Sie vereinigten sich sofort in der Meinung, die junge Dame in einem entfernten Kloster zu verwahren, bis die Zeit statthaftere Aufklärungen werde herbeygeführt haben. Schon im Begriffe, dem Hofe diese ihre Meinung mitzutheilen, langte ein Brief von dem Bruder des Grafen Neny, Cabinettsecretär der Kaiserinn an, in welchem es lautete, die Kaiserinn habe aus dem Inhalt der ihr zeitweise eingehenden Verhörspapiere einen sehr ungünstigen Begriff von dem Charakter der Inquisitinn geschöpft, so, daß sie beschlossen habe, mit voller Strenge gegen selbe zu verfahren. Der Graf Neny nahm keinen Augenblick Anstand, seine ganze Beurtheilung der Sache dieser Nachricht anzupassen, und er ging so weit, vorzuschlagen, daß man diese Person ohne Umstände zurückschicken, und den Verfolgungen ihrer aufgebrachten Gläubiger überliefern solle. Dieses grelle Gutachten sendete er nach Wien ab. Wie ganz anders aber verfuhr der Graf Cobenzl!! Durchdrungen von den Gefühlen des Mitleids, der Menschlichkeit und der Großmuth; ausgehend von einem höhern Gesichtspuncte der öffentlichen Ehre, und weit entfernt von der Furcht, seiner Monarchinn, deren humanen erhabenen Charakter er wohl kannte, zu mißfallen, setzte er sich auch über alle sonstigen ämtlichen Bedenklichkeiten hinaus, lediglich dem Zuge seines gefühlvollen Herzens folgend, und sendete der Kaiserinn seine Meinung in folgendem Schreiben:

»Euer Majestät! Obgleich es den Anschein hat, daß diese Person nicht die Tochter des verstorbenen Kaisers sey, so kamen doch Umstände in ihrer Geschichte vor, die einigen Zweifel über ihre Abkunft erzeugen müssen, und bey dieser Ungewißheit kann ich nicht der Meinung des Herrn von Neny seyn. Sein Vorschlag, die Person ihren Gläubigern auszuliefern, scheint mir sowohl in Beziehung auf den Willen Euerer Majestät, die Verlautbarung dieser Begebenheit so viel als möglich zu ersticken, gefährlich, als Allerhöchstdero Menschlichkeit und Herzensgüte entgegen zu seyn. Wenn man diese Unglückliche ihren Gläubigern zurückschickte, so würde man sie in die traurige, in die schreckliche Nothwendigkeit versetzen, zwischen der Gewißheit in einem Kerker zu verschmachten, oder der Schmach zu wählen, sich durch Mittel, die ihr ihre Reize verschaffen können, eine bessere Lage zu bereiten; ein Unglück, das um so mehr geeignet ist, Eurer Majestät Milde rege zu machen, als die Sitten dieser Person jederzeit untadelhaft gewesen. Überdieß würde man, wenn man sie nach Bordeaux zurückschickte, die Vermuthungen, welche man ersticken will, nur noch mehr befestigen, weil man dadurch ohne Zweifel zu erkennen gäbe, man sey auf eine gewisse Weise von ihrer Geburt überzeugt, da man den Betrug nicht gestattet habe. Der Einwurf, man müsse ihre Schulden bezahlen, wenn man sie ihren Gläubigern nicht überliefere, scheint mir im Vergleich mit den Gefahren, welche nach der Meinung des Herrn von Neny entstehen würden, sehr schwach zu seyn. Die Schulden belaufen sich nicht völlig auf 60,000 Livres; zu Bordeaux besitzt sie noch verschiedene Kostbarkeiten, eine vergoldete Toilette, viele reiche Kleider, werthvolle Hauseinrichtung u. dgl. Der Verkauf dieser Dinge könnte einen guten Theil der Summe decken, die sie schuldig ist; und was noch zu tilgen übrig bliebe, scheint mir für die Wohlthätigkeit Eurer Majestät ein geringfügiger Gegenstand zu seyn. Dieses Liebeswerk würde Eurer Majestät das unbeschränkte Recht einräumen, diese Unglückliche in eine Lage zu versetzen, in der sie vor den Gefahren der Verführung geschützt wäre. Meine Meinung besteht also darinn, daß Euer Majestät die Unglückliche in ein Kloster in Tyrol, oder in ein anderes Allerhöchstdero Bothmäßigkeit unterstehendes bringen lassen, wohin die Kunde dieser Begebenheit noch nicht gedrungen wäre. Daselbst könnte sie ein ruhiges und stilles Leben führen und mit geringen Kosten. Wenn dann die Zeit ihr Schicksal deutlicher aufklärte, und zeigte, daß sie rechtlichen und vornehmen Personen angehöre (was die großen Summen, die ihr zugekommen, vermuthen lassen müssen), so würde man nicht das Mißgeschick haben, sich die Unglücksfälle vorwerfen zu müssen, denen diese junge Person augenscheinlich ausgesetzt seyn würde, wenn man grausam genug wäre, dem Rathe des Herrn von Neny zu folgen. Ich finde seine Meinung in jedem Anbetracht gefährlich, und ich würde eher rathen, daß diese Person nach aller Strenge der Gesetze behandelt werde, wenn dieser Vorschlag mit der Milde Eurer Majestät nicht durchaus unverträglich wäre. Wenn der Hof meinen Vorschlag genehmigt, so wird man ihre Habseligkeiten verkaufen, um ihre Schulden zu bezahlen, ohne daß die Gläubiger denken könnten, daß dieses von Seite Eurer Majestät geschähe. Es würde auch bedenklich seyn, sie das vermuthen zu lassen, weil sie argwöhnen könnten, daß Eure Majestät aus andern Gründen als denen des einfachen Mitleids dabey betheiligt seyen. Es wird hinreichen, durch die Unglückliche an einen Banquier in Bordeaux schreiben zu lassen, daß er ihre Effekten zu Geld mache, und den Schuldenstand verzeichnen lasse; was nachträglich zu bezahlen wäre, müßte im Namen der Schuldnerinn übermacht werden. Ihre dann befriedigten Gläubiger, sich erinnernd, daß diese Person so häufig über große Summen gebothen habe, werden keine Ursache haben, die wohlthätige Hand zu ahnen, welche ihr diese letzte Hülfe würde geleistet haben.«

Auf diesen Vorschlag des Grafen Cobenzl wurde nicht eingegangen; und jener des Grafen Neny konnte nicht verwirklicht werden. Der Herzog von Choiseul nähmlich verweigerte den Reisepaß nach Bordeaux. Fruchtlos verwendete sich bey ihm Herr von Barre, Gesandtschaftssecretär und Geschäftsträger in Abwesenheit des österreichischen Bothschafters Grafen von Mercy zu Paris. Er stellte dem Herzog vor, daß die Gläubiger zu Schaden kämen, wenn man ihnen ihre Schuldnerinn vorenthalte; allein der Minister legte darauf kein Gewicht, und blieb bey seinem Ausspruch.

Mittlerweile war der Graf Cobenzl lebensgefährlich erkrankt. Als man ihm die Sterbesacramente reichte, sagte er zu einer intimen Person, welche von allem, was das beklagenswerthe Frauenzimmer anging, Kenntniß hatte: »Eben erhalte ich einen Befehl aus Wien, mit dem weitern Verfahren gegen die Gefangene inne zu halten, sie nicht zurückzuschicken, und bis auf neuen Befehl nichts mit ihr vorzunehmen.« Dieser Brief war von den Staatskanzler Fürsten von Kaunitz, von ihm eigenhändig geschrieben. Unverzüglich ließ der Graf Cobenzl diesen Brief verbrennen. Dann sagte er nach einigem Nachsinnen zu seinem Freunde: »Sie sehen, daß die Meinung eines ehrlichen Mannes wohl das Übergewicht erhalten könnte.«

Den dritten Tag darauf starb der Graf. Ohne seinen Tod würde die verhängnißvolle Angelegenheit wohl eine ganz andere Wendung genommen haben. Indeß verfloß die Zeit, dergestalt, daß, wenn, was sehr möglich, ein wiederholter Befehl desselben Inhalts eingetroffen wäre, er zu spät gekommen seyn würde. Denn schon den Tag nach des würdigen Grafen Cobenzl Heimgang wurde die Unglückliche aus ihrem Gewahrsam gezogen; man reichte ihr ein für allemahl 50 Louisd'or; ein Unterlieutenant der Brabanter Marechaussée geleitete sie bis Quevrin jenseits Mons; und nun ward sie einem ungewissen Schicksale preisgegeben!

Unsere Quelle, der wir, was die Thatsachen betrifft, genau gefolgt sind, und bey der wir nur nicht unterlassen wollten, das interessante Citat aus Coxes Geschichte Österreichs einzuschalten, schließt mit diesen Worten: »Diese Erzählung ist ein getreuer Auszug aus den 24 Verhören, welche mir von dem Grafen C . . . . (Cobenzl), dem Neffen des Grafen von C . . . . (Cobenzl, des Ministers zu Brüssel) der ihm erlaubte, dabey zu seyn, anvertraut worden.«

Es ist nicht denkbar, daß jene grausame Maßregel an der unglücklichen Gefangenen, mit vollem Vorwissen, oder wohl gar auf Befehl der weisen, gefühlvollen, gerechten und großmüthigen Kaiserinn Maria Theresia vollzogen worden sey.

Das bemitleidenswerthe Schlachtopfer nun also, geächtet, verbannt, hinausgestoßen in die Welt, und ausgewürfelt allen äußern Möglichkeiten: welche Zukunft wird dieser Unglücklichen beschieden seyn? Ach, leider, eine höchst jammervolle, ja eine entsetzliche Zukunft! Unsere Quelle selbst liefert hierüber keine Nachrichten; sie schließt mit der Ausweisung des erbarmungswürdigen Geschöpfes, mit der Vertreibung desselben, und weiter sagt sie kein Wort mehr, ohne Zweifel, weil sie gleichzeitig mit dieser Catastrophe ist. Ob irgendwo auf dem Continent Etwas über das fernere Los der Ärmsten veröffentlicht worden, ist uns nicht bekannt, und wir zweifeln daran. Allein von England aus erging traurige Bothschaft, und zwar mittelst einer periodischen Schrift 1780 und 1781, deren Titel: »The Craftman« ist (natürlich nicht zu verwechseln mit einem viel früher erschienenen 14bändigen Werk, welches den nähmlichen Titel führt, und von dem man auch eine Ausgabe London 1731–37 besitzt).

Der in Rede stehende, grauenvolle, herzzerreißende Artikel des Craftman ist folgender: »Nachstehende kurze Erzählung ist so genau wahr, daß sie keine äußerliche Hülfe der Phantasie oder des Redeschmucks nöthig hat, um anzusprechen. Leser, welche das Wahre allein schön finden, werden davon gerührt werden; und nur für diese schreibe ich. Ich will also diese Geschichte mit der ihr eigenen Einfachheit erzählen, und mich genau an die Wahrheit halten.

Vor etwa vier Jahren kam in ein kleines Dorf unweit Bristol ein junges Weib und bath um etwas Milch, sich zu erfrischen. In dem ganzen Äußern dieser Person war etwas so Anziehendes, daß es Jedermann auffiel. Sie war sehr jung und von bezaubernder Schönheit; ihr Benehmen war anmuthvoll und gewinnend; ihre Gesichtszüge waren von eigenem großen Interesse. Sie war eine Fremde, ohne Begleitung, in größter Dürftigkeit. Dessen ungeachtet klagte sie nicht, und enthielt sich jedes Versuchs, Mitleid zu erwecken. Ihre Benehmungsweise zeugte von feiner Erziehung; inzwischen war doch in Allem, was sie that, etwas Verwirrtes und Unzusammenhängendes. Tag für Tag streifte sie umher, ein Plätzchen zu finden, ihr elendes Haupt nieder zu legen. Kam die Nacht, so flüchtete sie sich in irgend eine verlassene Hütte auf dem Felde. Die Damen der Nachbarschaft stellten ihr vergebens die Gefahr einer solchen Lebensweise vor. Die Menschlichkeit dieser Damen verschaffte ihr die unentbehrlichsten Dinge des Unterhalts; doch weder durch Bitten, noch durch Drohungen konnte sie vermocht werden, in einem Hause zu schlafen. Weil sie nun aber augenscheinliche Thorheiten beging, so ward endlich beschlossen, sie in Gewahrsam zu bringen. Bey dem Zeitpuncte dieses Ereignisses mag ich nicht verweilen, es würde mir, wie dem Leser das Herz zerreissen; ich führe nur an, daß man sie endlich ihrer Haft wieder entließ.

Sobald sich die Fremde wieder in Freyheit sah, both sie ihre wenigen noch übrigen Kräfte auf, um nach ihrem vorigen Zufluchtsort zu gelangen, obschon er 6 Meilen von dem Orte ihres Gefängnisses entfernt war. Ihr Entzücken, sich wieder in Freyheit und in jener jämmerlichen Hütte zu befinden, läßt sich nicht schildern. Beynahe vier Jahre sind es, daß dieses verehrenswerthe verlassene Geschöpf sich selbst zu diesem kümmerlichen Leben verurtheilt hat, ohne ein Bette, um zu ruhen, ohne ein Obdach, sich gegen die Witterung zu schützen. Durch die härtesten Entbehrungen, durch Krankheit, strenge Kälte und das äußerste Elend überhaupt mußte ihre Kraft untergraben werden, und ihre Schönheit sich vermindern; inzwischen ist ihre Gestalt noch immer höchst anziehend, und ihre Mienen, so wie ihre Art und Weise sich zu benehmen, verkündigen eine ungemeine Sanftmuth und Zärtlichkeit.

Über Alles, was die Eitelkeit ihres Geschlechtes zu reizen pflegt, ist sie hinaus. Ganz gegen die Gewohnheit der Irrsinnigen, will sie weder ein Kleid oder irgend einen Gegenstand des Putzes annehmen oder tragen. Alle dergleichen Dinge hängt sie an den nächstbesten Strauch, der ihr auf dem Wege vorkommt, gleichsam als sey es ihrer Beachtung völlig unwerth. Über ihre Existenz gibt sie durchaus keine Auskunft; ihr Schweigen hierüber ist unbesiegbar; ihr Gedächtniß scheint geschwächt; ihre Urtheilskraft ist augenscheinlich zerrüttet. Indeß sind ihre Antworten ziemlich verständig, außer, wenn sie annehmen kann, daß die Fragen, welche man an sie richtet, die Absicht haben, ihr Geheimniß auszuforschen. Sie führt ein so unschuldiges Leben, als man sich nur immer vorstellen kann. Alle Morgen, wenn schönes Wetter ist, streift sie in den benachbarten Dörfern herum, unterhält sich mit den Kindern der armen Bauern, macht ihnen kleine Geschenke mit Dingen, die man ihr geschenkt hatte, und nimmt dafür andere von ihnen. Genießen will sie nichts anderes als Milch, Thee und die allereinfachsten Nahrungsmittel.

Die benachbarten Damen, besonders EineMademoiselle Atking, die zu Bristol wohnt, und es auf sich genommen hat, diesen Flüchtling zu unterhalten. Durch viele Mühe und Geschicklichkeit ist es ihr endlich gelungen, sie zu einem Wundarzt in Bristol selbst zu bringen. Sie (die Fremde) gewann ihn lieb; aber sobald er sie um ihren Ursprung befragen will, legt sie den Finger auf den Mund. Da ihre Thorheit, in keinem Bette zu schlafen, noch besteht, so hat man ihr Matratzen auf die Erde gebreitet. Oft unterhält sie sich damit, daß sie sich aus ihrer Bettdecke einen königlichen Mantel macht. Als einst ein mit vier Pferden bespannter Wagen durch die Gassen fuhr, und man an das Fenster trat, fragte sie um die Ursache, und sagte hernach: »Das ist wohl der Mühe werth! Mein Vater fuhr allezeit mit acht Pferden!« Mademoiselle Atking hat erzählt, daß sie sich Bicky genannt habe; daß sie einen deutschen und italienischen Accent habe, und daß sie die Erzeugnisse Deutschlands und Italiens zu kennen scheine., die nie aufgehört, ihre Wohlthäterinn zu seyn, haben alles Mögliche angewendet, sie dahin zu bringen, daß sie sich entschließe, in einem Hause zu wohnen; aber ihre gewöhnliche Antwort war: »In den Häusern wohnen die Verwirrung und das Elend; das wahre Glück besteht nur in der Freyheit und in frischer Luft.«

Aus einer gewissen Eigenthümlichkeit im Ausdrucke, die mit einer besondern Wendung der Redensart verbunden ist, und aus der etwas fremdartigen Aussprache haben einige Personen gemuthmaßt, daß sie keine Engländerin sey. Man hat deßhalb viele Mühe angewendet und Versuche unternommen, einige Aufklärung über ihre Herkunft zu erhalten. Vor ungefähr einem Monat redete sie ein Edelmann in verschiedenen europäischen Sprachen an. Sie schien dadurch beunruhigt, verlegen und verwirrt zu seyn; als er sie aber deutsch ansprach, nahm ihre Unruhe so sehr zu, daß sie selbe nicht verbergen konnte; sie entfernte sich, und weinte bitterlich.

Als sich diese Anekdote in der Nachbarschaft verbreitete, kam sie unter andern zweyen Edelleuten zu Ohren. Die Menschlichkeit führte sie zu dieser armen Verlassenen. Einer von ihnen, welcher sehr gut deutsch sprach, erneuerte diese Probe. Ihre Verwirrung war augenscheinlich; sie erröthete, und beantwortete entweder zufällig, oder, weil sie diese Sprache verstand, einige Fragen in englischer Sprache; aber auf der Stelle, gleich als hätte man sie gezwungen, oder auf dieser Unbesonnenheit überrascht, lenkte sie die Rede sehr geschickt auf einen andern Gegenstand, und läugnete, dasjenige verstanden zu haben, um was man sie gefragt hatte.«

Der Verfasser dieses Artikels schließt denselben mit nachstehenden Worten: »Diese kleine ganz einfache Erzählung, ist aus keiner andern Absicht hier veröffentlicht worden, als in der Hoffnung, daß sie Denjenigen bekannt werde, welche bey dieser unglücklichen Angelegenheit betheiligt sind, und mit dem heißen Wunsche, ein junges liebenswürdiges in den bittersten Kummer versunkenes Geschöpf einer über dessen Verlust zweifelsohne trostlosen Familie wieder zu schenken. Der Verfasser wünschte herzlich daß all dieses bloß eine Erdichtung wäre, und er nicht mit eigenen Augen das Unglück gesehen hätte, welches er hier erzählt hat. Dieß würde ihm mehr als einen Seufzer, der ihm das Erbarmen ausgepreßt hat, und obgleich er ein Mann ist, viele Thränen eines nutzlosen Mitleids erspart haben.«

In der Voraussetzung, daß sich Alles so verhalte, wie der Verfasser in Craftman es erzählt, müssen wir annehmen, er sey ein Mann von Gefühl gewesen. Aber schweigen müssen wir, wenn die Rede von dem herzzermalmend rührenden Eindruck seyn soll, den diese Nachrichten bey uns selbst, und gewiß bei jedem unsrer Leser hervorgebracht haben. Eine wahre Märtyrergeschichte! Was ferner die Einerleyheit der Person betrifft, so erscheint allerdings Manches räthselhaft, zum Beyspiel die Kenntniß so verschiedener Sprachen, von denen sich in den frühern Nachrichten keine Spuren finden. Indeß wir müssen dieses sowohl, als so manches Andere dahin gestellt seyn lassen. Wir haben nur das geliefert, was uns selbst vorgelegen war, und bemerken nur noch, daß für die Identität der Person auch die Übereinstimmung der Zeitfolge sprechen könne. In dieser Hinsicht findet eine Anmerkung des Craftman erst hier ihre geeignetere Stelle. Dieser Note zu Folge war man der Meinung, die Unglückliche sey an irgend einem englischen Seehafen an das Land gesetzt worden, und zwar im Jahre 1775 oder 1776.

Wo und auf welche Weise dieses jedenfalls beyspiellos unglückliche weibliche Wesen das Ziel seiner Leiden gefunden haben mag? Wahrscheinlich wohl in irgend einem Irrenhause.

Franz Gräffer.


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