Paul Grabein
In Jena ein Student
Paul Grabein

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Gerichtet

Silentium, es soll Konvent sein!«

Rickmann gebot es als erster Chargierter, indem er sich an der langen Tafel erhob, an der die zu ernster Beratung versammelten Alanen saßen.

»Auf der Tagesordnung unseres heutigen Extrakonvents steht ein Antrag unseres aktiven Burschen Bergmann, ein Antrag, der sich gegen unseren aktiven Burschen Schulte richtet. Schulte wird darin beschuldigt, unsere Couleur schwer bloßgestellt zu haben, indem er mit Couleurabzeichen versehene Gegenstände in die Hand eines Trödlers hat geraten lassen, der sie zum öffentlichen Skandal im Schaufenster ausgestellt hat.«

Leise Rufe des Erstaunens und des Unwillens wurden in der Runde laut; denn einzelne, namentlich von den Inaktiven, hatten bisher noch nicht genau gewußt, um was es sich handelte, und aller Blicke richteten sich nun auf Schulte, der an der Mitte der Tafel saß, jetzt das Haupt tief gesenkt.

»Ich gebe zunächst Bergmann das Wort zur näheren Begründung seiner Anklage.«

Bergmann erhob sich, und die Mütze vor sich auf den Tisch legend, begann er in scharfer, schneidiger Weise seinen Bericht zu erstatten, indem er erzählte, wie er im Vorübergehen am Schnerberschen Trödlerladen zu seinem maßlosen Erstaunen das Schultesche Mobiliar entdeckt habe. Ohne allen Zweifel hätten bereits eine Menge anderer Couleurstudenten gleich ihm diese Gegenstände gesehen und es müsse daher aufs schärfste gegen Schulte vorgegangen werden, der durch diese unerhörte Handlungsweise das studentische Ansehen der Alania aufs allerschwerste geschädigt habe.

Wuchtig wurden diese letzten Worte hinausgestoßen, dann setzte sich Bergmann geräuschvoll nieder, ein Gefühl grimmiger Genugtuung im Herzen: nun hatte er es dem verhaßten Widersacher, dem er schon längst einmal an den Kragen wollte, tüchtig besorgt! Der hatte jetzt die längste Zeit das Alanenband getragen, so viel war sicher.

Eine schwüle Pause entstand, dann ergriff Rickmann wieder das Wort.

»Liebe Couleurbrüder! Nachdem wir soeben Bergmanns Anklage gehört haben, erteile ich hiermit Schulte das Wort. Er mag uns sagen, was er zu seiner etwaigen Entschuldigung anzuführen hat.«

Auf Schultes Antlitz, das bis dahin von einer tiefen Blässe überzogen war, stieg eine dunkle Röte auf, wie er sich nun erhob und, die Augen auf die Tischplatte gerichtet, zögernd und stockend zu sprechen begann.

»Bergmann hat den Tatbestand soeben richtig vorgetragen: die Sachen sind beklagenswerterweise durch einen unglückseligen Zufall in die Hand Schnerbers geraten, aber nur knappe vierundzwanzig Stunden lang. Ich habe – was ich allerdings eingestehen muß – den Verfalltermin der gepfändeten Möbel verbummelt, und so sind diese zu Schnerber gekommen; aber ich habe mir dann sofort das Geld beschafft und bereits am anderen Morgen, also gestern, habe ich die Sachen wieder von Schnerber zurückgekauft. Ich konnte, nachdem das Unglück einmal geschehen war, wahrhaftig nicht mehr tun, als ich getan habe, und bitte daher, den Fall mit Nachsicht beurteilen zu wollen.«

»Ich bitte ums Wort,« klang es scharf von der Stelle her, wo Dobler saß, und als Rickmann eine zustimmende Bewegung machte, wandte sich der alte Inaktive direkt an Schulte, indem er, dem Couleurbrauche zuwider bequem sitzen bleibend, das Wort an diesen richtete: »Ich möchte doch zunächst Schulte fragen, wie er es überhaupt dazu kommen lassen konnte, daß derartige Sachen verpfändet wurden!«

Zögernd und stockend begann Schulte zu sprechen.

Schulte zuckte die Achseln. »Nun, wie das eben so geht! Ich hatte leider Schulden, wurde verklagt und konnte nicht zahlen.«

»Zum Kuckuck, dann sorgt man doch aber dafür, daß es nicht bis zur Pfändung kommt, wenigstens nicht von derartigen Dingen, die hoch in Ehren zu halten sind! Zumal wenn man an seinem reichen Vater jederzeit einen Rückhalt hat!«

In Schultes Gesicht zuckte es auf, und einen Augenblick sah man ihn schwer mit sich kämpfen; dann zwang er sich zu dem Bekenntnis: »Diesen Rückhalt hatte ich eben nicht! Von meinem Vater konnte ich das Geld nicht bekommen.«

»Das glaube ich einfach nicht,« stieß Dobler hart hervor. »Jeder von uns weiß doch, daß Schultes Vater ein schwerreicher Mann ist, für den ein paar hundert Mark eine Kleinigkeit sind.«

Schulte schwieg, aber von neuem flackerte in seinem gesenkten Antlitz eine brennende Röte auf.

Dobler bemerkte es, und in seinen Zügen malte sich ein plötzlich aufsteigendes, starkes Erstaunen. »Wenigstens hat Schulte es uns doch hundertmal erzählt,« fuhr er langsamer fort, »daß sein Vater über bedeutende Mittel verfügt, und daß er bloß nach Haus zu schreiben brauchte, um jeden beliebigen Betrag zu erhalten! Ich rufe euch alle zu Zeugen an,« wandte er sich an die Runde der Burschen, »habe ich recht oder nicht?«

Zustimmende Zurufe wurden von allen Seiten hörbar.

»Nun also!« fuhr Dobler mit erhobener Stimme fort. »Entweder ist Schultes Vater wirklich so begütert, dann ist es einfach ein unerhörter Skandal, daß Schulte es jetzt so weit kommen ließ; oder sein Vater ist es nicht – nun, dann hat er uns einfach in nicht wiederzugebender Weise angelogen!«

»Sehr richtig!« ließ sich Bergmann wieder hören, und ums Wort bittend, erhob er die Hand. »Ich kann Dobler nur voll beistimmen und möchte den Ersten ersuchen,« – er wandte sich an Rickmann – »hier einmal vor dem Konvent festzustellen, was an Schultes Aussagen über seine Personalverhältnisse richtig ist. Ich muß gestehen: Mir sind nach allem, was ich jetzt anläßlich dieses Vorfalls über Schulte gehört habe, die stärksten Bedenken gekommen und ich halte es für unumgänglich notwendig, im Interesse der Alania über seine persönlichen Verhältnisse einmal klar zu sehen. Ich habe hier« – er blätterte in einem dicken Buch, das er vor sich liegen hatte – »das Mitgliederalbum vor mir. Danach hat Schulte seinerzeit angegeben, daß sein Vater Großkaufmann in Berlin sei, daß er einen Monatswechsel von dreihundert Mark beziehe, wonach wir ihn denn auch entsprechend besteuert haben, und daß ihm alle Extraausgaben außerdem noch von Hause erstattet würden. Ich bitte jetzt den Ersten, feststellen zu wollen, was daran wahr ist; denn ich halte die Klarlegung dieses Sachverhalts zugleich von Wichtigkeit für die Beurteilung von Schultes vorliegendem Vergehen.«

Rickmann war leise zusammengezuckt. Bei der Wendung, die jetzt die Angelegenheit für Schulte nahm, konnte es freilich leicht zu dem gefürchteten bösen Ende kommen. Aber dennoch durfte er sich seiner Pflicht nicht entziehen und so richtete er denn an Schulte die Aufforderung, auf die er die Antwort schon im voraus wußte: »Ich bitte dich hiermit, Schulte, uns zu sagen, wie es mit diesen deinen Angaben steht!«

Schulte zögerte einige Augenblicke mit der Entgegnung; er sah nur allzu deutlich das Verhängnis jetzt über sich hereinbrechen, aber was hätte ihm nun noch alles Vertuschen geholfen? Es war ja doch nicht länger möglich, die Täuschung aufrecht zu erhalten, die er bisher vorgespiegelt hatte; und so kam denn leise sein Geständnis über seine Lippen.

»Ich muß allerdings zugeben, daß ich seinerzeit nicht zutreffende Angaben über meine Verhältnisse gemacht habe. Es ist mir furchtbar, das jetzt eingestehen zu müssen; aber ich schämte mich zu sagen, daß ich nur aus einer einfachen Familie stamme, und so habe ich denn auch meine Einnahmen übertrieben hoch angegeben. Ich erhielt, wie ich Rickmann schon mitteilte, monatlich nur hundert Mark von Haus, bin also, wie ihr seht, durchaus nicht in der Lage gewesen, aus eigenen Mitteln jetzt die Schuld zu bezahlen, die mir so verhängnisvoll geworden ist, am allwenigsten jetzt, wo mein Vater vor einigen Wochen vollständig die Hand von mir gezogen hat.«

Höchstes Erstaunen malte sich auf den Gesichtern der Burschen und schon erbat sich Dobler wieder das Wort. »Das ist ja wieder eine erfreuliche Neuigkeit!« stieß er in höchster Entrüstung hervor. »Sie gibt der Sache aber eine völlig neue Wendung. Bisher lag gegen Schulte nur eine Bloßstellung der Couleur vor, von jetzt ab haben wir aber auch noch über etwas anderes zu verhandeln. Wie Schulte uns eben unumwunden eingestand, hat er seinerzeit über seine Person wissentlich falsche Angaben vor dem Konvent gemacht. Der Strafantrag wird daher unter einen doppelten Gesichtspunkt zu stellen sein. Es liegt neben schwerer Schädigung der Couleurinteressen, die meines Erachtens unbedingt mit einer Dimission zu bestrafen wäre, ein ehrenrühriges Vergehen Schultes vor. Denn bekanntlich, und auch Schulte ist dies seinerzeit wohlbekannt gewesen, werden alle Aussagen vor dem Konvent auf Ehrenwort gegeben. Schulte hat also unter seinem Ehrenwort falsch ausgesagt. Ich stelle daher hiermit den Antrag, Schulte wegen dieses Vergehens cum infamia auszustoßen, wie dies unser Statut in einem solchen Falle erfordert!«

Unerbittlich hallte das furchtbare Wort in die fast feierliche Stille des Beratungszimmers. Bei seinem Klang durchfuhr ein Zittern den Körper Schultes, der noch aufrecht stand, und unwillkürlich trat er wankend einen Schritt zurück. Auch Rickmann war blaß geworden. Er hatte geahnt, daß nun die Sache für Schulte verhängnisvoll werden würde, aber doch machte auch ihn nun die furchtbare Folgerung von Doblers Worten innerlich erzittern.

Trotzdem mußte er pflichtgemäß dem Schriftführer Auftrag geben, den Antrag zu protokollieren. Dann fuhr er fort: »Silentium! Es liegen demnach zwei Strafanträge gegen Schulte vor und wir werden jetzt in die Verhandlung über diese Anträge eintreten. Schulte,« – er wandte sich an den noch immer fassungslos Dastehenden – »du weißt, daß du während diesen Verhandlungen nicht anwesend sein darfst; ich frage dich daher, hast du uns vorher noch irgend eine Mitteilung zur Sache zu machen?«

Schultes Augen blickten verzweiflungsvoll zu Rickmann hin und unwillkürlich entfuhr es ihm: »Ich habe mir ja niemals gedacht, etwas Schlechtes zu tun, als ich seinerzeit diese unrichtigen Angaben machte! Es ist mir niemals in den Sinn gekommen, daß ich damit eine ehrenrührige Handlung begehen würde! Ich habe nur meine einfache Herkunft verdecken wollen.«

»Darüber sind wir nun bereits zur Genüge orientiert,« warf Dobler mit schneidender Kälte dazwischen. »Wenn uns Schulte sonst nichts zu sagen hat –«

Rickmann blickte Schulte fragend an; aber dieser, nunmehr völlig niedergebrochen, schüttelte in stummer Verzweiflung den Kopf und eilte dann, ohne noch einmal den Blick zu seinen Couleurbrüdern zu erheben, aus dem Zimmer.

In finsterem Schweigen sahen sie alle ihm nach.

Durch Heinzens Brust zuckte plötzlich ein dumpfes Weh. Wie furchtbar war dieser Augenblick, in dem der Unglückliche als ein schon Gerichteter den Kreis der Couleurbrüder verließ, aus dem er unfehlbar für immer ausgestoßen werden würde. Wie war er einst in ihn eingetreten in jubelnder, froher Hoffnung! Mit einem Male stand deutlich jener erste Abend in dem Alanenhause vor Heinzens Seele, an dem auch Schulte aktiv geworden war. Wer hätte es damals ahnen können, daß es einst so weit mit diesem kommen würde!

Aber es war keine Zeit, sich jetzt solchen Regungen hinzugeben, denn scharf und unerbittlich klang schon wieder die Stimme Bergmanns, der sich nun an ihn wandte.

»Da Schulte uns eben über alle näheren Einzelheiten auf dich verwiesen hat, Rickmann, möchte ich dich bitten, uns zu sagen, was du über die Sache weißt.«

Langsam erhob sich Heinz von seinem Stuhl – er hatte sich inzwischen wieder niedergelassen – und in ausführlicher Rede begann er zu berichten, was Schulte ihm gestanden hatte.

Unwillkürlich wuchs sich dieser Bericht zu einer warmherzigen Entschuldigung des Angeklagten aus. Heinz schilderte in beredter Weise, wie Schulte allmählich auf die schiefe Bahn gekommen war, dann malte er in einer zu Herzen gehenden Weise die Reue und Verzweiflung Schultes, welche dieser ihm gegenüber bezeugt hatte, und empfahl ihn in seinen Schlußworten der Milde seiner Couleurbrüder. Wenngleich Schulte selbstverständlich bestraft werden müßte, so möge ihm doch wenigstens das letzte, die Ausstoßung mit Schimpf und Schande, erspart bleiben!

Schweigend hatte der Konvent den Bericht Heinzens angehört. Dieser setzte sich nun nieder, erschöpft von der inneren Erregung, welche die Darstellung des Vorganges von neuem über ihn gebracht hatte, und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn.

Eine kleine Pause trat ein, in der die Couleurbrüder in erregter Weise, aber doch nur leise flüsternd, ihre Meinungen miteinander austauschten. Dann erbat Bergmann wieder das Wort.

»Liebe Couleurbrüder,« ließ sich Bergmann vernehmen, »wir haben nunmehr durch Rickmann alle näheren Umstände in klarster Beleuchtung kennen gelernt, und ich glaube, Schulte kann sich für einen solchen Sachwalter nur bedanken; denn Rickmann hat uns die Sache in einer äußerst wohlwollenden Weise geschildert – wie ich persönlich meine, sogar in etwas zu wohlwollender und milder Form. Es ist dies ja freilich begreiflich, weil ihn langjährige engere Freundschaftsbande mit Schulte verknüpfen. Aber, liebe Couleurbrüder, wir, die wir jetzt hier über die Verfehlungen Schultes zu Gericht sitzen sollen,« – und noch schneidender und schärfer erhob sich die Stimme des Sprechers – »wir dürfen uns nicht durch persönliche Beziehungen und Empfindungen beeinflussen lassen! Völlig objektiv haben wir den Tatbestand nachzuprüfen und zu beurteilen, und bei der Urteilsbildung dürfen wir keinen Augenblick aus dem Auge lassen, daß wir nicht in eigener Sache richten, sondern in Wahrung der hohen Interessen, der Ehre und des Ansehens der Alania, die alle Zeit in Ehren, deren Wappenschild jederzeit rein und glänzend zu erhalten wir mit unserem Burscheneide einst feierlich gelobt haben!«

Ein lebhaftes, beifälliges Murmeln durchlief die Reihen der Alanen. »Sehr richtig!« schallte es laut und kräftig von der Ecke her, wo Dobler und Töpke saßen.

»Nachdem Schulte uns seine Schuld glatt eingestanden hat und wir den Sachverhalt im einzelnen nunmehr genau kennen, glaube ich, können wir es uns schenken, noch in eine weitere Untersuchung des Falles selbst einzutreten, der nach meinem Dafürhalten höchst einfach liegt. Oder sollte einer von euch wünschen, in dieser Beziehung noch etwas vor den Konvent zu bringen?« Es meldete sich niemand. »So würde es denn nur noch darauf ankommen, festzustellen, welche Strafe über Schulte zu verhängen ist.«

Der Sprecher ließ eine Pause eintreten, während welcher er in dem vor ihm liegenden Statut der Alania blätterte; nun hatte er die gesuchte Stelle gefunden, und, das kleine Büchlein erhebend, sprach er mit erhobener Stimme: »Auch dieser Punkt ist meines Erachtens äußerst klar und einfach. Es handelt sich um zwei Straftaten. Die eine – das Verfallen- und Zurschaustellenlassen der verpfändeten Couleursachen – erweist sich als eine Bloßstellung der Couleur, und unzweifelhaft als eine solche schwerster Form. Nun verlangen unsere Statuten« – Bergmann blätterte in dem kleinen Druckheft vor sich – »hier, laut § 46, Titel B, in diesem Falle die Verhängung der Dimission für immer. Es wäre also demgemäß eine solche über Schulte auszusprechen, wenn nicht mit diesem ersten Vergehen das zweite in Zusammenhang stände.«

Bergmann bemühte sich, als angehender Jurist, Ton und Ausdrucksweise eines Staatsanwalts nachzuahmen. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Auch bezüglich dieses zweiten Vergehens ist uns durch unsere Statuten genau vorgeschrieben, was wir in diesem Falle zu tun haben. Hier« – und er schlug mit der Rechten auf das aufgeschlagene Büchlein – »§ 47 unserer Statuten besagt: Mit der Ausschließung cum infamia ist zu belegen, wer sich einer ehrlosen Handlung schuldig gemacht hat. Nun, es kann meines Erachtens kein Zweifel darüber bestehen, daß hier ein Fall vorliegt, in dem der § 47 anzuziehen ist. Schulte hat, wie ihr alle heute hörtet, seinerzeit wissentlich falsche Aussagen unter seinem Ehrenwort gemacht. Das ist aber unzweifelhaft eine ehrlose Handlung in aller Form, und ich beantrage daher, in Zusammenziehung der beiden Straffälle, wie es unser Statut vorschreibt, den aktiven Burschen Schulte wegen wissentlich falscher Aussagen vor dem Konvent und schwersten Kompromittierens der Couleur als Ehrlosen auszuschließen.«

Unerbittlich und hart klang das Wort in die Stille hinein. Eine Weile blieb alles im Konvent reglos, mit ernsten Mienen saßen die Burschen da, aber keiner sprach ein Wort. Nur Heinz war leise zusammengezuckt, als das freilich nach der Rede Bergmanns zu erwartende inhaltsschwere Wort zum Schluß fiel.

»Ich frage nun,« schallte wieder die Stimme des Sprechers, »wünscht jemand zum Antrag das Wort?«

Dobler erhob die Hand und erbat sich so als erster das Wort. Auch diesmal blieb er bequem sitzen und lüftete nur kurz beim Sprechen die Mütze, indem er erklärte: »Wie Bergmann sehr richtig bemerkte, liegt der Fall so vollständig klar, daß wir uns eine Debatte über das Strafmaß schenken können. Schulte hat sich mit seinem Verhalten einfach selber aus der Liste der anständigen Leute gestrichen, und somit ist es für uns eo ipso notwendig, daß wir ihn auch aus der Reihe unserer Leute ausmerzen.«

Ruhig bedeckte Dobler wieder den Kopf, auf seinem Gesichte zeigte sich keine Spur einer inneren Bewegung; wie er es in diesem Augenblick mit kalter Selbstverständlichkeit ausgesprochen hatte, so empfand er es auch. Schulte hatte eben bereits aufgehört für ihn zu existieren. Und der Einfluß des angesehenen und vielfach gefürchteten alten Inaktiven war zunächst so mächtig, daß auch keine andere Hand sich regte, das Wort zu erbitten; man sah vielmehr nur vielfaches, beifälliges Kopfnicken.

Da aber tönte plötzlich Heinzens Stimme: »Liebe Couleurbrüder, ich bitte euch herzlichst, die Sache doch von einem etwas menschlicheren Standpunkte anzusehen. Wir sind hier keineswegs bloß Richter, wie Bergmann meinte, sondern wir sind auch die Couleurbrüder Schultes!«

»Oho – schöner Couleurbruder!« erklang es voll Widerspruch ringsum.

»Bitte – noch sind wir es!« erklärte energisch Heinz, »und solange wir es sind, haben wir auch die Pflicht, couleurbrüderlich uns mit Schulte zu befassen.« Wieder wollte sich lebhafter Widerspruch erheben. »Selbstverständlich!« beschwichtigte Heinz, »ich bin mit euch völlig der Meinung, daß Schulte nicht länger zu uns gehören darf; nur das Letzte möchte ich ihm ersparen. Bitte, denkt doch daran: Wenn ihr ihn cum infamia hinauswerft, ruiniert ihr ihm die ganze Zukunft; er kann sich nirgends unter anständigen Menschen mehr sehen lassen; wie ein Gebrandmarkter wird er sich durchs Leben schleichen. Und wenn ihr's schon um seinetwillen nicht tun wollt, so denkt doch an seine armen Eltern daheim, erspart wenigstens ihnen den Schimpf und die Schande!«

»Bitte – wir sind nicht da, um uns hier um Familienangelegenheiten zu kümmern!« warf Töpke eifrig dazwischen.

»Silentium!« gebot aber Rickmann scharf. »Noch habe ich das Wort, und ich bitte dringend, mich nicht zu unterbrechen. Ich muß es wirklich schmerzlich beklagen, daß ich hier eben eine derartige herzlose Bemerkung hören mußte. Mit was für schönen Worten wird der Fuchs betört, wenn er von uns gekeilt wird! Da wird so viel gesprochen von Couleurbrüderlichkeit, die einem Ersatz für die Familie daheim geben soll, und nun? Ich muß es doch offen aussprechen – und jetzt gerade – wir alle tragen mehr oder minder eine gewisse Mitschuld an Schultes Fall.«

Zornige Protestrufe unterbrachen Heinz, aber mit erhobener Stimme fuhr er fort: »Jawohl, ich bleibe dabei! Oder wer wollte leugnen, daß wir Schultes Leichtsinn und Extravaganzen nur noch bestärkt haben durch unseren unbesonnenen Beifall, den wir ihm spendeten, der ihn zu seinem falschen Ehrgeiz noch mehr anreizte?«

»Donnerwetter!« Ganz unparlamentarisch entfuhr es Dobler, während er mit der Hand auf den Tisch schlug, »das wird ja immer besser! Ich beantrage Schluß der Debatte und danach Abstimmung!«

»Ich bin dagegen!« rief Heinz erregt aus. »Ich protestiere hiermit aufs schärfste gegen diese kaltherzige, übereilte Art, über Ehre und Zukunft eines Menschen abzuurteilen, der sich einst vertrauensvoll unserem Kreis angeschlossen hat. Jeder von uns übernimmt heute mit seiner Abstimmung eine schwere, ernste Verantwortung; das wollen wir doch nicht vergessen! Ich kann nicht verstehen, wie man aus Schultes allerdings sehr häßlicher und verwerflicher Bemäntelung seiner bescheidenen häuslichen Verhältnisse jetzt die schwerste, ehrenrührigste Handlung machen und ihm den Strick daraus drehen will. Eine eitle, leichtsinnige Prahlerei ist es gewesen und nichts weiter! Und daraufhin sollen wir einen Menschen als einen Ehrlosen für sein ganzes Leben brandmarken?! Ich kann zu Gunsten Bergmanns und Doblers nur annehmen, daß sie sich als schneidige Juristen haben zu weit führen lassen. Aber ich warne euch anderen alle dringlichst: laßt euch nicht fortreißen! Bedenkt, daß ihr hier mit der ganzen Existenz eines Menschen spielt! Fällt nicht in Übereilung ein Urteil, das euch vielleicht nachher – wenn es zu spät und vielleicht ein schweres Unglück angerichtet ist – bitter reut!«

Die wuchtigen Worte Heinzens hatten denn doch eine große Anzahl von bisher Gleichgültigen oder Unentschlossenen wachgerüttelt, und so kam es zu einer langen, heftigen Debatte. Hin und her schwirrten die Meinungen; aber schließlich endete der heiße Kampf, trotz der hitzigsten Gegenwehr Doblers und seines Anhangs, mit dem Siege der Partei Rickmanns. Es wurde nur die nicht entehrende Entfernung aus der Couleur über Schulte verhängt.

Tief aufatmend wischte sich Heinz, nachdem eben die Abstimmung dies Resultat ergeben hatte, den Schweiß von der Stirn. Das war ein schwerer Kampf gewesen! Aber er war herzlich froh, daß es ihm gelungen war, den Besonneneren die Oberhand zu verschaffen. Doch dann richtete er sich straff wieder auf und gebot in das erregte Gemurmel, den Nachhall des Kampfes, hinein: »Silentium! Mein Antrag ist also angenommen! Kirchner,« – er wandte sich an den jüngsten Burschen der Alania – »bitte, hole Schulte wieder herein.«

Es dauerte keine halbe Minute, so trat der Genannte wieder ein, aber allein. »Schulte ist fort!« sagte er etwas betroffen.

»Was? Fort?« Ein Staunen lief durch die Versammlung. Was hatte das zu bedeuten? Und ein eigenartiges Gefühl beschlich in diesem Augenblick die meisten: War Schulte aus Furcht vor der Ausschließung cum infamia verzweifelnd hinweggeeilt?

Ein befangenes Schweigen herrschte in der Runde. Aber schließlich machte Heinz, obwohl im Augenblicke selber sehr verstört, dem ein Ende, wie er mußte.

»Silentium!« gebot er. »Da sich Schulte der Urteilsverkündigung entzogen hat, so beauftrage ich hiermit den Schriftwart, ihm die zudiktierte Strafe brieflich mitzuteilen. Konvent ex!«

Und schnell erhoben sich die Burschen von ihren Sitzen.

 


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