Paul Grabein
In Jena ein Student
Paul Grabein

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Abiturienten-Kommers

Silentium! Wuchtig donnerten dreimal die Schläger des Präsiden und Kontrapräsiden auf die Tischplatte nieder. »Commercium incipitur!«

Hell und kraftvoll schallten die Worte des Präsiden Helmut Berendt durch den weiten Saal hin, in dem heute die Lehrer und die Schüler der oberen Klassen des Gymnasiums mit ehemaligen Zöglingen der Anstalt vereinigt waren, um den Abschied der Abiturienten von der Anstalt zu feiern.

»Hochverehrte Herren Lehrer, verehrte Gäste, liebe Mitschüler! Wir sind heute versammelt, um nach altem schönen Brauch akademischer Sitte in einem feierlichen Kommers unseren Abschied von der Schule zu feiern, die uns so lange treu behütet hat. Wie überall, wo deutsche Männer und Jünglinge zu festlichem Tun vereint sind, sei es auch heute unser erstes, unseres verehrten Herrschers zu gedenken, der mit kraftvoll starker Hand die Geschicke unseres Vaterlandes lenkt. Er, der Schirmherr alles Schönen und Guten, hält seine Hand auch über die Stätte, die zur Bildung und Erziehung der Jugend fürs Leben geschaffen ist. So ziemt es uns denn heut doppelt, seiner in Dankbarkeit und Treue zu gedenken und ihm an dieser Stelle das Gelübde zu erneuern, daß auch wir allzeit treu für Kaiser und Reich einstehen wollen. In diesem Sinne fordere ich Sie, meine hochverehrten Lehrer, verehrten Gäste und lieben Mitschüler, auf, sich zu erheben und auf Seine Majestät unseren Kaiser einen donnernden Salamander zu reiben, dessen Kommando ich mir zur Ehre schätzen werde. Ad exercitium salamandri! Estisne parati?«

»Sumus.«

In dumpfem, machtvollem Brausen erscholl die Antwort der Kneiptafel, indem zugleich alles von den Stühlen aufsprang und behend zum Henkel des Bierglases griff. »Eins – zwei – drei!« Ein dumpfes Reiben erhob sich auf den langen Reihen der Tische. »Bibite! – Eins – zwei – drei!« Das donnernde Trommeln der kraftvoll geschwungenen Seidel dröhnte von den Tischplatten und abermals erscholl das Kommando: »Eins – zwei – drei!«, worauf mit einem gewaltigen, gleichmäßigen Klappen, dem Aufstoßen der Gläser auf den Tisch und dem letzten Kommando: »Salamander exest!« der feierliche Akt sein Ende fand.

»Silentium!« gebot abermals der Präside. »Wir singen im Anschluß hieran das erste Allgemeine: Sind wir vereint zur guten Stunde.«

Und also geschah es. Die »Hausmusik«, ein des Klavierspiels kundiger Primaner, intonierte mit mehr kraftvollem als künstlerischem Anschlag die Melodie, und alsbald fiel der brausende Chor von vielen Männer- und Jünglingsstimmen ein:

    Sind wir vereint zur guten Stunde,
Ein starker deutscher Männerchor,
So dringt aus jedem frohen Munde
Die Seele zum Gebet empor;
Denn wir sind hier zu ernsten Dingen
Mit hehrem, heiligen Gefühl,
Drum soll die volle Brust erklingen,
Ein volles, helles Saitenspiel.

    Wem soll der erste Dank erschallen?
Dem Gott, der groß und wunderbar
Aus langer Schande Nacht uns allen
Im Flammenglanz erschienen war;
Der unsrer Feinde Trotz zerblitzet,
Der unsre Kraft uns schön erneut,
Und auf den Sternen waltend sitzet
Von Ewigkeit zu Ewigkeit.

    Wem soll der zweite Wunsch ertönen?
Des Vaterlandes Herrlichkeit!
Verderben allen, die es höhnen!
Glück dem, der mit ihm fällt und steht!
Es geh' durch Tugenden bewundert,
Geliebt durch Redlichkeit und Recht,
Stolz von Jahrhundert zu Jahrhundert
An Kraft und Ehren ungeschwächt.

    Das dritte, deutscher Männer Weide,
Am hellsten soll's geklungen sein!
Die Freiheit heißet deutsche Freude,
Die Freiheit führt den deutschen Reihn;
Für sie zu leben und zu sterben,
Das flammt durch jede deutsche Brust;
Für sie um hohen Tod zu werben
Ist deutsche Ehre, deutsche Lust.

    Das vierte – hebt zur hehren Weihe
Die Hände und die Herzen hoch! –
Es lebe alte deutsche Treue,
Es lebe deutscher Glaube hoch!
Mit diesen wollen wir bestehen,
Sie sind des Bundes Schild und Hort;
Fürwahr, es muß die Welt vergehen,
Vergeht das feste Manneswort.

Begeisterung sprühte aus aller Augen, als die schwungvoll mächtigen Töne des Liedes verklungen waren. Wie ehedem wußte auch heute noch der begeisterungsglühende Gesang des alten Freiheitsbarden Ernst Moritz Arndt die Herzen fortzureißen in heiliger Weihe, und so war der schönste Grundton angeschlagen für einen Festabend wie der heutige. Aber das hinderte doch nicht, daß einige Minuten später, nachdem sich alles wieder gesetzt hatte und eine lebhaft schwirrende Unterhaltung in Fluß gekommen war, allenthalben auch die heitere Freude durchleuchtete, die unbeschadet der feierlichen Weihe des Kommerses auch ihr Recht verlangte.

Wahrlich, Grund zur Freude war ja heute genug vorhanden für alle, die hier vereint waren. Für die Lehrer, daß es ihnen wieder einmal gelungen war, einen Jahrgang von Schülern und zwar eine stattliche Anzahl von Abiturienten ohne Ausnahme glatt durch das Examen zu bringen – für die Herren muli, die Hauptpersonen des heutigen Abends, natürlich am allermeisten – und endlich nicht minder auch für die mit ihnen vereinten Schüler der höheren Klassen, die in dem heutigen glücklichen Ausgang des Examens ein freundliches Omen für sich selbst erblickten und sich im Geist auch schon so weit sahen. Hiezu kam noch das Gefühl der seltenen Ehre, einmal wie freie Männer mit dem Direktor und den Lehrern am Biertisch vereint zu sitzen, ja sogar der Genuß der sonst verpönten Zigarre war freigegeben! So schwellte denn Jugendfreude und Hoffnungsseligkeit jedem der jungen Leute in den langen Reihen der Kneiptafel die Brust, und man sah nur gerötete Wangen und blitzende Augen. Heiter schwirrte die vielstimmige Unterhaltung durcheinander, häufig von lautem, fröhlichem Lachen durchbrochen; und schon wurde wacker das Kommersieren nach allen Regeln studentischen Komments geübt.

Auch die gestrengen Herren Lehrer stiegen heute leutselig in die Arena der fröhlich ihre Künste versuchenden jungen Kneipanten herab und geruhten wohl auch selber hie und da einmal mitzutun.

»Na, Müller, das Biertrinken geht Ihnen ja wohl leichter von statten als eine kubische Gleichung?«

Lachend rief es der Mathematikprofessor zum Mostrich-Müller hinüber, in dessen weit geöffnetem Mund er soeben mit unglaublicher Geschwindigkeit das Halbteil eines Schoppens hinabrutschen sah. Schallendes Gelächter der Umsitzenden war das Echo dieser freundlichen Apostrophe, über die sich der Mostrich-Müller nicht wenig geschmeichelt fühlte. »Na, weil Sie's so gut können, prosit, lieber Müller!« und vergnügt sein Glas erhebend, nickte der alte Herr seinem Schmerzenskind in der Mathematik zu.

»Du, Menschenskind, ob ich wohl mal dem Lateinlehrer etwas vortrinke?« wandte sich zweifelbeschwert Geigei an seinen Nachbar, den Oberprimaner Hille. »Natürlich aufs Spezielle, ohne! Ich möchte mich ein bißchen bei ihm einschmeicheln. Übermorgen schreiben wir wieder lateinisches Extemporale.«

»Warum denn nicht?« meinte Hille. »Das kannst du dir heute ruhig einmal leisten. Aber daß es dir etwas helfen wird, glaube ich nicht; dem ist das ziemlich schnuppe, ob du ihm etwas kommst oder nicht.«

»Na, versuchen kann man's ja doch einmal,« meinte Geigei philosophisch und wandte sich, vom Platz aufstehend, mit der Geste geflissentlicher Ehrerbietung an den Professor der lateinischen Sprache, höflich um die Ehre ersuchend, ihm seine Blume aufs ganz Spezielle kommen zu dürfen. Diese Gunst wurde ihm wohlwollendst gewährt, und Geigei setzte sich mit einem Gefühl großer Befriedigung.

»Silentium!« Abermals lautes Kommando und Schlägergerassel, dann Stille und erwartungsvoll richteten sich alle Blicke diesmal nach der Ehrentafel, wo neben dem Präsiden sich jetzt der Herr Direktor erhob, um seine Ansprache zu halten.

Einen Augenblick stand der kleine Herr, die Hände nach seiner Art ruhig auf dem Rücken verschränkt, sinnend da und blickte schweigend vor sich hin.

Er hatte einen prächtigen Charakterkopf von wirklich klassischem Schnitt. Seine Schüler verglichen ihn mit dem Zeus von Otricoli, und in der Tat hatte das regelmäßig geschnittene Gesicht mit dem gewaltig vorgebauten, bedeutenden Oberhaupt und der reichen, gelockten Fülle tief schwarzen Haares und geringelten Vollbartes eine ziemliche Ähnlichkeit mit der bekannten wundervollen Büste des imponierenden Gottes. Nun schlug der Leiter der Anstalt seine Augen auf, ein Paar große, dunkle Augen mit einem freundlichen Blick, aus dem unendliche Güte und Milde leuchtete. Und seine tiefe Stimme, die für den, der sie das erste Mal hörte, überraschend aus dem nur kleinen, aber mit einer gewaltigen Brust ausgestatteten Manne kam, schallte laut durch den Saal hin. Man merkte es, daß die eifrige Pflege des Körpers, die der Direktor an sich selbst wie an seinen ihm anvertrauten Schülern in zahlreichen Turn- und Wanderstunden betrieben, ihr Gutes auch bei ihm gezeitigt hatte.

»Meine lieben jungen Freunde! Wieder einmal ist der Tag gekommen, wo wir von unserer Anstalt eine Anzahl von Schülern entlassen, die wir jahrelang in unserer Hut gehabt haben. Es ist das gewiß ein Ereignis der Freude, wie wir denn hier ja auch zu fröhlichem Tun vereint sind. Aber die Stunde entbehrt doch zugleich auch nicht des tiefen Ernstes. Sie, meine lieben jungen Freunde,« der Direktor wandte sich besonders den in seiner Nähe sitzenden Abiturienten zu, »treten nun mit dem heutigen Tag hinaus ins Leben. Da drängt sich uns, die wir bisher über Sie gewacht, die wir Sie nach Kräften gehütet und geleitet haben, die Frage auf: Sind Sie auch genügend vorbereitet für die Aufgaben, die Sie erwarten?

»In einem Gymnasium haben Sie bisher Ihr Leben zugebracht. Ich möchte, daß Sie dies Wort heute einmal in seiner eigentlichen Bedeutung auffassen, als Stätte gymnastischer Spiele, wo Körper und Geist geübt und gestählt werden sollen für den Wettkampf des Lebens. Das soll unser Gymnasium auch heutzutage noch sein, und ich glaube, Sie haben es empfunden, daß wir, Ihre Lehrer und ich, allezeit bestrebt gewesen sind, gerade dieser Aufgabe unserer Anstalt nach Möglichkeit gerecht zu werden. Leib und Seele haben wir Ihnen zum Kampf für das Leben stählen wollen.

»Sie sollen nun mit dem heutigen Tage hineinspringen in den gewaltig dahinflutenden Strom des Lebens und wir wollen hoffen und wünschen, daß es uns gelungen ist, Sie zu rüstigen und unverzagten Schwimmern zu erziehen. Denn wahrlich, starke, mutige Schwimmer erfordert dieser Strom; hat er doch gar viele Strudel und Klippen, die auf den Unachtsamen oder Schwachen verhängnisvoll lauern. Darum, meine lieben jungen Freunde, tun Sie Ihre Augen auf, regen Sie Ihre Arme rüstig, daß Sie nicht diesen Gefahren entgegentreiben, sondern sie mit kraftvoller Anstrengung umgehen.

»Aber noch andere Gefahren drohen Ihnen in diesem Strom. Er hat auch gar viele Untiefen, und Ihnen droht, wenn Sie dorthin treiben, die Versandung! Eine Gefahr, noch viel größer, noch viel häufiger als die der Klippen! Und ihr erliegen gar viele, die gleich Ihnen mit freudigem Mut, mit den besten Vorsätzen, frisch und fröhlich ins Leben hineingesprungen sind. Denn der unablässige Kampf, den dieses Leben von Ihnen fordern wird, er führt gar leicht zur Ermüdung, und dann liegt eben jene Gefahr nahe, daß Sie, matt des Kampfes, sich hintreiben lassen zu jenen Untiefen, wo Ihnen die Versandung droht. Sie wissen, was ich meine, meine lieben jungen Freunde: Hüten Sie sich davor, innerlich mattherzig zu werden, oberflächlich und lau! Lassen Sie die schönen treibenden Kräfte, die wir in Ihnen geweckt haben, die jetzt in Ihnen freudig rege sind, nicht einschlafen. Begnügen Sie sich nicht damit, die naheliegenden Ziele zu erreichen, mit denen die Banausen sich es genug sein lassen. Nicht dazu haben wir in Ihnen die heilige Flamme der Begeisterung und des Wissensdranges entfacht, daß Sie nun bloß danach trachten, in möglichst kurzer Zeit zu einem formellen Abschluß Ihres weiteren Strebens zu gelangen, zu einer sicheren Brotstelle, einer fetten Pfründe zu kommen. Lassen Sie das heilige Feuer in sich nicht erlöschen, schüren Sie es immer wieder von neuem und bedenken Sie, daß der wahrhaft Strebende niemals an den Punkt kommen darf, wo er sich in satter Selbstgefälligkeit genug sein läßt an dem Erreichten. Daß er unablässig an sich und für sich arbeiten soll zu jener Stufe höchster Vervollkommnung, die erst wahres Menschentum bedeutet. Hüten Sie sich, hüten Sie sich vor Versandung!

»Und endlich noch eins, werden Sie Männer, ganze Männer! Reifen Sie zu festen Charakteren aus! Das Leben freilich ist ein harter Gebieter. Auch Ihnen wird es nicht erspart bleiben, in den Kampf zwischen Ideal und Wirklichkeit hineingerissen zu werden, und Sie werden einsehen lernen, daß man sich gar oftmals leider bescheiden muß mit dem Erreichbaren. Aber machen Sie nicht zu viel Konzessionen! Opfern Sie nichts von Ihrer eigenen Persönlichkeit; das ist das heiligste, höchste Gut, das der Mann hat: seine Persönlichkeit, sein Charakter! Das Leben braucht ganze Männer; beherzigen Sie das allezeit, nun da draußen in der Freiheit sich selbst überlassen, meine lieben jungen Freunde; so werden Sie am besten das schwere Werk Ihrer Lehrer lohnen, die Sie bis heute geführt haben, und wir werden mit Stolz und Freude Ihrer auch in Zukunft gedenken können.

»Bewegten Herzens lassen wir Sie heute aus unserer Obhut scheiden, aber wir tun es doch ohne Sorge, denn wir haben zu Ihnen allen das feste Vertrauen, daß es an Ihnen nicht fehlen wird. Und so erhebe ich denn jetzt mein Glas: Ihrem Wohl sei es geweiht; möge Ihnen alles glücken in Ihrem künftigen Leben, in Ihren Berufen, die Sie sich nun selbst wählen werden. In diesem Sinne bitte ich Sie, meine verehrten Herren Kollegen, sich mit mir zu erheben und auf das Wohl unserer lieben Abiturienten zu trinken. Sie leben hoch – hoch – hoch!«

Begeisterter Jubel und Zuruf folgte den Worten des verehrten Direktors. Im überwallenden Gefühl seiner Ergriffenheit drückte Berendt dem neben ihm sitzenden Freunde – Heinz Rickmann – die Hand.

»Doch ein famoser Mann, unser lieber Alter! Ich könnte ihm reinweg um den Hals fallen!«

Die warmherzigen Worte des primus omnium spiegelten nur die Empfindungen auch all der übrigen wider, hingen sie doch allesamt in gleicher Verehrung an dem kleinen Mann dort, der es wie kein anderer verstanden hatte, sich das Vertrauen seiner Schüler zu gewinnen, ihnen ein zweiter Vater, ja noch mehr, ein wahrer Freund zu werden. Mit wehmütigem Gefühle gedachten sie alle jetzt der zahlreichen schönen Stunden, die sie mit ihm im vertrauten Zusammensein auf so mancher Turnfahrt in Thüringens schönen Bergen verlebt hatten, wo ein frischer Humor und gesunde Lust ihnen Marsch und Rast gewürzt hatten. Ein gleiches Gefühl der Dankbarkeit beseelte sie jetzt alle auch gegen die übrigen Lehrer. Hatte man freilich auch mit diesem oder jenem im Laufe der Jahre manche kleine Differenzen gehabt, sich über manche Eigenheit in schülerhaftem Unverstand geärgert – das alles war verflogen, eine milde, versöhnliche Stimmung verklärte die Persönlichkeiten der altvertrauten Lehrer, von denen es ja heute auch Abschied nehmen hieß, und ein deutliches Empfinden sagte, daß ein jeder von ihnen es auf seine Art doch herzlich gut mit ihnen gemeint hatte.

»Gaudeamus igitur!« Das neue Lied, das in schmetternder Fröhlichkeit durch den Saal drang, entriß die Mitglieder der Tafel wieder ihren nachdenklichen Betrachtungen und führte sie zu dem fröhlichen Zweck des Abends zurück, bis dann Helmut Berendt abermals das Wort ergriff.

»Hochverehrter Herr Direktor! Gestatten Sie mir, Ihnen im Namen meiner Konabiturienten von ganzem Herzen zu danken für die eindringlich schönen Worte, die Sie zu uns gesprochen haben. Zum letzten Male hören wir heute Ihre verehrte väterliche Stimme zu uns reden, und glauben Sie uns, hochgeehrter Herr Direktor, daß gerade diese Ihre Worte uns allezeit in der Seele klingen werden wie ein teures Vermächtnis, das Sie uns mit auf den Lebensweg geben. Es ist uns ein innerstes Herzensbedürfnis, Ihnen heute am Schlusse unserer Schullaufbahn in tiefer Rührung zu danken für alle die Güte, die wir von Ihnen genossen haben, von Ihnen, hochgeehrter Herr Direktor, und unseren hochverehrten Lehrern, die mit Ihnen unsere Schritte so sorgsam bis hierher leiteten. Und so aufrichtig, wie unsere Dankbarkeit in dieser Stunde ist, so aufrichtig ist unser Wunsch, das Versprechen, das ich hier in dieser Stunde für mich und namens meiner Mitabiturienten ablegen möchte: daß wir allezeit der guten Lehren, die wir von Ihnen empfingen, eingedenk sein werden, daß wir von ganzem Herzen danach streben wollen, uns der Anstalt würdig zu erweisen, deren Zöglinge wir gewesen sind. Und in diesem Sinne bitte ich nun meine Mitabiturienten und die übrigen Mitglieder der Kneiptafel, sich zu erheben und mit mir auf das Wohl unseres hochgeehrten Herrn Direktors, sowie das Wohl unserer Herren Lehrer einen donnernden Salamander zu reiben!«

»Hochverehrter Herr Direktor! Gestatten Sie mir, Ihnen im Namen meiner Konabiturienten von ganzem Herzen zu danken.«

Mit diesen offiziellen Reden war der feierliche Ernst des Abends erschöpft und eine heitere Fröhlichkeit trat nun in ihre Rechte, alsbald gehoben durch eine ulkige Bierzeitung, die, von ein Paar besonders humorbegabten Abiturienten zusammengestellt, jetzt einem jeden der Gäste verabreicht wurde.

»Großartig! Du, lies bloß mal hier die Stilblüten, einfach tadellos.« Mostrich-Müller stieß, laut vor sich hinlachend, seinem Nachbar Geigei den Ellbogen in die Seite, um ihn auf die Rubrik »Kohlblüten« aufmerksam zu machen.

»›Aber streiten Sie doch nicht, ich habe es ja mit eigenen Augen gehört.‹ – Famos – nicht? Und hier,« er wies auf eine andere Stelle: »›Man befand sich gerade im Monat Ägypten.‹ – Und das da ist geradezu tadellos: ›Es wäre aber falsch, zu glauben, daß einer der heute lebenden Affen der Stammvater des Menschengeschlechts wäre.‹ – Zum Schreien – was?!«

Vor Vergnügen sich laut auf die Kniee schlagend, brach Geigei in ein fröhliches Lachen aus. Dann deutete er seinerseits auf eine Perle der Sammlung hin: »Du, und hier, hast du gelesen? – ›Er warf den vierzehn Kilometer schweren Stein fünfeinhalb Gramm weit.‹«

Mit einem schelmischen Auflachen winkte Geigei zum Präsidentisch hinüber. Es war nämlich der gute Direktor selbst gewesen, der in einer kleinen Entgleisung einst beim Vorlesen der Turnresultate sich diesen Lapsus geleistet hatte. Dann verwies Geigei noch weiter auf ein Prunkstück der Blütenlese, eine Stilblüte aus einem Vortrag über den französischen Feldzug in Rußland 1812. »Und wenn die Franzosen am nächsten Morgen an den erloschenen Wachfeuern aufwachten, so merkten sie, daß sie erfroren waren!«

So fand sich noch manches heitere Wort freiwilliger oder unfreiwilliger Komik, das Lehrer und Schüler im Laufe der Zeit sich geleistet hatten und über das nun jetzt von beiden Seiten mit gutmütigem Lachen quittiert wurde.

Noch viel heiterer und ausgelassener wurde aber die Stimmung, als dann eine »famose Biermimik« stieg: »Der Taucher«, eine große romantische Oper, frei nach Schillers gleichnamigem Gedicht. In phantastische Kostüme gekleidet, erschienen auf der Bühne des Saales einige Schüler der Prima, um diese in wunderbare Verse gesetzte und mit bekannten Liedermelodien illustrierte Parodie vorzutragen.

So waren rasch Stunde auf Stunde in harmloser Fröhlichkeit, die Lehrer und Schüler vereinte, verronnen. Dann zogen sich der Direktor und einige der älteren Lehrer zurück, während die jüngeren ihren jugendlichen Wirten die Freude machten, noch länger bei ihnen zu verweilen. Das Präsidium der »Fidelität«, die nun in ihre Rechte trat, übernahm dann unter allgemeinem freudigem Hallo Heinz Rickmann. Er war in der Tat der gegebene Mann, die nun nicht mehr sehr leicht zu beherrschende Situation zu meistern. Seine frische, hell schmetternde Stimme schallte gebieterisch über das aufgeregte Wogen der lustigen Unterhaltung hin, und nicht minder forsch und schneidig sauste in wuchtigem Aufdröhnen sein Speer auf den Tisch nieder, um sich Silentium zu verschaffen.

Manche üppigen Mimiken, echte Blüten schülerhaft kecken Humors, stiegen, zündeten natürlich bei der nunmehr herrschenden Stimmung aufs beste und trugen den Dichtern oder Vortragenden jubelnde Anerkennung ein, bis sie endlich das Feld ihrer Tätigkeit mit der größten Befriedigung und Genugtuung räumten.

 


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