Paul Grabein
In Jena ein Student
Paul Grabein

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Auf dem »Bummel«

Es war ein herrlicher Herbstnachmittag. Über den dunkelbewaldeten Berghöhen wölbte sich der tiefblaue Himmel fast wolkenlos, eine frische Luft wehte dabei das Saaletal herauf, so ganz ein Wetter zum Marschieren. So war denn auch den drei jungen Leuten, die da den Weg zur Sophienhöhe hinaufstiegen, recht wanderfroh zu Mute, und mit lebhaftem Schritt klommen sie, der steilen Berghöhe nicht achtend, immer weiter den Hang hinauf.

Es war Helmut mit seinem Freunde Heinz und Karl Brendicke, Heinzens Leibbursch, denn das war er inzwischen geworden. Die drei wollten auf dem berühmten, herrlichen Aussichtsweg, der »Horizontale«, die Kernberge entlang wandern und dann über Ziegenhain zum »Wilhelm« und Fuchsturm hinaufpilgern.

Helmut hatte sich anfangs von dieser Partie ausschließen wollen; denn er hatte den Abschluß seines neulichen Besuches bei der Alania noch nicht vergessen und sich stillschweigend vorgenommen, jedem weiteren Zusammentreffen mit den Angehörigen der Korporation aus dem Wege zu gehen. Auch das eifrige Zureden seines Freundes Heinz am heutigen Nachmittag hatte noch nicht vermocht, ihn umzustimmen, obschon er herzlich gern bei dem köstlichen Sonnenschein die Wanderung mitgemacht hätte.

Aber da war Heinzens Leibbursch, Brendicke, in Person erschienen, um seinen Leibfuchs zu dem Bummel abzuholen, und die ungezwungen freundliche Art Brendickes, der schon neulich Helmut recht sympathisch geworden war, hatte des letzteren Widerstand schließlich besiegt. Brendicke hatte ihm versichert, daß der Eintritt Heinzens bei der Alania sicherlich kein Anlaß sein sollte, die alten freundschaftlichen Beziehungen zwischen ihnen beiden irgendwie zu stören, und daß sich auch die Alania durchaus freuen würde, Helmut als ihren Verkehrsgast bei sich zu sehen, ohne jeden Zwang – er würde jederzeit wirklich willkommen sein.

Diese aufrichtige, herzliche Art Brendickes, vereint mit Heinzens nochmaliger Bitte, hatte Helmut denn bestimmt, ja zu sagen, und so waren die drei aus Jena aufgebrochen. Eine eigenartige kleine Überraschung hatte ihnen Brendicke noch bereitet, als er mit ihnen bei einem Fleischermeister eintrat und sie sich nun auf seine Veranlassung alle drei ein Rostbrätchen aussuchten, das nach gutem, altem Jenenser Brauch in Papier geschlagen in der Jackentasche mitgeführt wurde, um dann droben auf dem Fuchsturm auf dem Rost im Freien gebraten zu werden.

Das war ein prächtiges Wandern! Sobald die ziemlich steile Höhe erklommen war und der Weg sich nun, seinem Namen Ehre machend, beständig in horizontaler Richtung die Berglehne entlang zog, bot sich den dreien ein herrlicher Ausblick über das Saaletal bis weit nach hinten, wo die Lobedaburgruine ihre trutzigen Trümmer in feiner Silhouette zeigte und in weitester Ferne oberhalb Kahla die berühmte Leuchtenburg in der Sonne flimmernd den Talschluß machte.

In fröhlichem Geplauder schritten die drei Wanderer rüstig vorwärts. Heiß prallte die Sonne von dem kahlen Gestein rechts und links des Weges auf sie nieder, auf dem nur selten ein verkümmerter Busch seine Wurzeln geschlagen hatte. Es war eine öde Felswildnis, durch die sie schritten, von fast alpinem Charakter. Die drei merkten indessen nichts von den Beschwerden der Hitze, sondern mit frohem Blick nahmen sie die bei jeder neuen Biegung des Weges sich darbietenden herrlichen Ausblicke über das grüne Waldrevier der jenseitigen Höhen in sich auf. Nun schnitt plötzlich der Pfad in eine Bergspalte hinein und, von wild wucherndem Gestrüpp und Buschwerk überschattet, tat sich eine scharf eingerissene Kluft vor ihnen auf.

»Die Diebeskrippe,« erklärte Brendicke, während sie nun mit schnellerem Schritt in die Schlucht hineinkletterten. »Hierher haben sich in alten Zeiten, namentlich während des Dreißigjährigen Krieges, die Bauern drunten aus dem Tale mit Weib und Kindern und ihrem Vieh geflüchtet; das letzte Mal sogar noch vor nicht allzulanger Zeit, als die Franzosen hier gegen Prinz Louis Ferdinand von Saalfeld heraufzogen. Zwischendurch hat oftmals räuberisches Gelichter hier seine Zuflucht gesucht, – daher der Name!«

Es war in der Tat ein Schlupfwinkel, wie geschaffen zur Beherbergung lichtscheuen Gesindels. Die tiefe ausgebuchtete schmale Schlucht mit ihrem üppigen Strauchwuchs bot eine gesicherte Zufluchtsstätte für eine größere Anzahl von Menschen, die hier in der entlegenen Bergecke von niemand gesehen werden und im Falle eines Angriffs sich auch erfolgreich verteidigen konnten. Die drei machten unter einem alten Schlehdorn, in einer lauschigen Ecke, wo einst der Räuberhauptmann auf einem Mooslager der Ruhe gepflogen haben mochte, einen kurzen Halt und ließen, im Grase liegend, die wilde Romantik des Orts auf sich einwirken. Dann aber riet Brendicke zum Aufbruch, denn es stand ihnen noch ein ziemlich weiter Weg bevor.

Mit rüstigem Schritt setzten sie nun ihre Wanderung fort; über die bewaldete Höhe der Bergkuppe stiegen sie hinab in die Talmulde von Ziegenhain. Aber der freundlich ins Grün gebettete Ort wurde diesmal nur flüchtig von ihnen gestreift, denn als eigentliches Ziel winkte droben schon lange der grau verwitterte Fuchsturm und vorher wollten sie ja noch mit einem Abstecher dem »Alten vom Berge«, dem weithin berühmten Wirt auf Wilhelmshöhe, einen kleinen Besuch abstatten.

»Was, Sie haben den alten Wilhelm noch nicht gesehen?« hatte Karl Brendicke staunend gefragt. »Nun, da müssen wir unbedingt hinauf! Der ist ja das größte Original Jenas. Sie werden sich wundern!« hatte er lachend versprochen.

So pilgerten denn in der Tat Helmut und Heinz mit gespannter Erwartung der Wilhelmshöhe zu, der sie nun immer näher kamen. Jetzt waren sie an dem Bergvorsprung angelangt, wo der Alte seine berühmte Klause aufgeschlagen hatte, und allerlei Stimmengewirr verriet ihnen schon beim Eintreten in die Wirtschaft, daß dort fröhliche Wanderer gleich ihnen gemächlich Rast hielten.

Als sie die Wirtschaft betraten, sahen sie an den roh gezimmerten Holztischen im Freien denn auch verschiedene Gruppen von Gästen, und an einem der Tische saßen bereits zwei Herren in der roten Mütze der Alanen. Es war Helmut allerdings nicht sehr willkommen, hier noch auf weitere Couleurbrüder seines Freundes zu stoßen; denn so lieb ihm auch die Gesellschaft Karl Brendickes war, so hatte er sich doch vorgenommen, nachher dem Zusammensein mit den übrigen Leuten der Alania aus dem Wege zu gehen, die sich heute abend auf dem Fuchsturm ein Stelldichein gegeben hatten. Er wollte sich heute und auch für die Zukunft darauf beschränken, nur gelegentlich einmal mit einem oder dem anderen, ihm angenehmen Alanen in Heinzens Gesellschaft zusammen zu sein, sich aber von einem allgemeinen Verkehr mit der Korporation fern halten. Indessen konnte er nun nicht gut anders, als sich mit seinen beiden Begleitern den Herren zuzugesellen, die ihm im übrigen schon von dem neulichen Besuch her als zwei recht nette gemütliche Leute in Erinnerung waren.

Kaum hatten die jungen Leute am Tisch Platz genommen, als der eine von den beiden – Steffen war sein Name – mit dem Holzkännchen auf den Tisch klopfte und zu einem alten Manne, dem Wirt, hinüberrief, der ein Paar Tische weiter bei einigen Jenenser Kleinbürgern stand, die auch zu ihm heraufgekommen waren, – ein kleiner Mann von behäbiger Gestalt, mit einem freundlichen, lebhaft geröteten Antlitz, das von graumeliertem Haupthaar und patriarchalisch wirkendem grauen Vollbart umrahmt war und seinen charakteristischen Abschluß durch ein Samtkäppchen erhielt, das auch in der Sommersglut niemals seinen Platz verließ. Der Inhaber dieses Charakterkopfes war, wie Helmut und Heinz sich schon sagten, der berühmte »Wilhelm«.

Auf Steffens kräftiges Signal drehte er nur gemächlich den Kopf herum und rief im gemütlichen Thüringisch ungeniert über die Köpfe aller übrigen weg herüber: »Na, mach ner nich so 'nen Radau hier, Steffen; du bist doch nich allene hier ins Lokal!«

Das Gelächter einiger der Umsitzenden begleitete denn auch alsbald diese nicht gerade von übermäßiger Höflichkeit zeugende Erwiderung Wilhelms auf Steffens Einladung, am Alanentisch zu erscheinen; indessen fühlte sich der Wirt doch bewogen, nach einigen Minuten dorthin zu kommen.

»Na, wos is denn, Steffen? Kannst's wohl mol wieder nich abwarte, bis de dein neies Kännche kriegst? De werst schon noch genug drinke heit obend – mehr als de vertrage kannst.«

»Spar dir deine dummen Witze für andere Leute auf, Wilhelm, denen du mehr damit zu imponieren vermagst!« verwies ihn Steffen, der auf einem beständigen, freundschaftlichen Kriegsfuß mit dem alten Wilhelm stand. »Dazu habe ich dich doch nicht etwa hergerufen. Aber hier, – unserem neuen Fuchs sollst du guten Tag sagen, der eben mit heraufgekommen ist!«. Und er wies auf Heinz.

»Na, guten Dag, Rickmann! Wie geht's dir denn, du olles Schlußohr?«

Im höchsten Grade betroffen, starrte Heinz sowohl wie auch Helmut den Alten an. Woher kannte der in aller Welt denn Heinz Rickmanns Vatersnamen, der doch in eben dieser Minute zum ersten Male in seinem Leben hier heraufgekommen war?

»Na, guck mir doch nich so dämlich an!« ließ sich aber der unglaubliche Alte schon von neuem vernehmen, »du duhst ja grode, als ob de mich nich mehr gännen dätst.«

»Ja, woher soll ich Sie denn kennen?« Immer noch fassungslos starrte Heinz den Wilhelm an.

»Na, nune aber härt sich werklich alles uff!« legte der Wilhelm los, »Menschenskind, weeßte denn nich mehr, wie mer noch mit dem Mostrich-Müller den großen Budenzauber uffs Pennal gemacht haben, – grod' die Nacht, wo er sich mol so rechte scheene ausschlafen wollte?«

Heinz und Helmut blickten sich beide wie auf Kommando an. Nein, das war ja aber wirklich um den Verstand zu verlieren! Waren sie denn behext, oder war dieser unheimliche Alte wirklich allwissend? Sie hatten ihn wahrhaftig noch nie in ihrem Leben gesehen, und jetzt wußte er genau Bescheid über einen ihrer dümmsten Streiche, den sie auf der Schule einmal ausgeheckt hatten.

Sie hatten in der Tat dem braven Mostrich-Müller die ersehnte Nachtruhe dadurch unliebsam gestört, daß sie ihm in seinem Zimmer zwölf von allen möglichen Seiten her entliehene Weckuhren aufgestellt hatten. Diese Uhren waren jede eine Stunde später zum Wecken aufgezogen worden und hatten nun pünktlich eine nach der anderen den armen Müller aus dem stets von neuem aufgesuchten Schlafe aufgerasselt, der jedesmal, wenn er einen der Plagegeister glücklich entdeckt hatte, glaubte, nun die letzte Uhr erwischt zu haben. Müller – sonst ein notorischer Langschläfer – gab so endlich um vier Uhr Morgens jede Hoffnung auf, noch weiterschlafen zu können; er stürzte wutentbrannt aus dem Zimmer, nur um nicht noch einmal das verwünschte Wecken zu hören.

Woher in aller Welt wußte der Wilhelm nur diese Geschichte?

»Ja, ganz recht,« stotterte also Heinz, »aber ich verstehe wirklich nicht?«

»Jo, jo! Mußt ner nich denke, daß mer hier so dumm sein, wie bei Eich zu Hause, mei guter Rickmann!« meinte Wilhelm, wohlwollend dem neuen Gaste auf die Schulter klopfend. »Na, aber dadarum keene Feindschaft nich!« Und freundschaftlich schüttelte er dem ob dieser sonderbaren Begrüßung verdutzt dreinsehenden Heinz die Hand.

Ein schallendes Gelächter der anwesenden Alanen sowie der übrigen Gäste, die Zeugen dieser Szene geworden waren, ließ bereits in Helmut die Vermutung aufsteigen, daß es sich hier um irgend einen abgekarteten Scherz handeln müsse, und so war es denn auch.

»Na, komm nur her, Fuchs!« Steffen zog Heinz lachend zu sich nieder auf die Bank. »Das Wunder klärt sich sehr einfach dadurch auf, daß wir den Wilhelm vorhin schon informiert haben. Es ist das so 'n alter Trick von ihm, seine neuen Gäste als intimer Bekannter zu begrüßen.«

Heinz fand den Scherz des Alten vom Berge und besonders seinen eigenartig vertraulichen Ton denn aber doch etwas stark und war drauf und dran, mit einem scharfen Worte sich diese Vertraulichkeit vom Halse zu halten; aber der alte Wilhelm ließ ihm gar keine Zeit dazu, sondern er holte jetzt aus der Tasche seines Rockes eine Visitenkarte, die er ihm freundlichst überreichte: »Hier, mein Guter, damit du ooch weeßt, wen de heit de Ehre hast, kenne zu lerne!« Damit steckte er Rickmann die Karte in die Hand, der wohl oder übel von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen mußte.

Er las da: »Wilhelm, regierender Bierfürst auf und zu Wilhelmshöhe, Erfinder des Schitschi und Aschitschi, Besitzer einer Reformkanone, eines Riesenfernrohrs und eines echten kaukasischen Nihilistenpinschers.«

Mit gemischten Empfindungen starrte Heinz und dann auch Helmut, dem er die Karte zu lesen gegeben hatte, diese eigenartige Legitimation und ihren sonderbaren Besitzer an, der sich nunmehr aber von seinem neuen Bekannten weg seinem alten Freunde Steffen zuwandte.

»Höre nune, Steffen, paß uff dein ekelhaftes Viech, den Leo, uff, daß er mir mei' Sultan nich abwärge duht.«

In der Tat verkündete ein gellendes Aufkreischen aus der Kehle des echten kaukasischen Nihilistenpinschers, daß er sich in seiner Existenz durch den mächtigen Leonberger der Alanen bedroht fühlte, der unter Steffens besondere Obhut gestellt war.

»Hab nur keine Angst,« beschwichtigte Steffen seinen Besitzer, »unser Leo frißt keine Ratten.«

Der gute Sultan des Wilhelm bot in der Tat in seiner äußeren Erscheinung eine derartige Rassenmischung dar, daß Steffens kühner Vergleich des Pinschers mit einer Ratte nicht ganz unberechtigt war. Umsomehr fühlte sich aber der Herr dieser Rarität in seinem berechtigten Besitzerstolze gekränkt. Er stemmte entrüstet die Arme in die Seite, und seine hellen Äuglein funkelten Steffen aus dem geröteten Gesicht kampflustig an: »Was – Ratten? Wenn eier Köter man überhaupt emal was zu fresse kriegte! Wenn ich 'n eich nich durchfutterte, bei eich arme Schlucker wär' er schone längst verhungert.«

Abermals lohnte eine kräftige Lachsalve von den Nebentischen aus den schlagfertigen Witz Wilhelms.

»Wilhelm, Wilhelm! Nur nicht zu üppig,« drohte Steffen, »sonst entziehen wir dir unsere Kundschaft und dann kannst du sehen, wie du weiter existierst, regierender Bierfürst du!«

»Na, Kinder, laßt eure Häkelei jetzt eine Weile,« mischte sich Brendicke ein. »Komm, Wilhelm, zeig lieber unserem Fuchs und seinem Freunde deine Raritäten.«

Wilhelm war gern bereit und stellte dann auch bei einem Rundgang durch sein Etablissement den staunenden Bewunderern seine weltberühmten Schätze in natura vor: den geheimnisvollen »Schitschi« und »Aschitschi« als zwei einfache Kornschnäpse, die beide aus derselben Flasche geschenkt wurden, die »Reformkanone« in Gestalt einer verrosteten vorsintflutlichen Reiterpistole, das »Riesenfernrohr« in Form eines alten Ofenrohrs und den »kaukasischen Nihilistenpinscher« hatten die Neulinge ja bereits in all seinem Glanze kennen gelernt.

Nachdem Heinz und Helmut ihren Rundgang beendet hatten, den der alte Wilhelm noch durch seinen derben Witz reichlich gewürzt hatte, verweilten sie noch ein Viertelstündchen am Tisch und machten sich dann gemeinschaftlich mit den beiden anderen Alanen auf, um weiter dem Fuchsturm zuzupilgern.

Nun waren sie vor dem altehrwürdigen Zeugen Jenenser Burschenherrlichkeit angelangt! Trutzig ragte der verwitterte mächtige Turm in den blauen Himmel und wirklich nahmen die beiden Neulinge die schiefe Profillinie des Turmes wahr, die ihn nach den Erklärungen ihrer Begleiter als ein vollberechtigtes Seitenstück zu dem Kollegen in Pisa erscheinen ließ. Die beiden Füchse Helmut und Heinz mußten denn auch die seit Jahrhunderten geübte Fuchsenpflicht erfüllen, indem sie an der Seite des Turmes, die überhing, ein paar Steine zu den dort schon vorhandenen kleinen Häuflein taten, um vorsorglich einem etwaigen Umschlagen des alten Gemäuers vorzubeugen.

Nachdem sie also ihre burgenerhaltende Tätigkeit ausgeübt hatten, begaben sich alle frohgemut in die Wirtschaft am Fuße des Turmes, wo sich unter den jungen Leutchen nun alsbald ein harmlos-fröhliches Treiben entwickelte. Immer drehte sich hier nach berühmtem klassischem Muster »der Braten am Spieß« – das heißt einer der Besucher nach dem anderen erschien an dem eisernen Bratenrost, der zwischen dem vorhandenen Buschwerk auf einem Steinunterbau aufgestellt war und sich schon weithin durch lieblich schmorgelnden Fettgeruch und Dunst von Holzkohle bemerkbar machte.

Auch Helmut und Heinz legten nun mit Karl Brendicke ihre mitgebrachten Brätchen auf den Rost und sahen ihm mit vielem Vergnügen die schwierige Kunst ab, durch Bestreuen von Salz und kunstgerechtes Wenden von Zeit zu Zeit das rosafarbene Fleischstück allmählich in einen angenehm duftenden, bräunlichen Aggregatzustand überzuführen, wobei man mit einem alten Krähenflügel die Glut der Holzkohlen sachverständig anfachen mußte. Zum ersten Male in ihrem Leben spielten sie so ihren eigenen Koch.

Aber sie waren sehr zufrieden mit dem ersten Ergebnis dieser neuen Tätigkeit, ja sie fanden, als sie nun bei einem Kännchen dünnen Weißbieres ihr Selbstgebratenes verzehrten, daß ihnen noch nie im Leben etwas so vortrefflich gemundet hätte. Gerade aber, wie sie mitten bei diesem köstlichen Schmause waren, den ihnen heiterste Stimmung würzte, erschienen unter lautem Hallo die übrigen Alanen auf dem Plane, unter ihnen auch Dobler.

Helmut war nichts weniger als angenehm davon berührt, als er dem wenig sympathischen Nachbar von neulich hier wieder begegnete, und sein Entschluß, nicht allzulange zu verweilen, bestärkte sich nun noch in ihm. So blieb er denn nur gerade so lange noch, als nötig war, um sein Kännchen Weißbier zu leeren, und empfahl sich dann, obwohl Heinz und auch Karl Brendicke ihn lebhaft nötigten, doch noch zu bleiben.

Mit schnellen Schritten verließ Helmut die Wirtschaft zum Fuchsturm und schritt talab der alten Musenstadt zu, die jetzt im letzten Strahl der Abendsonne vor ihm lag.

Es war ein herrliches Bild: blinkend wie lautres Gold floß drunten die Saale. Die spitzen Giebel und Türme der Stadt waren überflutet von dem goldigen Schein. Die dunklen Rücken der Berge im Westen, deren Konturen sanft aufgelöst waren von dem Feuermeer des scheidenden Lichts, säumten das Bild voll unendlichen Friedens und entzückender Anmut. Und, als ob da droben die Studenten auf dem Fuchsturm die ewige Schönheit dieses vielgepriesenen Tals mit eigenen Augen geschaut hätten, scholl jetzt von weit hinter Helmut her zu ihm windverweht der Gesang:

»Auf den Bergen die Burgen,
Im Tale die Saale!«

Mit weitatmender Brust und leuchtenden Augen, das Herz voll der seligen Schönheit Alt-Jenas, schritt Helmut langsam zu Tale.

 


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