Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Neuntes Kapitel

Das Ende der goldenen Galeere

In der Ala des Tiberius hat Rufus einen ungestörten Zufluchtsort gefunden, wo es ihm der helle Schein der Lampen ermöglicht, sich mit seinem neuerworbenen Schatze bekannt zu machen.

Dieser erscheint ihm als ein Vermächtnis jener beiden, die drüben dem Tode entgegensingen. Sie sind die letzten, die diese Worte gelesen haben.

Und indem er sich darein vertieft, die Zeilen verschlingend, ist keinen Augenblick das Bild Siegmunds von ihm fern, jenes trutzigen Germanensprossen, der da meinte, er möchte wohl dem Gekreuzigten seine getreuen Dienste widmen, weil jener anders als die anderen Götter war.

In der Tat, er ist anders!

Alle seine Worte haben ein eigenes Gepräge, klingen voller, tragen ein unbekanntes Herrscherbild in ihr reines Metall geprägt – lauter neue Goldstücke, frisch von einer ewigen Münzstätte; Zinsgroschen für Gott, nicht für den Cäsar; ein Reichtum für jeden, der Schätze sammelt, die nicht von dieser Welt sind.

Und während er andachtsvoll aus diesem Borne schöpft, fühlt er, wie sich immer tiefer ein großer Friede über ihn senkt – jene Galene, die »Meeresstille« des Gemütes, von der er bei den Stoikern so viel gehört, die seine leidenschaftlich bewegte Natur aber in der kalten, unerschütterlichen Ruhe jener Weltweisen nie hat finden können. Ein Hauch aus dem Reiche Gottes, das so verschieden ist von dem römischen Weltreich, dessen Vollendung er in seiner Jugend erlebte; dessen jetziger tragischer Träger sein alter und einziger Freund ist; dessen krampfhaftes Todeszucken er schaudernd ahnt, nachdem das Wahnsinnslachen Caligulas in seinem Ohr widerhallte.

›Gebet dem Cäsar was Cäsars ist, und Gott was Gottes ist.‹

›Schöne und unmögliche Dinge‹ habe dieser Schwärmer, der den Tönen des Sirenenliedes vom Unendlichen lauschte, von einem Reiche Gottes gesprochen, sagte der Freund, selber ein Cäsar. Aber mit welch überlegener Besonnenheit trennt er hier nicht die beiden Sphären voneinander! Wie wohl kennt er die Erhabenheit der seinigen über der anderen und weiß was er zu bieten hat – Gaben, die kein Cäsar darreicht.

›Kommet zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich werde euch den Frieden geben.‹ – –

»Ist dies nicht mir gesagt? – Denn wer war beladen wie ich? Beladen mit einer Schuldenlast, die alle dahinschleichenden Jahre nicht zu erleichtern, alle Reue und Zerknirschung nicht zu tilgen vermochten! War es, um dies zu erleben, um solche unerhörte Botschaft zu hören, daß eine innere Stimme mich davon zurückhielt, selber den Tod zu suchen, so sehr ich mich auch nach seinem kühlen Schatten sehnte? Was ich hier in Todessehnsucht jahraus, jahrein, Tag um Tag erhofft habe: Erlösung von meiner Qual – wird das mir nun vom Leben gewährt, von ihm, der da sagt: ›Ich bin das Leben‹, – von ihm, der sich für uns opferte, ›auf daß Viele leben mögen‹? ›Wer an mich glaubt, wird selig‹ – wie so zuversichtlich sagt er das! Und hier: ›Ich bin die Wahrheit ... Ich bin der Weg ... Ich bin der rechte Weinstock ... Ich bin der Baum des Lebens, der da goldig blühet mitten im Garten Gottes.‹

O, so halte ich hier in meiner Hand den echten goldenen Zweig, der ich vor vierzehn Jahren den falschen gepflückt habe, in dessen Schatten ich so lange zu meiner Verzweiflung dahinsiechte. Und von diesem laß' ich nimmermehr!«

Zeit und Ort und Umgebung sind nicht für ihn da.

Aber als er diese Worte laut vor sich hinspricht, bringt der Klang seiner eigenen Stimme ihn zurück zur Welt der Laute. Er vernimmt Murmeln und halberstickte Ausrufe.

Eilig tritt er aus der Blende hinaus. Denn er besinnt sich auf die beiden draußen an Bord der Galeere.

Von dieser leuchten nur noch die zwei obersten Verdecke.

Die vier lodernden Flammenzeichen schwanken hin und her, schaukelnd, wie Masten im Seegang.

Die Galeere legt sich auf die Seite, die ganze Fläche des Deckes mit seinen tausend Lampen und seinen Gebüschen von Kandelabern dem Blicke darbietend.

Aus den Kupferpfannen der sich vornüber neigenden hohen Dreifüße ergießen sich Feuerströme, wie ein riesengroßes Trankopfer, in den zischenden See.

Und noch einmal ertönt die Doppelstimme – der Germanengesang, der Schwanengesang.

»O Heiland«, ruft Rufus, »erbarme dich ihrer Seelen um ihres Glaubens willen! Denn er wollte dir ja dienen – ihretwillen wollte er dir treu dienen!«

Plötzlich hebt das Heck sich hoch in die Höhe.

In einem Nu – wie mit dem Zwinkern des Auges – ist die ganze Lichterscheinung verschwunden.

Unsichtbar verbirgt sich der noch soeben glänzende See im Schatten des Bergkessels.

Sanft ruht das Mondlicht auf den Höhen der Halden.

Totenstille ringsum.

Alles scheint den Atem zu hemmen.

Nur die Nymphenstimme des Egeriafalles säuselt ihr altes Lied: »In die Tiefe hinab!«

Dann rauscht es durch das Dunkel steigend heran, und mit mächtigem Tosen bricht sich eine Flutwelle am steilen Felsufer ... Eine zweite, noch machtvoller anschwellend, braust das ganze Gestade entlang, sammelt sich, stürzt sich über das Gestein, schäumt auf, platscht und spritzt ...

Eine dritte – sie vermischt sich mit der zurückflutenden Brandung ...

Der ganze Seekessel kocht ...

... Eine Hand legt sich auf die Schulter des alten Rufus – er weiß, wer ihn berührt, noch bevor die Stimme an sein Ohr tönt: –

»Komm, Rufus! Folge dem Freund ... Auf nach Capreä!«


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