Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Viertes Kapitel

Siegmund und Thusnelda

»Warum wolltest du den Priestern nichts sagen, Segismundus?« fragt Marcus. »Sicher hätte das irgendwie zu deiner Entschuldigung beigetragen.«

»Sie gefielen mir nicht!« ist die bündige Antwort des Germanen.

»Und willst du es auch uns nicht sagen?«

»Du, Centurio, bist Soldat. Der alte herkulische Priester sieht aus, als wäre er einst einer gewesen.«

»Ich war einer.«

»Gut. Und der junge Priester hat für mich gesprochen. Ja, euch möchte ich es wohl sagen.«

»Tu' es! wir bitten darum.«

»Du, Centurio, hast es ja gehört, wie ich heute vormittag mit meiner Landsmännin zusammen dem Tiberius vorsang.«

»Auch wir haben das gehört,« unterbricht ihn Telemachos. »Wir wußten auch, wer die beiden waren, die drüben auf der goldenen Galeere sangen, denn ich habe längst von euch gehört.«

»Wir wußten mehr als das,« sagt Rufus. »Mir wußten, was ihr sanget.«

Ein Blick der Überraschung und des Zweifels funkelt aus den blauen Augen zu ihm hinüber.

»Was sangen wir denn, Alter?«

»Ihr sanget von dem gefangenen gelähmten Schmied, eurem Dädalus, der sich in der Waldschmiede heimlich Flügel schuf und Rache an dem König nahm und mit seiner Geliebten, der Siegesgöttin, davonflog.«

Ein strahlendes Lächeln verbreitet sich über die Züge des Germanen.

»Wenig ahnte es uns, daß unsere Stimmen auch nach diesem Tempel den Preis unseres Wieland tragen sollten. Du kanntest die Weise. Bist du etwa in Germanien gewesen?«

»Ich war mit Tiberius dort.«

»Und er liebt das Land,« fügt Telemachos hinzu, »liebt eure finsteren, sturmdurchbrausten Eichenwälder mehr als dies lachende Gestade. Germanien sei das wahre Land, sagt er, das Land der Männer.«

Segismundus ist aufgesprungen. Er tritt an die Mauer heran und reicht Rufus seine Hand.

Dieser nimmt sie nach kurzem, kaum bemerkbarem Zögern.

»Ich hätte nicht die Hand gedrückt, die auf Tiberius das Schwert zückte, hättest du nicht selber gesagt, daß du ihm mit Leib und Seele ergeben bist. Ich weiß, wie man tötet, was man liebt. So bin ich begierig, junger Sprößling jenes wahren Landes, von deinen Lippen den Hergang zu vernehmen. Wahn und Jähzorn haben mich hierher gebracht, sie werden auch dich gefangen haben.«

»Vom Wahn weiß ich nichts ... Jähzorn ziemt einem Manne, solange noch Jugendfeuer in seinen Adern brennt. Zorn und Liebe sind Zwillinge, singen unsere Barden; und so hab' ich's erfahren ...«

Er nimmt Platz auf einer der vielen Wurzeln des riesigen Ölbaums, deren knorriges Gebilde nur ein paar Schritte von der Mauer entfernt eine breite, natürliche Sitzbank darbietet. Sein Haupt sinkt in die Hand des rechten, aufs Knie gestützten Armes; sein Blick haftet an dem lebendigen Schattenmuster, das die leise bewegten Blätter über die Steine der inneren Mauerfläche weben.

Über die Brüstung gelehnt, harren die zwei Priester und der Centurio seiner Worte.

»Es war zur Zeit der Saturnalien,« hebt er an, »als ich sie zuerst sah. Das geschah im Palaste des Präfekten ...«

Er schweigt wieder eine Weile, atmet tief und scheint im Wirrsal lichter Erinnerungsbilder seiner Zuhörerschaft zu vergessen.

»Ich weiß, daß du sein Günstling bist,« bemerkt Telemachos. »Magst du den Sejanus?«

Ein entschiedenes Kopfschütteln gibt Antwort.

»Das freut mich. Hörtest du vorhin, daß der Prätorianer sagte, in der Meldung, die heute an den Sejanus von seinen Schergen in Rom gekommen war, habe man deinen Namen mit gewissen Umtrieben der Partei des Germanicus in Verbindung gesetzt?«

»Ich hörte es. Alles Lüge. Ich habe für Germanicus nichts übrig. Er hat mit Siegen über die Germanen geprahlt, die er nimmer davontrug.«

»Ich verstehe das. Und doch war es keine Lüge. Jene Leute waren meine Freunde. Sie waren übereingekommen, mit dir Bekanntschaft zu machen. Du kennst einen gewissen Longinus?«

Der Germane nickt.

»Der sollte die Bekanntschaft vermitteln. Er hat uns alle verraten.«

Wiederum nickt der Germane, als ob ihn das nicht sehr überrasche.

»Ich habe ihm nichts anvertraut.«

»Nichts? – Nun, wir erfuhren durch ihn auch nur, daß Sejanus dich mitnehmen wollte, als er dem Tiberius entgegenreiste, und daß er darauf rechnete, daß deine Germanenlieder den Princeps in gute Laune versetzen würden. Darauf bauten sie ihren Plan. Denn sie wußten, wie ich schon sagte, daß du dem Tiberius sehr ergeben bist. Sie wollten dich aber aufklären, damit du, wenn du erst das Ohr und das Wohlwollen des Tiberius gewonnen hättest, ihn vor Sejanus warnen solltest, der schon längst auf dem Pfade des Verräters wandelt.«

Segismundus schüttelt den Kopf.

»Da wären sie vor die unrechte Schmiede gekommen. In Wielands Waldschmiede werden Waffen und Flügel geschmiedet, nicht Ränke.«

»Rachepläne freilich auch,« meint Rufus.

»Rache ist heilig, heilig wie die Liebe.«

»Auch um Rache handelt sich's,« sagt Telemachos – »und um die heiligste. Denn Sejanus hat den Sohn des Tiberius durch Gift ermorden lassen.«

Das blaue Augenpaar blitzt ihm scharf entgegen.

»Woher weißt du das, Priester?«

Die Antwort zögert – bis es zu spät ist.

Telemachos muß sich gestehen, daß er und seine Freunde vor wenigen Tagen in Rom diese Beschuldigung allerdings nur auf Vermutungen und Volksgerede gründeten. Wenn er nun auch heute durch den Schwager des Eudemus diese Vermutung bestätigt bekam, so kann er doch seinen Zeugen nicht vorführen.

»Du weißt es nicht. Du vermutest es nur. Das ist böses Staatgerede. Für solche Dinge aber muß man Beweise haben. Sejanus ist kein guter Mensch, aber er ist ein tüchtiger Soldat. Sollte er Arges gegen den Imperator sinnen, so wäre das schon ein fluchwürdiges Verbrechen. Daß er aber gar den Sohn seines Wohltäters durch Gift ermordet hätte – das ist zu niedrig. Das mag ich nicht von ihm glauben.«

»Es ist nicht nur Vermutung, Germane, ich weiß es. Mir kommt es wie eine Fügung der Götter vor, daß du hier deine Zuflucht suchen mußtest: als geschähe es, damit ich dir die Augen öffne ... Deshalb blieb ich auch so gern hier zurück. Aber freilich, welchen Zweck hätte das jetzt? Du wirst ja jetzt nimmermehr in die Lage kommen, Tiberius vor ihm zu warnen.«

»Besser so – weit besser so, Priester! Zu solchen Diensten taug' ich nicht. Durch das Anklägertum, das bei euch Römern so beliebt ist, hätte ich nimmer mein Brot verdient. Aber wenn es wahr ist – doch ich glaube nicht daran – dann bedaure ich, daß Sejanus, wie sie sagen, nur eine Wunde davontrug und daß mein Schwert nicht sein Herz durchbohrte ... Obwohl es in seinem Hause war – daß ich sie – –«

Er vollendet den Satz nicht, sein Blick verfängt sich wieder im Schattennetz am Gemäuer, und ein fast kindliches Lächeln umspielt seine Lippen.

»Wie kam denn diese Thusnelda in das Haus des Prätorianerpräfekten?« fragt Rufus.

Ein schnelles, freudiges Aufblicken der blauen Augen.

»Du kennst ihren Namen, Alter, ihren herrlichen Namen, der in Germanien nie verklingen wird, den die Barden noch nach Jahrtausenden besingen werden! Sie hat ihn nach ihrer hehren Muhme, der Gattin des Heldenbefreiers. Mit ihr kam sie als Kind nach Rom, als der alte Verräter Segestes, dessen schwarze Seele die Götter in die tiefste Tiefe von Helas Reich verbannen mögen, seine eigene Tochter – o schimpflich für Germanenlippen es nur zu sagen! – seine eigene Tochter dem Germanicus auslieferte, damit sie den Triumphzug des Stolzen schmücke! An ihrer Hand ging die kleine Thusnelda durch die Straßen Roms – sie selbst hat mir's erzählt – – «

»Und ich hab' es gesehen,« sagt Rufus.

Mit einen Ausruf springt Segismundus auf.

»Ja, er hat es gesehen, Germane, und er hat es nicht vergessen. Er sprach davon, als ihr sanget Ein liedlicheres Mägdlein konnte niemand sehen, sagte er, als die Kleine mit ihrem goldigen Lockenkopf, wie sie an der Hand der edlen Thusnelda einhertrippelte ...«

Segismundus ist dicht an die niedrige Mauer herangetreten und packt Rufus am Arm.

»Du hast sie damals gesehen? Dein altes Augenpaar verwahrt ein Bild, das ich niemandem gönne!«

»Nein!« verbessert er sich, fast reuig, als ob er soeben den freundlichen greisen Priester eines unersetzlichen Kleinods hätte berauben wollen: – »Nein, nicht so, aber ich beneide dich darum. Ich möchte sie immer gesehen haben, ihre ganze Vergangenheit sollte die meine sein – – – Aber ihr versteht mich nicht. Ihr Römer liebt nicht wie wir Germanen! ... So hast du das Kind gesehen und es nimmer vergessen können!«

Wohlwollend lächelnd nickt Rufus dem Jüngling zu, dessen lauteres Wesen ihn wie ein Hauch seiner jugendfernen Germanientage erfrischt:

»Hier, in diesem Tempelgefängnis ist das Nichtvergessen keine Kunst.«

»Und auch dies sagte er,« fügt der eifrige Telemachos hinzu, »als wir davon sprachen, wer wohl mit ihr sänge, und ich meinte, es müsse wohl der Geisel der Chatten sein: ›Wer es auch sein möge,‹ versetzte dann Herkules – so ist sein Priestername – ›gern möchte ich stehen, wo er steht und dieser Thusnelda Aug' in Auge blicken, wenn sie ihrer edlen Muhme ähnlich sieht.‹«

»Sagtest du das, Alter?« ruft Segismundus und drückt die mächtige Hand des Greises zwischen den seinigen. »Sie tut's. O, ich wünschte, du könntest sie sehen! Ja, sie ähnelt der Gattin unseres Hermann, nur ist sie lieblicher als jene war; aber ebenso mutiger Gesinnung ... schon als Kind ... Mitten im schreienden und drohenden Römerpöbel hat sie sich nicht gefürchtet. ›Ich habe nicht mit den Wimpern gezuckt,‹ sagte sie. Hast du sie mit den Wimpern zucken sehen, Alter?«

»Wie hätte ich das sehen können, wenn sie es selbst sagt! Aber wo ich mich befand, hat niemand geschrien und gedroht. Freilich, der Pöbel bleibt überall Pöbel.«

»Wir haben keinen in Germanien.«

»Paßt auf, daß er nicht kommt, wenn ihr die Wälder lichtet ... Nein, Siegmund – denn so nennst du dich ja zu Hause – ich hörte ringsum nur Stimmen der Rührung über die goldlockige Kleine, und ich vernahm, wie die vornehmste Frau Roms, die alte LiviaLivia, Witwe des Augustus und Mutter des Tiberius. selber sagte, sie würde das reizende Kind zu sich nehmen und es erziehen lassen. Ob das wohl auch geschah? denn ich erlebte keine römischen Tage mehr.«

»Gewiß. Livia nahm sie zu sich, und die alte, herrische Frau war immer gut zu ihr. Thusnelda erhielt eine sorgfältige Erziehung; in allen weiblichen Arbeiten, wie sie in der Familie des Augustus und des Tiberius fleißig gepflegt wurden, ist sie wohl bewandert. Als die Schönheit ihrer Stimme sich bemerkbar machte, wurde sie von einem griechischen Kitharöden und Sänger prächtig ausgebildet. Ihre Muhme hatte sie aber unsere eigenen wilden Weisen gelehrt, und diese vergaß sie so wenig wie unsere Sprache, so daß sie sofort mit mir zusammen singen konnte.«

»Und als dann Livia starb?« fragt Telemachos. »Das ist wohl jetzt etwa zwei Jahre her –«

»Ja, da hatte gerade Pulcheria, die Tochter des Sejanus, eine so warme Vorliebe für Thusnelda gefaßt, daß sie ihren Vater dazu überredete, sie zu ihrer Gespielin zu machen. Ich glaube aber, eine geheime Macht hat das so gefügt und der Pulcheria die Neigung eingegeben, weil es so bestimmt war, daß wir beide uns treffen sollten.«

»Und hat dieselbe geheime Macht Thusnelda hierhergeführt, damit du versuchen solltest, den Tiberius zu erschlagen?« fragt Rufus. »Denn mir ahnt, daß wenn sie in Rom geblieben wäre, dies Unglück sich nicht ereignet hätte.«

»Du hast recht darin, Alter,« antwortet Segismundus mit einem tiefen Seufzer. »Ich selber muß jetzt wünschen, daß Sejanus sie nicht mitgenommen hätte, so froh ich auch damals wurde, als ich von diesem Entschlusse hörte.«

»Er ließ sie wohl zu dem Zwecke mitreisen, daß ihr zusammen dem Tiberius vorsingen solltet?« fragt Telemachos.

»Gewiß, und es war Pulcheria, die ihn dazu vermochte. Denn als sie von der beabsichtigten Reise erfuhr, wurde sie von brennender Lust erfaßt mitzukommen, um Tiberius, von dem sie so viel gehört und den sie nie gesehen hatte, kennen zu lernen. Und so stellte sie ihrem Vater vor, wie viel größer die Wirkung sein würde, wenn wir beide zusammen sängen, als wenn ich es allein täte. Thusnelda aber konnte schicklicherweise nur im Gefolge Pulcherias mitreisen, während ich zu demjenigen des Präfekten gehörte. Dazu kam, daß Pulcheria eine Freundin von Julia, der Tochter des Drusus war, die sich auch gern anschließen mochte, um den Großvater wiederzusehen. Sejanus aber hatte seine eigenen Gründe, um Julia gern in seinem Reisegefolge zu sehen.«

»Gründe, die jedem Römer wohlbekannt sind,« ruft Telemachos. »Denn wer weiß nicht, daß dieser Emporkömmling sich mit der Hoffnung trägt, die Tochter des Mannes, den er ermordet und der Frau, die er verführt hat, zu ehelichen, um so der Herrscherstellung näher zu kommen.«

»Von dem Mord und der Verführung weiß ich nichts, noch von seinen Absichten auf den Thron. Aber offenbar ist es, daß er der Julia zugetan ist, und sie ihm.«

»Wie sie alle. Die Frauen laufen ja alle diesem Scheusal nach.«

»Nun, jedenfalls war das auch ein Grund, warum Sejanus diese Frauengesellschaft mitnahm. Die Sehnsucht Julias nach dem Großvater war der Vorwand. Ich Tor war nur zu glücklich über diese Anordnung, wodurch ich täglich auf längere Zeit mit Thusnelda zusammengeführt wurde und unser Verkehr die Freiheit des Reiselebens genoß. In Campanien begegneten wir dem Zuge des Tiberius. Schon nach wenigen Tagen mußte ich ihm vorsingen, und bald danach sangen wir zusammen, zu seiner großen Zufriedenheit. So wurden wir denn auch heute an Bord der goldnen Galeere zum Singen befohlen, wie ihr gehört habt. Danach ließ der Princeps Wein, Früchte und Backwerk auftragen. Als sich zuerst die Frauen entfernt hatten, brach Tiberius bald auf, um während der Mittagshitze auszuruhen; Sejanus folgte ihm, wie immer.

Nun litt es mich auch nicht lange mehr bei dem Gelage. Bald fand ich einen Vorwand, mich in der Hoffnung zu entfernen, Thusnelda zu treffen. So eilte ich hinunter zum dritten Verdeck, wo sich die von Sejanus benutzten Räume befanden. Ich ging durch die lange, nach dem See zu offene Galerie, die ich noch von hier aus unterscheiden kann, mit ihren goldig-gerieften Cedersäulen – ungewiß, wohin ich mich wenden solle, meine Hoffnung erfüllt zu sehen.

Da bemerkte ich in einer seitwärts gelegenen, mit Blumen geschmückten Grotte ein hellblaues, silberdurchwirktes Tuch, das über der elfenbeinernen Rückenlehne einer kleinen Sitzbank hing. Bei diesem Anblick pochte mein Herz ungestüm; es war ein Geschenk, das Tiberius der Thusnelda gemacht hatte, als sie zum erstenmal ihm vorsang. Ich trat ein. Auf einem Tischlein daneben lag eine Buchrolle, in der ich dieselbe wiedererkannte, aus der du, o Centurio, heute dem Tiberius vorgelesen hast.«

»Das überrascht mich nicht,« sagt Marcus. »Höchst wahrscheinlich hast du nicht vergessen, daß auch Thusnelda dabei anwesend war. Als nun Tiberius mich hierherschickte, bat sie mich, ihr das Büchlein zu leihen. Viele Worte, sagte sie, hätten sie tief ergriffen, und die möchte sie sich gern wieder ins Gedächtnis rufen.«

»Nun, ich dachte mir so etwas – jedenfalls zweifelte ich nicht, daß sie unlängst hier geweilt und gelesen hatte, um sich nur auf eine kurze Zeit zu entfernen. Wenn auch das nicht, müsse sie bald das kostbare Tuch vermissen und deshalb zurückkommen; denn man schickt niemand, um ein vergessenes Cäsarengeschenk zu holen. Hocherfreut setzte ich mich also auf die Bank und nahm das Buch zur Hand. Was konnte ich wohl besseres tun, um die Wartezeit zu vertreiben, als das zu lesen, was sie soeben weggelegt hatte und was vielleicht noch immer ihre Gedanken beschäftigte? Da las ich nun viele merkwürdige und gar tiefsinnige Worte, manches, was mir schwer zu fassen schien. Und da dachte ich: wäre nur Thusnelda hier, sie könnte mir das gewiß erklären. Zuletzt aber stieß ich auf eine Stelle, die für meinen einfachen Verstand wie geschaffen war. Da wurde erzählt, wie die Söldner und die Soldaten zum Heiligen kamen und ihn fragten, was sie tun sollten. Und er sagte zu den Zöllnern: ›Fordert nicht mehr denn gesetzt ist.‹ Und zu den Soldaten: ›Tut niemand Gewalt noch Unrecht, und lasset euch begnügen an eurem Solde.‹ Diese Worte wiederholte ich mehrmals, um mir sie einzuprägen, denn ich fand, daß sie gut waren und dachte: ›Dem Imperator wird diese Stelle gefallen.‹

Gerade in diesem Augenblick wurde die Stille durch einen gedämpften Schrei unterbrochen. Es war eine weibliche Stimme, die Stimme Thusneldas.

Ich sprang auf und eilte in der Richtung des Lautes, der mein Blut siedeheiß und eiskalt durch die Adern jagte.

Ein kurzer Gang führte mich in einen Raum, der eine Art Vorzimmer zu sein schien. Verschiedene Sachen lagen unordentlich umher; vorn auf einem Tische lag ein Schwert – ihr habt es in meiner Hand gesehen – die Prätorianer sagten, es sei das Schwert des Sejanus – wohl möglich! Ich ergriff es im Vorübereilen und riß die Tür zum nächsten Zimmer auf, aus dem wiederum ihre Stimme ertönte.

Tiberius saß auf einer Ruhebank. In seinen Armen sträubte sich Thusnelda.

Mir wurde schwarz vor den Augen. Ich sprang vor, um ihn zu durchbohren. Da stürzte, wie aus den Wolken fallend, Sejanus sich zwischen uns. Ich entsinne mich jetzt, daß er hinter einem Vorhang neben der Bank hervorgestürmt sein muß. Er wehrte den Stoß ab und wurde, wie wir hörten, verwundet. Thusnelda riß den Vorhang herunter, in dessen Falten er und Tiberius strauchelten, und zog mich mit sich fort. »›Fliehe, Unglücklicher!‹ rief sie, – ›rette dich!‹ Wir waren auf der Galerie – zwischen den Säulen glitzerte das grüne Wasser. Am anderen Ende stürzten schon auf den Ruf des Sejanus die Prätorianer heran. ›Schwimme um dein Leben! Nach dem Tempel!‹ rief sie, halb flehend, halb gebieterisch. Ehe ich zur Besinnung kam, war ich schon, ihren Ruf in meinen Ohren, unten im See, und schwamm, ihrem Befehl gehorchend, um mein Leben; denn ich hatte in diesem Augenblick keinen eigenen Willen.«

Siegmund schweigt mit einem Seufzer, als ob er jetzt zu spät bereute, nicht lieber dort in der Galerie der goldenen Galeere sein Leben so teuer erkauft zu haben, wie das gute Schwert und seine stählernen Muskeln es ihm erlaubten.

»Wahn!« ruft Rufus, – »wie ich sagte: Wahn und Jähzorn haben dich wie mich hierhergeführt.«

Auch er seufzt tief, und alle vier schweigen eine Weile.

»Während ich hier saß,« hebt dann der Germane an, »ist mir etwas immer wieder durch den Sinn gegangen. Auf dem Tischlein stand neben der Buchrolle eine Flasche aus feinem, goldverziertem Glas, zur Hälfte mit dunkelrotem Wein gefüllt. Jetzt besinne ich mich, daß auf dem Tische neben Tiberius ein Becher aus ähnlichem Glase mit einem Reste desselben Weines stand. Ich vermute, daß Sejanus zu ihr kam, als sie lesend da saß, und unter irgendeinem Vorwand sie mit diesem Becher Weines zu Tiberius geschickt hat. Wie hätte Sejanus auch sonst so nahe sein können, daß er auf das Geräusch meines Eintretens und vielleicht eines Aufschreies von mir oder von ihr sich sofort dazwischen werfen konnte?«

»So wird es sich unzweifelhaft verhalten haben,« meint Telemachos.

Auch Rufus nickt zustimmend: –

»Das ist die Art solcher Männer, sich zum Kupplerdienst bei den höchsten Herren heranzudrängen, und es sollte mich nicht wundern, ob er von Anfang an – –«

Die hellgellenden Töne einer Tuba aus überraschender Nähe unterbrechen plötzlich diese Betrachtungen.


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