Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Buch des Germanen

Buch des Germanen

Ja, sie glauben, daß den Jungfrauen sogar etwas Heiliges und Prophetisches innewohne, und sie verachten weder ihre Ratschläge, noch sind sie gleichgültig gegen ihre Aussprüche.
Tacitus, »Germanien«.

Erstes Kapitel

Die Botschaft des Tiberius

Nochmals ertönen mit Gewalt die erzenen Türen, als ob der Janustempel selbst sich öffne.

Der Oberpriester erscheint auf der Schwelle und steigt die Stufen mit einer Würde hinunter, die nicht verfehlt ihre Wirkung auf den Centurio auszuüben, als dieser nun mit Titus aus der Ala des Tiberius hervortritt.

Nicht ohne innere mystische Ergriffenheit sieht er die Reihe der dicht hintereinander wandelnden, in lange weiße Gewänder gehüllten elf Priester auf sich zukommen. Dem einfachen Umzug ist eine feierliche Weihe eigen, welcher so manches Schauspiel dieser Welt sich in den Augen dessen anmaßt, der ihr wahres Wesen noch nicht erkannt hat.

»Deine Wache, Herkules, ist zu Ende,« sagt der Oberpriester. »Rhadamanthus wird sie jetzt übernehmen.«

Sein erstaunter Blick richtet sich fragend auf den kriegerischen Gast.

Dieser verbeugt sich tief.

»Tiberius Cäsar Augustus schickt mich hierher, Ehrwürdigster.«

»Der Princeps des Reiches, der göttliche Augustus, dessen Heiligtum du in Begleitung des wachehabenden Priesters nach schuldiger Huldigung soeben verließest, sei gepriesen! Die Huld und der Schutz der Götter mögen auf seinem Haupte ruhen bleiben!«

»Er sei gepriesen!« murmeln die Priester. »Huld und Schutz der Götter über ihn!«

»Welche Botschaft schickt uns Cäsar durch dich?«

»Seine Huld der ehrwürdigen Priesterschaft! Tiberius beabsichtigt heute gegen Abend dem Heiligtum der Diana des Aricianischen Haines einen Besuch abzustatten und an dem Feste teilzunehmen, das ihr in dieser Vollmondnacht mit vestalischem Feuerdienste feiert.«

»Seit langen Jahren haben wir diese Ehre nicht genossen! Wie die Hauptstadt der Welt, so hat auch dieser Tempel nach der Sonne seiner Anwesenheit geschmachtet. Die Priesterschaft ist hochbeglückt. Tiberius Augustus ist uns willkommen!«

»Willkommen – willkommen!«

»Wir wollen, ihr Priester, dem Princeps ein Fest, so gut wie es in unserem Vermögen steht, bereiten. Jedenfalls hoffe ich, daß die Felsenkeller des Tempels einige Weine beherbergen, die nicht unwürdig sind, einem Augustus vorgesetzt zu werden. Was meinst du, Verres?«

Eine Reihe Raubtierzähne grinst in dem struppigen Graubart des ehemaligen tapferen Soldaten und verdienstvollen Statthalters:

»Ich meine, hochehrwürdigster Hainkönig, daß Bi– hm – Tiberius unseren Falerner der begeistertsten Verse des Horatius würdig finden wird, und daß er seinen militärischen Spitznamen, über den meine alte Soldatenzunge beinahe gestolpert wäre, daran bewähren wird.«

Diese Erklärung zur Ehre ihres Kellers wird von der heiligen Brüderschaft mit schmunzelndem Beifall aufgenommen.

»Gut! Du wirst uns also als Kellermeister Ehre machen und den besten Jahrgang auswählen.

Rhadamanthus! Ich enthebe dich deiner Pflicht als wachehabender Priester, die Euripides Alter übernehmen wird. Du aber siehst nach, ob unser Fischteich ein paar Muränen enthält, die eine würdige Zuspeise zum Falerner abgeben werden, ferner überwache ihre Zubereitung, wobei du wenigstens nicht zu befürchten brauchst, daß ein ewiges Zeugenverhör sie gefährdet, in zerkochtem Zustand angerichtet zu werden. Daß die Früchte unseres Obstgartens den Gaben des Kellers und des Teiches nicht nachstehen, dies dem verwöhntesten Gaumen der Cäsarischen Haushaltung zu beweisen ist eine Aufgabe, die ich vertrauensvoll in die Hände Pindaros' lege, und für den Gemüsegarten wird Äsculapius denselben Dienst übernehmen.«

Die vier Priester verbeugen sich und gehen sofort nach verschiedenen Richtungen ab, um ihres verantwortungsvollen Amtes zu walten.

Dann wendet sich der Oberpriester an Marcus.

»Wenn du dich nach der goldenen Galeere zurückbegibst, edler Krieger – –«

»Tiberius befahl mir, seiner hier zu harren.«

Mit huldreichem Lächeln und würdevoller Handbewegung bedeutet der Oberpriester dem Centurio, daß die Priesterschaft sich freue, ihn als Gast zu behalten.

»Du wirst nach deiner Wache wohl jetzt ruhebedürftig sein, Hercules?«

»Ich bin ans Wachen gewöhnt und spüre keine Müdigkeit,« antwortet Rufus, der sich nur danach sehnt, sein Gespräch mit Marcus fortzusetzen.

»Um so besser. Dann bleibt unser Gast in deiner Obhut. Ich hoffe, daß die Zeit dir nicht lang fallen wird, Fremder. Unser geheiligter Bezirk verbirgt so manchen Kunstschatz, den anzusehen es sich wohl lohnt, wenn du auch den größten, das Standbild des Tiberius, schon kennst. Mich bitte ich entschuldigen zu wollen, da die Vorbereitungen zum Feste mich von dannen rufen.«

Mit diesen Worten und einer priesterlichen Handbewegung wendet er sich dem Tempel zu.

Titus legt seinen Arm um die Schulter des wiedergefundenen Schwagers und geleitet ihn in den Schatten des Zypressenhaines.

Aber kaum hat dieser das Paar still und kühl umfangen, als ein erregtes Geschrei hinter ihnen sie veranlaßt, sich umzuwenden und zurückzueilen.


 << zurück weiter >>