Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Drittes Kapitel

›Favete linguis!‹

Von links, wo hinter der Felsplatte des »Opfersprunges« ein Pfad hinunter durch den Wald führt, stürmen fünf Prätorianer mit drohenden Speeren in den Fäusten herein.

Sie finden vor dem Eingang zur Baumeinhegung schon die Gruppe der Priester, die ihnen mit erhobenen Händen abwehren.

»Ausliefern! ... Den Flüchtling ausliefern! ... den Gefangenen! ... er ist unser!«

»Unser ist er! ... er gehört der Göttin nach dem Tempelrecht.«

»Kein Tempelrecht schützt einen solchen Verbrecher ... Er hat Tiberius ermorden wollen ... Er führte einen Schwertstoß nach ihm. Er ist von den Feinden Cäsars bestochen ... Ein Mordanschlag ... Er hat Sejanus verwundet ... Er hat unseren Centurio Scribonius erschlagen ... Rache! ... Zur Seite, Priester! ... Der Germane ist vogelfrei – liefert ihn aus!«

Bei diesem Ansturm bleiben die Priester unerschütterlich, obwohl ihre Mienen und die Blicke, die sie miteinander tauschen, erkennen lassen, daß ihnen diese unerwartete Beschuldigung sehr bedenklich erscheint, so daß sie nicht recht wissen, wie sie sich zu verhalten haben.

Hinter dieser lebendigen Mauer sitzt der Germane auf der Baumwurzel, den goldenen Zweig in der linken, das Schwert in der rechten Hand, tief atmend, lässig die Glieder ausruhend und anscheinend so unberührt von dem Streit, als ob es sich um die Befugnisfrage priesterlicher und militärischer Gewalt handle, die ihn nichts angeht.

Noch zwei Prätorianer, ohne Speere, das gezückte Schwert in der Hand, stürzen herzu. Offenbar sind es die beiden, die dem Germanen nachschwammen. Sie haben den Umweg des Waldpfades gewählt, – sicherlich reichten ihre Kräfte nicht aus, um den letzten Abhang zum Tempel zu erklettern.

Sie sind noch außer Atem, aber doch nicht so sehr, daß ihre Stimmen dem Wutgeschrei nicht frische Zufuhr gebracht hätten.

»Wie? nicht die gestellte Beute ausliefern? ... Den Meuchelmörder beschützen? ... Seht euch vor, ihr Priester! ... Gehört ihr zu den Feinden Cäsars?«

Aber der König des Haines streckt den Prätorianern die Hand mit einem so gebieterischen »Schweigt!« entgegen, daß eine gewisse Abdämpfung des Geschreis entsteht, hinlänglich genug um seiner alten Rhetorstimme Gehör zu sichern.

»Als Ankläger tretet ihr auf, und ihr seid die Angeklagten. Was sag' ich – Angeklagte? Schuldig Befundene seid ihr – schuldig des Tempelfrevels. Auf eure Knie, fleht um Gnade, daß euch der Zorn der beleidigten Göttin nicht hinwegraffe!«

Demosthenes weiß sehr wohl, daß wer nicht zu viel verlangt, auch Geringes nicht erreicht. Auf die Knie sinken die Prätorianer zwar nicht – obwohl der Priesterchor gebieterisch diese Bewegung verlangt; immerhin aber wirkt dies Umkehren des Spießes so verblüffend auf sie, daß nunmehr wirklich eine nur durch leises Murren unterbrochene Stille eintritt.

»Dieser Schützling Dianas hat, sagt ihr, einen der eurigen erschlagen –«

»Unseren Centurio – «

»Cajus Scribonius –«

»Ein besserer Soldat folgte nicht den Adlern Roms – «

»Nun wohl. Wir haben das gesehen – «

»Wir haben's gesehen!« bestätigt der Priester.

»Es war ehrlicher Kampf – der Cenutrio wollte ihm den Weg verlegen – ihn trifft deshalb kein Tadel.«

»Und das Schwert gegen den Princeps gezückt?«

»Und Sejanus verwundet –«

»Den Präfekten! den Befehlshaber!«

»Was dieser Schutzsuchende vorher getan und wir nicht gesehen haben – –«

»Nicht gesehen, nicht gesehen!«

»Recht so, Ihr Brüder: nicht gesehen haben wir's, somit müssen wir's hören, und zwar, unseren Satzungen gemäß, von seinen eigenen Lippen.«

»Unseren Satzungen – unseren heiligen Satzungen gemäß!«

»Aber merkt euch das, Prätorianer: was es auch sein möge, dieser Mann hält den goldenen Zweig in der Hand. Er ist unantastbar!«

»Unantastbar! Unverletzlich!«

»Ihr aber, Prätorianer, seid der Tempelschändung schuldig!«

»Schuldig, schuldig!«

»Mit geschwungenen Speeren und entblößten Schwertern seid ihr auf geheiligten Grund eingedrungen, habt wilde Drohungen und Schmähungen ausgestoßen an heiliger Stelle, wo es heißt:

›Favete linguis!
Procul este profani‹
«Schweiget (genau: begünstigt / die Opferhandlung / mit den Zungen!) Bleibet fern, ihr Unwürdigen!

Und mächtig schwillt das Echo des Priesterchores:

›Favete linguis!
Procul este profani‹
«

Unschlüssig, nicht ohne einen Anflug abergläubischer Furcht schauen die Prätorianer einander an. Ihre Blicke sammeln sich, wie durch stummes Übereinkommen, um einen vierschrötigen Mann mit tief gefurchtem, bronzefarbigem Gesicht.

Dieser fühlt, daß ihm die Pflicht der Entgegnung in Aller Namen obliegt. Aber Demosthenes ist sich seines Vorteils zu bewußt, um sich dessen so leicht zu begeben:

»Dieser Flüchtling hat das Schwert auf den Princeps gezückt? Und auf mich, den geweihten Oberpriester der Diana, den König des Haines – sind nicht auf mich von wilden Söldlingen die Schwerter gezückt worden? Streckten sich nicht Speeresspitzen kaum in Armlänge meiner schutzlosen Brust entgegen?«

»Tempelfrevel – Tempelfrevel!«

»Niemand, Ehrwürdigster, hat daran gedacht – «

»Die Speere nieder, die Schwerter eingesteckt! Die Waffen der Göttin zu Füßen niedergelegt! Ich, der König des Haines, kann euch nicht Gehör schenken, euch keine Antwort geben, solange ihr bewaffnet vor mir steht.«

»Auch der Centurio ist bewaffnet,« entgegnet der Vierschrötige mürrisch, auf Marcus zeigend.

»Diesen hat Cäsar mit freundlicher Botschaft hergeschickt. Er trägt sein Schwert als Schmuck und Abzeichen. Nichts lag ihm ferner, als es gegen die Priester Dianas zu ziehen! Dennoch will ich dir hierin willfahren. Edler Centurio, ich bitte dich, mir dein Schwert zur Verwahrung zu geben.«

Ohne Zögern streift Marcus seinen Schwertriemen über den Kopf und reicht dem Oberpriester die Waffe.

»Aber jener – der Verbrecher – auch er hat sein Schwert! Mit dem nackten Schwert in der Hand sitzt er da! – Die Klinge rot vom Blut des Scribonius – das Schwert des Sejanus – –«

»Schützling Dianas, gib dein Schwert her!«

Der Germane blickt nicht auf. Seine Faust ballt sich nur fester um den goldenen Griff, so daß die Knöchel weiß hervortreten.

»Nun, dein Schwert, Germane! Wer den goldenen Zweig hält, braucht kein Schwert.«

Die bartbeschattete Oberlippe kräuselt sich spöttisch:

»Jene haben recht: – das Schwert ist blutig. Es taugt für die Hand eines Kriegers. Es würde eine Priesterhand entweihen. Das sei mir fern!«

Aber der Centurio Marcus neigt sich über den marmornen Rand der Einhegung:

»Segismundus, sieh! Jene sind bereit, die Waffen abzugeben. Sie warten nur auf dich. Komm – gib dein Schwert her! Der Oberpriester hat recht. Es ziemt sich so!«

Nach kurzem, offenbar sehr schmerzlichem Zögern reicht der Germanenjüngling dem ihm bekannten Centurio das Schwert.

Dieser bückt sich, reißt einen Grasbüschel aus, der am Fuße der Mauer wächst, reinigt die Klinge von den wenigen Bluttropfen, die noch daran kleben, und übergibt die Waffe dem Euripideischen Alten, der auf einen Wink des Oberpriesters die Wurfspieße und Hochwerter der Prätorianer gesammelt hat und nun, mit dieser wehrhaften Last beladen, zum Tempel hinaufgeht.

»Wir sind jetzt, ehrwürdigster König des Haines, deiner Forderung nachgekommen,« hebt der vierschrötige Prätorianer an, dem diese Zwischenhandlung eine willkommene Muße geboten hat, um sich seine Rede zurechtzulegen. – »Wir stehen waffenlos – waffenloser in der Tat als jener Legionär: in bürgerlicher Tunica, nicht im eisenbeschlagnen Lederkoller stehen wir vor dir. Du kannst uns also anhören und Antwort geben.«

»Rede. Die Priester Dianas hören dich.«

»So meinen wir denn, daß kein Tempelrecht ein solches Verbrechen beschützen darf. Denn dieser hat, wie wir euch schon sagten, versucht, Tiberius zu ermorden. Nicht seine Schuld ist es wahrlich, wenn das Reich jetzt nicht ohne Oberhaupt ist. Kein Zweifel, daß dies von langer Hand vorbereitet war und von den Feinden des Princeps angestiftet wurde. Man kennt ja die Wut und die verräterischen Umtriebe der Agrippina und ihres zahlreichen Anhanges. Noch vorgestern ist, wie es dem Sejanus heute hier gemeldet wurde, eine ganze Bande Verschworener aus dieser Partei in Rom festgenommen worden. Leider ist der Haupträdelsführer entkommen. Er wurde zuletzt in den Bädern Agrippas gesehen, ist aber dann spurlos verschwunden; wiewohl man in Rom, wo er sich verborgen hält, noch hofft seiner habhaft zu werden.«

Telemachos, der fühlt, daß er rot wird, sieht sich verstohlen um. Aber keiner der Priester blickt ihn an oder verzieht eine Miene.

»Einer der Verhafteten hat sogar den Namen dieses Germanen genannt: Sie hätten vorgehabt sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Offenbar sind ihnen nun aber andere ihrer Gesinnungsgenossen zuvorgekommen und haben diesen Fremdling gedungen. Nachdem er sich zuerst das Zutrauen des Sejanus und dann – vorzüglich durch seinen Gesang – das Wohlwollen des Tiberius gewonnen hatte, benützte er heute ganz plötzlich die günstige Gelegenheit, als Sejanus sein Schwert im Vorzimmer abgelegt hatte. Er bemächtigte sich dessen, stürzte in das angrenzende Gemach, wo der Princeps der Mittagsruhe pflegte, und führte einen Stoß gegen seine Brust, der tödlich gewesen wäre, wenn sich nicht der getreue Sejanus dazwischen geworfen hätte und so das teure Leben rettete, wobei er sich selber eine böse Wunde am Arme zuzog.«

Dieser Bericht wird von der Priesterschaft mit sehr bedenklichen Mienen aufgenommen.

Aber zur Verwunderung aller tritt Telemachos, der doch die größte Veranlassung hätte, sich im Hintergrund zu halten, dreist hervor und ergreift das Wort:

»Ihr Brüder! Hier liegt ganz offenbar ein Irrtum und eine handgreifliche Mißdeutung vor, die richtig zu stellen nicht schwierig sein dürfte. Auch ich habe nämlich in Rom, als ich noch dem weltlichen Leben angehörte, von diesem Germanen Segismundus, dem Geisel der Chatten, vernommen. Und zwar war es gerade bekannt, daß er dem Princeps mit Leib und Seele ergeben sei, wie man mir sagte, und wie es mir auch durchaus glaubhaft erscheint, aus Dankbarkeit, weil Tiberius seinerzeit dem Germanicus verbot, Germanien wieder mit Krieg zu überziehen und ihn vielmehr nach Syrien schickte. Nun aber ist ja die Treue dieser Germanen sprichwörtlich. Dadurch schon wird diese Anklage sehr verdächtig, wo nicht gar hinfällig. Der Schluß des Berichtes klärt sogar, meiner Ansicht nach, den wirklichen Vorgang völlig auf. Zweifelsohne haben in Rom gewisse Kreise Segismundus vor Sejanus gewarnt, diesen als einen Verräter gegen seinen Herrn angegeben und dem Germanen gewisse ehrgeizige Pläne aufgedeckt, die dort allgemein dem schon fast allmächtigen Prätorianerpräfekten und Consul zugeschrieben werden. Auf solche Weise aufmerksam geworden, hat er dann wohl einen bösen Anschlag des Sejanus entdeckt und eingesehen, daß es hohe Zeit sei, ihm zuvorzukommen. Das Schwert, das der Präfekt wohl in böser Absicht bereit gelegt hatte, ergreift er, um ihn – nicht Tiberius, sondern Sejanus – zu töten, der jedoch durch eine behende Wendung mit einer Wunde am Arme davonkommt. Es ist begreiflich, daß Tiberius, der von nichts weiß, den Stoß gegen sich gerichtet glaubt. So erklärt sich der Vorfall vollkommen.«

Telemachos schweigt.

Er fühlt, daß er gut gesprochen hat, etwa wie Cicero für Roscius.

Auch zollt er sich selber die Achtung, die jedermann dem braven Manne schuldig ist. Wäre es doch zu seinem eigenen Vorteil gewesen, wenn die Priester den Germanen ausgeliefert hätten. Dann hätte ihm von dieser Seite keine Gefahr gedroht. Er aber hat seine Pflicht getan!

Dies Bewußtsein muß ihm genügen. Denn Beifall findet er nicht. Höchstens, daß der Centurio ihm einen zustimmenden Blick sendet.

Die Priester getrauen sich nicht aufzublicken.

Die Erklärung klingt nicht unwahrscheinlich. Nur macht sie den schwierigen Fall nicht leichter, eher noch zweifelhafter und zweischneidiger.

Ein Anschlag auf das Leben des Sejanus ist ein kaum geringeres Verbrechen als einer auf das des Princeps; vielleicht sogar ein schwereres. Wer weiß? Möglich, daß Tiberius' Leben schon morgen nichts gilt, das des Sejanus alles. Hat der Präfekt, von seinen Prätorianern umgeben, nicht schon den alten Princeps in der Hand? Wenn er nun morgen selber der Princeps wäre! Wie würde es dann der Priesterschaft ergehen, die eine Mordtat leicht nähme, weil sie sich ›nur‹ gegen Sejanus, nicht gegen Tiberius gerichtet hat? ... Anderseits aber: wer würfe das Senkblei in das Herz des Tiberius? Hat der Anschlag wirklich Sejanus gegolten, könnte dann nicht der Zorn des Herrschers die Priesterschaft treffen, falls diese voreilig einen so ergebenen Diener Cäsars aufopferte?

Bange Fragen. Ein flüchtiger Blick zeigt dem erfahrenen Hainkönig, daß sie in all den anderen priesterlichen Herzen widerhallen – mit Ausnahme von dem des sonderbaren Herkules, das zu alt und gleichgültig zu sein scheint, und von dem des Neulings, das zu jung und töricht ist, um ihre Tragweite zu fassen.

Er schüttelt bedenklich den Kopf, in dem er einen forschenden Blick auf den Germanenjüngling wirft, der ohne sich umzusehen in wirklicher oder gut nachgeahmter Gleichgültigkeit dasitzt. Nur in seiner rechten Hand ist Ausdruck: sie hängt noch schlaff herab, als ob sie der verlorenen Waffe nachtrauere.

»Du hörst, was diese von dir aussagen, Fremder. Was hast du darauf zu antworten?«

»Sie sagen die Wahrheit.«

»Wer? Die Prätorianer?«

Der Germane nickt.

»Ich wollte Tiberius töten.«

Ein Wutgeschrei antwortet ihm.

»Hört ihr? ... Er ist geständig ... Liefert ihn aus!«

»Und auch der junge Priester hat wahr gesprochen.«

»Wie? auch er?«

Wiederum nickt der Germane ruhig.

»Ja. Er war wohl unterrichtet. Ich bin Tiberius mit Leib und Seele ergeben.«

Der Oberpriester schüttelt wieder den Kopf.

»All dies war schon rätselhaft, nun ist es noch rätselhafter geworden. Doch du wirst uns ja jetzt das Rätsel lösen. Sag' uns also, was sich zugetragen hat.«

Er weiß wohl, daß eine solche Aufforderung vor dem Ringkampf einen Bruch der Regel dieser Priesterschaft bedeutet. Aber die Sache ist so seltsam und von so bedenklicher Eigenart, daß er sich zu dieser Abweichung berechtigt fühlt.

Auch verkündet ein gedämpftes Murmeln, daß ihm seine Priester eher für seine Eigenmächtigkeit dankbar sind, als daß sie dabei irgendein Bedenken hätten.

Der Germane erhebt seinen Blick vom Boden und heftet ihn zum erstenmal aufmerksam auf das Gesicht des Oberpriesters. Von dort springt er zu dem des Hermes hinüber und macht dann die Runde durch alle Zwölf. Denn mit dem Euripideischen Alten sind soeben auch Verres, Pindaros, Rhadamanthus und Äsculapius, die ihren Auftrag vorläufig erfüllt haben, vom Tempel zurückgekehrt, begierig den neuen Gast zu sehen, der ihre Neugier ebenso reizt, wie er ihre Sicherheit bedroht.

Befriedigt oder nicht kehrt der Blick des blauen Augenpaares zum Boden zurück. Die Lippen des Germanen bewegen sich nicht.

»Nun? Die Priester Dianas erwarten die Lösung des Rätsels.«

Antwort: ein seelenruhiges Kopfschütteln.

»Wie? du willst uns nicht sagen, was sich zugetragen hat? Wie es kam, daß du, obwohl dem Tiberius ergeben, ihn ermorden wolltest?«

»Warum sollt' ich?«

»Warum? Weil dein Schicksal in unseren Händen liegt.«

Der Germane lacht kurz auf.

»Mein Schicksal läge in euren Händen? In diesen Händen liegt es! ... Ich kenne eure Satzungen. Wer den goldenen Zweig erreicht, muß mit einem von euch – wen das Los bestimmt – sich im Ringkampfe messen, so gewinnt er die Priesterschaft, und niemand kann ihm etwas anhaben.«

» Wenn er gewinnt, mein Sohn!«

Ein Lächeln leuchtet in den blauen Augen auf und macht die Spitzen des blonden Schnurrbartes zittern.

»Ich habe geruht und bin bereit. Genug geredet. Das Los entscheide!«

Achselzuckend wendet sich der Oberpriester an die Priester:

»Nun, meine Brüder, so wollen wir denn, wiewohl nur ungenügend unterrichtet, in außerordentlicher Sitzung unter den Augen der Göttin über diesen sonderbaren Fall beraten.«

Beifälliges Murmeln stimmt diesem Entschlusse zu, der es noch jedem ermöglicht, seine Meinung geltend zu machen.

»Du, Herkules, wirst noch weiter für unseren edlen Gast sorgen.«

Er blickt den jungen Priester an, der sich nur zögernd den anderen anschließt, und lächelt. Es mag ihm wünschenswert erscheinen, auch ihn von der Beratung fernzuhalten.

»Du hast, o Telemachos, gar vortrefflich gesprochen, wenn du auch nicht ganz das Richtige trafst. Deine Worte haben dazu beigetragen, Licht in diese dunkle Sache zu bringen, du hast damit also schon deine Stimme abgegeben, so magst du dich unserem Herkules anschließen, an dessen Gesellschaft dich ja schon die gemeinschaftliche Nachtwache gewöhnt hat, und mithelfen, daß unserem Gast, in dem wir seinen Absender, den Princeps selbst verehren, die Zeit nicht zu lang werde.«

Ehrerbietig neigt der Priesterjüngling den Kopf, sehr zufrieden, draußen bleiben zu dürfen, in unmittelbarer Nähe des jungen Germanen, dessen Bekanntschaft zu machen er nun einmal für seine Schicksalsbestimmung hält.

Darauf wendet sich der Oberpriester an die unbequemen Eindringlinge, die unschlüssig und fast vergessen abseits stehen und eine halbfeindliche Gruppe bilden, die nicht unbewacht bleiben darf.

»Ihr Prätorianer habt euch alle schwer versündigt und die Göttin tief beleidigt. Ihr müßt, mit ihrem Zorn beladen, euch aus ihrem geheiligten Bezirk entfernen oder Buße tun.«

»Welche Buße wird gefordert, Ehrwürdigster?«

»Auf der obersten Stufe vor dem Tempel müßt ihr knieend liegen, und die Gnade der Göttin anflehen, bis ich euch für entsühnt erkläre.«

Eine kurze flüsternde Beratung findet statt. Ob nun die Furcht vor dem Zorn Dianas, wenn sie unentsühnt von dannen gehen, oder die vor dem Zorn des Sejanus, wenn sie ihre gestellte Beute verlassen, die Entscheidung bringt: jedenfalls erklären sie, die Buße leisten zu wollen, falls die Priester dafür einstehen, daß der Germane nicht flüchtet.

»Keine Sorge! Die Tempelwache läßt jeden herein, niemand hinaus.«

Beruhigt durch diese Erklärung folgen die Krieger den Priestern und liegen knieend vor dem Peristyl, während die neun weißbemäntelten Gestalten eine nach der andren im dunklen Tempelinnern verschwinden, wo das Altarfeuer ihr Vorbeischreiten beleuchtet.

Der Euripideische Alte geht als Wachehabender zwischen Stufen und Baumeinhegung hin und her, wobei er wechselweise beide Parteien im Auge behält: die auf der obersten Stufe knieenden Prätorianer und den auf der Wurzel des Ölbaumes sitzenden Germanen, dessen goldlockiger Kopf über die Marmorbrüstung emportaucht.


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