Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Sechstes Kapitel

Kleopatras Perle überboten

Weit braucht Sejanus nicht zu gehen, um sich dieses Auftrages zu entledigen. Er trifft in der Tat Caligula unverhofft – in fast verdächtiger Nähe ...

Mit unverhohlener Freude empfängt Cajus Cäsar die Mitteilung des Tiberius. Er fürchtet sich vor Rom und liebt Capreä. Nach jenen meerbespülten Felsen kann Sejanus keine Prätorianer mit Mordanschlägen schicken. Mit hoher Genugtuung erfüllt ihn der Befehl, alle Vorbereitungen, die der so plötzlich veränderte Reiseplan nötig macht, zu überwachen und sie möglichst zu beschleunigen. Zeigt sich darin doch deutlich genug, daß der Ohm seinem Mitkonsul mißtraut. Die geheime Aufgabe, den stolzen Prätorianerpräfekten zu beaufsichtigen und sich davon zu überzeugen, daß die Trennung der Züge richtig eingeleitet werde, ja nötigenfalls seinen gefährlichen Nebenbuhler um die Gunst des Herrschers zu überlisten, das alles ist im höchsten Grade nach seinem Geschmack; umsomehr als er sich hier im Tempelbezirk einstweilen sicher fühlt, und die bald zu erwartende Rückkehr des ganz zuverlässigen Centurios Marcus und des bedeutenden kaiserlichen Gefolges ihm weitere Sicherheit gewährleistet.

Sehr wenig sagt ihm hingegen der letzte Auftrag zu, sofort den alten weißbärtigen Priester, den sie Herkules nennen, und der mit dem Germanen gekämpft hat, herzuschicken. Er übernimmt den Auftrag ebenso unwillig, wie Sejanus wenige Minuten vorher den Befehl, Caligula zu rufen, vernommen hat – beide Male vorausgesehene Wirkungen, deren sichtbares Eintreten dem Herrscher eine kleine boshafte Freude bereitet.

›Was will nur der Ohm mit diesem Priester, vor dem ich ihn doch ausdrücklich gewarnt habe? Nun, der Priester bleibt ja im Heiligtume, und so hat das nicht allzuviel zu sagen. Dennoch gefällt es mir nicht.‹

Willkommen oder nicht – jedenfalls ist der Auftrag leicht ausgerichtet.

Caligula will sich seinem ernsteren, verantwortungsvollen Geschäft zuwenden, als ein Blick in der Richtung des Sees seinen Fuß fesselt.

Ja, er hält sogar unwillkürlich Rufus am Ärmel zurück. Denn sowenig das Äußere und das Wesen dieses alten Herkules seiner Natur zusagt, so ist es ihm doch lieb, jemand neben sich zu haben, dem er seine Erregung mitteilen kann.

»Sieh dort, Priester – sieh!«

Von unten bis oben erleuchtet, im vollen Lichterschmucke seiner sechs terrassenförmigen Verdecke; mit den langen Perlenschnüren der runden Fensterscheiben, mit dem glitzernden Muster von Lampen und widerstrahlenden Säulen; mit lohenden Fackeln, flammenden Altären und gluthauchenden Räucherpfannen: so schwimmt die goldene Galeere draußen, ein Märchenwunder anzusehen.

Entspricht sie schon bei Tageslicht ihrem Namen, so scheint sie jetzt nicht aus gewöhnlichem Golde gebildet zu sein, sondern aus jenem, das da gehütet wird von den Klauen der Greifen im Lande der Hyperboräer. Und jener Fabelgegend entstammt ja auch der herrlichste Hort, den der schwimmende, gigantische Schatzschrein enthält, unsichtbar der Sonne und dem Monde und allen Lampen und Lichtern, verschlossen in der Brust des Paares, das drüben auf dem obersten kurzen Verdeck seines Schicksals harrt: das tiefe Geheimnis des Hyperboräischen Sangeszaubers, dessen Hüter die beiden Kinder Germaniens sind.

Wird er sich noch einmal offenbaren, dieser Schatz, bevor er in die Tiefe versinkt mit allen den anderen, die mit ihm verglichen eitel Plunder sind?

Ja, er wird sich offenbaren – zum letzten Mal! Die beiden werden noch singen! In der äußersten Not werden sie ihre mächtige Gottheit, deren geheimnisvolle Kraft sie durchströmt, beschwörend anrufen! Unvergleichlich schöner als je wird in der Todesangst ihre Doppelstimme, gleich der des Hyperboräischen Schwanes, des Apollinischen Vogels, ausatmend ertönen, bis sich die Fluten des heiligen Sees über dem Opfer schließen.

»Hast du sie schon singen hören, Priester – die beiden Germanen? Ja? Heute um die Mittagsstunde? Freue dich! du wirst sie noch einmal hören – schöner noch, hundertfach schöner, glänzender, mit dem Goldglanz der untergehenden Sonne – noch mehr, denn die Sonne kehrt ja wieder –: mit der Glorie des Unersetzlichen! Aber freilich, was wirst du hören, was verstehen? Nur ich weiß ja, was es bedeutet! Nur ich allein werde sie begreifen, diese ungeheuerliche, diese wahrhaft göttliche Verschwendung! Was ist, gegen sie gehalten, Cleopatras Perle im Becher? Auskosten will ich sie bis zum letzten Tropfen, die qualvolle Lust, die sich im Wegwerfen des Unersetzlichen verbirgt, des einzigen Zaubers, dessen Besitz mich zum ersten Sänger der Welt gemacht hätte – größer als Orpheus, denn sein Sangeszauber war nur der thrakische – der mächtigste, den wir kannten – aber der ist nichts, nichts, sag' ich dir, mit dem germanischen verglichen!«

Mit solch dämonischer Gewalt ergreift ihn diese Vorstellung, daß er den Priesterärmel loslassen muß, um sich am schlanken Stamm eines Lorbeerbaumes aufrechtzuerhalten, während ein Fallsuchtanfall seinen Körper vom Scheitel bis zur Sohle erschüttert und von seinen gischtfeuchten Lippen ein wildes Lachen losbricht.

Im Ohre des ungeduldig davoneilenden Rufus hallt noch lange, böse Zukunftsahnungen erweckend, dieser entsetzliche Laut wider: – das Lachen des ausbrechenden Cäsarenwahnsinnes.


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