Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel

Die Begegnung

Nur ein paar Minuten hat der Alte, auf dem Mosaikboden der Tiberiusnische kniend, sich der tiefen Andacht und inneren Sammlung hingegeben, als seine Einsamkeit, ohne daß er es bemerkt, gestört wird.

Über dem Rande des Abhanges taucht ein sonnenblinkender Helm und der wettergebräunte Kopf darunter empor, und dann die eisenbedeckten Schultern.

Bald steht die ganze stattliche Gestalt eines Legionär-Centurios dort, wo ein Fußpfad von der Felsplatte hinab führt.

Der Krieger atmet tief nach dem steilen Aufstieg. Er nimmt den Helm ab und wischt sich mit einem Tuch die Schweißtropfen von der Stirn, diese ist durch einen roten Querstrich in eine helle und eine dunkle Hälfte geteilt. Dann blickt er sich um.

Der Ölbaum in seiner Mauereinhegung fällt ihm vor allem auf. Nicht nur durch die Größe seiner Krone und die urwüchsigen Formen seines knorrigen Stammes. Der gelbe Glanz des wuchernden Goldzweiges, der aus dem grauen Laub hervorbricht, fesselt sofort sein Auge. Er mag wohl von diesem Wunder schon gehört haben.

Dahinter steht der Tempel, geschlossen, stumm – denn der Gesang in der Zelle hat aufgehört.

Sein Blick sucht die Runde ab. Hier und dort schimmert ein Altar oder eine Nymphenstatue zwischen den Stämmen der Zypressen hervor. Aber er wird kein lebendiges Wesen gewahr.

Ein paar Schritte vortretend, bemerkt er in dem halbkreisförmigen Bau das Marmorstandbild mit den wohlbekannten Zügen.

Wie bei dem Klang einer Tuba schüttelt sein Körper die Schlaffheit ab, die ihm von dem ermüdenden Aufstiege her noch anhaftet. In straffer Haltung tritt er elastischen Schrittes auf die Nische zu, um dem Bilde des Imperators die schuldige Huldigung darzubringen.

Dabei kann er den Blick von diesen Zügen nicht abwenden.

›Wie schön war er,‹ denkt er – ›schöner, weil geistiger, als der bewunderte Augustus. Wie schön muß er gewesen sein, und wie hat die Welt ihn zugerichtet, diese Welt, die er verachtet und beherrscht!‹

Erst als er die Stufe betreten will, bemerkt er den Priester, der am Dreifuß vor dem Standbilde kniet.

Der Alte hat die näher kommenden Fußtritte vernommen. Unmutig erhebt er sich und wendet sich gegen den Eintretenden.

Ihre Blicke begegnen sich und bohren sich ineinander. Dieselbe Überraschung des Wiedererkennens spiegelt sich auf beiden Gesichtern.

Der Centurio macht einen Schritt vorwärts, streckt die Arme aus und läßt sie wieder sinken.

»Titus –! Nein – ja doch! ist's möglich?«

»Titus Sempronius Rufus – ja, möge der Name auch hier verpönt sein, so hieß ich einst in der Welt. Ja, Marcus, ich bin's. Und sei mir willkommen! Denn dich hat eine Gottheit hergeschickt. Mein Gebet hat Gehör gefunden. Endlich, endlich ist die Erlösung da!«

Mit einem heftigen Griff entblößt er die Brust.

»Zieh dein Schwert, Marcus! Stoß zu! Räche den Tod deiner Schwester an ihrem Mörder!«

»So ist es denn wirklich wahr, was viele meinten und was ich nimmer glauben wollte: – du hast die arme Fulvia getötet?«

Der Kopf des Alten sinkt auf seine Brust.

»Du hast's gehört. Stoß zu!«

Aber der Centurio Marcus macht keine Miene, dieser seltsamen Aufforderung nachzukommen.

Seine Stimme ist ebenso mild wie traurig, als er spricht:

»Ich sollte dich töten, Titus ... jetzt, nach all der Zeit? Was für Unbegreifliches auch damals durch den Einfluß böser Götter geschehen sein mag – was mußt du nicht gelitten haben in all den Jahren? Wenn ich auch nur davon hörte, so würde ich das wissen. Nun ich vor dir stehe, sollte ich dir's nicht ansehen?«

»Ja, ich habe viel gelitten – und lange ... ach, so lange! Und ich glaubte, es sei jetzt vorüber. Als ich dich sah, Marcus, war ich überzeugt, die Erlösungsstunde sei nun endlich gekommen.«

»Und so wolltest du dann deine Last auf meine Schultern abwälzen, Titus? Die Schwester hast du getötet – sagst du, und ich muß es glauben, soll nun deshalb auch der Bruder zum Verbrecher und eines Priestermordes schuldig werden?«

Mit einem überraschten, fast verschämten Ausdruck blickt Rufus den Schwager an.

»Priestermord –? In diesem Lichte sah ich's nicht. Mir ist so wenig priesterlich zumute, Marcus. Doch du magst recht haben, ich hätte mehr an dich selber denken sollen. Ich sah in dir nur das Schwert ... Du konntest also nicht glauben, daß ich ihr Mörder wäre?«

Der Centurio schüttelt den Kopf.

»Ich hörte auch zuerst nur, daß sie tot – offenbar erwürgt – im Garten gefunden wurde. Und das war schon lange danach – da dachte ich an alles andere als an deine Täterschaft – nur an deine Trauer, deinen unersetzlichen Verlust. Wußte ich doch, daß du sie auf den Händen trugst.«

Rufus seufzt aus Herzenstiefe.

Aber wie plötzlich erwachend, schlägt er die Augen auf und blickt den Schwager scharf an.

»Was sagst du da? Erst lange danach erfuhrst du das? und auch nur ihren Tod? Du warst doch aber zur Stelle ... Das Lager war ja nur eine Stunde von der Villa entfernt.«

»Gewiß. Aber wir zogen nach dem Osten.«

»Ich besinne mich darauf. Gleich nach dem Triumphe solltet ihr nach Syrien abgehen.«

»Wir bekamen unerwartet früh den Befehl. So müssen wir, wie ich ausgerechnet habe, gerade am Morgen nach der Schreckenstat aufgebrochen sein. Erst in einem Städtchen mitten in Syrien erhielt ich die Nachricht von dem gewaltsamen Tode Fulvias, und erst viel später noch, irgendwo im Libanon, wo wir lagerten als einer aus Rom zum Heere stieß, erfuhr ich, daß du gleichzeitig verschwunden warst. Man glaubte allgemein, du hättest sie in einem Anfalle von Eifersuchtswut umgebracht und dich dann im Tiberstrom ertränkt; der floß ja fast unmittelbar am Garten vorüber, er war gerade damals sehr voll und reißend, so daß es nicht wunder nahm, wenn deine Leiche nicht gefunden wurde. Ich jedoch dachte mir immer, daß Räuber, die sich damals ja öfters bis an die Tore Roms wagten, dich auf einer einsamen Wanderung überfallen und ermordet hätten; denn im Vertrauen auf deine Körperkraft gingst du oft recht unvorsichtig deines Weges. In diesem Glauben habe ich bis zur Stunde gelebt. Nun aber erzähle mir, wie sich das Gräßliche zutrug und durch welche Verblendung dich irgendeine zürnende Gottheit zu einer solchen Tat verleitete. Denn mich dünkt, daß ich ein Recht habe, es zu erfahren.«

»Das hast du, Marcus. So schwer es mir fällt ... denn nur Einem habe ich das Ganze gesagt – diesem da.« Seine Hand, die sichtbar zittert, zeigt nach dem Standbilde des Tiberius.

»Als er noch in Rom war, suchte er öfters Erholung auf der goldenen Galeere des Ariciasees. Einmal lud er sich hier im Tempel zu Gaste ein. Es war zu der Zeit, wo er bei so vielen Tempeln des Reiches das verderbliche Asylrecht aufhob. Er wollte sehen, was für Gesindel sich hier zusammengefunden hätte. Da fand er nun mich, den Jugendfreund, wie er mich gnädig nannte, den schon längst Totgeglaubten. Da vertraute ich ihm alles an – ich dachte nicht, daß meine Lippen zum zweitenmal diese Qual erneuern müßten. Und doch tat es mir damals gut; vielleicht wird es mir auch heute zum Segen gereichen. Komm, setzen wir uns zu seinen Füßen. Drinnen sind sie dabei, einem Neuling die Priesterweihe zu geben; sie werden uns lange Zeit nicht stören.«

Und er leitet Marcus zu einer der beiden Marmorbänke hin, die an den Wänden der Nische angebracht sind.


 << zurück weiter >>