Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Achtes Kapitel

Weltherrscher und Hainkönig

»Nun, Priester,« hebt Tiberius an, als er auf der Bank in der Ala Platz genommen hat, »was für Geheimnisse hast du mir also hier unter vier Augen anzuvertrauen?«

»Zuerst, o Augustus,« entgegnet der Oberpriester, der vor ihm am Dreifuße stehen geblieben ist, – »etwas, das ich, wie du mir zugeben wirst, nicht wohl in der Gegenwart des Sejanus sagen konnte.«

Tiberius fährt halb empor und blickt sich unwillkürlich um.

»O nein, Lauscher sind hier nicht zu befürchten. Ich habe meinen Standpunkt gewählt, und dem wachehabenden Priester ist befohlen, scharf aufzupassen.«

»Gut. Ich bin begierig zu hören, was der Präfekt nicht hören darf.«

»Du wirst dann einsehen, daß du keinen Grund hast, uns Priestern zu zürnen, weil wir den Flüchtling nicht den Prätorianern auslieferten; sondern daß dies nur geschah, um nicht durch einen solchen voreiligen Schritt geheime Absichten, die du selber hegen könntest, zu durchkreuzen.«

»Nun fängst du nach leidiger Priesterart an, in Rätseln zu reden.«

»Die sind bald gelöst. Du mußt erfahren, o Augustus, daß jener junge Priester, dessen Gesicht dir gefiel und den Sejanus verklagte, sich in keine Verschwörung gegen dich eingelassen hat; wir wissen es besser. Er hat uns auch von dem Germanenjüngling erzählt, daß er dir mit Leib und Seele ergeben sei. Das hat dieser uns auch selber bestätigt, und ich muß sagen, er macht auf mich nicht den Eindruck, als ob er löge.«

»Ich verstehe! Es hat euch verwirrt. Daß man das umbringen muß, was man liebt, konntest du nicht begreifen, Priester?«

Das spöttische Lächeln, das die Lippen des Princeps kräuselt, warnt den Hainkönig, nicht zu fest auf dem betretenen unsicheren Grund weiterzuschreiten.

»Das will ich nicht sagen,« entgegnet er vorsichtig, nicht willens, sich eine Blöße auf dem Gebiete der Menschenkenntnis zu geben. »In dem vorliegenden Fall aber, wo wir über den genauen Hergang nur unvollkommen, weil einseitig, unterrichtet waren, mußte dieser sonderbare Umstand uns jedenfalls zur Vorsicht stimmen.«

Ein scharf aufblitzender, forschender Blick unterbricht ihn.

»Einseitig unterrichtet, Priester? Hat denn der Germane nichts gesagt?«

»Nur, daß die Prätorianer recht hätten: er habe dich mit dem Schwert angegriffen; das hat er allerdings freimütig bekannt. Aber gesetzt, er habe – ich komme gleich darauf – in geheimer Übereinstimmung mit dir gehandelt, dann hätte er uns gegenüber doch auch nicht anders reden können. Ja, er schien jenes Geständnis sogar dadurch wieder aufzuheben, daß er die Aussage des jungen Priesters bestätigte, er, Segismundus, sei dir mit Leib und Seele ergeben.«

»Aber hat er denn nichts gesagt, um diesen anscheinenden Widerspruch aufzulösen? Hat er sich nicht verteidigt, nicht erzählt, wie es dazu kommen konnte?«

»Nein, Augustus. Ich unterließ es nicht, ihn dazu aufzufordern, wiewohl ich streng genommen dadurch gegen unsere Satzungen verstieß. Aber er schwieg beharrlich.«

Tiberius blickt nicht länger den Hainkönig an. Er hat genug erfahren. Eine leichte Röte färbt seine Wange, ein unhörbarer Befreiungsseufzer hebt und senkt seine breite Brust.

›Der Germane hat geschwiegen, obwohl er durch die Wahrheit sich selbst hätte rechtfertigen können, wenigstens insofern rechtfertigen, als daraus hervorging, er gehöre keiner politischen Verschwörung an. Dieser brave Jüngling hat mich den Priestern nicht preisgeben wollen. Mir selber bin ich heute zum Spott geworden, aber wenigstens nicht dieser Bande. Wahrlich, er muß mir noch immer sehr ergeben sein. Wie gern möchte ich ihn schonen! Aber ein Staatsoberhaupt kann nicht immer seiner Neigung folgen. Schade um ihn! Ein Jüngling, der so zu schweigen versteht, ist etwas wert!‹

Vergebens versucht der Hainkönig zu erraten, was für Gedanken sich jetzt zwischen diesen breit ausladenden Schläfen regen – innerhalb dieses verhängnisvollen Ringes des Herrscherkranzes, dessen krauses goldenes Eichenlaub in der Nachmittagssonne glitzert.

Als der Blick sich noch immer nicht vom Boden lösen will, räuspert er sich vorsichtig und, durch ein gleichgültiges Aufblicken ermächtigt, fährt er fort: –

»Du siehst also, Augustus, daß wir tatsächlich sehr einseitig unterrichtet sind. Somit war Vorsicht die Losung. Denn gesetzt, o Herr, – und jetzt komme ich auf das, was ich vorher kaum andeuten konnte – gesetzt, du hättest dich aus irgendeinem Grunde veranlaßt gesehen, deinen Diener Sejanus aus dem Wege zu räumen: welches Werkzeug konnte denn dazu tauglicher sein, als dieser dir so ergebene Barbar? Dann hätte der Angriff nicht dir, sondern dem Präfekten gegolten. Hätten wir nun unter solchen Umständen dieses Werkzeug, wofür du noch immer Gebrauch haben könntest, voreilig zerbrochen, indem wir den Germanenjüngling der Rache der Prätorianer preisgaben, so würden wir, denk ich, uns wenig Dank von dir verdient haben.«

Tiberius' Augen haften noch immer am Mosaikboden als ob sich in den zierlichen Schnörkellinien des Blätterschmuckes irgendeine Geheimschrift verberge. Die Stille wird nur durch das leise Knistern der Räucherzweige auf dem Dreifuß unterbrochen.

»Wie kann die Priesterschaft auf den Gedanken kommen, daß ich meinen Mitkonsul, den Sejanus, aus dem Wege räumen wolle –?«

»Es ist vorgekommen, daß ein Konsul einem Mitkonsul nach dem Leben trachtete –«

»Meinem alten Diener –«

»Alte Diener können sich untreu zeigen und können zu mächtig werden.«

Jetzt aber reißt sich der Blick vom Mosaikmuster los und trifft den Oberpriester scharf wie ein Pfeil: –

»Priester! du bist Ankläger gewesen und scheinst auch hier dein altes Gewerbe ausüben zu wollen. Aber so geht das nicht, klagst du Sejanus an, oder klagst du ihn nicht an?«

»Ich klage keinen an, Augustus.«

»Aber ihr Priester wißt etwas von Sejanus.«

Sein Blick wird noch durchbohrender, aber Demosthenes hält ihn aus.

»Wie sollten wir etwas wissen, die wir weltabgeschieden hier im frommen Dienste der Göttin leben?«

Tiberius' Blick verbirgt sich wieder im Mosaikmuster.

›Dieser schlaue Priester weicht einer geraden Antwort auf meine Frage aus. Ganz sicher weiß er etwas von Sejanus. Und er weiß von dem neuen jungen Priester, daß dieser sich in keine Verschwörung gegen mich eingelassen hat. Gegen wen also? Gegen Sejanus offenbar, der ihn mit allen Hunden hetzt. Und diese Verschworenen haben mit dem Germanenjüngling anknüpfen wollen, weil sie wußten, daß er mir ergeben sei ... Hm ... Dies sind sonderbare Zusammenhänge, die keineswegs zum Weiterreisen nach Rom einladen.‹

»Aber,« fährt der Hainkönig fort, »gerade, daß wir trotz solcher Weltentfremdung an jene Möglichkeit gedacht haben und Sorge trugen, selbst deinen geheimsten Plänen, wenn solche da wären, nicht im Wege zu stehen: das, denk' ich, verdient nicht Tadel sondern Anerkennung.«

»Gut, nimm meine Anerkennung. Aber als ihr dann von mir selbst erfuhrt, daß es sich nicht so verhalte, daß die Prätorianer genau berichtet hatten, habt ihr noch immer die Übergabe des Flüchtlings verweigert.«

»Verzeih einen Widerspruch, Augustus. Wie konnte ich das von dir erfahren, solange Sejanus neben dir stand? Eben deshalb habe ich um diese Unterredung gebeten.«

»Nun, insofern hast du recht. Jetzt aber erfährst du es, und so nehme ich an, daß der Übergabe nichts entgegensteht.«

»Nur jener Sibyllenspruch, der es nicht ratsam erscheinen läßt, dem Brauche des goldenen Zweiges einen Abbruch zu tun.«

Tiberius macht eine ungeduldige Bewegung.

»Unratsam, o Augustus, wegen des bedrohten Cäsarenhauses.«

Der König des Haines steht hochaufgerichtet, die linke Hand auf den Rand des bronzenen Dreifußes gestützt. Links von ihm erhebt sich das marmorne Jugendbild desselben Herrschers, der ihn jetzt mit neu beginnendem Unmut anherrschen will; rechts steigt die hellblaue Weihrauchsäule in die Höhe, im Hindergrund lugt zwischen dunkelen Zypressenmauern im goldigen Glanze der Spätnachmittagssonne der wuchtige, säulengetragene Giebel des alten Tempels hervor.

Schuft, der er nach der erst kürzlich abgegebenen Erklärung des Tiberius ist, weiß dieser König des Haines gelegentlich mit seinem Menschentum seine Schuftigkeit abzulegen. Er steht da als der Priester, der Hüter uralter geheimnisvoller Gebräuche, die kurzerhand zur Seite zu schieben, auch der Weltherrscher sich sträubt.

»Du sagtest,« beginnt dieser zögernd und hält dann inne.

Seine im Schoße ruhenden Hände machen mit den einander umkreisenden Fingern weiche, tastende Bewegungen, als ob sie sich darauf vorbereiteten, etwas Festes zu ergreifen.

»Ich weiß nicht, irre ich mich? ... Du schienst mir recht zuversichtlich zu sein ... Du wolltest mir einen Ausweg zeigen, einen, der beiden Rücksichten, der auf die weltliche Gerechtigkeit und der auf das Tempelrecht, genügen würde.«

»Ich weiß in der Tat einen solchen, o Augustus. Und auch der mußte im Geheimen dir mitgeteilt werden.«

»So verstand ich dich ... Nun, wir sind hier allein ... Also sprich!«

Der Hainkönig verneigt sich gehorsamst.

Er ist aber sichtbar befangen. Diese gewohnheitsmäßige weiche Bewegung der weißen Finger des Cäsars wirkt immer unheimlich auf ihn.

Demosthenes nimmt seine Zuflucht zu seinem alten, beschwichtigend einleitenden Redner-Husten: –

»Herr. In dieser heiligen Priesterschaft befindet sich einer, der dir wohlbekannt ist. Herkules nennen wir ihn.«

Tiberius nickt. Es ist ein Stutzen – und ein Stutzen unangenehmer Überraschung – in diesem Kopfnicken. Die Finger bewegen sich krampfhafter.

»Die ungeheure Körperkraft, die ihm diesen Priesternamen verschaffte, ist auch der Grund, weshalb ich ihn hier nennen muß. Wisse denn, daß so oft auch das Los aus der Urne gezogen wurde, um zu bestimmen, wer von den Dianapriestern mit einem Eindringling und Besitzer des goldenen Zweiges ringen mußte, sein Los nie herausgekommen ist. Wenn dies geschah, war es offenbar, daß der Neuling von vornherein gar keine Aussicht hatte, und dies schien mir der Absicht der Göttin zuwiderzulaufen, die sicherlich auf frische Kräftezufuhr gerichtet ist. Nun könnte sie selber allerdings jedesmal aufs neue verhindern, daß sein Los gezogen würde: allein wozu hat sie des Priesters Hirn und Hand?«

Die schmalen Lippen seines Zuhörers lächeln beißend. Die Finger kreisen noch immer, aber langsam, wie ein Mühlwerk, das im Begriff ist, still zu stehen.

»Eine echt priesterliche Betrachtung. Und so tatest du lieber sein Los überhaupt nicht erst in die Urne?«

Der Hainkönig neigt den Kopf mit dem milden Anflug eines Lächelns – gerade genug, um die Weisheit anzuerkennen, wodurch der Princeps der Republik sofort bemerkt, wie eine solche Sache gehandhabt wird.

»Nun ist es zwar nicht so leicht, dafür zu sorgen, daß sein Los herauskommt. Jedoch da diesmal ausnahmsweise das Wohl des Heiligtums diesen Fall erheischt, so zweifle ich nicht, daß die Gottheit mir so weit beistehen wird, daß auch dies Kunststück mir gelingt.«

»Bist du von Sinnen, Priester?« ruft Tiberius aufspringend. Seine Finger haben ihre Beute gefunden.

Die linke Hand ergreift den Arm des Demosthenes. Die Kraft dieser linken Hand ist weltberühmt. Nur mit Mühe verbeißt der Priester einen Schmerzensausbruch. Er glaubt, nie mehr die freie Bewegung dieses für seine Amtshandlungen so wichtigen Gliedes wiederzugewinnen.

»Was fällt dir ein! Weißt du, wenn ich dies Nest von Räubern und Dieben besuche, dann geschieht es nur, um die Stimme meines alten Rufus wieder zu hören und sein ehrliches Gesicht zu sehen, und aus keinem anderen Grunde! Und diesen alten Freund, den hohen Siebziger, soll ich gegen den wilden Germanenrecken wagen? Das wäre dein Ausweg?«

»Das ist mein Ausweg,« erwidert der Hainkönig mit der Festigkeit der Verzweiflung.

»Finde einen anderen, Priester!«

»Es gibt keinen anderen, und wir können diesen ruhig wählen. Die ungeheure Körperkraft deines Freundes wirst du wohl kennen; wie wenig ihr aber die Jahre etwas anhaben konnten, davon machst du dir, wie mir scheint, keine Vorstellung. Noch gestern hatte ich einen Beweis davon. Hinten im Haine wird gebaut. Da liegen schwere Säulentrommeln aus Marmor, wohl zwei Fuß dick. Durch die Unachtsamkeit der Sklaven war die eine halb auf den Fußpfad gerollt. Herkules hob das Ding in die Höhe und wälzte es seitwärts, als ob es ein Holzklotz gewesen wäre. Wenn dir daran liegt, so wollen wir versuchen, ob der Germane die Trommel zurückbringt. Ich sage dir, er hat keine Aussicht gegen unseren Herkules.«

Mit gerunzelten Brauen steht der Weltherrscher dem Hainkönig gegenüber.

Wiederum hört man nur das leise Knistern des Feuers im Räucherwerk.

»Nun, so sei es denn! Aber das sag' ich dir, Priester! Betrügst du mich oder irrst du dich: – nicht mein Rufus soll den Opfersprung machen, sondern du selber – und Rufus nehme ich mit mir nach Capreä. Nun weißt du es. Und nun – ziehe schnell sein Los, denn schon neigt sich die Sonne.«


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