Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

Die Beichte des Rhadamanthus

»›Grausam waltet allhier, den Gnosus gebar, Rhadamanthus –‹« also hebt mit einem Vers der Änëis der dem Oberpriester am nächsten Stehende an, der jenen an Alter wenig übertreffen mochte. Seine Gesichtszüge, die bis jetzt dem Neuling mit denen des »Hainkönigs« an Gemeinheit zu wetteifern schienen, überboten sie nunmehr beim Sprechen sogar um ein beträchtliches.

»Mit diesem erhabenen Namen hat mich nämlich das Priesterkollegium beehrt, dieweil ich ein Richter in der Oberwelt war, wie Rhadamanthus in der Unterwelt. Wenn übrigens er über Tote, ich jedoch über Lebende das Urteil zu fällen hatte, so mag ja die Ehre auf seiner Seite sein, der Vorteil aber jedenfalls auf der meinigen. Denn die Toten bringen nichts mit – nicht einmal einen schäbigen Obol unter der Zunge; denn diesen haben sie ja schon Charon als Fährlohn ausgehändigt, wenn sie vor dem Richterstuhl des Rhadamanthus erscheinen. Die Lebenden hingegen bringen einem weisen Richter manchmal sehr viel mit, wovon ich ein Liedlein zu singen wüßte.

Dank dieser lobwürdigen Eigenschaft der Lebenden war mein Amt höchst einträglich, und zwar besonders während der letzten Jahre des Augustus, da der alternde und kranke Princeps beim besten und schlimmsten Willen nicht in der Lage war, sich ins einzelne hineinzumischen; so daß die Rechtspflege leidliche Freiheit genoß. Ich gestehe aber, daß mir etwas ungemütlich zumute wurde, als Tiberius mit seiner sattsam bekannten sogenannten altrömischen Gesinnung und seinen wenig zeitgemäßen Anschauungen die Zügel des Regimentes ergriff. Doch beruhigte ich mich ziemlich bald, als ich sah, daß seine Gegner im Innern und noch mehr die äußeren Schwierigkeiten, vor allem die germanischen Dinge ihm vollauf zu schaffen gaben; und bald ging Alles wieder in gewohnter Sicherheit und so vortrefflich wie je zuvor.

Es war in seinem vierten Regierungsjahre, daß vor meinem Tribunal sich eine bedeutende, für mich sehr denkwürdige Gerichtsverhandlung abspielte. Was soll ich dich viel mit Einzelheiten belästigen, da du doch mit der Technik unserer Jurisprudenz wohl wenig vertraut bist. Genug sei es zu sagen, daß es sich um einen großen Vermögensprozeß handelte, und daß die Sachlage ungemein klar lag. Das Recht war ebenso gewiß auf der einen Seite, wie mein Vorteil auf der anderen. Dies aus dem sehr einfachen Grunde, daß die erstere Partei, im Bewußtsein ihres einleuchtenden Rechtes, gar nicht an Bestechung dachte; die gegnerische aber sehr. Gewiß wird es dein Interesse erhöhen, wenn ich dir sage, daß derjenige, der mir im Namen dieser bedachtsamen Prozedierenden ein höchst überzeugendes Angebot machte, kein anderer als dein Freund Longinus war, der sich also auch hieran beteiligte, wiewohl es keine Kriminalsache war und also mit Angebertum nichts zu tun hatte. In dieses schwierige Fach hat er sich wohl erst später hineingelebt; denn er war damals noch sehr jung und behandelte die heikle Frage mit einer Schüchternheit, die mir wirklich Spaß machte. Für einen Anfänger zeigte er immerhin bedeutendes Geschick, so daß ich mir dachte, er könne schon seinen Weg machen und ich würde wohl nicht das Letzte von ihm gesehen haben – eine Erwartung, die sich freilich nicht erfüllen sollte; wenigstens bis jetzt nicht. Nach dem was ich aber heute gehört habe, könnte sie sich wohl noch hier erfüllen; zumal wenn sich das Gerücht bestätigt, daß Tiberius sein selbstgewähltes Exil auf Capreä aufgibt und nach Rom zurückkehrt. Gewiß würde Longinus in diesem Kreise eine gute Aufnahme finden.

Um nun zu jener denkwürdigsten aller meiner Amtshandlungen zurückzukehren, so zog die Verhandlung sich recht lange hin, obwohl die Sache so einfach lag, daß kein Zweifel möglich war. Ich hatte zwei Senatoren zu Tisch geladen, und der Tag neigte sich. Mit wachsender Unruhe erfüllte mich der Gedanke an die mächtige Muräne, die zwar nicht mit Sklavenfleisch, aber doch mit leckreren Sachen als mancher Quirit gemästet war, und die, wenn sich die Eßzeit hinausschöbe, Gefahr lief, ganz zusammengekocht auf den Tisch zu kommen – ein nicht auszudenkendes Unglück; denn beide Senatoren waren noch größere Feinschmecker als ich selber.

Während mir nun dies im Kopfe herumging, fiel mein Blick zufällig auf eine dunkle Ecke des Gerichtssaales. Dort saß, von allen Andern abgesondert, eine hohe, gänzlich verhüllte Gestalt. So parzenhaft sah sie aus, daß mir ordentlich ganz unheimlich zumute wurde – doch wurde auch dies warnende Gefühl bald von dem quälenden Gedanken an meine arme, immer mehr bedrohte Muräne überwältigt.

Ich hielt dies nicht länger aus. Kurzer Hand erklärte ich mich für hinlänglich unterrichtet und das Zeugenverhör für abgeschlossen.

Als ich mit lauter, von dem Muränegedanken erregter Stimme den Anfangssatz meines Urteils, aus dem das Endergebnis schon deutlich hervorlugte, gesprochen hatte, fiel mein Blick irgendwie wieder auf jene verhüllte Gestalt. Die saß aber nicht mehr in der dunkeln Ecke, sondern stand nur wenige Schritte von mir entfernt, wo sie noch höher aussah. Im Schatten des über die Stirn herabhängenden Mantelsaumes blitzte ein feuriges Augenpaar mich an.

Nun lief es mir kalt den Rücken hinunter, als ob das Reich der Hekate ein Gespenst als Zeugen heraufgeschickt hätte – ein meines zukünftigen Namens wenig würdiges Schaudern, da wohl Rhadamanthus sich wenig vor Gespenstern fürchtet.

Die Pause benutzend, die so entstand, sagte die Gestalt mit ruhiger Stimme:

»Ich habe ein Zeugnis abzulegen, das vielleicht imstande ist, die Wagschalen anders einzustellen.«

Nun fuhr ich ihn aber wütend an: wie er es wagen dürfe, die Gerichtsverhandlung zu stören und als Zeuge auftreten zu wollen, nachdem ich ausdrücklich das Zeugenverhör für geschlossen erklärt habe? Er möge sich unverzüglich fortverfügen und froh sein, wenn ich ihn nicht verhaften ließe.

Statt aller Antwort trat er ganz dicht an mich heran, beugte sich vor und lüftete mit einer weißen, feinen Hand den oberen Mantelsaum, indem er gleichzeitig einige Falten, die das untere Gesicht verhüllten, herabsinken ließ.

Hätte ich die Züge der Gorgo vor mir geschaut – mehr zu Stein hätte ich auch nicht werden können.

Diese breiten Schläfen, das wie in Marmor fein gemeißelte Kinn, die geschlängelten Lippen: – hatte ich zwar den Tiberius nur in einigem Abstand gesehen, aus Statuen und Büsten war mir das Gesicht so bekannt wie mein eigenes.

Wer sein eigenes Gesicht erblickt, außer im Spiegel, der stirbt, sagt ja das Volk. Wahrlich, daß ich nicht dort auf meinem Richterstuhle vor Schreck starb, ist zum Verwundern. Zum Bewundern aber ist es gewißlich, daß ich mich hinlänglich fassen konnte, um mit Würde zu erklären, nach dem was mir der neue Zeuge zugeflüstert habe, sei allerdings sein Zeugnis geeignet, der Sache eine andere Wendung zu geben; weshalb ich nach einer Pause von einer Viertelstunde die Gerichtsverhandlung wieder aufnehmen und zu Ende führen wolle.

Nach diesen Worten erhob ich mich und verließ den Saal.

Vor der Tür des Gerichtsgebäudes scharrten meine Pferde ungeduldig den Boden, um mich fliegenden Hufes zu meiner Muräne zu führen. Ich hatte jedoch für diese keine Gedanken mehr übrig, sondern meine Absicht war, sofort ein warmes Bad zu nehmen und mir die Adern zu öffnen. Jedoch schon an der nächsten Straßenecke besann ich mich eines Besseren und hieß den Kutscher die Via Appia hinausfahren, was die Pferde nur laufen konnten; indem ich vorgab, einen Freund, der seine Villa bei Aricia hatte, in dringender Angelegenheit sprechen zu müssen.

Als wir am Grabmale der Caecilia Metella vorüberflogen, tat ich das Gelübde, wenn ich das Asyl erreichte und meinen Platz eroberte, für die Summe, die ich in der Gestalt kostbarer Ringe an mir trug, dem Tempel ein Standbild des Mannes zu stiften, dem seine Priesterschaft mein Eintreten in den erlauchten Kreis der Zwölfe verdankte. Diese Statue wirst du wohl schon in der westlichen Ala bewundert haben. Vielleicht befremdet es dich, Tiberius dort in jugendlichen Jahren dargestellt zu sehen, wie ich ihn doch in jenem Augenblick nicht sah und überhaupt nicht gesehen habe.

Gerade deshalb aber, junger Freund, ließ ich den Künstler ihn so darstellen, indem ich meinte, eine Berechtigung zu dieser Rücksichtnahme auf eigene Gefühle zu haben. Ob aber der Bildhauer die Ähnlichkeit des jungen Tiberius treffend in Marmor gebildet habe, wird Freund Verres dir am besten sagen können.«

Bei diesen Worten nickt er lächelnd seinem Nebenmann zu.

Dieser, ein bärtiger Greis, der dem herkulischen Freunde des Telemachos an Alter nichts nachgibt, ihm sonst aber so unähnlich wie nur möglich ist, nickt bestätigend zurück und nimmt dann das Wort.


 << zurück weiter >>