Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Elftes Kapitel

Jacet

Am heiligen Ölbaume sind die beiden Gegner allein mit dem Alten des Euripides.

Die Priester haben sich in das Gebüsch des Urnentempelchens zurückgezogen.

Auf der Felsplatte des »Opfersprunges« – zu weit entfernt, um dem Kampf folgen zu können – sind die Prätorianer mit ihrem Präfekten sichtbar.

Marcus, der sich mit stummem Händedruck von Rufus getrennt hat, wollte die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Der Sterndeuter hat ihm jedoch flüsternd mitgeteilt, daß Tiberius, der offenbar ungestört sein will, hier im Dickicht des Haines wandle, und so entschließt er sich denn, sich jener Gruppe zuzugesellen.

Von dort her erschallt als letzte Störung die Pfauenstimme Caligulas.

Mit hocherhobenen Händen eilt der Euripideische Alte dorthin, um mit einem »Favete linguis!« Ruhe zu gebieten, damit kein böses Omen den hochheiligen Diana-Brauch des nemorensischen Ringkampfes störe.

Der zukünftige Weltherrscher, von dem der kundige Sterndeuter wohl wissen muß, daß er sich zehn Jahre später einen gewaltsamen Eingriff in die Rechte des Hainkönigs leisten werde – Cajus Caligula läßt sich einschüchtern; denn er fürchtet die gerunzelten Brauen des Sejanus.

Als der wachehabende Priester von diesem amtlichen Gange zurückkehrt, hat Rufus sich schon seines priesterlichen Gewandes entledigt, und der Germane tritt soeben nackt aus der Einhegung hervor.

›Bei allen Zwölfen des Tierkreises,‹ sagt der Astrologengreis zu sich selber, – ›unser Herkules wird heute seine Kräfte nötig haben.‹

Mit Wohlgefallen betrachtet dieser Herkules die jugendliche nordische Kriegergestalt, die ihm entgegentritt: – ein würdiger Gegner! Keine Schande wenigstens für einen Fünfundsiebzigjährigen, wenn er der Kraft dieser stählernen Glieder zu unterliegen scheint. Hat es lange gewährt, so hat doch auch das Schicksal den Befreier gut ausgewählt! Er hätte sich selber keinen besseren wünschen können.

Auch der Germane schaut mit staunender Bewunderung seinen Gegner an. Nicht mit Unrecht trägt dieser seinen Namen.

Wie der Alte da vor ihm steht, scheint er ihm das Urbild jener Herkulesstatue zu sein, die das Atrium im Palaste des Sejanus schmückt. Es ist dieselbe müde schlummernde Kraft in den mächtigen Muskeln der Schultern, die sich soeben unter der ungeheuren Last der Himmelskugel des Atlas gebeugt haben mögen.

›Er sah stark aus in seinem Priestergewand, aber doch lange nicht so! Mühelose Arbeit wird es nicht werden, diese Riesenglieder im Ringkampfe zur Strecke zu bringen. Ich bin herzlich froh darüber.‹

In der Tat lächelt der Germane, daß die Zähne unterm Schnurrbart hervorglänzen.

Auch unter dem weißen Barte des Rufus erscheint ein Lächeln, jedoch nicht das stolze, kampffreudige Lächeln des Kriegers. Wunderlich mild, ja liebevoll leuchtet es in seinem Gesicht auf, so daß dem Germanenjüngling recht sonderbar zumute wird. Noch verwirrender jedoch wirkt es, als der Greis die Arme ausbreitet und mit einem herzlichen »Sei mir gegrüßt!« auf ihn zuschreitet.

Mit einer schnellen Seitenwendung entzieht er sich der Umarmung.

Rufus läßt die Hände sinken. Er lacht – launig und wohlwollend.

»O nein, mein Sohn! mich brauchst du nicht zu fürchten.«

»Wer sagt, daß ich dich fürchte?«

»Du hast recht. Nicht fürchten – aber du brauchst mir auch nicht auszuweichen.«

»Wenn der Bär unserer Wälder sich einem so naht, weicht der Verständige aus.«

Dies Wort trifft.

Rufus Kopf sinkt auf die Brust.

›Mein alter Brummbär aus den germanischen Wäldern‹ – hatte ihn nicht Fulvia einst in lieblicher Laune so genannt? Und wie tödlich ist ihr seine Umarmung geworden!

Der Jüngling wird den völlig veränderten Ausdruck gewahr:

›Ich habe dem Alten wehe getan! Das darf nicht sein!‹

»Nichts für ungut, Alter. Bei uns Germanen ist der Vergleich eines kräftigen Mannes mit dem Bären kein Schimpf – im Gegenteil.«

»Ich weiß das, Fürst der Chatten, ich weiß das wohl. Doch du hast meine Bewegung mißdeutet. Sie sollte den Kampf nicht anfangen. An meine Brust wollte ich dich drücken und dich recht herzlich begrüßen, ja dir danken vor dem Kampf – obwohl es nicht viel Kampf geben wird.«

»Nicht? Ich denke doch. Aber keinen in Haß und Feindschaft, wenn du das meinst.«

»Ich meine das, und noch viel mehr. Denn du gefielst mir vom ersten Augenblick an, und jetzt begrüße ich in dir meinen besten Freund, meinen Befreier, den lang ersehnten, den ich gern umarmen möchte ... Doch du mißtraust mir, Siegmund.«

Der Germane blickt ihn forschend an.

Es ist keine Frage: bei seiner schwerfälligen, massigen Körperkraft muß diesem alten Herkules daran gelegen sein, so bald wie möglich zu geschlossenem Ringen, Brust an Brust, zu kommen. So könnte dies gar wohl eine Kriegslist sein. Aber er überlegt sich: ›Wenn dieser alte Mann es ehrlich meint und ich mißtraue ihm, dann entehre ich mich selbst und stelle mich weit unter ihn.‹ Schließlich überwindet der Klang seines eigenen Namens, in echter unlateinisierter Form, so wie ihm dieser unter dem blauen italienischen Himmel nur von den Lippen Thusneldas entgegenklang, auch den letzten Rest von Bedenklichkeit.

»Ich mißtraue dir nicht, Alter!« ruft er.

Und der Chattenjüngling stürzt in die weitausgebreiteten Arme des herkulischen Greises.

Der Euripideische Alte, der sich in einem passenden Abstand hält, in dem er zwar nicht die gewechselten Worte hören, wohl aber jede Bewegung beobachten kann, reibt sich die Hände beim Anblicke dieser Umarmung: ›Das hat er schlau gemacht, der Alte! nun hat er ihn fest! Jetzt kann ihn der junge nimmermehr durch Scheinangriffe und behende Drehungen ermüden und außer Atem bringen!‹

Aber zu seiner größten Verwunderung und Enttäuschung löst die Gruppe sich wieder auf.

»Du nennst mich deinen Befreier, Ehrwürdiger,« sagt Siegmund, einen schritt zurücktretend, »und dankst mir! Wie soll ich das verstehen?«

»Dreizehn lange Jahre und mehr, o Jüngling, sind verflossen, in denen ich, so oft einer den goldenen Zweig pflückte, gehofft und gebetet habe, das Los möge mich zu seinem Gegner bestimmen, damit ich mich von ihm besiegen lassen könne, um so aus diesem Gefängnis befreit zu werden. Denn kaum hatte ich mir hier meine Priesterstellung errungen, als ich es auch schon bereute. Meinem jämmerlichen Leben aber selbst ein Ende zu machen, dazu hielt ich mich nicht für berechtigt. Denn eine schwere Sünde lastete auf mir, und wenn das Los mir beharrlich auswich, so mußte ich darin die über mich verhängte Strafe der göttlichen Gerechtigkeit erkennen, die meine Buße noch immer nicht lang und hart genug fand; wie ich mir denn auch gestehen mußte, daß sie gar nicht hart genug werden konnte. So schien denn unendliche Trostlosigkeit meine Aussicht zu sein. Heute nun aber ist der Fluch von mir genommen. Das Los hat mich getroffen. Der alte Sklave des Zorns ist in Freiheit versetzt, das Tor des Gefängnisses steht ihm offen. Wie sollte ich dich also nicht dankbar als meinen Befreier begrüßen?«

»Das ist schwer zu verstehen, ehrwürdiger Vater. Und doch machen deine Worte mir das Herz leichter, das mir schon recht schwer in der Brust lag, bei dem Gedanken, daß ich dir dein Leben nehmen müsse, um mein eigenes zu gewinnen. Schon haderte ich mit dem Schicksal, daß es gerade dich ausloste, der du mir von Anfang an so freundlich begegnet bist.«

»So lerne daraus, nie mit dem Schicksal zu hadern, das eine Vorsehung, die weiter blickt als wir, gar weise fügt. Freue dich darüber, daß gerade du zu meiner Befreiung geschickt wirst, denn auch dafür den ich dankbar. Auch wenn ein Schwächling gekommen wäre, so hätte er freilich einen leichten Sieg davon getragen. Doch hätte dann Verdacht entstehen können, und die Gültigkeit der Entscheidung konnte von den Priestern in Frage gestellt werden. Auch will ich meine Schwäche gestehen, daß die Schande, die dadurch in den Augen der alten Genossen, unwürdig wie sie sind, über mich gekommen wäre, mir meine letzte Stunde verbittert hätte. Aber einem jungen Germanenrecken gegenüber wie dir muß es einem Greise erlaubt sein, den kürzeren zu ziehen. Niemand kann mich deshalb lästern, und niemand wird argwöhnen, daß ich meine Kräfte zurückhielt und so dir willig den Sieg schenkte.«

»Aber das darfst du nicht tun!« ruft Siegmund, »das brauchst du nicht, und ich mag nicht als Geschenk empfangen, was ich mir nehmen kann. Wie? als du nackt hier vor mir standest und ich den Bau deiner Glieder und die ehernen Knäuel des Muskelgeflechtes sah, da freute ich mich, daß der Kampf doch nicht so mühelos werden würde, wie ich es bei deinem hohen Alter gefürchtet. Und diese Kampffreude soll mir jetzt genommen werden? Ich sollte nicht der eigenen Kraft, sondern deiner Lebensmüdigkeit mein Leben danken? Verstehe doch, daß gerade deshalb dein guter Stern mich hergeschickt hat, damit du, der du einst ein Krieger warst, nicht als letzte Handlung deines Lebens zu einem lügnerischen Scheinkampfe Zuflucht nehmen mußt. Auch dir ist noch zuletzt das freudige Hochgefühl des ernsten Männerkampfes beschieden! Komm nur heran, und biete deine ganze Kraft auf! Du brauchst nicht zu befürchten, die ersehnte Befreiung durch einen Sieg über Siegmund den Chatten zu verscherzen.«

Mit väterlichem Wohlwollen blickt Rufus den Germanenjüngling an, der in seinem selbstherrlichen Stolz und seiner übermütigen Zuversicht ihm besser als je gefällt. Lächelnd schüttelt er den Kopf:

»Wenn wir mit dem Schwert in der Hand einander gegenüber stünden, möchtest du recht haben. Denn ich habe schon eine Probe deiner Waffenkunst gesehen, und wenn ich auch seinerzeit mit der Klinge meinen Mann gestanden habe, so dürften meine Gelenke jetzt zu steif geworden sein und mir der Atem, deiner Behendigkeit gegenüber, bald ausgehen. Aber beim Ringen hast du keine Aussicht.«

»Nicht? – Versuchen wir's!«

Mit einem Raubtiersprung hat Siegmund die beiden Arme des Rufus gerade über den Ellenbogen gepackt.

Das väterliche Lächeln leuchtet noch aus Rufus' Augen und umspielt seine Lippen, als er ein paar Schritte zurückgedrängt wird. Er freut sich über den Mut und die Kraft des Jünglings, die seine Erwartung noch übertrifft. Der Griff ist ehern, die Wucht des Anpralles übersteigt weit das Maß der Körpergröße.

Aber auch Siegmund kommt bald, nach heftigen Anstrengungen, zu der Erkenntnis: dieser Greis ist doch noch stärker, als ich mir dachte!

Weiter zurückdrängen läßt sich der Alte nicht, auch kaum seitwärts bewegen. Er steht angewurzelt am Boden, der uneben ist und wo jede unfreiwillige Bewegung einem geschickten Ringer gegenüber Gefahr in sich birgt.

Aber ganz mühelos ist sein Feststehen nicht.

Das Lächeln ist noch auf seinem Gesicht, aber nur um die Lippen, wo es erstarrt. Die Augen blicken scharf unter den herabgesenkten Brauen, die Stirnader schwillt.

»Ich muß diesem Trotzkopf zeigen, daß er es nicht mit einem alten Gecken und eitlen Prahler zu tun hat, wenn ich sage, er habe keine Aussicht gegen mich im Ringkampf. So leicht darf ihm der Sieg nicht werden, daß er sich das einbildet; das bin ich mir selber und dem Stamm, aus dem ich komme, schuldig. Er soll fühlen, daß der Sieg ein Geschenk ist.«

Und durch Aufraffen seiner Kräfte gelingt es ihm, Siegmund fast in die Knie zu zwingen.

»So! Das genügt. Jetzt kann ich mich ohne Schande fällen lassen.«

Aber kaum hat er das gedacht, als auch schon Siegmund sich seinem ein wenig gelockerten Griff entwunden hat und unter seinen Armen sich drehend ihn von der Seite mit wütender Gewalt umklammert.

»Dieser Greis ist ja viel stärker als ich mir dachte! Nun, dann muß der alte Chattengriff heran! Ihm mußte noch jeder Fremde unterliegen.‹

Rufus fühlt einen plötzlichen Druck im Rücken und einen Stoß in der Kniekehle, der ihn zum Wanken bringt.

Es ist aber, als ob durch diese Erschütterung eine Schleuße in ihm sich öffnete. Eine Kraftwelle durchflutet ihn vom Scheitel bis zu den Zehen, die sich in den Boden hineinbohren. Ein unwiderstehlicher Kraftstrom aus einem verschütteten Jungborn – und dieser Strom reißt gebieterisch alle Muskeln mit sich in altgewohnte Bahnen, wie der Wasserfall die Mühlräder in Bewegung setzt, daß sie ihr Werk verrichten ...

Selber weiß er nicht, wie ihm geschieht. Ihm wird schwarz vor den Augen ...

Und dann –

Was ist dies?

Rufus findet sich selber in stark vornübergebeugter Stellung und – – – unter ihm der Germane.

Er sieht es und begreift es nicht.

Neben ihm aber gellt der jauchzende Ruf des alten Sterndeuters:

»Jacet«!Jacet, er liegt


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