Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Fünftes Kapitel

Ecce Cäsar!

Die Gruppe am Ölbaum ist nicht die einzige, die durch den kriegerischen Klang emporgescheucht wird.

Die vor dem Peristyl knieenden Prätorianer springen, in ihrer gezwungenen Andacht gestört, wie ein Mann empor, die erkennen ihre eigene Tuba und eilen ihrem Rufe nach.

Diese eigenmächtige Beendigung ihrer Buße wird ihnen auch nicht vom Hainkönig vorgeworfen, der an der Spitze der Priesterschaft aus dem Tempel stürzt und dieselbe Richtung nimmt.

Bald bleibt er jedoch stehen, um seine Priesterschar zu ordnen. Er sieht, daß es schon zu spät ist, den Eingang des Hainbezirkes zu erreichen.

Etwa hundert Schritte hinter dem »Opfersprung« und ebensoviel Schritte abwärts läuft, stellenweise von Lorbeer- und Myrtengebüsch verborgen, die Mauer, die den Tempelgrund umgrenzt. Zwei bronzene Sphinxe bewachen den Eingang, sie haben soeben eine goldglänzende Sänfte durchgelassen, die, von sechs riesenhaften Negern getragen, sich den Abhang hinaufbewegt. Dagegen scheinen ihre emporgehobenen Tatzen einigen fast ebenso prächtigen sanften und einem großen Gefolge abzuwehren, das dichtgedrängt außerhalb der Maueröffnung sichtbar ist.

Zwei Männer begleiten die Sänfte.

Der links neben ihr schreitende – dem Insassen zur Rechten – ist ein kräftiger älterer Mann; das dichte, fast wollig gekräuselte Haar ist stark im Ergrauen begriffen. Eine etwas brutale männliche Schönheit zeichnet den stiernackigen Kopf aus. Die ganze Haltung und Miene ist militärisch, die Tracht aber bürgerlich. Es fällt auf, daß er die Toga nicht wie üblich trägt, so daß der rechte Arm frei ist; diesen hat er vielmehr in die Falten des weiten Kleidungsstückes eingehüllt, während der linke Arm, dessen Hand auf dem Rande der Sänfte leicht ruht, entblößt ist. Der breite Purpurstreifen, der die Toga umsäumt, zeigt, daß dieser Mann ein hoher Beamter des Reiches ist.

Rechts geht mit schwerfälligen Schritten ein hochgewachsener Jüngling, in nachlässiger, etwas müder Haltung. Das schwarze Haar liegt sparsam um die hohe, aufdringlich vorspringende Stirn; dagegen ist der nackte rechte Arm, dessen Hand sich auf den Rand der Sänfte stützt, so behaart, daß es wundernimmt, warum er ihn nicht nach der Sitte vornehmer Stutzer mit Bimsstein abgerieben hat, zumal die Züge seines Untergesichtes fast weibisch weich sind.

Auf der Höhe angelangt, von wo aus keine merkliche Steigung weiter bis zum Tempel ist, bleiben die schwarzen Träger stehen.

Gestützt auf die eiligst dargebotene Schulter des älteren Mannes steigt der Insasse aus.

Ein Greis, der seine beiden Begleiter fast überragt. so mächtig sind die Formen der Schulter und der Brust, die rechts von der purpurgesäumten Toga entblößt sind, daß der schön geformte Kopf, den er hoch trägt, auffallend klein erscheint. Die Züge sind edel geformt, das Kinn etwas spitz, die Nase oben stark gebogen, die Augen groß und dunkel. Die breite Stirn schmückt ein goldener Eichenkranz, dessen Band mit seinen Enden über die Schultern herabhängt.

Von der anderen Seite der Sänfte ist der Jüngling schon herbeigeeilt und hofft mit übertrieben besorgter, fast weinerlicher Miene, daß die Bewegung den Alten nicht ermüdet habe.

»Ermüdet, weil sechs Sklaven mich heraufgeschleppt haben!«

»Aber nach dem Schrecken von heute?«

Der Greis zuckt verächtlich die Achseln:

»Als ob man nie zuvor ein nacktes Schwert gesehen hätte! ... Aber du selber, Cajus? Wie ist der Aufstieg deinen etwas schwächlichen Beinen bekommen?«

Die Beine sind das väterliche Erbteil, auf das der Sohn des Germanicus am wenigsten stolz ist. Sein Gesicht verzieht sich wider seinen Willen; dann nehmen die Züge sofort, wie auf Befehl, einen süßlich dankbaren Ausdruck an.

»Ich danke dir, Großohm! Es macht mich glücklich zu wissen, daß du dich so um mein Wohlbefinden kümmerst. O, nur eine geringe Müdigkeit in den Knien, die nichts zu bedeuten hat.«

»Ja, ja, die Jugend von heute,« sagt der Greis zu dem älteren Mann, – »die Jugend von heute! Sie verträgt nicht viel, aber höflich ist sie, sehr höflich. Da können wir von ihr lernen, so hätte ich doch schon fragen sollen, ob deine Wunde dich nicht schmerzt und ob die Hitze sie nicht beim Aufstieg zum Brennen gebracht hat.«

»Mein hoher Herr wird einen alten getreuen Soldaten nicht durch eine solche Frage betrüben. Als ob es mir nicht lieb wäre, eine Wunde zu spüren, die ich mir bei der Rettung eines so teuren Lebens zuzog! Ja, stütz dich nur auf meinen Arm, Herr! Der Grund ist hier recht uneben: Stütz dich nur fest! Auch wenn dieser linke Arm verwundet wäre und zwar noch schwerer als der rechte, – du würdest in deinem weiten Reiche für deine Herrschaft doch keine sichrere Stütze finden.«

Anstatt jedoch dieser Aufforderung nachzukommen, wendet sich der Alte an den Jüngling, als ob er befürchtete, diesen, der etwas mürrisch dreinschaut, zurückgesetzt oder den anderen zu sehr bevorzugt zu haben – oder beides: –

»Deinen Arm, Cajus! Laß den gebrechlichen Körper des Alten sich auf die Jugend stützen, wie es sich gebührt und wie die Natur es will. Auch möchte ich nicht ohne Not den Mann belasten, der heute für mich geblutet hat.«

»Und o, wie beneide ich ihn darum!« ruft der Jüngling mit verzückter Miene. »O warum war es nicht mir vergönnt, in jenem Augenblick an deiner Seite zu sein!«

»Beruhige dich, Cajus! Bei der Gelegenheit ziehe ich unseren Lucius vor.«

Das hochfahrende Gesicht des Älteren, dessen etwas grobe Lippen schon recht höhnische Linien gezogen haben, leuchtet wieder in einer Weise auf, die es nicht gerade verschönert.

Er ist im Begriff voran zu schreiten, als der vierschrötige bronzefarbige Prätorianer, den seine Kameraden in geringem Abstand begleiten, in dienstlicher Haltung vor ihm Halt macht und Bericht erstattet.

Auch der Greis und der Jüngling bleiben stehen.

Ersterer lauscht mit vorgeneigtem Kopfe.

Die prachtvolle Breite von Stirn und Schläfen wird durch den Goldkranz ins Übermenschliche gesteigert und macht die Schmalheit des unteren Gesichtes mit seinem feingemeißelten Kinn noch auffälliger. Alle Züge sind regelmäßig und von edelstem Gepräge. Aber Sorgen und Kümmernisse von so bitterer Art und in so überreichlichem Maße, wie sie nur wenigen zuteil werden, haben mehr als die dahingeflossenen Jahre dieses Gesicht so mitgenommen, daß es wie ein schönes Marmorbild in verwittertem Zustand anmutet.

Als der Prätorianer von der Buße auf den Tempelstufen berichtet, kräuseln sich seine schmalen, seltsam geschlängelten Lippen spöttisch, und ein kurzes Auflachen ertönt.

Das blasse Gesicht des Jünglings errötet aber, als ob ihm eine Beleidigung widerfahren wäre, und er stampft ungeduldig: –

»Diese Priester nehmen sich wahrlich viel heraus!«

»Priester und Frauen tun das, Cajus. Nun, wir wollen sehen, wie dieser König des Haines dem Cäsar begegnet. Komm, Lucius!«

Und er legt seine linke Hand auf die Schulter seines älteren soldatischen Begleiters.

So sehen Telemachos und Rufus ihn herannahen – ein tragischer Anblick in ihren Augen: –

Tiberius zwischen den beiden Zerrbildern seines Wesens: –

Dem Soldaten ohne Treue und Pflichtbewußtsein – dem Herrscher ohne Ziel und ohne Selbstbeherrschung: –

Lucius Älius Sejanus und Gajus Julius Cäsar, genannt Caligula.


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