Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel

Dianas Spiegel oder Capreä

So unerwartet ist dieser Ausbruch, so heftig sind die plötzliche Wendung und die Handbewegungen, die ihn begleiten, daß Thusnelda im ersten Augenblick erschrickt. Dann aber hört sie durch diese fast drollig polternde Erregung immer deutlicher den Hoffnungston erklingen.

Warum sollte sie es auch nicht, da doch die Priester denselben Ton, der für sie freilich einen wahren Schreckensklang hat, deutlich heraushören und, sichtbar beunruhigt, flüsternd – aber sehr schüchtern flüsternd – die Köpfe zusammenstecken.

Dann tritt der König des Haines an ihn heran: –

»Deine Worte, o Augustus, versetzen uns in Bestürzung. Du weißt nicht, was du mit diesem tun sollst, und ob du ihn nicht einfach seinem Schicksal überlassen sollst. Dies Schicksal aber müssen wir als besiegelt ansehen. Besiegelt durch altheiligen Brauch, an dem unser eigenes Schicksal hängt. Wir Zwölf, die Priesterschaft der Diana des Haines, sind durch ihn da; er ist unser Palladium. Dieser Tempel, unser Heim ist auf ihm gegründet. Ich rede für Haus und Heiligtum, für Herd und Altar! Als ich die hohe Gunst genoß, unter vier Augen mit dir zu sprechen in jener Ala, wo noch das Räucheropfer vor deiner Bildsäule brennt als ein Zeugnis, wie sehr du in diesem Heiligtum verehrt wirst: da zeigte ich dir einen Ausweg aus der schwierigen Lage, in die wir alle – du mit uns – durch diesen unerhörten Fall versetzt sind. Ich zeigte dir, wie fern es der Diana des Haines liegen müsse, einen Mann zu beschützen, der sich an deinem geheiligten Leben vergriffen hat. Ich legte dar, daß die Göttin sicherlich durch das Los einen Kämpfer küren würde, der imstande wäre, unsere Priesterschaft vor solcher Schmach zu bewahren, wie es die Aufnahme eines solchen Majestätsverbrechers in unseren Kreis sein würde. Ja, ich vermutete sogar, daß unser Herkules, den sie bis jetzt bei der Losziehung immer zurückgehalten hatte, und den ich für unüberwindlich hielt, dieser Kämpfer wäre. Und so ist es gekommen. Seine Unbesiegbarkeit, die du bezweifeltest, hat sich bewährt. Was ich voraussah, ist geschehen.«

»Nicht wie du meintest, Priester! Nie bist du dem Tode näher gewesen als in dieser Stunde. Entsinnst du dich meines Wortes, das ich dir gab?«

Der Oberpriester erblaßt. Die wenigen Sätze, die Siegmund und Rufus wechselten, sind ihm nicht entgangen. Er begreift, wie sehr er sich getäuscht hat, und wie leicht diese Täuschung für ihn hätte verhängnisvoll werden können.

»Ich entsinne mich seiner wohl, Augustus. Hab' ich nun mit tödlicher Gefahr das Spiel gewonnen – nicht mein Spiel, sondern das der Göttin – so ist um so weniger Grund, sie und ihre Priesterschaft um den Preis des schuldigen Opfers zu bringen. Du gemahnst mich an dein Wort. An deinem Wort halte ich dich fest. Du gabst es mir angesichts deines eigenen göttlichen Bildes, indem du die Vollziehung des heiligen Ritus zugestandest. Hast du dich über mich zu beklagen? Habe ich nicht mein Teil redlich getan? Ich bin nur der König dieses Haines, du bist – wie diese Jungfrau sagt – der Herr der Welt. Aber über uns Beiden steht das Recht, dessen irdischer Wächter du bist. Bei ihm frage ich dich: Wenn ich auf der Vollziehung dieses heiligen Ritus bis zur letzten Opferhandlung bestehe – habe ich dann recht?«

Die Antwort läßt auf sich warten.

Sie erfolgt nicht an ihn.

Tiberius wendet sich an Thusnelda.

»Der Priester hat recht. Ich kann ihm sein Recht – das Tempelrecht – nicht vorenthalten.«

Thusnelda erhebt sich.

Alles Blut ist aus ihren Wangen gewichen. Jeder Glanz ist aus ihren Augen entflohen. Sie versteht wohl, daß nunmehr Bitten und Flehen vergeblich sind. Ja, es war Hoffnung da gewesen, fast mehr als Hoffnung. Und nun ist sie zerronnen, so gänzlich zerronnen, daß auch nicht das kümmerlichste Restchen übrig geblieben ist.

»Nur eines kann ich für euch tun.«

Schnell blickt Thusnelda auf – der Glanz ihrer Augen leuchtet auf.

»Eines sagte ich. Zweierlei hab' ich zu bieten.«

Zweierlei? aber was kann er – wenn er auch der Mächtigste auf Erden ist – was kann er für die Beiden tun, wenn diesem grausamen Tempelrecht Genüge getan werden soll? Was bedeutet das sphinxartige, trübselige Lächeln?

Die Priester stellen sich bestürzt dieselbe Frage.

Alle Augen hängen an diesen schmalen, geschlängelten Lippen.

»Ich kenne die Priester schlecht, wenn sie nicht gern zwei Opfer statt eines annehmen. Liebst du deinen Landsmann, für den du bittest, so sehr, daß du von ihm nicht lassen willst, so soll ihn kein Priester aus deinen Armen reißen – aber du mußt ihm folgen. Brust an Brust sinkt ihr zusammen in den See.«

Seine Augen sind, während er spricht, keinen Bruchteil einer Sekunde von ihrem Gesicht gewichen. Röte und Blässe fliegen darüber hin, die blauen Augen erweitern sich, als ob sie ein Traumgesicht hätten, der Atem hebt gewaltsam ihre Brust unter dem hellblauen silberdurchwirkten Tuch, dem Geschenk Cäsars.

»Das ist das eine, was ich euch bieten kann. Keine geringe Gabe, däucht mich. Was sind die steinernen Pyramiden der Pharaonen gegen diesen kristallenen Behälter? Und einen Sarkophag gebe ich euch dazu, wie ihn noch kein König der Erde gehabt hat ... Das andere, was ich biete, ist nichts Geringeres. Willst du ihm nicht in den Spiegel der Diana folgen, dann, o Jungfrau, folge dem Cäsar nach Capreä.«

Eine Welle der Überraschung, der Spannung und der Neugier geht durch die Gruppe ringsum, vom Oberpriester bis zum gemeinen Prätorianer. Caligula kann einen Ausruf nicht zurückhalten. Nur die beiden am nächsten Beteiligten, das Germanenpaar, scheinen von der Bewegung unberührt zu bleiben.

»Du kennst mein Felseneiland, Thusnelda. Von dem Gestade Campaniens aus hast du seinen blauen Schatten auf der Kimmung schweben sehen – eine Insel der Seligen, scheint's; aber auch eine, wo Unselige wohnen können und versuchen, ihre Unseligkeit zu vergessen. Zwölf Villen erheben sich auf ihren Felsen, eine für jeden Monat des Jahres. Die auf der Ostspitze behalte ich mir vor. Von den anderen wähle, welche du willst. Du sollst darin als Herrin walten. Von Zeit zu Zeit wirst du mit den Tönen deiner Kithara, mit dem Klang deiner Stimme den alten Herrscher erfreuen, ihm die Sorgen der Weltregierung eine kurze Weile aus der Seele bannen. Das ist alles, was ich mir erbitte. Dies ist das zweite, was ich biete, und zwar nicht dir allein, sondern ebensowohl deinem Freunde: er weiß im Sterben, wozu er dich zurückläßt. Wahrlich zu keinem Sklavenlos! Möchte ich selber, wenn ich einst mein Haupt zur letzten Ruhe niederlege, es mit derselben Zuversicht für die Zukunft des Weltreiches tun können, wie Segismundus wegen deines Schicksals sterben kann!«

Tiberius schweigt.

Sein durchbohrender Blick erforscht das Gesicht Thusneldas, in deren Wangen das Blut emporschießt, während ihre blauen Augen den seinigen entgegenfunkeln.

Schon wollten sich ihre Lippen zur Antwort öffnen, als Siegmunds Stimme neben ihr ertönt: –

»Antworte nicht, Thusnelda – noch nicht! Du weißt nicht, was dir geboten wird.«

»Hab' ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt?« fragt Tiberius, ihn erstaunt und etwas mißtrauisch anblickend.

»Deutlich genug, soweit deine Sprache ging. Doch das Wichtigste ließest du ungesagt.«

Rufus bemerkt ein Stutzen bei seinem hohen Freunde; er selber blickt zweifelnd vom einen zum andern. Was meint der Germane? Will er Thusnelda gegen unlautere Absichten des Tiberius warnen? Scheinbar mag er Grund dazu haben; und doch fühlt Rufus, daß ein solcher Verdacht, den wohl alle im ganzen Kreise hegen mögen, ungerecht ist.

»Tiberius,« fährt Siegmund mit feierlicher Stimme fort – »ich bin ein Mann des Todes. Einem solchen gönnst du wohl ein freies Wort. Denn frei muß ich jetzt sprechen, und zwar von dir sprechen.«

Wachsendes Staunen und Unentschlossenheit irrt in dem finstern Blick, womit Tiberius den Germanenjüngling betrachtet.

»Es sind königliche Geschenke, die du bietest, o Augustus, und wir danken dir dafür. Damit hast du aber Thusnelda vor eine Wahl auf Leben und Tod gestellt. Ist es dann nicht ihr Recht zu wissen, was ihr wirklich geboten wird? es ebenso genau zu wissen, wie du selber, der du das Angebot machst?«

Rufus empfindet einen Schauer, als der Germane mit erhobener Stimme diese Frage an Tiberius richtet.

Ist es das Frösteln beim Nahen der Abenddämmerung? Denn die Sonne hat den Bergkessel verlassen. Nur hoch oben trägt noch die Pinie einen rötlichen Schein in ihrem Gezweige und auf ihrem ausgespannten Nadelschirm. Unten hat sich Dianas Spiegel beschlagen, und ein violetter Dunst spinnt seine Fäden durch den Olivenwald.

Oder strömt diese Kälte von dem Manne aus, an dessen Seite er steht?

Tiberius hat sich in seiner vollen Höhe aufgerichtet. Seine Züge versteinern sich. Das Gesicht ist kalt, blaß und hart wie Marmor. So hat Rufus es einmal gesehen, als er den Freund fragte, ob er denn so sicher sei, die rechte Wahl getroffen zu haben, da er, zwischen Liebe und Ehrgeiz wählend, seiner Frau den Scheidebrief schrieb.

Siegmund tritt dicht vor den Herrscher hin.

»Von je hab' ich geglaubt, daß deine Seele nach Gerechtigkeit dürstet. Nichts hat mich daran irre gemacht; wiewohl manches, was in Rom unter der Leitung Sejanus' geschehen ist, mich hätte irre machen können. Bei diesem Glauben beschwöre ich dich – antworte mir, Tiberius: ist es Thusneldas Recht, klar zu sehen, wenn sie diese Wahl trifft, oder nicht?«

Mit sichtbarer Anstrengung drängen sich die Worte durch die schmalen, bis zu einem strengen Strich zusammengepreßten Lippen, und die Stimme ist belegt, die antwortet:

»Es ist ihr Recht. So rede, Germane!«


 << zurück weiter >>