Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Zweites Kapitel

Die Beichte des Telemachos

»Meine Worte, ehrwürdige Väter, haben Euch hoffentlich schon davon überzeugt, daß ich nicht etwa ein entlaufener Sklave bin, wofür Ihr mich wohl halten könntet, angesichts dieses schlechten Gewandes. Es ist in der Tat das eines meiner Sklaven, deren ich viele besitze, oder vielmehr besaß. Denn ich entstamme einer reichbegüterten Senatorenfamilie. Sie gehörte zu den treuesten Anhängern der Partei des Germanicus. Wenn nun auch der immer drohende Untergang dieses erlauchten Hauses einen Schatten über uns alle warf, so genoß ich nichtsdestoweniger meine Jugend in geselligem Verkehr mit Freunden und Altersgenossen meines Standes.

Zu diesem Kreise gehörte etwa seit dem Anfange des Jahres auch ein gewisser Longinus, der älter als wir anderen war. Er gewann sehr bald unser Vertrauen durch seine schwärmerische Verehrung für die unglückliche Gemahlin des Germanicus. Er wußte viel Empörendes von dem traurigen Zustand Agrippinas in der Verbannung zu erzählen; denn dafür schien er eine geheime Quelle zu haben, die ich jetzt wohl erraten kann. Daß er bei solcher Gesinnung, so wenig wie wir alle, gut auf Sejanus zu sprechen war, versteht sich von selber. In der Tat waren es einige sehr freimütige Äußerungen über dessen höchste Ehrung, das Konsulat mit Tiberius selber zu teilen, die uns zuerst näher zusammenbrachten.

Nun begab es sich vor einigen Wochen, daß ich eine Anzahl meiner vertrautesten Freunde zu Tisch hatte. Als wir den Gerichten hinlänglich zugesprochen hatten und schön bekränzt dalagen, hieß ich die aufwartenden Sklaven hinausgehen, damit wir uns frei über politische Sachen unterhalten könnten.

Sofort kam die wichtigste Tagesneuigkeit zur Sprache, daß der Princeps Capreä verlassen habe und unterwegs nach Rom sei; wie man sogar wissen wollte, um wieder bleibend dort Aufenthalt zu nehmen. Viele versprachen sich daraus das Heil des Staates, indem sie alles Böse, was in den letzten Jahren geschehen war, auf Sejanus schoben, der in Abwesenheit des Princeps nach Belieben schaltete und waltete. Auch Longinus, der natürlich nicht fehlte, sprach sich in diesem Sinne aus. Er wollte wissen, Sejanus rüste sich, dem Tiberius nach Campanien entgegenzuziehen, ungewiß um ihn herzubringen oder um ihn abzuhalten. Denn beides könne seinen Plänen dienen; ersteres zumal, wenn ihm daran läge, den letzten Germanicus-Sproß Cajus, der sich ja im Gefolge des Princeps befand, in seine Gewalt zu bekommen.

Ich selber stimmte ihm darin vollkommen bei. Sejanus, rief ich, trachte nur danach, selber Princeps zu werden und alle aus dem Wege zu räumen, die zwischen ihm und seinem Ziele stünden. Deshalb sei auch DrususSohn des Tiberius. gewiß keines natürlichen Todes gestorben. Longinus nickte bedeutungsvoll über seiner Weinschale und gab zu verstehen, daß er mehr wisse als er sagen möchte. Als man aber von allen Seiten auf ihn eindrang, gestand er, seine Gründe zu haben, diesem Gerüchte Glauben zu schenken, besonders da er es nun auch durch mich bestätigt fände. Hierdurch aufgemuntert behauptete ich, es könne kein Zweifel bestehen, Sejanus habe die LivillaDrusus' Gemahlin. verführt und die beiden hätten Drusus ermordet, höchst wahrscheinlich mit Hilfe des Arztes Eudemus, der ihm schleichendes Gift beigebracht.

»So starb,« rief ich, »der Sohn des Princeps durch ruchlose Hand. O welch tragischer Anblick, der alternde Tiberius, der – nichtsahnend – in dem Mörder seines einzigen Sohnes und Erben seinen besten Freund sieht! Nero ist dahin, Drusus GermanicusNero und Drusus, Söhne des Germanicus und der Agrippina. verschmachtet im Gefängnis, und der Würger streckt jetzt die Hand aus nach dem letzten Opfer, Cajus Cäsar, den sie Caligula nennen nach den Soldatenstiefeln, mit denen angetan ihn einst die hehre Mutter den Legionen zeigte. Unter den Augen des Princeps wird er erzogen, zum Nachfolger bestimmt – wie sollte jenes Ungeheuer nicht alles daran setzen, ihn aus dem Wege zu räumen? Aber man muß ihm zuvorkommen! Sejanus muß gestürzt werden, bevor nicht die letzte Hoffnung einer Welt an der Bahre dieses edlen Jünglings weint!«

Mit solchen beredten Worten riß ich sie alle zur Begeisterung hin. Longinus jedoch, obwohl zustimmend, gemahnte uns an die ungeheuren Schwierigkeiten, die ein solches hochlöbliches Vorhaben fast unausführbar erscheinen ließen. Denn selbst wenn man auch die klarsten Beweise für die Schuld des Sejanus in Händen hätte, wie solle man sie dem Princeps vorlegen? Wenn er auch jetzt seine unzugängliche Felseninsel verlassen habe und insofern nicht so unnahbar sei wie sonst, ja selbst wenn er sich dauernd wieder in Rom niederließe, so ginge ja doch der Weg zu seinem Ohre nur durch Sejanus selber. Ja, wenn man jemand für die gute Sache gewinnen könnte, der durch Sejanus den Zutritt zum Princeps hätte!

»Höre mich, Freund Longinus!« rief ich dann, erregt von meinem Lager aufspringend, »gewiß hat mir ein Gott das eingegeben, was gerade durch diese deine Worte mir in den Sinn kam. Hast du mir nicht noch gestern von einem jungen Germanen erzählt, den Sejanus für einen hohen Posten bei der Prätorianergarde ausersehen habe?«

»Du meinst den Geisel der Chatten, Segismundus.«

»Gewiß. Und von ihm sagtest du, daß er ein redlicher junger Mann sei und dem Tiberius sehr ergeben.«

»Das ist er in der Tat, obwohl vielleicht nur, weil dieser dem Germanicus gebot, die Germanen in Frieden zu lassen, und ihn sogar nach Syrien schickte, als Germanicus' Sinnen und Trachten auf große Feldzüge gegen die Cherusker gerichtet war.«

»Was auch der Grund sein mag,« versetzte ich, »er ist der Gesuchte. Denn du ergingst dich dabei auch in Lobreden über die wundervolle Stimme, die diesem Barbaren gegeben ist.«

Daß aber Longinus dabei nicht übertrieben hatte, davon habt Ihr, ehrwürdige Väter, Euch selber überzeugen können, da diese herrliche Stimme soeben von der goldenen Galeere, wo er mit einer Landsmännin zusammen dem Princeps vorsang, herübergedrungen ist.

»Nun ist es,« fuhr ich fort, »männiglich bekannt, daß Tiberius, wie fast alle schwermütigen und verschlossenen, ja finsteren Naturen, die ja schon insofern etwas Barbarisches an sich haben, für die Musik, die von jeher eine barbarische Kunst war, eine große Vorliebe hegt; daß Töne sozusagen den eisernen Ring, der um sein Herz geschmiedet ist, weich wie einen Gürtel machen und sein Gemüt aus seiner Starrheit erlösen. Das, denk' ich, wird aber noch in erhöhtem Grade gelten, wenn es sich um Lieder eines Germanen handelt, die ihm seine Jugend zurückrufen und das Bild seines geliebten Bruders Drusus ihm vormalen werden. Somit kann es nicht allzu schwierig sein, dem Segismundus beim Princeps Zutritt zu verschaffen.«

»O,« meinte Longinus, »dies wird sich ohnehin von selber machen. Denn daß Sejanus sich vorbereitet, dem Princeps entgegenzureisen, erfuhr ich gerade heute von Segismundus selber, der mitgehen soll und sich darauf sehr freute.«

»Nun,« rief ich, »da ist aber auch keine Zeit zu verlieren, um ihn für unsere Sache zu gewinnen und ihn von der Schuld des Sejanus zu überzeugen, sowie von den Gefahren, die Tiberius und dem jungen Cajus Cäsar durch den verräterischen Prätorianerpräfekten drohen. Du mußt also, lieber Longinus, eine Zusammenkunft mit diesem edlen Barbaren veranstalten, daß wir ihn kennen lernen und er unter unseren Einfluß kommt – denn, glaube mir, seine Stimme ist der Weg zum Ohre des Tiberius.«

Dies versprach Longinus unter eifrigem Eingehen auf meinen Gedanken, der in der Tat unsere ganze Runde zur Begeisterung hinriß. In unserer gehobenen Feststimmung sahen wir schon den Erfolg eine Sache krönen, die so edel war, daß alle Götter, die Rom hold sind, sie fördern mußten. Feierlich goß ich am Hausaltar die Libation aus für Venus genetrix, die Schutzgöttin des Cäsarenhauses. Niemand rief lauter ›Pereat Sejanus, vivat Cajus Cäsar!‹ als Longinus. Dieser hatte freilich, seiner Gewohnheit entgegen, dem Weine tüchtig zugesprochen, so daß wir ihn nach Hause bringen mußten.

Am nächsten Nachmittag trat mein bester Freund, der sich natürlich auch an meinem Festmahle beteiligt hatte, blassen Gesichtes und verstörten Wesens in meine Geheimkammer. Soeben habe ihm ein Freigelassener des Sejanus, dem er kürzlich einen Dienst erwiesen, die Mitteilung gemacht, Longinus sei vor wenigen Stunden bei Sejanus gewesen und habe mit ihm eine geheime Unterredung gehabt. Das klang nun allerdings höchst sonderbar und nicht wenig beunruhigend. Wir eilten beide nach der Wohnung des Longinus, wo wir ihn im Bette mit nassen Tüchern um den Kopf liegend fanden, an den Folgen unseres Gelages leidend, oder vielmehr an einer Erkältung, die er sich beim Nachhause-gebracht-werden zugezogen hatte. Nach der Aussage seines Sklaven hatte er das Zimmer den ganzen Tag nicht verlassen. Wir beruhigten uns also bei der Annahme, der Freigelassene habe Longinus, den er nicht näher kannte, mit einem Anderen verwechselt, was um so leichter geschehen konnte, da unser Freund kein sehr ungewöhnliches Äußere besaß.

Sein Erkältungsfieber zeigte sich von hartnäckiger Art, so daß es zu der verabredeten Begegnung mir dem jungen Germanen nicht kam. Dieser verließ außerdem nach ein paar Wochen die Stadt und zwar in der Gefolgschaft des Sejanus, als dieser dem Tiberius entgegenreiste.

Mir hatten uns unterdessen sehr beruhigt. Vollends die Abreise des allmächtigen Mannes, ohne daß bis dahin etwas geschehen wäre, zeigte uns die Grundlosigkeit unserer Bestürzung, so daß wir Longinus gegenüber, unseres Mißtrauens wegen, ein schlechtes Gewissen hatten. Dieser beklagte übrigens nicht weniger als wir, daß Segismundus nun ohne von uns erleuchtet worden zu sein dem Tiberius entgegen gereist sei, und vielleicht eine sehr wichtige Gelegenheit unbenutzt vorübergegangen wäre.

So kam denn der vorgestrige Tag heran.

Ich befand mich in den Thermen Agrippas und lag nach dem Bade wohl geknetet und eingeölt, mit einer Satire des Horatius angenehm mich unterhaltend, als einer meiner Sklaven, der nur gewöhnlichen Hof und Gartendienst versah, mir aber besonders ergeben war, eiligst hereintrat. Seine Mienen zeigten so deutlich, daß etwas Schlimmes geschehen sei, daß ich sofort von meinem Lager aufsprang und die Rolle von mir warf.

Unser Haus war von Prätorianern umzingelt und besetzt. Nur durch einen Zufall war es ihm gelungen, unbemerkt durch eine Gartentür zu entkommen, um mich zu warnen. Was es zu bedeuten hatte, konnte er zwar nicht wissen; ich aber sah nur zu genau, daß ich verloren sei, wenn ich nicht entkäme.

Aber wohin?

Da fiel mir dieser berühmte Dianatempel ein. Konnte ich ihn erreichen, war ich sicher.

Ich wechselte Kleider mit dem getreuen Sklaven. Mittels einer Salbe schmutzten wir den unteren Teil meines Gesichtes zu, als ob er ein paar Tage lang des Rasierens hätte entbehren müssen. So notdürftig vermummt, schlich ich durch entlegene Gassen nach einem Häuschen in der Suburra, wo die Mutter jenes Sklaven wohnte, und verbarg mich dort, bis die Dämmerung eintrat. Unter ihrem Schleier entkam ich aus der Stadt und erreichte das Albanergebirge, wo ich mich tagsüber in einer Höhle aufhielt, die mir von Jagdausflügen bekannt war, um dann, wie ihr wißt, mit dem aufgehenden Monde das heißersehnte Asyl zu erreichen.« Der angehende Dianapriester schweigt.

»Mir haben dich nun kennen gelernt, o Telemachos,« sagt der Oberpriester, und sich rechts und links an die Priesterschaft wendend, fährt er fort:

»Denn unter diesem Namen können wir vielleicht den Neuling in unseren Kreis aufnehmen. Mir wenigstens scheint er ein ebensolches Stück sancta simplicitas zu sein wie jener berühmte Jüngling, der sicherlich schon in den ersten Gesängen des Epos elend zugrunde gegangen wäre, wenn nicht die immer einen anderen Entschluß fassende blauäugige Athene zu seinen Gunsten ein Wunder nach dem anderen gewirkt hätte. Habe ich in diesem Punkte die Zustimmung der Priesterschaft?«

»Telemachos sei sein Name,« murmelt der Chorus.

»Nunmehr gebieten unsere Satzungen, daß auch du, o Telemachos, nach derselben Maßgabe uns, deine Genossen in diesem heiligen Priesteramte, kennenlernst; wobei denn ich als König des Haines und Oberpriester des Heiligtums den Anfang zu machen habe.


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