Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Siebentes Kapitel

Was auch in den Sternen geschrieben stand

Endlich bricht Tiberius das Schweigen, das schon schwer auf allen lastet.

»Du hast wohl getan, Lucius, mich auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Unermüdlich wachst du über die Sicherheit des Staates.«

»›Die Konsuln mögen zusehen‹« – murmelt Sejanus, indem er mit selbstgefälligem Lächeln den Faltenwurf am Purpurrande seiner Toga ordnet.

»Sehr wahr – wir werden zusehen. Indessen, ein vereinzelter Verschworener ist keiner. So denke ich also, wir können diesen jungen Priester hier, wo er in der Tat vereinzelt ist, belassen, ohne das Gemeinwohl sonderlich zu gefährden. Denn ohne Not möchte ich den Rechten dieses Heiligtums nicht zu nahe treten.«

»Wie du befiehlst, Herr,« antwortet Sejanus unterwürfig, wiewohl er dabei eine etwas saure Miene macht.

Die Priester aber atmen auf bei dieser gnädigen Entscheidung.

Nunmehr versteinern sich jedoch die Züge des Herrschers:

»Anders verhält es sich mit dem Germanen. Er hat einen Anschlag auf das Leben des Princeps gemacht, und alle hier und auf der Galeere wissen es. Für ein solches Verbrechen darf hier kein Schutz zu finden sein.«

»Glaube nicht, o verehrungswürdiger Augustus,« entgegnet der Hainkönig, »daß die Dianapriester sich nicht der schwerwiegenden Bedeutung dieses Falles bewußt sind.«

»Peinlich bewußt – kummervoll bewußt,« bestätigt der Priesterchor.

»Wir haben deshalb in außerordentlicher Sitzung, nach Anrufung der göttlichen Gnade, des Rates gepflogen, wie wir wohl den gerechten Forderungen deines Zornes genügen können, ohne andererseits gegen die geheiligten Rechte unseres Heiligtumes zu verstoßen.«

Eine ungeduldige Bewegung, die der Princeps mit der linken Hand macht, droht Einspruch zu erheben. Der Priesterchor sieht sich genötigt, »die geheiligten Rechte unseres Heiligtumes« warnend zu betonen.

»Diese zu berücksichtigen,« fährt der Hainkönig mit weihevoller Rednerstimme fort, »war unsere Pflicht nicht weniger dir, o göttlicher Augustus, als der Göttin gegenüber. Denn du wirst des sibyllinischen Wortes nicht vergessen haben, das mit goldenen Lettern auf der bronzenen Tafel in unserem Allerheiligsten geschrieben steht: solange der goldene Zweig, durch die Hand des frommen Äneas diesem Ölbaum eingeimpft, immer neu gepflückt von Siegerhand zu Siegerhand geht, so lange wächst und blüht das Geschlecht, das gepflanzt wurde von Äneas, das Haus der Cäsaren.«

»Lange wachse es und blühe, das Haus der Cäsaren!«

»Durch eine offenbare Störung dieses heiligen Brauches würden wir dein eigenes Haus bedrohen, würden somit gerade die Gefahr heraufbeschwören, zu deren Abwehr du ja einzig und allein die Strafe des Gesetzes über das Haupt des Schuldigen verhängt wissen willst.«

Der schlaue Priester weiß sehr wohl, daß Tiberius ebensoviel auf solche Sibyllenprophezeiungen gibt wie auf die goldene Schrift der Sterne. Auch sieht er sich in seinen Erwartungen nicht getäuscht.

Die Züge des Tiberius sind nachdenklich, sogar etwas unruhig geworden.

»Du wirst uns also, Augustus, nicht tadeln können, weil wir diese Sache nicht übers Knie gebrochen, sondern sie von allen Seiten uns angesehen haben.«

»Gut. Und zu welchem weisen Entschluß ist denn die Priesterschaft gekommen?«

»Deine Ankunft, Augustus, hat unsere Beratung unterbrochen. Indessen habe ich doch die Meinungen der meisten vernommen, und ich glaube schon, das Richtige zu sehen. Wenn du mir eine Unterredung unter vier Augen gewähren willst, so werde ich dir einen Ausweg aus dieser Schwierigkeit zeigen können, wodurch beide Rücksichten, die auf das Recht des Staates und die auf das Recht des Heiligtumes, gleichmäßig zur Geltung kommen.«

Die Priester blicken sich gegenseitig mit überraschtem aber zugleich befreitem Ausdruck an. Keiner hat eine Ahnung, was wohl ihr kluger Häuptling im Sinne hat, aber seine Worte klingen vertrauenerweckend und die Hoffnung auf eine glückliche Lösung des Streitfalles richtet sie wieder auf. Denn sie haben alle vor dem Zorn des Princeps und des Sejanus gezittert, wenn sie den Flüchtling beschützten, der den ersteren hat töten wollen und den zweiten verwundet hat. Besonders erfüllte sie der Gedanke mit Schrecken, daß ein Senatserlaß das Asylrecht aufheben könnte, wodurch ihrem gemächlichen und reichlich versorgten, wenn auch von Todesgefahr nicht unbedrohten Dasein auf diesem gesegneten Erdenfleck ein jähes Ende bereitet sein würde. Andererseits ist keiner über die gläubige Angst erhaben, daß ein furchtsames Preisgeben des uralten Tempelrechtes irgendwie von der beleidigten Göttin an ihnen selbst heimgesucht werden könnte, so befanden sie sich zwischen der Rache Cäsars und der Dianas in bänglicher Schwebe und preisen jetzt in ihrem Herzen den Tag, wo der kluge Demosthenes den Weg zum Heiligtum fand und König des Haines wurde.

»Nun wohl,« antwortet Tiberius, »das Gespräch unter vier Augen sei dir gewährt. Zeige den Weg.«

Der König des Haines zögert nicht, dieser Aufforderung nachzukommen. Er lenkt seine Schritte nach der Ala des Tiberius, als dem geeignetsten Ort für dies wichtige Gespräch. Trotz der Eile, mit der er den Tempel verließ, hat er nicht versäumt, einen Priester – und zwar den Rhadamanthus, den Stifter der Tiberiusstatue – nach der Ala zu schicken, um auf dem Dreifuß ein Weihrauchopfer zu entfachen. So schreitet er seinem Ziele mit der Zuversicht einer fürsorglichen Hausfrau zu, die da weiß, daß sie beim Nachhausekommen auf dem Herd ein prasselndes Feuer vorfinden werde, an dem sie ihren Suppentopf zum Kochen bringen kann. – – – –

Segismundus scheint nicht zu bemerken, daß jemand an die Einhegungsmauer herantritt, wo ihm diese am nächsten ist.

Über die Brüstung vorgebeugt verschlingt Caligula mit weit aufgerissenen Augen den einzigartigen Anblick:

Dort in der Hand des Flüchtlings, fast zum Greifen nahe, leuchtet in den schrägen Strahlen der Nachmittagssonne der weltberühmte goldene Zweig.

Welche wundervollen geheimnisvollen Kräfte mögen sich mit diesem Goldglanz vereinen! Sicher ist es, daß er den Träger stich- und hiebfest macht. Anders kann Caligula es nicht begreifen. Wenn auch die Priester den Eingang versperrten, so hätten die Prätorianer ja sonst gar leicht den Flüchtling mit ihren Wurfspießen erlegen können. Aber sie wußten, daß diese wirkungslos an ihm abprallen würden, solange er den Zauberzweig in der Hand hielt.

Wenn aber diese Kraft in dem Zweige wohnt, sollte dann nicht ein Teil davon in jedem Blatte leben?

Könnte ich ihn nicht überreden, mir den Zweig zu reichen? Ich bräche dann unbemerkt ein oder zwei Blätter ab und trüge dieses Amulett Tag und Nacht auf der bloßen Brust. Es würde gewiß auch gegen Gift noch stärker sein als das, welches ich dem Ägypter abkaufte. Der kann mich auch betrogen haben, aber hier wäre kein Betrug möglich!«

Diese Gedanken bewegen das Gemüt des Jünglings so stark, daß sein ganzer Körper wie von Fieberfrost geschüttelt wird, während seine Augen vor Gier nach dem geheimnisvollen Schatze brennen. Denn Cajus ist sehr besorgt um sein junges Leben. Er hegt nicht den geringsten Zweifel, daß der Gedanke, ihn aus dem Wege zu räumen, derjenige ist, womit Sejanus morgens aufsteht, und der, mit dem er abends zu Bett geht.

Warum konnte auch dieser blöde Germane nicht dem Präfekten das böse Herz durchbohren, anstatt ihm nur eine Wunde am Arm beizubringen!

»Germane!«

Segismundus scheint nicht zu hören.

»Weißt du, wer vor dir steht, Germane?«

Er steht in Wirklichkeit neben dem Germanen, eher etwas hinter ihm. Aber Cajus, der viel auf seine Beredsamkeit und seine geschulte Ausdrucksweise gibt, findet »vor dir« wirkungsvoller und rhetorisch richtiger.

»Weißt du, Germane, wer vor dir steht?«

Der Barbar nimmt offenbar die Worte buchstäblich. Er blickt vor sich hin, sieht niemand und scheint auch nicht von Neugier geplagt zu sein. Die pfauenartige Stimme macht es vielleicht auch überflüssig, sich umzusehen.

»Vor dir steht der Sohn des Mannes, der dein Volk unterjocht hat.«

Unter dem hellen Schnurrbart regt sich ein Lächeln. Das Lächeln ist so verächtlich, daß es verschmäht sich sehen zu lassen, und sich willig von der Hand wegstreichen läßt.

Das blasse Gesicht des Cajus rötet sich tief, seine Augen rollen, seine Stimme klingt noch schriller: –

»Der Sohn des Germanicus – das ist noch wenig! Ich bin der zukünftige Herrscher der Welt! Ich werde einst Legionen aus der Erde stampfen können. Ich werde dein Germanien mit Soldaten überschwemmen, eure Dörfer verbrennen, deine Landsleute auf die Bäume hinaufjagen und sie von meinen kretischen Bogenschützen herunterschießen lassen wie Eichhörnchen.«

Cajus zieht ein purpurnes Tuch aus den Brustfalten seiner Toga und wischt sich die Lippen, an denen sich Schaum angesetzt hat.

»Nun weißt du, wer ich bin. Wenn du dein Volk lieb hast, tust du gut, mich nicht zu reizen. Du bist hier wie ein gestellter Hirsch, Germane. Die Koppel und die Jäger haben dich umstellt. Reiche mir den goldenen Zweig und ergib dich auf Gnade und Ungnade. Ich werde mich für dich verwenden. Aber zuerst den Zweig! Mein Ehrenwort, Germane, du wirst es nicht bereuen. Wenn du auch sterben mußt ... siehst du – du hast Tiberius töten wollen, da kann ich wohl dein Leben nicht schonen. Ich werde ja selber Princeps werden ... darauf muß Todesstrafe stehen. Aber sterben und sterben sind sehr verschiedene Dinge. Der mauretanische Henker ist mein guter Freund, ich brauche ihm nur ein Wort zu sagen: und er schlägt dir den Kopf so glatt ab, daß du es kaum spürst. Pah! was ist denn das? wie wenn ich eine Fliege totschlage – so! Eine, die mich gestochen hat, spieße ich auf einen Dorn. Ich weiß, wie ich sie aufspießen kann, so daß sie noch lange am Dorne zappelt. Dich wollen wir ans Kreuz hängen, wenn du dich nicht gutwillig ergibst und mir als Zeichen dafür den Zweig reichst, der dich jetzt beschützt. Weißt du, was das heißt, am Kreuze sterben, Germane?«

Segismundus nickt.

»Der Centurio las uns vor von dem, den sie in Jerusalem am Kreuze henkten.«

Cajus schlägt eine laute, höhnische Lache auf.

»O, an ihn denkst du! Ein Schwärmer und Schwächling. Er hat es kaum drei Stunden ausgehalten. Du aber mit deinem gestählten Körper – dem Körper eines Wilden, denn das seid ihr doch eigentlich – du wirst drei Tage lang hängen – stelle dir das vor, wie die Muskeln und Sehnen sich spannen, als ob sie aus dem Körper herausgezerrt würden – Minute für Minute, drei, vier Tage und Nächte lang. Es ist vorgekommen, sagt der Mauretaner, daß die Gekreuzigten einen zufällig vorbeigehenden Jäger anflehten, ihrem Leiden durch einen Pfeilschuß ein Ende zu machen – sie haben ihm zugerufen, daß er den geheimen Ort ihrer Raubschätze zu wissen bekäme als Lohn für einen solchen Pfeilschuß. Sie waren eben wahnsinnig vor Schmerzen, verstehst du? Bisweilen sinken sie in Ohnmacht, um so schrecklicher aber ist das Erwachen. Germane, ich schwöre dir, ich werde mich mit meinem Arzt zusammen tun, und er wird einen Stärkungstrank brauen, der dir eingeflößt wird, so daß du es noch länger aushalten mußt. Germane! wenn du mir nicht den goldnen Zweig als Zeichen der Übergabe reichst, will ich – –

»Cajus!«

Der zukünftige Weltherrscher zuckt zusammen wie ein Hund, den sein Herr von verbotenen Pfaden zurückruft. Er kennt diese Stimme und ihre Tonart ganz genau: noch bevor er sich umkehrt, weiß er, daß der Blick, mit dem ihn Tiberius betrachtet, ein höchst mißbilligender ist.

»Laß den Flüchtling, Cajus. Du regst dich gar zu sehr auf. Ja, ja, ich seh' es deinem Gesicht an. Der gerechte Zorn über den Anschlag auf mein Leben und vielleicht über die Wunde, die dein Freund Sejanus sich dabei zuzog – all das hat dich zu sehr angegriffen ... Laß ihn!«

»Befiehlst du, daß ich dir folge, Großohm?«

»Jetzt nicht. Ich muß allein mit dem Oberpriester sprechen, sieh dich unterdessen im Tempelbezirk um. Bewundre die Kunstwerke. Nur nicht gerade mein Standbild in jener Ala. Denn es scheint, daß dieser Ehrwürdige mich gerade dorthin führt, als ein Opfer seiner Beredsamkeit, gleich jenen Gottheiten, von denen wir hören, daß sie sich selbst geopfert werden. Aber es gibt ringsum genug zu sehen – kunstvolle Altäre, Vasen und Votivbilder. Das wird dein Gemüt wieder ins Gleichgewicht bringen. Und du mußt dich schonen, damit du nicht einen Anfall deiner Fallsucht bekommst.«

Und Tiberius schreitet weiter auf die Ala zu, an deren Eingang ihn der Hainkönig erwartet.

Ungern verzichtet Caligula auf sein Vorhaben mit dem Germanen, so wenig befriedigend auch die bisherige Unterhandlung mit dem Träger des goldenen Zweiges verlaufen ist. Aber sein Gesicht, das während der Ansprache des Ohms und Adoptivvaters unter der schnell angelegten Maske demütiger Dankbarkeit verdrossen geblieben ist, leuchtet bei den letzten Worten stolz auf.

Man kann ihm nicht gründlicher schmeicheln, als wenn man von seiner Fallsucht spricht.

Litt doch auch sein großer Namensbruder in jüngeren Jahren an dieser Krankheit. Diese und der Name werden nicht die einzigen Ähnlichkeiten bleiben! Auch er wird ein großer Heerführer werden, ein Eroberer!

›Jener, den sie den göttlichen Julius nennen, weinte, als er jung war, weil Alexander ihm keine Taten übrig gelassen hatte, so möchte auch ich weinen – aber nein, ich will seinem Beispiel folgen. Wie er den Alexander, so werde ich ihn in den Schatten stellen. Er hat Gallien dem römischen Imperium einverleibt – aber jenseits des Meeres liegt Britannien – wo er kaum gelandet ist. Britannien dem Reiche einzuverleiben, ist ein meiner würdiges Ziel!‹

Es ist ein weltgeschichtlicher Augenblick. Hinter der kahlen herausgewölbten Stirn wird die Idee geboren, die zum berühmten Muschelsammeln am Gestade Galliens führen sollte, dem Höhepunkt des Britannienzuges Caligulas.

Auch diese Tat muß in den Sternen geschrieben stehen, und gewiß hat der Euripideische Alte sie schon dort gelesen.

Dieser wachehabende Priester folgt dem davonstolzierenden Caligula mit einem wenig bewundernden Blick und wendet sich dann an seinen jüngsten Amtsgenossen, der sich gerade von der entgegengesetzten Seite zusammen mit Herkules genähert hat: –

»Nun, Telemachos! So hast du denn jetzt deinen Weltheiland gesehen. Begeisterst du dich noch immer dafür, Trinkopfer auszugießen und zu rufen: ›Es lebe Cajus Cäsar!‹? Oder gibst du den Sternen die Ehre, die mir, wie ich dir sagte, schon längst prophezeiten, daß wenig Heil von seinem Regierungsantritt zu erwarten ist?«

Auf diese Frage bleibt der junge Priester die Antwort schuldig. Er verspürt durchaus keine Lust, dem Wachehabenden zu berichten, auf welche Weise Caligula seine Menschenkenntnis bekundet hat.


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