Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Zehntes Kapitel

Beichte des Herkules

»Nun, Herkules,« ertönt nach kurzer Pause die Stimme des Oberpriesters: – »Hermes hat gesprochen. Die Reihe ist an dir. Warum zögerst du?«

Der Freund des Neulings, der greise Priester, dessen gigantische Körperformen hinlänglich seinen Namen erklären, hat die ganze Zeit regungslos dagestanden, den Kopf gesenkt, so daß der weiße Bart auf der breiten Brust ruhte.

Nun erhebt er das Haupt, wie aus einem schweren Traum erwachend.

»Ja, sie haben alle gesprochen. Rief ich dir nicht zu: ›Flieh, Jüngling, flieh, eh' es zu spät?‹ Sagte ich dir nicht, du wüßtest nicht, in welche Gesellschaft du geraten seist? Jetzt weißt du es. Aber von der verruchtesten Tat hast du noch nicht gehört. Der fluchwürdigste Verbrecher dieser Bande spricht erst jetzt zu dir. Schau dir diese Hände an! Mit ihnen hab' ich sie erwürgt, die Zarte, die Liebliche, das Licht meiner Augen, meine Fulvia, mein angetrautes Weib. Schuldig? O, sage nicht, daß sie schuldig war! Ich, ich allein war der Schuldige! Wie konnte ich ihr junges Leben an das meinige ketten, das sich schon dem Greisenalter näherte? Wie durfte ich hoffen, daß sie, die blühende Jungfrau, den Alternden lieben, sich meinem barschen Wesen anbequemen würde? Und keine Schonung! Sie nicht zu Worte kommen zu lassen! Fluch über meinen Jähzorn! Fluch über die wahnsinnige Kraft dieser meiner Fäuste! Fluch über den Wüterich, an dem der Tod vorüberschreitet, vom Zorne der Götter getrieben, denen seine Buße noch nicht genügte!«

Unter der Wucht seiner Selbstanklage und Selbstverurteilung zusammenbrechend, stürzt der Riesenkörper des Alten jählings nieder und bleibt mitten zwischen den Stufen des Peristyls und der Einhegung des heiligen Baumes liegen.


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