Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Buch des Kaisers

Buch des Kaisers

When the Emperor Tiberius inquired of the grammarian what song the Sirens sang, he asked to prove his wit and was gratified when no man answered.
N. Compton Leith, »Sirenica«.

Erstes Kapitel.

»Mögen alle Götter und Göttinnen – «

Rufus schlägt die Hände vor das Gesicht.

»Mein Jähzorn – mein alter, unheilbarer Zornmut! Und alles verloren! Schon am sicheren Ziel – das Ersehnte in der Hand – und verscherzt! Wahn und Zorn!«

Er hört den Schrei nicht – einen verzweifelten Aufschrei, der von ferne wie ein Echo den Iacet-Ruf des Priesters begleitet.

Aber der auf der Erde liegende Siegmund hört ihn. Unsagbarer Gram prägt sich in seinen Zügen, die in Betäubung versteinert waren. Der Klang jener Stimme aus dem Hintergrunde bringt ihn zum Bewußtsein. Was für ein Wunder ist geschehen? Das war keine menschliche Macht! Hat denn jener sich mit dem Namen des Halbgottes auch dessen Kraft angeeignet?

Er sieht seinen Besieger vor sich stehen und hört ihn stöhnen.

»Dieser Alte hat es ehrlich gemeint. Und ich – mir selber hab' ich es zu verdanken – und nun leidet meine Thusnelda!«

Aber die herbeieilende Priesterschar verbirgt den Alten seinem Blick.

Wie in einem bösen Traum hört Rufus ihre Freudenausbrüche, ihre Beglückwünschungen. Kaum bemerkt er, daß ihm das Priestergewand angelegt wird.

»Wahn und Jähzorn – mein alter Fluch!« murmelt er händeringend vor sich hin.

Plötzlich fühlt er sich kräftig umarmt. Eine altvertraute Stimme tönt an sein Ohr.

»Rufus, Rufus! Die Götter seien gepriesen, daß ich dich wohlbehalten sehe! Was hab' ich nicht deinetwegen in der letzten halben Stunde ausgestanden! Ich ließ mich vom Oberpriester überreden – nie hätte ich ihm erlaubt, dich opfern zu lassen. Aber als ich allein hin und her ging – und es dauerte lange – da kamen die Befürchtungen: – könnte dir nicht im Kampfe selbst etwas zuleide geschehen? denn die Barbaren haben ihre Schliche. Nun, die Götter seien gepriesen – nicht wahr? Dir ist nichts geschehen?«

Rufus drückt gerührt seine Hand und schüttelt den Kopf.

»Mein Imperator! Du bist um den alten Rufus in Sorge gewesen? Ach, er war's nicht wert! Und wahrlich, nicht mit Absicht geschah es, daß mein altes nutzloses Leben sich aus Kosten dieses jungen behauptete.«

»Sein Leben war verwirkt, denke nicht daran.«

»Aber ich tu' es! ... O Jüngling, Jüngling! Warum ließest du dir nicht den Sieg schenken? Warum wolltest du ihn ertrotzen? Warum mußtest du den Bären in mir gewaltsam aus seinem langen Winterschlafe wecken?«

Von der bewaffneten Tempelwache umgeben, steht Siegmund nur wenige Schritte entfernt von ihnen. Sein Kopf hat sich auf die Brust gesenkt, das Kinn ist in den schwarzen Falten des Totenmantels begraben, den man ihm schon umgeworfen hat.

Er blickt nicht auf, sondern schüttelt nur mißmutig das Haupt:

»Ich konnte nicht, guter Alter! ... Ich, ein Chattenfürst ... ein Jüngling gegen einen Greis ... die Ehre ... ich konnte nicht ... Es war töricht ... Verzeih mir!«

»Verzeihen? Jüngling und Greis, beide gleich töricht, aber der Greis am tadelnswürdigsten! Wahn gegen Wahn, Zornmut wider Zornmut, und das Unglück ist da!«

Verwundert blickt Tiberius seinen alten Freund an. Er begreift alles ... Schade, daß es mißlang!

›Der Jüngling wäre durch Gottesurteil unter die Priester gegangen. Den Oberpriester hätte ich von den Prätorianern in den See werfen lassen – Opfer genug für die Göttin – wie ich ihm ja versprach. Rufus hätte ich mit mir nach Capreä genommen. Das tu' ich so wie so!‹

Eine plötzliche Bewegung unter den Priestern ... Murmeln, Ausrufe ...

Tiberius wendet sich.

Thusnelda kniet zu seinen Füßen.

»Gnade, Tiberius! Gnade! Laß Segismundus nicht sterben!«

Mit einem Ausdruck der peinlichsten Überraschung ist Tiberius zurückgetreten.

»Eine Frau hier!« herrscht er vorwurfsvoll die Priester an.

»Sie hat sich hereingedrängt ... unbemerkt in der Verwirrung ... wir wissen nicht, Cäsar, wie sie an der Wache vorbeigeschlüpft ist.«

Einige treten näher, um sie zu ergreifen und wegzuführen.

Aber sie erfaßt den purpurnen Zaum von Tiberius' Toga.

»Du kannst ihn nicht von diesen Priestern ermorden lassen, Tiberius!«

»Er hat sich selber in ihre Hände begeben. Was kann ich tun?«

»Alles! Du hast die Macht – du bist der Herrscher – du bist der Herr der Welt.«

Ein etwas spöttisches aber durchaus nicht boshaftes Lächeln schlängelt sich über die beweglichen Lippen, als er hinzufügt:

»Außer Germanien!«

Aber die Bittende läßt sich zu keiner Schmeichelei verleiten.

»Eurer römischen Welt, meine ich. Du bist ihr Herr – du kannst ihn retten.«

Sein Lächeln wird bitterer, böser.

»›Herr der Welt‹ – weil mir das Schicksal dies ungeheuerliche, widerspruchsvolle Amt auf die Schultern gewälzt hat: Princeps einer Republik, in der man mit einer Diogenesleuchte nicht zehn Männer fände, die würdig wären, Republikaner zu heißen. ›Herr der Welt!‹ nenne mich den Sklaven der Sklaven, und du hast es besser getroffen! – ein ›Herr‹, dessen Macht –«

Er hält inne. Der ängstliche, flehende Blick Thusneldas erinnert ihn daran, daß dies Barbarenweib für römische Staatsrechtsfragen wenig Sinn habe.

»Steh auf, Mädchen!«

»Ich stehe nicht auf, bevor du mir sein Leben schenkst. Sieh ihn an, Tiberius – wie er, in den schwarzen Totenmantel gehüllt, als ein Opfer dasteht! Er kann nicht vor dir knieen, er ist ein Mann, ein Germane – der kann nicht knieen, so knie ich für uns beide. Nein, knieen kann er nicht, aber ich seh' ihm an, daß er bereut, wie ich weiß, daß du es tust – –«

Die Brauen des Tiberius ziehen sich zusammen.

Rufus macht eine unwillkürliche Bewegung, um die Sprecherin zu warnen.

Wenn auch die Priester nicht gerade näher treten, möchte man doch darauf schwören, daß sie sichtbar die Ohren spitzen. Keiner von ihnen bedauert jetzt, daß dies Weib sich gegen alle Regeln in den heiligen Grund hereingedrängt hat: man wird jetzt zu wissen bekommen, was denn eigentlich auf der Galeere vorgefallen ist, – was wohl Tiberius zu bereuen hat!

Aber ihre Hoffnung ist eben so schlecht begründet wie die Furcht des Rufus.

Das angeborene Taktgefühl hat sie noch mehr als jene Handbewegung des Alten, die ihr nicht verborgen blieb, gewarnt, auch nur mit dem geringsten Wort in dieser gefährlichen Richtung weiter zu gehen. Das eine, womit sie die schmerzhafte Stelle berührte, hat genügt; sie hat die Wirkung gesehen, und sicher, daß sie nur Wahres gesagt hat, daß Tiberius nicht nur sein Betragen bereue sondern sich dessen schäme, fährt sie beredt und mit steigender Zuversicht fort: sie wisse ja, daß sein edles Herz keine Rachsucht hege, daß es ihn nicht nach dem Blute des Jünglings verlange, den die Götter auf einen Augenblick des Verstandes beraubt hatten, eines Jünglings, der immer nur mit Verehrung von dem Princeps sprach, schon auf der Reise von Rom nach Campanien, und noch mehr, als er dort den Herrscher kennen gelernt und Gelegenheit hatte, ihm seine heimatlichen Weisen vorzusingen und damit sogar die Huld des Cäsar zu gewinnen – – –

Rufus wendet seinen Blick nicht von ihr ab.

Wie ein Urbild jener blonden Hälfte der Weiblichkeit, von der er schon heute als von der edleren gesprochen hat, liegt ihr Gesicht offen vor ihm da, gleich einer Schreibtafel mit großen, schön geformten Schriftzügen, leicht zu lesen. Die breite, von goldenen Haarflechten gekrönte Stirn, darunter die klaren blauen Augen, die unerschrocken und doch ängstlich den Ausdruck des Herrschers zu deuten versuchen; die kurze, gerade Nase, die lieblich bewegten Lippen, das fast kindlich gerundete Kinn – all dies spricht ihn wundersam an.

›Dieser Siegmund hat recht: sie ähnelt ihrer hehren Muhme und Namensschwester, nur ist sie noch viel lieblicher. Jene starb hier in der Fremde, in der Gefangenschaft, gebrochenen Herzens. Muß es nun dieser ebenso ergehen, nachdem sie ihren einzigen Freund eines schrecklichen Todes hat sterben sehen, vor dem ihn auch ihre rührende Fürbitte nicht retten konnte? Da seien die Götter vor!‹

Tiberius' Brauen sind nicht mehr zusammengezogen, alles Lächeln – bitteres wie spöttisches – ist von seinen feinen Lippen verschwunden. Aber sein Gesicht ist eine undurchdringliche Maske geworden. Vergebens bemühen sich die Augen Thusneldas, diese Züge zu erforschen.

Plötzlich wenden sie sich von ihm zu Rufus.

»Alter Priester, der du Siegmund besiegtest! Du bist der Freund Cäsars. Ich sah, wie er dich umarmte. Sprich du für uns, denn du meinst es gut, ich sehe dir's an.«

Der Blick dieser germanischen Mädchenaugen, der ihn so unerwartet trifft, dringt Rufus tief ins Herz. Seine eigenen Augen umschleiern sich, sie sehen doppelt: neben diesem von goldenem Haar gekrönten Frauenkopf erblickt er das gelblockige Kinderhaupt; neben der jungfräulichen, in reiche orientalische Stoffe gehüllten Gestalt schaut er die Kleine, wie sie in ihrem weißen Hemdchen an der Hand der fürstlichen Muhme durch die Gasse der Legionärsoldaten einhertrippelt. Die beiden einzigen Eindrücke, die er von demselben Wesen gehabt hat. Und zwischen diesen beiden liegt sein ganzes schuldbelastetes Greisenleben. Dort, jenseits des Einganges zu seinem unheiligen Priesterdasein im Schatten des goldenen Zweiges, die Lichterscheinung des Kindes, der kleinen Thusnelda, als der Genius der Schuldlosigkeit, aus der er auf immer schied; – hier, wo der Ausgang aus diesem Dasein hätte sein sollen, wenn nicht Wahn und Zornmut ihn übermannt hätten, die Jungfrau, die sein Wahn und Zornmut in so tiefe Not gestürzt hat, daß sie nun in ihm ihre einzige Hilfe sieht!

Diese Gedanken bewegen ihn tief und mit erschütternder Gewalt. Aber er nickt Thusnelda nur freundlich zu und läßt seine Blicke sagen, wie willig er ist, seinen Einfluß geltend zu machen, um ihren Siegmund zu retten.

Noch sucht er nach den Worten, die am sichersten auf seinen mächtigen Freund wirken können, als dieser sich mit einer plötzlichen Bewegung an Thusnelda wendet: –

»Was ich mit euch Beiden tun soll, und ob ich überhaupt etwas tun soll, und ihn nicht einfach seinem Schicksal überlassen: mögen alle Götter und Göttinnen mich doppelt so grausam plagen, wie ich mich jetzt täglich und stündlich von ihnen geplagt fühle, wenn ich es weiß!«


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