Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Achtes Kapitel

Beichte der Triumvirn

»Diesen göttlichen Namen,« – hebt der zur Rechten des Oberpriesters Stehende an, ein kleiner Mann mit spitzem grauen Bart, stechenden Augen unter schwarzen Brauen und einer langen Hethitennase, – »habe ich mir redlich verdient, denn mancher ist mir einen Hahn schuldig geworden, sowohl, gleich unserem Euripideischen Alten, in gewöhnlichem Sinne des Wortes, als auch im tieferen Sokratischen Sinne, weil ich sie von dieser ganzen Lebenskrankheit erlöst habe.

In der Tat genoß ich einst eines nicht geringen Rufes in der römischen Gesellschaft, ja ich hatte sogar begründete Hoffnung, der Leibarzt des Princeps zu werden. Dazu war ich nämlich von einem befreundeten Berufsgenossen und Landsmann angelegentlichst vorgeschlagen. Dieser war aber kein anderer als der hier schon ein paarmal erwähnte Eudemus. Da er, wie wir wissen, der Leibarzt des Drusus war, konnte er selbstverständlich nicht selber diesen Posten übernehmen und empfahl mich sehr dringend dem Tiberius. Dieser grobe Mensch – denn wäre er auch zehnmal Weltherrscher und Großkönig, wie wir Orientalen sagen (freilich ohne daß er es Wort haben will), so nenne ich ihn doch als erklärten Feind unseres göttlichen Standes, dieses Hortes der Bildung und des menschlichen Fortschrittes, einen groben, bäuerischen, ja recht eigentlich barbarischen Menschen – Tiberius also gab ihm zur Antwort: »Wer sein dreißigstes Jahr erreicht hat und noch nicht weiß, was seinem Körper zuträglich ist und was nicht, der ist ein Tor und verdient schon, den Ärzten in die Hände zu fallen.« Mit diesem Worte, das in Rom stadtbekannt wurde, erledigte er die Sache, sei es nun, daß sein eigentlicher Grund, keinen Arzt haben zu wollen, sein bekannter, auch vom Euripideischen Alten gerügter Geiz war; sei es, daß sein ebenso bekanntes Mißtrauen, insbesondere aber sein Vorurteil gegen gewisse, von uns Ärzten verwendete Arcana, ihn dazu bewegt haben.

In diesem Zusammenhange muß ich nun eine Äußerung unseres Pindaros berichtigen. Er sagte nämlich, daß ein solches von Eudemus bei seiner Behandlung des Fiebers des Drusus verwendete Arcanum – er nannte es aber mit der unwissenschaftlichen Bezeichnung »Gift« – dem Eudemus allein bekannt gewesen sei. Dies ist jedoch ein großer Irrtum. Wir beide waren nicht nur Landsleute, sondern auch Studiengenossen, und jenes Mittel war mir so bekannt wie ihm. Ich habe es denn auch mit der besten Wirkung benutzt bei Krankheiten, die in ihrem Verlauf ähnliche Symptome aufwiesen, wie die des Drusus.

Von drei solchen Aufsehen erregenden Fällen, die in einer und derselben Familie auftraten, wird dir gewiß ›der Neffe‹ das Nähere mitteilen.«

»So nennen sie nämlich mich,« fährt sein Nebenmann, ein jämmerliches Gesicht schneidend, fort, »und ich weiß wirklich nicht, wie der Alte des Euripides sich über seinen Rollenamen beschweren will, wenn ich sogar mit einer bloßen Bezeichnung wie ›Neffe‹ fürlieb nehmen muß. Aber freilich war es wohl kaum möglich, in Mythen und Heldensagen einen passenden Namen für mich aufzufinden. Denn wo gibt es wohl dort einen, der in verhältnismäßig kurzer Zeit das Schicksal hatte, drei Oheime begraben zu müssen?

In der Tat machten diese drei Todesfälle etwas Aufsehen, wie Äsculapius, der meine Oheime behandelte, schon erwähnt hat. Es wurde sogar von Gift – jener ›unwissenschaftlichen‹ Bezeichnung – gesprochen. Daß jemand von ihnen sich aber selber das Leben genommen hätte, darf als ausgeschlossen gelten, da sie alle steinreich waren und sich einer guten Gesundheit erfreuten, so daß sie gewiß gern länger gelebt hätten. Nun weiß ich freilich wohl, daß man in Rom vielfach gesagt hat, ich habe sie alle drei mit Hilfe des Äsculapius vergiftet, um sie zu beerben. Wie völlig dies aber aus der Luft gegriffen sein muß, wird dir einleuchten, wenn ich dir anvertraue, daß ich zwei von ihnen gar nicht beerbt haben würde, wenn nicht mein Freund Lepidus dagewesen wäre.«

»›Lepidus‹,« sagt der drittletzte der Reihe, »ja, das ist nun freilich ein Eigenname, und doch eigentlich der ärgste Spott, so daß ich nicht weiß, ob der namenlose Neffe, von dem Euripideischen Alten gänzlich zu schweigen, besser davon gekommen sei als ich. Weil sie uns nämlich ›die Triumvirn‹ nannten, haben sie mir diesen Namen gegeben. Wäre es wenigstens Marcus Antonius oder Cäsar Octavianus gewesen, so hätte ich mir das gefallen lassen – aber Lepidus, ich bitte dich! Nun, ich war eben der dritte Triumvir, und so mußte ich mich dem Lepidus anbequemen.

Damit hat es nun allerdings seine Richtigkeit, daß es kaum möglich wäre, in unseren Epen oder sonstigen Sagendichtungen einen für mich geeigneten Namen aufzutreiben. Denn die dort vorkommenden Personen sind zwar lauter großmächtige Helden; aber sie waren doch im Grunde genommen alle miteinander Barbaren, und von keinem einzigen hört man, daß er sich der Schreibkunst gewidmet hätte. Diese war aber eben mein Fach, in welchem ich es so weit trieb, daß es wohl in ganz Rom meinesgleichen nicht gab, wenn es sich darum handelte, ein wichtiges Dokument schön aufzusetzen oder genau abzuschreiben.

Ich sehe dir's an, o Telemachos, daß du meinst, dies sei eben keine schwierige Kunst und könne auch kaum sehr einträglich sein. Dies mag ja auch zutreffen, wenn man sie im gewöhnlichen Sinne ausübt. Ich aber faßte sie in einem freien und großzügigen Stil auf, wodurch ich ihr eine ganz neue Bedeutung gab. Wenn ich vom »genauen Abschreiben« sprach, so meinte ich dies nicht dem elenden Buchstaben, sondern dem Sinne nach. Wo also dieser nicht deutlich zum Ausdrucke gekommen war, half ich gewissenhaft nach; wo er gar offensichtlich entstellt worden, stellte ich durch geniale Konjektur den ursprünglich beabsichtigten und somit echten Text her. Diese Methode brachte ich besonders Testamenten gegenüber in Anwendung und konnte dadurch zu wiederholten Malen dem Neffen zu seinem Rechte verhelfen.

Diese meine Kunst blühte besonders zu Lebzeiten des Augustus. Ich versäumte nämlich nie, in solchen der nachbessernden Hand bedürftigen Testamenten, den Erblasser – wie es in der Tat seine Untertanenpflicht und Schuldigkeit als reicher Mann war – eine nicht unbedeutende Summe dem Augustus vermachen zu lassen. Solche Testamente wurden aber nie auf ihre sogenannte »Echtheit« sehr genau untersucht.

Gänzlich änderte sich jedoch die Sachlage, als Tiberius Princeps wurde. Es ist dir ja nicht unbekannt, daß er, dem der großartige Zug des Augustus gänzlich abging, es Privatleuten, die nicht zu seinen Verwandten oder nächsten Freunden gehörten, ausdrücklich verbot, ihm Vermächtnisse zu machen. Durch diese unsinnige Bestimmung war mir also meine hauptsächlichste Einnahmequelle weggenommen. Von da ab arbeitete ich unter der größten Gefahr, die schließlich so dringend wurde, daß ich mich blutenden Herzens entschloß, meine geliebte Kunst, die mich so lange reichlich, ja glänzend ernährt hatte, mit dieser Priesterschaft zu vertauschen, in deren Reihe die Zwillinge damals erst kürzlich eingetreten waren. Mein gutes Glück ließ keinen von ihnen ausgelost werden, denn Briareos hätte mich durch seine gewalttätige Kraft, Hermes durch seine schlaue, schlichegewohnte Behendigkeit sicherlich niedergerungen.«


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