Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Siebentes Kapitel

Die Beichte des Alten des Euripides

»›Komm, Alter, hervor aus deinem Gemach!
Wie nennt sich der Stern, der dort hinzieht?
Seirios; er schwebt noch im Mittel der Bahn
Beim Siebengestirn, an der Bärin zunächst.‹

Es ist dir ja nicht unbekannt, o Telemachos, der so ungewöhnlich lebhaft bewegte Anfang von ›Iphigeneia in Aulis‹. Nicht anders pflegte Tiberius mich aus meiner ärmlichen Wohnung in Rhodos zur Beobachtung der Himmelserscheinungen herauszurufen, wenn ich viel lieber den Schlaf genossen hätte, der auch ein hartes Lager umschwebt. Denn nicht jedem ist es gegeben, wie jener Mann von Eisen den Körper ganz in der Gewalt zu haben und ihn immer dem Geiste untertan zu machen.

Aus diesem Grunde haben meine Mitbrüder in dieser hochehrwürdigen Priesterschaft mich »den Alten des Euripides« benannt; und so muß ich denn, keines Eigennamens mich erfreuend, mich darein finden als eine untergeordnete persona dramatis dir vorgestellt zu werden.

Das liegt nun freilich vor deiner Zeit, aber gehört hast du doch davon – welcher Römer hätte das nicht? – wie Tiberius um die Mitte seiner dreißiger Jahre sein Leben mehr und mehr durch das Treiben der Gegner verbittert sah, an deren Spitze seine eigene Frau, die Tochter des Augustus, stand. Noch mehr aber wurde er, wie man sagt, angeekelt durch das Wesen eben dieser schönen und lasterhaften Julia, die ihm durch das herrische Gebot des allmächtigen Stiefvaters aufgezwungen wurde, so daß er sich um ihretwillen von einer geliebten Gattin hatte trennen müssen. Wie er es dann nicht mehr aushielt, sondern in äußerstem Widerwillen plötzlich alle seine Ämter niederlegte, um sich ins Privatleben zurückzuziehen, was ihm Augustus erst erlaubte, als Tiberius sich schon vier Tage lang aller Nahrung enthalten hatte.

Damals wurde von nichts anderem gesprochen, zumal bei uns auf Rhodos, nachdem es verlautet hatte, daß Tiberius zum Aufenthalt sich keine andere Stelle ausersehen habe, als unser eigenes Eiland, vielleicht, jenes von Freund Verres erwähnten militärischen Beinamens eingedenk, durch den bei uns wachsenden unvergleichlichen Wein angelockt. Ist doch Rhodos recht eigentlich der Weinmarkt der Welt.

›Mögen das herrliche Rhodos sie preisen und auch Mytilene –‹ in diesem berühmten Vers denkt Horatius beim Nennen gerade dieser beiden Inseln gewiß an Tiberius und Agrippa. Als dieser in ähnlicher politischer Mißstimmung sich nach Mytilene zurückzog, hatte das bei uns nicht wenig Neid gegen die Rivalinsel erweckt; jetzt war die Freude groß, weil wir dieser den Rang abgelaufen hatten. Denn Tiberius war doch noch eine andere Größe als Agrippa, möge dieser nun auch die Schlachten des Augustus noch so ruhmreich geschlagen haben; ich stimme da mit Freund Verres völlig überein.

Nun, unter allen Rhodensern war gewiß niemand eifriger als ich, alles über diese Sache zu erfragen, wozu ich freilich meine guten Gründe hatte.

Es war eine bekannte Sache, daß Tiberius immer der himmlischen Wissenschaft der Sternkunde zugetan gewesen war. Bisher hatten Kriegszüge und Staatsgeschäfte ihm nur wenig Zeit gelassen, sich dieser edlen Neigung hinzugeben; es stand aber zu erwarten, daß er sein unfreiwilliges Otium dazu benutzen würde, das Versäumte mit Eifer nachzuholen. Hierzu bot ihm gerade Rhodos gute Gelegenheit. Denn es waren da mehrere Astronomen, einige sogar von weitverbreitetem Ruhm; zu welchen ich mich freilich keineswegs rechnen konnte, denn ich war damals noch sehr jung.

Nun war es aber für einen Sterndeuter keine ganz unbedenkliche Sache, sich mit Tiberius einzulassen, der in Ungnade, ja fast einem Verbannten gleich zu achten war, wie ja sogar sein Leben öfters in Gefahr schwebte. Denn es ist bekannt, daß einmal ein Ritter beim Weine dem Cajus Cäsar in Chios vorschlug, nach Rhodos hinüberzufahren und ihm den Kopf des Verbannten zu bringen. Die beiden von Augustus und den Römern vergötterten Prinzen Cajus und LuciusCajus und Lucius Cäsar, Stiefsöhne des Tiberius, Söhne der Julia aus ihrer ersten Ehe mit dem Feldherrn Agrippa, beide von Augustus adoptiert. standen zwischen ihm und dem Thron, und Augustus war oft sehr krank. Wie leicht konnte man also unter solchen Umständen den Verdacht auf sich ziehen, man sei dem Tiberius behilflich, in den Sternen nach erwünschten Todesfällen im Herrscherhause zu forschen! Von jeher stand aber auf solche Forschungen die Todesstrafe.

Eben deshalb hielten sich jene Sternkundigen fern, ja scheuten den Tiberius wie einen Aussätzigen. Wodurch sie zeigten, daß sie trotz alles Ruhmes, dessen sie genossen, dennoch in ihrer göttlichen Wissenschaft nur Pfuscher waren. Denn mir hatten die Sterne schon gesagt, daß Tiberius als Weltherrscher enden würde – und daß dem Prinzenpaare nur noch eine kurze Jahrreihe beschieden sei. Dies schloß nun zwar nicht aus, daß der Sterndeuter des Verbannten schon in der nächsten Zeit wegen verbotener Forschung hingerichtet würde. Da jedoch mein eigener Stern in nicht ungünstiger Verbindung mit dem des Tiberius stand und mir überhaupt ein langes Leben verhieß, so war ich entschlossen, es daraufhin zu wagen.

Mehr als sieben Jahre lebte ich denn im vertrautesten Verkehr mit Tiberius, den ich in die himmlische Wissenschaft einweihte, nur die letzten Geheimnisse mir selber vorbehaltend, damit er nicht wähnen solle, er könne meiner entraten.

Wie er dann, als der einzige Mann, der zum Regieren befähigt war, wieder in Gunst kam, hielt ich mich, während des Hinsiechens des Augustus, auf Rhodos zurück, verbotenen Forschungen eifrig ergeben. Sobald aber Tiberius die Zügel, die der Hand des alten Meisters entglitten und die ihm die Sterne längst verhießen, ergriffen hatte, und die ersten Schwierigkeiten, die einen Regierungswechsel begleiten, überwunden waren, erachtete ich meine Zeit als gekommen und begab mich nach Rom.

Hier wurde ich von dem Herrscher sehr freundlich empfangen. Seine Pflichten ließen ihm freilich wenig Zeit übrig, sich dem Studium zu widmen; um so angenehmer war es ihm aber, sich gelegentlich mit mir darüber unterhalten zu können und ab und zu daran teilzunehmen. Er ließ mir eine Wohnung auf dem Esquilin anweisen, wo ich mir eine leidliche Sternwarte einrichten konnte, und setzte mir ein Jahresgehalt aus, das zwar mäßig war, mich aber doch vor aller Not sollte sichern können.

Sollte können, aber es nicht konnte. Denn Rom ist ein kostspieliger Aufenthalt, was ein Provinziale, der nach der Welthauptstadt übersiedelt und sich nun von ihren zahllosen Verlockungen umgeben sieht, recht bald entdecken wird. Ich kam mit dem Gelde nicht aus. Tiberius bewilligte mir eine kleine Zulage, jedoch nicht ohne eine Ermahnungsrede zu halten: wie ein Mann, der in der höchsten Wissenschaft lebt, in der Auffindung und Betrachtung ihrer eigenen Gesetze seine einzige würdige Freude finden solle, in der gemeinen Wirklichkeit hingegen mit wenig auskommen könne. So daß ich nicht umhin kann, denen recht zu geben, die ihn knauserig nennen.

Nun, möge man auch mit dem Haupt unter den Sternen sein, der Fuß bleibt auf der Erde, und hier hatte ich mehr und mehr das Bedürfnis, auf einem großen Fuß zu leben. So steckte ich nach ein paar Jahren tief in Schulden. Diese bezahlte Tiberius zwar, gab mir aber dabei recht deutlich zu verstehen, daß dies das letztemal sei.

Ich versuchte zwar mich einzuschränken, aber nach Jahren hatte meine Schuldenlast sich wieder hoch aufgetürmt. So mußte ich mich nach anderen Einnahmequellen, und zwar nach ergiebigen, umsehen. Eine solche eröffnete sich von selber: von den Feinden des Tiberius wurde mir ein glänzendes Angebot gemacht.

Zwar gehörtest du, o Telemachos, selbst zur Partei des Germanicus-Hauses, jedoch, wie mich bedünken will, nur zu ihrer unschuldigen Außenseite. Ihr eigentliches Streben ging aber, wie ich dir sagen muß, entschieden in hochverräterischer Richtung. Mit Recht sagte Tiberius zu Agrippina: »Meine Tochter, du glaubst unrecht zu leiden, wenn du nicht herrschen kannst.« Sie dachte in der Tat an nichts anderes als daran, zur Macht zu kommen. Da es durch den Gatten nicht gelungen war, sollte es durch einen der Söhne geschehen. Aber was stand darüber in den Sternen geschrieben? und was wußten diese von der Lebensdauer des ihr verhaßten Tiberius zu sagen, dessen Tod die unerläßliche Vorbedingung war? Diese Fragen beschäftigten auf das lebhafteste sie und ihren ganzen Anhang, das heißt das halbe Rom und mehr. Man hatte in Erfahrung gebracht, daß ich, der Astrologe des Tiberius, mich in den größten Geldverlegenheiten befände. Dem Angebot, das man mir machte, hätte ich selbst unter weniger verzweifelten Umständen schwerlich widerstehen können.

In dem ersten Punkte konnte ich mit gutem Gewissen der Agrippina nach dem Willen reden. Denn wenn ich die Zeichen richtig gedeutet, so muß ich heute wie damals des Glaubens sein, daß einer ihrer Söhne den Thron besteigen werde – ich, der ich aus dem Osten komme, scheue mich nicht, geradeaus diesen Ausdruck zu gebrauchen. Und zwar glaube ich, daß es der von dir, o Telemachos, mit so großer Begeisterung erwähnte Cajus sein wird, den sie Caligula nennen. Dagegen bezweifle ich sehr, daß dies des Heransehnens wert sei, da ich vielmehr meine, erforscht zu haben, daß er eines der größten Scheusäler werden wird, das die Welt gesehen hat.

Diesen Teil meiner Voraussicht verbarg ich freilich der zärtlichen Mutter.

Wann aber würde das geschehen?

Auch in diesem Punkte redete ich ihr nach dem Willen, freilich mit sehr schlechtem Gewissen. Was hätte aber der erstere genützt, wenn ich hinzugefügt hätte, Tiberius würde das höchste Greisenalter erreichen? Das Scheusal hätte mir Agrippina vielleicht verziehen, aber diesen Zusatz nicht. Zärtliche Mutter, wie sie war, kam es ihr doch vor allem darauf an, selber zu herrschen. Daß der kleine Soldatenstiefel einmal nach ihrem Tode vom Thron aus seine Sohle den Kriechern zum Lecken darbieten werde, wäre ihr ein geringer Trost gewesen. Also versicherte ich ihr, daß die Sterne dem Tiberius nur noch ein paar Jahre gäben.

Ich schwamm nun in Gold, aber die Freude war nicht von Dauer. Ich wurde verhaftet. Die Sache war entdeckt. Zeugen wurden gestellt, mein hartnäckiges Leugnen nützte nichts, ich wurde zum Tode verurteilt. Tiberius war wütend, besonders weil ich der Agrippina das Entgegengesetzte vorausgesagt von dem, was ich ihm versichert hatte: ich habe mit der höchsten Wissenschaft Spott getrieben! Von ihm war also keine Gnade zu erhoffen.

Du wirst mir sagen, ich hätte dennoch guten Mutes sein können, da ich aus den Sternen doch meine eigene Lebensdauer kennen müsse. Es ist jedoch bekannt, daß während der Astrologe bei allen Anderen klar sieht, es für ihn mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, sein eigenes Schicksal in den Sternen zu lesen; was dem zu entsprechen scheint, daß der Mensch nach außen klar sieht, nach innen sich aber alles verdunkelt. So fühlte ich mich denn hier keineswegs sicher. Ich glaubte zwar, von hohem Alter in ruhiger wenn auch nicht ganz unbedrohter Lage gelesen zu haben – konnte mich jedoch darin irren.

Zu meinem Glück war der Gefängniswärter ein Mann, der die hohe Wissenschaft ebenso sehr wie Tiberius verehrte, nicht aber wie er jeden Tag Gelegenheit hatte, die Sterne um Rat zu fragen. Er behandelte mich mit der größten Ehrerbietung und erleichterte meine Gefangenschaft auf jede Weise; dafür wollte er nun herzensgern sein Horoskop gestellt haben. Ich tat ihm den Gefallen und offenbarte ihm, es sei durch eine seltsame Kreuzung der Sternenbahnen so verfügt, daß seine Sterbestunde mit der meinigen genau zusammenfalle. Nun flehte mich der Mann, ein braver Familienversorger, weinend an, doch ja mein teures Leben zu retten, und stellte mir behufs dessen die offene Gefängnistür zur Verfügung.

Auch diesen Gefallen tat ich ihm, wie du siehst. Herzlich hoffe ich, daß meine Prophezeiung sich bewährt, so daß jene offene Tür nicht für ihn der Eingang zum Hades wurde, sondern er noch heute so gut lebt, wie ich es tue. Vor etwa zwei Monaten wird er dann freilich wohl sein Leben gefährdet gefühlt haben; denn da erkrankte ich auf bedrohliche Art. Die bewährte Kunst unseres Äsculapius hat mich jedoch heil durchgebracht.«


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