Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Drittes Kapitel

Die Heirat des Rufus

Eine geraume Weile verstreicht, bevor Rufus seinen Kopf aus den Händen erhebt.

»Ich muß weit zurückgehen, um dir das begreiflich zu machen – nicht um jemand zu beschuldigen, am wenigsten die arme Fulvia – glaube das nicht –«

»Sie war nicht schuldig! Sie hat dich nicht betrogen; ich kann mir das nicht denken!«

Rufus' Hand legt sich beruhigend auf seine Schulter:

»Höre mich ruhig an, Marcus. Ich sage nichts, um meine Schuld abzuschwächen – bei dem da, der die Unwahrheit und am meisten die Verstellung haßte, wozu die Welt ihn oft genötigt hat: ich will dir nur die Wahrheit sagen und nichts beschönigen. Das ist wohl das einzige Gute an diesem Ort, daß diese Untugend aus unserem Bezirke verscheucht ist, wenn auch die Wahrheit an dieser unheiligen Stätte zur Fratze der Schamlosigkeit wird.«

Er schweigt fast eine Minute lang. Das Zusammenziehen seiner herabhängenden Brauen zeigt zur Genüge, wie schwer ihm das Sprechen fällt.

»Du hast ja gewiß gehört, daß deine Mutter eine sehr nahe Freundin jener Julia war, – ich meine die ältere Julia, – die sein Unglück wurde.«

Das betonte »sein« wird von einem unter den Brauen hervorschießenden, aufwärts nach dem Standbilde gerichteten Blicke begleitet.

»Ihr Betragen in Rom, nachdem er sich nach Rhodos zurückgezogen hatte, war ja noch viel später Stadtgespräch, so daß es dir nicht unbekannt geblieben sein wird; obwohl du noch die Kinderschuh anhattest, als Augustus sich genötigt sah, die verhätschelte und mißratene Tochter in die Verbannung zu schicken. Deine Mutter war nun diejenige unter den vornehmen Damen Roms, die noch am ehesten die glänzende Rolle ihrer gefallenen Freundin im Gesellschaftsleben weiter spielte.

Ihr Haus wurde der Sammelpunkt für die feine Welt und das neue Zeitgeschlecht, für die ganze Partei Julias, die ich kurzweg als die Anti-Tiberische bezeichnen will, für alles, was im Zeichen der Neuzeit lebte und webte und sich asiatischem Luxus und weichlicher Lebensverfeinerung hingab. Besonders gaben dort die Schöngeister den Ton an, an ihrer Spitze ihr Liebling Ovidius, der ihr dann auch in galanten Gedichten huldigte. Wohl traf ihn der Zorn Augustus' wegen all dieses sittenlockernden Wesens, und als der zweite Julia-Skandal ihn bloßstellte, mußte er in die Verbannung gehen; aber es waren da noch viele kleine Lichter, deren Glanz wohl kaum die Nachwelt erreichen mochte.

Ich war Witwer, und mein Heim erschien mir verödet, als mich ein Freund, um mein Gemüt zu erheitern und mich zu zerstreuen, in diesen leichtlebigen, glänzenden Kreis einführte. Dieser übte bald einen starken Reiz auf mich aus, zumal deine Mutter, die sehr einnehmend sein konnte, mir mit der größten Zuvorkommenheit begegnete. Aber im Grunde meines Herzens fühlte ich wohl, daß ein fremder, feindlicher Geist mich dort anwehte und daß ich nicht da hineingehörte.

Deutlich genug wurde mir das von Tiberius gesagt, der damals noch Mitregent war. »Was willst du denn dort?« fragte er dann meist. »Fühlst du denn nicht, daß alles, was uns sonst hehr und teuer war, von diesen Leuten zum alten Eisen geworfen, ja in den Schmutz gezogen wird? Unsere Catos und Cincinatusse, wie sie spötteln – führen sie diese Namen nicht immer im Munde, um sie zu sprichwörtlichen Lächerlichkeiten zu stempeln? Geh nicht mehr hin! Ernste Arbeit im Dienste des Gemeinwohles wird dir auf die Dauer besser zur Gemütsruhe und Heiterkeit verhelfen als all die leichtfertige Kurzweil dieser Gesellschaft. Wohl weiß ich, daß ihre Versemacher und ihre dirnenhaft geschminkten Frauenzimmer ein gar süßes Gift zusammenbrauen, o ich kenne das! Hüte dich, Rufus! wahre deine stolze Männlichkeit, trinke es nicht!«

Ich sah wohl die Wahrheit solcher Rede ein. Aber ich hatte schon zuviel von dem süßen Gifte genossen.

›Es ist schon so, wie er sagt,‹ dachte ich, ›es ist ein blumenbedeckter Sumpf. Giftblumen sind es sonst mehr oder weniger, aber unter ihnen strahlt die reinste Lilie, die je dem gesündesten Boden entsproß.‹

Deine Schwester war mir zuerst nur ein holdes Kind gewesen. Nun war sie schon zur Jungfrau emporgeblüht. Ich konnte mich nicht mehr von dem Kreise losreißen, wo ich ihr begegnete.

Du weißt, daß deine Eltern zwar einer vornehmen, aber keineswegs reichen Familie angehörten. Mit dem Aufwande, den deine Mutter machen mußte, um das rauschende Leben zu führen, das ihr so nötig wie die Luft zu sein schien, wurde es ihr immer schwieriger, die erforderlichen Mittel aufzutreiben. Ich aber war reich; in einer Zeit, wo so viele Senatoren durch die Nachwirkungen der Bürgerkriege verarmt waren, durfte ich sogar als sehr reich gelten. Von Hause aus begütert, hatte ich durch meine Frau noch ein zweites Vermögen erhalten. Mein Verhältnis zu Tiberius, der nun bald Princeps werden mußte – denn mit dem teuren Leben des Augustus ging es sichtlich zu Ende – war hinlänglich bekannt. Vielleicht gab es keine Familie in Rom, in der ich nicht als Schwiegersohn willkommen gewesen wäre; deiner Mutter vollends erschien ich als ein rettender Geist, und als solcher wurde ich in ihrem Hause behandelt. Auch die anderen Hausfreunde mußten sich auf diesen Ton einstellen. Man ergriff nun, wenn ich anwesend war, jede Gelegenheit, Tiberius, den sie in ihrem Herzen haßten, zu loben. Er habe ohne Zweifel seine Fehler, wie sie ja jeder Sterbliche hat – wenn anders man ihn diesen beizählen dürfe – und es sei schade, daß seine Anschauungen so überaus veraltet seien; aber sei er denn nicht der größte Feldherr und auch der einzige Staatsmann, wenn uns der göttliche Augustus verließe? Wie sehr habe dieser recht, wenn er immer den Vers des Ennius auf Tiberius anwendete:

Ein Mann ganz allein hat wachend den Staat uns gerettet

– und so weiter – Reden, die geführt wurden, um mich im Hause heimisch zu machen, zum Teil aber auch darauf berechnet waren, durch mich dem Tiberius zu Ohren zu kommen.

Und deine Schwester – ach Marcus, ich war töricht genug, manchmal zu glauben, daß ihr klarer, sinniger Blick in mir trotz meiner schon ergrauten Haare und meines schwerfälligen Wesens etwas Tieferes und Echteres sähe als in den glänzenden jungen Männern, die sie umschwärmten.«

»Nicht töricht, Titus. Ich schied ja freilich damals aus dem väterlichen Hause, um meinen ersten Kriegsdienst anzutreten – –«

»Und wohl dir, daß du schon so jung aus jenem üppigen Dunstkreis hinauskamst, um in die strenge Männerschule der Kriegszucht zu gehen und darin zu bleiben!«

»Gewiß war mir das gut! Ich hatte vielleicht schon zu viel in jener gefährlichen Luft geatmet. So wurde ich denn nicht Zeuge deines Freiens, noch eures Verkehrs in der unmittelbar vorhergehenden Zeit. Wohl aber weiß ich, wie hoch Fulvia dich schon schätzte, als ich noch zu Hause war. Keiner der jungen Laffen durfte sich in ihrer Gegenwart einen Scherz auf deine Kosten erlauben.«

»Ja ja, ich glaube dir das gern. Aber töricht war ich doch, auf solch freundliches Wesen trügerische Hoffnungen zu bauen ... Nun, Tiberius sah bald, wie die Dinge lagen und redete mir ernstlich zu. Er sprach von meiner ersten Heirat, die in ruhigem Eheglück, an der Seite einer gleichgesinnten edlen Frau dahingeflossen war und von meinen Kindern, der Tochter, die gerade einen würdigen jungen Senator geheiratet hatte, den beiden Söhnen, die ihren soldatischen Dienst antraten: ich sei ihnen schuldig, wenn ich eine neue Ehe einginge – was er durchaus richtig finde – dafür zu sorgen, daß sich diese der ersten würdig gestalte. Dies würde ich, soweit es in menschlicher Macht stünde, tun, wenn ich mir meine Braut in einer der alten, treu gebliebenen Familien suchte, wo dieselben Hausgötter, die meinen eigenen Herd geschützt, heilig gehalten wurden. Auch sollte ich kein blutjunges Mädchen heimführen, da es doch genug begehrenswerte Witwen und geschiedene Frauen gebe und nur eine reifere Frau meinem ganzen Wesen angemessen sei.

Anstatt auf den weisen Rat des Freundes zu hören, sah ich darin nur den Eigenwillen des Herrschers.

›Du willst mir nicht erlauben, auf meinem eigenen Wege das Glück zu suchen,‹ sagte ich.

›Wenn es nur dein eigener Weg wäre!‹ entgegnete er.

Ein tiefes und wahres Wort, das leider ein verschlossenes Herz fand.

Empfindlich verwundet durch die etwas schonungslose Art, in der er meine eitle Hoffnung, bei einer jungen, von der ganzen vornehmen römischen Jugend umworbenen Dame Gegenliebe zu erwecken, lächerlich gemacht hatte, ließ ich mich zu einer Äußerung hinreißen, die ich fast bereute, bevor sie noch ganz ausgesprochen war.

Ich fragte ihn, ob er denn selber Grund habe, so zufrieden zu sein, in der Entscheidungsstunde seines Lebens auf die Stimme der Vernunft statt auf die seines Herzens gehört zu haben. Als er seiner ersten, geliebten Frau den Scheidebrief schrieb, um die leichtfertige Tochter des Augustus zu heiraten, habe er seine Liebe seinem Ehrgeiz geopfert. Das höchste Ziel menschlichen Ehrgeizes habe er jetzt erreicht: – sei er so sicher, die richtige Wahl getroffen zu haben?

Ich erschrak, als ich diese dreiste Frage stellte.

Sein Gesicht wurde blaß und starr wie Marmor.

Er antwortete nicht, sondern verabschiedete mich mit einer Handbewegung, die besagte, daß er es aufgebe, mir zu helfen.

So fand denn die Hochzeit statt.

Mehr als ein Jahr genoß ich das ungetrübte Glück meines Wahnes. Dann kam die Zeit, wo mich unmerklich, aber immer dringlicher das Gefühl überschlich, als gleite meine Frau von mir weg. Unsere Ehe schien kinderlos zu bleiben. Aber das war es nicht. Nicht der Kindesgeist war es, der zwischen uns als Band fehlte. Der Geist der Mutter war's, der sich als Schranke zwischen uns stellte.

Immer öfter war Fulvia im mütterlichen Hause zu finden, immer häufiger wurden die Besuche ihrer Mutter in dem meinigen.

Als ob ich ihren vertrauten Gesprächen gelauscht hätte, so genau wußte ich, worauf diese mütterlichen Ermahnungen ausgingen:

›Hast du etwa einen alten, steinreichen Senator und Freund des Herrschers geheiratet, um dich mit ihm in einem Familienmausoleum zu begraben und eine römische Tugendmatrone alten Musters zu werden? Ich meine, du hast es getan, um in der glänzenden Gesellschaft den ersten Rang einzunehmen, der dir gebührt; um ganz Rom zu deinen Füßen zu haben, den Allerweltsreigen anzuführen auf dem Blumenpfad einer neuen, goldigen Friedenszeit.‹

Ich glaube sicher, daß Fulvia lange ihr Ohr gegen solche leichtfertige Rede verschloß; ich weiß aber auch, daß das mütterliche Gift ihr nach und nach ins Herz drang. Bald war sie wieder von ihrem ganzen Hofstaat und ihrer alten Leibgarde umgeben, wo man sie auch sah, im Theater oder Zirkus und bei öffentlichen Aufzügen, sowie im Hause der Mutter, ja sogar auch in meinem eigenen. Denn viele von diesen jungen Leuten gehörten ihrer großen Familie an, und diesen konnte ich nicht wohl mein Haus verschließen. Sie machten ihr in der auffälligsten Weise den Hof; denn daß sie jetzt eine verheiratete Frau war, bildete ja für diese Herrchen kein Hindernis, sondern stachelte sie vielmehr zu noch größerer Dreistigkeit auf.

Unter ihnen war auch ein gewisser Varro. Er entstammte einer mäßig begüterten Ritterfamilie und hatte sich gerade damals einen kleinen Dichternamen geschaffen. Als echter Schüler des Ovidius war er ein Liebling deiner Mutter. Ich sehe sie noch ihm mit ihrem ringgeschmückten Finger drohen, als er sich rühmte, die ›Liebeskunst‹ des verbannten Meisters durch die Dreistigkeit eines Werkes, das er unter der Feder habe, nächstens in den Schatten stellen zu wollen. Den Namen meiner Frau mit einem solchen Mann in Verbindung gesetzt zu sehen, war mir besonders peinlich.

Bei der Heirat hatte deine Mutter Fulvia eine griechische Sklavin mitgegeben, ein gescheites, in vielen Arbeiten und Künsten wohlbewandertes Mädchen, wie die Damen sie gern um sich haben – aber sie ist ja sogar deine Jugendgespielin gewesen, und du hast sie auch später in meinem Hause gesehen: wahrlich, du wirst die schöne Phöbe nicht ganz vergessen haben.«

Hätte er seinen Schwager angesehen, würde ihm das brennende Rot, das durch die bronzefarbenen Wangen bis in die Schläfen hinaufschoß, auffällig genug gewesen sein. Aber zu trübe Gedanken beschäftigten ihn und senkten fast die Brauenbüsche über die Augen.

»Nun wohl, dieses Geschöpf einer lächelnden jonischen Insel war mir bis in den Grund der Seele zuwider. Kein Zweifel, daß sie angestellt war, um der alten Herrin bei der neuen zu dienen und den mütterlichen Einfluß aufrecht zu erhalten, so daß, auch wenn die Mutter nicht anwesend war, ihre Stimme doch dem töchterlichen Ohre aus dem wohlklingenden griechischen Organ ertönte. O, nur zu wohl haben wir unsere Nemesis verdient, wenn wir betrogen und verraten werden, wir, die wir uns zu verfeinert dünken, um mit unserer ehrlichen italischen Dienerschaft zufrieden zu sein, und Luxuswesen aus dem Osten einführen: Griechen aller Stämme, Syrier, Ägypter und Äthiopier, um unseren lasterhaften Üppigkeiten und verzärtelten Lebensgewohnheiten zu dienen! Vom ersten Augenblick an sagte mir ein Gefühl, daß, wenn Unheil kommen solle, es durch dieses Griechenmädchen mit den katzenhaft einschmeichelnden Bewegungen käme. Und gekommen ist es – durch sie.«

Bei diesen Worten fährt Marcus auf, wie durch einen plötzlichen und furchtbaren Gedankenblitz emporgescheucht – ein Ausruf, eine Frage drängt sich auf seine Lippen ... aber er sinkt wieder zurück, streicht sich abwehrend mit der Hand über die Stirn und lächelt sogar, wie einer, der sich selber bemitleidet, weil er vor einem gar zu sinnlosen Einfall erschrickt.

Rufus ist noch immer zu tief in seine traurigen Erinnerungsbilder versunken, um diese Bewegung seines Zuhörers zu bemerken.


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