Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Siebentes Kapitel

Was die Sirenen sangen

»Ja, Rufus, ich gehe von hier nach Capreä zurück.«

»Nach dem, was du der Germanenjungfrau sagtest, hatte ich das schon gefürchtet.«

»Weshalb gefürchtet

»Ich muß das um Roms willen bedauern.«

»Schlecht geantwortet. Du hättest sagen müssen: ›Um meinetwillen bedaure ich's.‹ Worauf ich geantwortet hätte: ›Du gehst mit.‹ Sie wollte mir nicht folgen. Du aber mußt. Ich nehme keine Weigerung an. Auf jeden Priestereinwand erfolgt das Wort: ›Cäsar hat gesprochen.‹«

Rufus neigt den Kopf.

»Du bist sehr gütig, Cäsar.«

»Von Güte ist keine Rede. Aber ich will etwas von dieser Reise haben. Die Wahl der Villen, die sie verschmähte, geb' ich auch dir. Es sei denn, daß du vorziehst, bei mir zu wohnen.«

»Ich würde das gewißlich vorziehen.«

»Gut. Mir auch lieber. Nur ein Bedenken ist da.«

»Darf ich fragen, welches?«

»Du darfst. Nach dem was ich heute sah und hörte, habe ich dich im Verdacht, daß du recht oft dort an eurem ›Opfersprunge‹ gestanden und den Schwindel hast auf dich wirken lassen und dich selbst gefragt, ob du nicht lieber nachgeben solltest und dich hinunterziehen lassen. Hab' ich recht?«

»Du warst von je ein Herzenskenner, Herr!«

»Nun – dies eben ist das Bedenken. Hier hast du dich freilich bis jetzt mannhaft der Schwindelversuchung entzogen. Aber der ›Opfersprung‹ bei meiner Lieblingsvilla auf der östlichen Spitze Capreäs ist ganz anders gefährlich – vielmal höher! Auch schaut man dort nicht in einen waldumfaßten Binnensee, sondern der Blick schweift über die grenzenlose Bläue des Meeres – nur an einer Stelle dämmert aus dem Dunst die Küste Italias hervor ... Ein paar rosige Felseninselchen sind dort vorgelagert, und einer meiner Grammatiker behauptet sogar, das seien die Inseln der Sirenen. Fast glaub' ich ihm, denn manchmal ist es, als tönten von dort drüben her sehnsuchterweckende Klänge, die einen hinausziehen wollen ins Unbegrenzte, Unendliche, Allesverschlingende. Kurz, eine sehr gefährliche Stelle. Du mußt mir in die Hand geloben, sie zu meiden.«

»Keine Furcht! Ich bin ein alter Soldat. Ich verlasse meinen Imperator nicht.«

»Das Wort genügt. Übrigens, am Ende sind die Sirenen verstummt; haben sich selber in den Abgrund gesungen und sind ertrunken. Denn dein Schwager hat dir wohl von seinem Erlebnis bei Palodes erzählt: daß der große Pan gestorben ist? Nun, ich denke, dem Herrn muß die Dienerschaft folgen, und vielleicht gehörten auch die Sirenen zu seinem Gefolge. Aber wer weiß, ob sie es tun? Man muß die Grammatiker fragen.«

»Werden sie dir darauf besser antworten können, als damals, wie du sie fragtest, was wohl die Sirenen sangen?«

»Ach, du besinnst dich noch darauf? Freilich, das konnten sie nicht beantworten. Denn sie hatten zwar alles gelesen, was über die Sirenen geschrieben worden ist, aber kein Ton des Sirenenliedes war je an ihr Ohr gedrungen.«

»Und was hätten sie wohl gehört, wenn das geschehen wäre?«

»Schwierig zu sagen, Rufus, schwierig zu sagen! Denn jeder hört das Lied anders, glaub' ich, und dennoch in einem gewissen Sinne dasselbe. Anders hat es Odysseus, der verschlagene Krieger, in der Stille des Meeresrauschens vernommen, anders der Argonaute Butes, ein frommer Athenepriester, der die Sirenen nur undeutlich durch mächtiges Saitenspiel hindurch zu hören bekam; denn Orpheus stand hoch im Stern des Schiffes und schlug die Leier mit Macht, um die Stimmen der Versucherinnen zu übertäuben. Dennoch aber sprang Butes vom Bord und schwamm den Singenden entgegen, und Odysseus hätte dasselbe getan, wäre er nicht an den Mast gebunden gewesen. Wenn ein Mann wie jener Galiläer – ja, dein Schwager hat dir wohl von ihm erzählt, den Pilatus hinrichten ließ?«

»Gewiß. Und auch von deinem Ausspruch, den er nicht zu deuten wußte: ›Auch einer, zu dem das Lied der Sirenen gedrungen ist.‹ –«

»So sagte ich. Nun, ein solcher träumt und schwärmt vom Reiche Gottes und spricht schöne und unmögliche Dinge darüber, so daß er selber und auch andere meinen, er sei Gottes Sohn; bis seine eigenen Glaubensgenossen daran Ärgernis nehmen und rufen: »Kreuzigt ihn!« Hört es ein Apelles, dann steigen, denk' ich mir, vor seinem innern Auge Bilder von so leuchtenden und zarten Farben auf, wie wir sie in der Perlmutterschale dämmern und schimmern und brennen und glühen sehen – Farben, wie sie noch nie mit Wachs vermischt und auf die Tafel gesetzt wurden. Und was wir von seiner Hände Werk kennen, ist nur ein matter Abglanz solcher Visionen. Aber selbst um diesen hervorzubringen hat er seine Seele in Sehnsucht verzehrt.«

»Ich glaube, dich zu verstehen. Und wenn ein Horatius – –«

»Ach, der gute Horatius! Ja, hätte der sie gehört, glaube mir, er hätte keinen Mäcenas gefunden. Keine Villa im Sabinergebirge – keinen Falerner im Keller – keine Bestellungen auf Säkularfeier-Oden seitens eines gnädigen Augustus – –«

»Und wenn dieser Augustus selber – der geborene Herrscher – –«

»Ja, Augustus!«

»Du liebtest ihn,« bemerkt Rufus, der in dem Tone der Stimme, womit Tiberius den Namen seines Stiefvaters ausspricht, nicht nur Bitterkeit, sondern sogar ein wenig Geringschätzung zu vernehmen glaubt.

»Und fand wenig Gegenliebe, wie der Germane eben so wahr wie schonungslos sagte.«

»Um so mehr bedeutet es, daß du immer mit solcher Ehrfurcht zu ihm emporblicktest.«

»Er war – wie du soeben sagtest – ein geborener Herrscher. Und du meinst, wenn ein solcher den Gesang der Sirenen vernimmt?«

»Das eben meint' ich.«

»Aber er! O er hat sich wohl gehütet, und meine Mutter, Livia, die hat ihn noch sorgfältiger gehütet. Sie war eine fleißige Hausfrau und wußte: doppelt genäht hält besser; und so hat sie sich nicht damit begnügt, ihn an den Mast des Staatsschiffes festzubinden, sondern ihm auch noch die Ohren mit Wachs verstopft. Keinen Ton hat er gehört, und so konnte ihm manches gelingen, eigentlich alles ... Aber wie verhält sich's mit dem großen Julius? Sollte er nicht die Sirenen gehört haben, Rufus?«

»Ich dächte, es sähe ihm nicht ähnlich, sich die Ohren zu verstopfen.«

»Und wenn er sie gehört hat: wohl ihm, daß ihn rechtzeitig – kaum daß er sein Reich gegründet – die Dolche der Verschwörer trafen! Ich sage dir, sie waren mild und gütig, den Dolchen verglichen, die früh und spät die Eingeweide der Herrscherseele durchwühlen, die jenen Tönen gelauscht hat; in deren Tiefe sie das unendliche Traumbild des Weltreiches erweckten, eines Reiches der Gerechtigkeit, der Völkerbeglückung, eines Aufblühens der schon verblichenen Bürgertugenden unter seinem Szepter – einer Herrschaft – nicht über Sklavenseelen – nicht – –«

Die Worte ersterben auf seinen murmelnden Lippen, sein Kopf sinkt vornüber in seine Hand, als ob der goldene Eichenkranz, der im Mondlichte seltsam glitzert, ihn niederdrücke.

Innig ergriffen blickt Rufus auf ihn hinab. Die tiefe Tragik im Leben seines hohen Freundes hat sich in diesem Ausbruche deutlicher denn je enthüllt.

Erst nach einer Weile wagt er es, das Schweigen mit leiser Stimme zu unterbrechen: –

»Und doch kehrte Odysseus, der das Sirenenlied gehört hatte, zurück nach Ithaka und lebte dort im Frieden.«

»Wissen wir das so sicher?«

»Ich denke, Homeros gibt uns das deutlich genug zu verstehen.«

»Aber er schlief bisweilen, der gute Homeros, und ist wohl am Ende des Werkes eingenickt. Nein, alter Freund, mir hat ein gelehrter Grammatiker etwas anderes erzählt, das mir weit mehr einleuchtet. Wie? Nachdem er auf dem Meere solchen Sehnsuchtstönen lauschte, hätte er dann noch ruhig zu Hause bleiben sollen, bei seiner Ehefrau, die denjenigen Freier heiraten wollte, der ihr das reichste Geschenk darbrachte, und die ihn wegen seines schlechten Mantels nicht einmal erkannte – was doch sein Hund tat –, o, da hat Homeros nicht geschlafen, als er vom Hunde Argos dichtete! Denke dir: zehn Jahre hat Odysseus der Heimat zugestrebt, und was war nun dort für ihn zu tun, nachdem er Strafgericht über die Freier gehalten und die ungetreuen Dienerinnen in einer Reihe hatte aufhängen lassen? War dies das Ende des kühnen Seeadlers, als ein Zaunkönig unter anderen auf seinem Inselchen zu sitzen und Streitigkeiten über einen gestohlenen Hammel oder einen gerückten Grenzstein zu schlichten? Nein, er lauschte jenen Klängen, die ihm im Ohr geblieben und ihn in die Weite zogen. Er stieß sein Schiff wieder in die Wellen, und mit wenig Getreuen spannte er die Segel westwärts, und noch jenseits der Säulen des Herkules lenkten sie den Kiel ins Unbekannte, Niebefahrene, immer der Bahn des Helios folgend, auf der Suche nach der Insel der Seligen. Und das weiß niemand, ob sie jenes Eiland erreichten, oder ob sie das Wellengrab verschlang, oder ob sie noch immer segeln, ewig ein ewig fliehendes Ziel verfolgend.«

In der Lebhaftigkeit seiner Erzählung hat Tiberius sich gegen Rufus gewendet, der an seiner linken Seite, vom vollen Mondlichte beleuchtet, dasteht.

Jetzt richtet er unwillkürlich seinen Blick westwärts, als ob er im Geiste den kühnen Seglern folgte.

Draußen vollendet in diesem Augenblick die Galeere ihren Lichterschmuck.

Vier schlanke, hochaufragende Dreifüße bezeichnen die Ecken des obersten, kürzesten Verdecks, das fast gänzlich vom Thron eingenommen wird. Sie tragen kupferne Räucherpfannen. Drei lodern schon; aus der vierten züngeln gerade jetzt goldige Flämmchen empor.

Über den vier mächtigen Fanalen aber wölbt sich eine Wolke, die, von unten beleuchtet, wie eine rosige Kuppel den ganzen Lichterbau krönt.

Sein Widerschein ergießt sich über die Seefläche. Bis hinein in das Geflecht der Äste und Stämme des Olivenhaines zu ihren Füßen, wo das Wasser vom nahen Egeriafalle in ewigem Zittern gehalten wird, flimmert und glitzert das fließende Gold.

»Siehe, die beiden lenken jetzt meine goldene Galeere aus diesem stillen Ithaka-Hafen hinaus in den Ozean der Unendlichkeit. Wird er sie mit seinen Ewigkeitswellen verschlingen? Werden sie an der Insel der Seligen landen?«

Rufus will etwas antworten, aber die erhobene linke Hand des Tiberius gebietet ihm Schweigen und Lauschen!

In der Tat schwebt ein leise tönender Klang geisterhaft von jenem strahlenden Bilde herüber.

Er schwillt an, zwei Stimmen treten aus ihm hervor – trennen sich – finden sich wieder – steigen innig vereint empor und erfüllen die ganze schweigende Runde mit ihrem jauchzenden Wohlklang.

Caligula hat sich in seiner Erwartung nicht getäuscht!

Es ist die wilde, herrliche Weise aus den Wäldern Germaniens, vom kundigen Schmiede, der sich Flügel schuf und sich aus dem Gefängnis emporschwang, mit seiner geliebten Schwanenjungfrau, seiner Siegesgöttin, zu lichten Höhen hinaufschwebend.

Über die gefurchte Wange des alten Priesters rinnt eine Träne in die silberne Bartfülle hinab.

Tief seufzt er auf: –

»Germanengesang – Schwanengesang!«

»Germanengesang – Sirenengesang!« ruft Tiberius. »Über solche hätte ich herrschen mögen!«


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