Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Drittes Kapitel

Die fremde Weise

Die Beiden spähen nicht nur, sie lauschen.

Töne schweben auf dem lauen Winde von drüben her.

Hat auch der Binnensee seine Sirenen-Insel?

Aber die eine Stimme des Zweigesanges ist männlich – so tief und voll wie die andere klar und leuchtend ist.

Liebkosend umschlingen und umspielen sie einander und die schlichte Melodie, wie das Schlangenpaar sich selbst und den Hermesstab. Und beschwingt wie dieser, scheint die wundersam geheimnisvolle Weise von weit, weit hergeflogen zu sein; ein fremder Vogel, dessen Märchennest in keinem Pinien- oder Zypressenwipfel schwebt, auf keinem Ölzweig sich wiegt; aus einem anderen Himmelsstrich stammend als diesem der tiefen, gesättigten Bläue.

»Meine Augen sind nicht mehr was sie waren,« seufzt der Alte, die Rechte von den Brauen hinuntersinken lassend. – »Deine sind jung. Kannst du sie sehen?«

»Sicherlich ... Siehst du den purpurnen Fleck mittschiffs? Das ist der Thron.«

»Als ob ich nicht die Einrichtung der goldenen Galeere kennte! Den Thron seh' ich schon.«

»Nun wohl. Die mächtige Gestalt des Tiberius ist tief in die Kissen zurückgesunken. Vor ihm steht das singende Paar. Jetzt dreht sie den Kopf – der Haarknoten leuchtet – er muß so golden sein wie irgendein Zierat der Galeere.«

Der Alte hat wieder seine Brauen mit der Hand beschattet, schüttelt aber mißmutig den grauen Kopf.

»Damit mag es seine Richtigkeit haben, wenn ich's auch nicht gewahr werde. Denn ich sehe den goldigen Lockenkopf des Kindes noch vor mir. Ein lieblicheres Mägdlein konnte niemand erblicken als die Kleine, wie sie bei Germanicus' Triumph an der Hand der hehren Thusnelda einhertrippelte. Ich werde den Anblick nicht leicht vergessen, denn jenes Schauspiel war das letzte, das Rom mir geboten hat. Schon in den nächsten Tagen schloß dies Gefängnis sich um mich.«

Er schweigt eine kurze Weile.

»Vierzehn Jahre sind's her. Sie mag jetzt zu einer schönen Jungfrau herangewachsen sein.«

»Hochgewachsen ist sie und gerade wie eine Säule.«

»Wie ihre Muhme Thusnelda. Wer sie nicht gesehen, hat nur die Hälfte der Weiblichkeit geschaut, nicht die andere, die goldhaarige und, mich dünkt, die edelste. Kein Wunder, daß Arminius gänzlich wild wurde und Waffen aus der Erde stampfte, als der alte schlaue Segestes sie uns überlieferte.«

»Segestes war für einen Germanen ein edler Mann, sagt man.«

»Er war uns treu. Aber ein böser Streich bleibt es doch, seine eigene Tochter und die Gattin des großen Arminius, von dem sie ein Kind unterm Herzen trug, uns auszuliefern, damit sie beim Triumphzuge vor dem Wagen des Germanicus einherschreiten könne. Und bei Jupiter, stolzer ging keine Königin in ihrem eigenen Schloßhof, als sie durch die Straßen Roms.«

»Die glorreichste Trophäe, die der Bezwinger Germaniens heimbringen konnte.«

Der Alte lacht, rauh und höhnisch.

»›Bezwinger Germaniens‹ – darüber wüßten wohl die Beiden drüben ein anderes Lied zu singen – ein Lied vom Befreier Arminius, wie es vom Teutoburger Wald bis zum Ufer des Rhenus klingt. Doch lassen wir den Römern ihren Wahn und ihre Triumphzüge ... Wer mag wohl aber der sein, der seine Stimme mit der ihrigen mischt? Sicherlich ein Germanensproß.«

»Es wird ein gewisser Segismundus sein, ein Fürstensohn aus dem Lande der Chatten, der hier als Geisel lebt. Man hat viel von seiner herrlichen Stimme gesprochen. Er steht hoch in Gunst bei Sejanus. Man sagt, dieser habe ihn für eine hohe Stellung in Aussicht genommen. Er werde sich mit seiner Hilfe eine besondere germanische Leibgarde bilden. Denn die Germanen sind treu.«

»Treu sind sie ... und ihre Frauen auch.«

Bei diesen Worten hebt und senkt ein tiefer Seufzer die mächtigen, etwas gebeugten Schultern des Greises.

»Wer er auch sein möge, gern möchte ich stehen wo er steht und dieser Thusnelda Aug' in Auge blicken, wenn sie ihrer hehren Muhme und Namensschwester ähnlich sieht.«


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