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Weil ich Blumen gepflückt
Bis zum letzten Strauß
Und den Psalter noch schlug
Unter'm Abendstern,
Dünkt euch meine Muse
Ein harmlos Kind,
Mit blöden Blicken
Ins Blaue lächelnd;
Schein' ich euch selber
Ein Kind am Geist,
Mit Kindern träumend,
Für Kinder singend,
Aber der Menschheit den Puls zu fühlen,
Tapfer zu schauen in des Daseins Abgrund,
Mitzusprechen im Chore der Männer
Nicht Manns genug.
Vielleicht doch, ihr Stolzen,
Kennt ihr mich schlecht! –
Glaubt ihr, ich habe nimmer entdeckt,
Was unter Blumen die Erde birgt:
Eckles Gewürm,
Finstres Geklüft,
Moder und Grab und Verwesung?
Meint ihr, ich kenne die Nächte nicht,
Da der letzte Stern am Himmel erlosch,
Lichtlos, trostlos, friedlos,
Die öden Nächte des Zweifels?
Wähnt ihr, auf sammetbelegten Stufen
Steige man auf zum achten Jahrzehent?
Oder die Sonne der Freude seis,
Die zu Silber bleicht ein braunes Gelock?
Wähnt ihr, mir sei er nie begegnet
Auf einsamen Gängen,
Des Todes grauser Triumphzug?
Wenn über die herbstliche Heide
Oder durch blumige Frühlingsmatten
Der grinsende Hirt mit der Sense
Seine Heerde treibt;
Voran die Lämmer,
Die schuldlosen Kleinen,
Trippelnd mit nackenden Füßchen,
Ein wehes Todeslächeln
Im runden blassen Kindergesicht, –
Und die Bräute im weißen Sterbekleid,
Langhinschleppend über die Blumen,
Die sehnend ihr Blick ach!
Im Gehen noch streift, –
Und die Männer der Feldschlacht
Mit klaffendem Schädel
Oder durchschossener blutiger Brust, –
Und mit gläsernen Augen
Die Toten des Meeres,
Schilf und Seetang
Im triefenden Haar, –
Und die Opfer der Richtstatt,
Den Kopf im Arm?
Meint ihr, ich hab' ihn nie vernommen,
Den Angstschrei der seufzenden Kreatur,
Von des Schlachtstiers dumpfem Todesstöhnen
Unter des Mordbeils schmetterndem Streich
Bis zum zuckenden Schluchzen der Mutter,
Wenn sie dem bleichen Liebling im Sarg
Den letzten Kuß auf die Stirne drückt?
Glaubt mir, ich kenne sie auch,
Die bitt're brennende Mannesthräne,
Wenn ihm über der Menschheit Jammer
Das starke Herz im Busen blutet,
Wenn in die Wolken sein rollend Auge
Schmerzvoll emporfragt:
Was ist Wahrheit?
Wo dein Erbarmen,
Verborgener Gott,
Daß du also die Menschen plagst?
Wo dein gerechtes Gericht,
Daß das Schlechte sich siegreich spreizt?
Wo die Vernunft
Im Irrsal des Weltlaufs?
Wo wohnt ein Gott
Zwischen den Sternen im öden Raum?
Aber die Fragen
Ließ ich den Lüften,
Die flüsternd über die Heide ziehn,
Und stieg ich hernieder
Am sinkenden Abend
Von einsamen Wegen, –
Beim Lichte der Lampe
Zeigt' ich den Meinen ein freundlich Gesicht.
Aber die Thränen
Weint' ich ins Kissen
In stillen Nächten,
Und graute der Morgen,
Grüßt' ich die Sonne mit heitrer Stirn
Und wusch zum Tagwerk
Das Auge mir klar.
Soll ich in Gold sie fassen
Die brennende Thräne,
An die Brust sie stecken
Als funkelnden Brillant,
Mit stolzem Weltschmerz
Mich eitel zu brüsten?
Soll ich in Reime sie prägen
Die bangen Seufzer
Verzweifelter Stunden,
Das Herz zu beschweren,
Den Tag zu vergällen
Mir und euch?
Nein zu Andrem,
Versteh ich ihn recht,
Lieh mir ein Gott
Mein Saitenspiel.
Daß Thränen fließen,
Braucht es des Dichters Künste nicht erst,
Doch Thränen trocknen
Ist schönere Kunst.
Herzen zerreißen?
Ich gönn' euch den Ruhm,
Mich laßt des Balsams
Zwei Tropfen drein gießen,
Nach Blumen deuten,
Auf Sterne weisen,
Bleibt doch der Erde noch
Jammer genug!