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Heilbronn, am 10. November 1885.
Vatersegen, Muttersegen
Ruht auf eurem Herzensbund
Und geweiht von Gotteswegen
Ist er durch des Priesters Mund.
Schon beim Hochzeitmahl
Perlet der Pokal,
Dann glückauf nach alter Weise
Zu der Braut- und Lebensreise!
Gerne drum in heitrem Worte
Böt' ich euch den Abschiedsgruß,
Doch, was hör ich vor der Pforte?
Rauschts nicht wie Profetenfuß
Und mich schaudert fast,
Denn ein hoher Gast
Dröhnend mit gewicht'gem Tritte
Steht er stracks in unsrer Mitte.
»Doktor Luther!« flüsterts leise,
»Ist nicht heut sein Wiegenfest?«
Alldieweil er hell im Kreise
Seinen Gruß vernehmen läßt:
»Kinder, seid nicht bang,
Wein, Weib und Gesang,
Läßt es Gott im Himmel gelten,
Soll es auch kein Priester schelten!«
»Hochzeitfreude, wer wills wehren?
Freuet euch nach Christenbrauch;
Liebt und freit in Zucht und Ehren,
Meine Käthe freit' ich auch,
Zwar nicht von Heilbronn,
Aber Schild und Sonn,
Recht ein Schatz, von Gott erlesen,
Ist sie meinem Haus gewesen.«
»Freu' dich deines Manns, Helene,
Halt' ihn wohl und pfleg' ihn fein;
Schätze sie, die gute, schöne,
Du mein Sohn, wie Edelstein!
Bräutigam und Braut
Sind von Gott getraut,
Lieber kann uns nicht auf Erden
Denn durch Frauenliebe werden!«
Sprachs und geht und läßt die Herzen
Ernst bewegt beim frohen Mahl;
Kaum beginnt aufs neu das Scherzen,
Horch! da rauschts zum zweitenmal,
Und mich schaudert fast,
Denn ein hoher Gast,
Wohlbekannt und werth uns allen,
Leuchtend steht er in den Hallen.
Alle Lippen flüstern: »Schiller!«
»Ist nicht heut sein Wiegenfest?«
Und im Saal wirds festlich stiller,
Da er so sich hören läßt:
»Segen dir und Gruß,
Stadt am Neckarfluß,
Die als Gast in ihren Gassen
Freundlich mich hat wohnen lassen!«
Im Jahr 1793.
Und er senkt die Dichterblicke
Segnend auf das Hochzeitpaar:
»Heil euch! selige Geschicke
Les' ich in den Sternen klar.
Freunde, liebt und lebt,
Eh' der Lenz entschwebt,
Holde Zeit der ersten Liebe,
Daß sie ewig grünen bliebe!«
»Mit des Lebens schönster Feier
Endet auch des Lebens Mai,
Doch es reißt mit Kranz und Schleier
Echte Liebe nicht entzwei,
In des Hauses Kreis
Wirkt sie sanft und leis,
Himmelsrosen einzuweben
In das dunkle Erdenleben!«
Sprachs und geht – und mich laßt schweigen,
Weil sein Geist uns noch umweht;
Solch ein Paar von Hochzeitszeugen –
Was will da der Festpoet?
Voll bis an den Rand
Nehmt den Kelch zur Hand:
Unsrem Paar auf allen Wegen
Schillers, Luthers, – Gottes Segen!