Ludwig Ganghofer
Die Martinsklause
Ludwig Ganghofer

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14

Auf dem Lugaus des Fischerhauses stand Wicho mit dem Kohlmann, dem Gekläff der Meute lauschend, das hinter Wazemanns Haus im Bergwald verklang.

»Sie kommen!« flüsterte Eigel.

Wicho schüttelte den Kopf. »Die Hund läuten gegen den Berg hin. Wir haben heut noch Ruh, sie ziehen ins Gejaid.«

»Dahinter steckt ein Schlich! Sorglos will er uns machen, und eh wir uns umschauen, ist er da und brennt ein Loch in den Hag! Ich schaff, solang noch Zeit ist!« Eigel griff nach einem der Rutenbündel, die auf dem Lugaus aufgeschichtet lagen. Wicho trat zu ihm, und schweigend begannen sie die Arbeit. Rute um Rute flochten sie um die frischgeschlagenen Pfähle, und immer höher wuchs unter ihren Hängen die hölzerne Mauer. Ein wunderliches Lachen machte sie aufblicken. Unter dem Hag stand Ulla. »Ihr Narren! Was schaffet ihr und schwitzet? Fürchtet ihr den da droben?« Ihr Lachen wurde zu schrillem Klang. »Der hat zu tun. Herr Waze muß raufen mit seinem Fluch.«

»Das Weib ist besoffen!« meinte der Kohlmann.

»Sie ist aus Wazemanns Haus!« flüsterte Wicho.

Ullas Augen hingen am Kohlmann, und ihre welke Hand streckte sich gegen ihn. »Du! Weißbartiger! Bist du nit der Eigel, dem die Salmued lieb gewesen?«

Dem Kohlmann fielen die Ruten aus der Hand, und der Haß sprühte in seinen Augen. »Weib! Wahr deine Zung!«

Ulla lachte. »Hast du nie gesucht nach deinem Mädel? Freilich, einen weiten Weg hättst du laufen müssen! Wenn der Windische Tandelmann mit seinem Karren wieder kommt, so frag ihn, wo dein Mädel geblieben ist. Zahl ihn gut oder greif ihm an die Gurgel! Vielleicht hörst von ihm die gleiche Botschaft, die er dem da droben gebracht hat: die wilden Säu sind über die Salmued und ihr Kind gekommen! Gelacht hat der da droben, und hat gemeint, jetzt hätt er Ruh vor ihr! Aber schau hinauf zu ihm: die Tote hat heimgefunden und hauset unter seinem Dach!«

»Eigel!« stammelte Wicho und hielt mit beiden Armen den Kohlmann fest, der über den Hag auf die Lände springen wollte. Vom Hall der Stimmen gerufen, kam Sigenot zum Lugaus.

»Du Narr! Was schlägst du umeinander mit Händ und Füßen?« kreischte die Magd. »Bleib hocken in aller Ruh! Die Salmued wird fertig mit ihm. Sie rührt die Fäust in seinem Haus und schlagt auf alles, was lebig ist. Mein Star ist hin, Frau Friderun ist hin –«

»Frau Friderun?« keuchte der Kohlmann, von Wichos Arm umklammert. »Der Salmued Fluch hätt sie erschlagen? Meinst du? Lauf hinauf und sag ihm: der Kohlmann ist's gewesen, der auf dem Steig in der Rabenwand die Mausfall aufgestellt hat! Und sag: ihm selber war's vermeint! Sein Weib ist eingegangen in die Fall statt seiner. Ich hab gelacht dazu. Sein Weib für meine Salmued!«

»Eigel!« Mit eisernem Griff umspannte Sigenot den Arm des Kohlmanns. »Unschuldig Blut an deiner Hand! Und du? Du hast gesessen an meinem Tisch und hast geweilt in meinem Haus? Wicho, das Hagtor auf! Ich hab kein Dach für einen –«

Da klang es von der Ache her mit gellendem Schrei: »Sigenot! Sigenot!« Und jagende Hufschläge kamen näher. Unter heiserem Gelächter riß sich der Kohlmann von der Hand des Fischers. »Sigenot! Sigenot!« klang es unter den Bäumen.

Mit beiden Händen griff Eigel nach seiner Stirne. »Steht denn mein Kopf noch? Gibt's denn in der Welt noch einen, wie der ist! Die Untreu lauft ihm davon, das Wasser rinnt ihm ins Maul – und er stoßt auch die Treu noch aus seinem Hag!«

»Sigenot!« schrillte die Stimme Reckas. Auf schäumendem Pferde kam sie unter den Bäumen hervorragt. »Deine Schwester in Not! Meine Brüder steigen zu Berg und suchen die Ödhütt hinter dem Eismann!«

Sigenot griff ins Leere. »Wicho! Mein Eisen!« Da sah er auf dem Lugaus eine Axt vor seinen Füßen liegen; er faßte sie und schwang sich über den Hag auf die Lände. Der Altsenn und der Knecht des Richtmanns kamen gesprungen, mit Beilen bewaffnet. Schreiend rannte Heilwig in das Haus, aus welchem Mutter Mahtilts schrillendes Gelächter tönte, und in der Tür, die zu Wichos Kammer führte, erschien Kaganhart; sein Gesicht war verweint; er seufzte und schlich wieder zurück in die Kammer.

Auf der Lände hatte Sigenot die Zügel des Pferdes gehascht; mit brennendem Blick hingen seine Augen an der Tochter Wazes. »Recka! Deine Botschaft ist mein Leben wert. Eins noch sag mir: wo geht deiner Brüder Weg?«

»Gegen den Windacher See! Sie reiten!« erwiderte Recka mit kämpfendem Atem. »Spring auf zu mir! Mein Roß hat Kraft. Wir holen sie ein!«

Sigenot wehrte mit der Hand. Er wußte besseren Weg: über den See und durch die Schluchten hinter dem Eismann empor. Ein gefährlicher Pfad an solchem Tag, unter hängendem Schnee und drohenden Lawinen, doch um die Hälfte näher als der sichere Weg, den Waze und seine Söhne genommen.

Wicho hatte das Hagtor aufgerissen, sprang auf den Fischer zu und stammelte: »Herr?«

Sigenot schob ihn von sich. »Jetzt hilft nur einer noch!« Seine Augen streiften das Kreuz. »Bleib und denk meiner Mutter!« Einen Blick noch warf er über Hag und Haus, dann eilte er zum Ufer und stieß den Einbaum in das Wasser.

»Sigenot!« rief Recka. Der Fischer hörte sie nicht, er tauchte schon das Ruder und legte sich auf die Stange. Da ließ sich Recka aus dem Sattel gleiten. Durch die Untiefe watend, erreichte sie den Einbaum und schwang sich in den Nachen. Dem Fischer stockte das Ruder.

»Fahr zu! Deine Schwester in Not! Ich steh zu dir.«

Das Ruder rauschte, und von wuchtigen Schlägen getrieben, schoß der Einbaum über die stille Flut.

Die Männer am Ufer standen ratlos. Eigel war der erste, der die Sprache fand. »Wicho,« rief er, »schick den Altsenn und den Knecht in die Schönau und laß sie schreien vor jedem Hag: Not über Not! Ich lauf zum Lokwald und such den Herrn!« Er eilte davon.

Kichernd streckte Ulla die Hand gegen den See. »Schauet, was die Salmued schafft! Die Schwester wider die Brüder und für den Fischer, dem Herr Waze den Vater erschlagen! Blut wider Blut, so will's die Salmued haben!«

Wicho packte die Magd mit beiden Fäusten. »Den Vater erschlagen? Wer?«

Sie lachte. »Die Alfen, gelt, die Alfen haben Sigenots Vater, den Gelfrat, in den See gezogen? Freilich, die Alfen! Ich selber hab's gesehen. Zehn auf einmal sind über ihn gekommen, grad so viel, als der da droben Finger an den Händen hat. Spring hinunter in den See und such den Gelfrat! Ich mein', es steckt ihm der Pfeil noch im Hals, den Herr Waze von der Mauer geworfen hat, wie er den Fischer im Sturm hat hängen sehen an der Falkenwand! Zu stark ist ihm der Gelfrat geworden. Da hat der ander zeigen müssen, daß er stärker ist. Aber laß nur gut sein! Noch stärker ist die Salmued. Sie rührt die Fäust und wirft das Fluchbein um.« Lachend stieß sie den Knecht von sich und humpelte den Bäumen zu. Am Waldsaum wandte sie das verzerrte Gesicht und hob die Hand mit dem toten Vogel gegen Wazemanns Haus.

Verstört blickte Wicho dem Weibe nach, während das ledige Roß mit Gewieher am Ufer auf und nieder jagte. Nun tat es einen Sprung ins Wasser, stand mit vorgeschobenen Hufen, schnaubend, und streckte den Hals. Als es den Einbaum und seine Herrin im Schilf der Insel Bidlieger verschwinden sah, sprang es mit tollen Sätzen durch das aufspritzende Wasser, versank in der Flut, erschien wieder und schwamm. Nahe der Insel gewann es seichten Grund und sprengte durch das Schilf.

Der Einbaum lenkte schon um die Falkenwand. Schweigend führte Sigenot Schlag um Schlag mit dem Ruder. Recka saß vor ihm und spähte der Ferne zu, der das Schiff entgegensteuerte. Als sie die Augen wandte, erschrak sie; sprechen konnte sie nicht; sie streckte nur die Hand und blickte ratlos zu Sigenot auf. Er warf einen Blick über die Schulter und sah den Kopf des Pferdes über das Wasser gleiten. Mit aller Kraft legte er sich auf die Stange, doch immer näher kam das Tier. Es erreichte den Einbaum, hob sich im Wasser, und seine schlagenden Hufe streiften den Kahn, daß er wankend zur Seite wich. Das Tier versank, tauchte wieder auf und schwamm, die Augen weit aufgerissen, Wasser aus den Nüstern blasend.

»Wehr das Roß ab,« stammelte Sigenot, »oder es wirft uns den Einbaum!«

Recka fuhr mit der Hand über die Augen; dann faßte sie den Bogen und legte einen Pfeil an die Sehne.

»Recka!« Sigenot ließ das Ruder fahren, um den Schuß zu hindern. Schon flog der Pfeil. Der Kopf des Pferdes überschlug sich, mit dem gefiederten Schaft in der Stirne; die gekrümmten Hufe tauchten aus dem Wasser, noch einmal erschien das Haupt des Tieres mit schwimmender Mähne, dann versank es in einem kreisenden Trichter, und Schaum und Wellen schlugen über ihm zusammen.

»Recka! Was hast du getan! Das Roß ist dir lieb gewesen.«

»Deine Schwester in Not! Fahr zu!«

Schwer atmend faßte Sigenot das Ruder und trieb den Einbaum.

Hinter den weißen Bergen tauchte die Sonne empor, und leuchtende Strahlen fielen über den See. Schimmer und Glanz lagen ausgegossen über den weiten Felsenkessel, über die spiegelglatte Flut und die steilen Gehänge. In der wachsenden Wärme tauchten die Farben des welken Bergwaldes unter dem weichen Schnee hervor, ein Flimmern überall, und wo die Sonne den nassen Waldgrund fand, kräuselten dünne Nebel sich empor, schwebten langsam in die Höhe und zerrannen spurlos in den blauen Lüften. Funkelnd wie Silber stürzten von allen Wänden die Gießbäche nieder, und ihr Rauschen füllte den gewaltigen Felsenkessel wie mit dem eintönigen Gesang einer machtvollen Stimme.

Schon war der Einbaum dem steilen Ufer nahe, dem er entgegensteuerte. Da rann ein Zittern über das Wasser, als wäre ein Windstoß über den See gefallen. Doch es rührte sich kein Hauch in den Lüften. Rings an den Ufern blitzte ein weißer Schaumstreif auf, und während die kleinen Wellen sich langsam wieder glätteten, lief über das hohe Gewand des König Eismann eine weiß zerstiebende Wolke nieder, als hätte die Riesin des Berges ihren Schleier in die Tiefe flattern lassen.

Sigenot und Recka sahen nicht, was rings um sie geschah. Still hingen ihre Blicke aneinander.

Als der Einbaum an das Ufer stieß, atmeten sie auf wie Erwachende. Recka sprang zuerst ans Land. Sigenot stieß den Beilschaft hinter den Gurt und schleifte den Einbaum auf das Kiesbett, das der rauschend niederstürzende Wildbach aufgelagert hatte. Seitwärts vom Geklüft des Baches führte ein Jägersteig zur Höhe. Sigenot zögerte. »Recka! Es ist böser Weg, den ich beginn. Kehr um!«

»Er führt zu meiner Gesellin, der ich Treu geschworen. Steig an!«

»Der Weg führt wider deine Brüder.«

Reckas Augen blitzten. »Deine Schwester in Not! Steig an!«

Wortlos wandte Sigenot sich ab und begann den mühsamen Pfad emporzuklimmen. Rascher und rascher stieg er. Und immer blieb Recka dicht hinter ihm, als wäre eines Mannes Kraft in ihren Gliedern. Als der Schnee tief wurde, verließ Sigenot den Pfad und sagte: »Steig voran! Es könnt dich der Schnee überwerfen, der sich löst unter meinem Fuß.« Recka nickte und stieg an ihm vorüber. Ehe Sigenot ihr folgte, warf er einen Blick ins ferne Tal. Vorgeschobene Berge verhüllten sein Haus. Nur mit der Seele sah er den Hag, das Dach und das hohe, in der Sonne schimmernde Kreuz. Er atmete auf, als hätte dieses Bild ihm Hoffnung und neue Kraft gegeben. Er fürchtete nicht mehr um die Schwester, sondern wußte, daß er sie retten würde. War doch Einer mit ihm, stärker als tausend Männer in Wehr und Eisen! Wer sonst als dieser Eine hatte ihm die treue Gesellin geschickt, die ihm feind gewesen bis zur Stunde? Die ihm freund geworden um der Schwester willen! Mit raschen Sprüngen holte er Recka ein, und bei ihrem Anblick brannten seine Wangen. –

Um die gleiche Stunde hielt Wicho, mit dem Schwerte seines Herrn bewaffnet, vor dem Fischerhaus die Wache. Und hob den sorgenden Blick zum Kreuz und murmelte: »Jetzt muß er weisen, ob er so stark ist, wie die da draußen sagen!« Das Eisen im Arm, schritt er zum Lugaus und spähte über den Weg, der von der Ache kam. Er harrte des Sennen und des Knechtes, die er nach Eigels Rat in die Schönau gesandt.

Die beiden dachten nicht der Heimkehr. Beim Hag des Richtmanns standen sie in einem Haufen schreiender Manner und Weiber, die sich um Ulla drängten. Jedem hielt sie den entseelten Vogel vor die Augen. Mit kreischendem Hohn weckte sie in den Männern die Erinnerung an jede Unbill, die Herr Waze ihnen zugefügt, in den Weibern das Gedenken an jede Schmach, die sie erlitten von Wazemanns Söhnen. Lachend zog Ulla weiter, während hinter ihr der schreiende Haufe blieb. Über alles Geschrei erhob sich die Stimme des Hanetzer, der in seinem verschwollenen Gesicht die Male der Faustschläge trug, die er von Sindel und Hartwig beim Verhör empfangen. Fast mit den gleichen Worten wie damals auf der Regenalm vor dem in Schlingen liegenden Bären schrie er auch jetzt: »Raitet! Raitet! Was tun wir ihm an? Ihm und seinen Buben?«

»Soll geschehen, was mag!« schrillte eine Weiberstimme.

»Ich lauf zum Lokwald, ich geh zu den Gottesleuten!« Um die Schreiende drängten sich die anderen Weiber, und der kreischende Haufen wälzte sich über die Halden und wuchs bei jedem Hag.

Bruder Wampos »Wunder«, Ullas Star und der Fluch der Salmued übten stärkeren Zug auf diese Menschen als die Botschaft der ewigen Liebe. Seit der Thingnacht hatten sie vor dem Ruf der Glocke die Ohren verschlossen. Jetzt, als sie durch die sonnige Morgenluft vom Lokiwald die eherne Stimme tönen hörten, fiel's in ihre Gemüter wie Raserei, und schreiend rannten sie dem Hall entgegen.

Die Glocke klang. Sanft schwoll ihre freundliche Stimme über die stillen Wälder hin und brach sich an den weißen Bergen. Auch ein Einsamer hörte sie, der in Hast von der Ache zum Lokiwald emporeilte über den steilen Hang: der Kohlmann. Als er die Höhe des Waldes erreichte, vernahm er den Schritt eines Menschen. Der Köppelecker kreuzte seinen Weg, atemlos, mit verstörtem Gesicht. »Eigel, Eigel,« jammerte der Bauer, »mein Vieh liegt unter der Lahn!«

Der Kohlmann hob die Faust. »Denk an den Totenmann! Die über die Bären Macht haben, hätten auch dein Vieh gehütet vor der Lahn. Jetzt lauf zum Waze und such dir Hilf! Ich geh zu den Gottesleuten.«

»Eigel! Dein Weg ist wider den Thingspruch!«

»Thing hin oder her, ich such mir Hilf, wo ich sie find!« Der Kohlmann eilte der Lichtung zu, die durch die Bäume schimmerte. Als er die Rodung erreichte, hörte er Beilschläge; Bruder Schweiker zimmerte am Waldsaum die Pfähle für den Hag. Der Kohlmann sprang zur Klause; auf der Türschwelle saß Bruder Wampo in der Sonne und schabte mit einem Holzspan die Honigflecken von seiner Kutte.

»He, du, wo ist dein Herr?«

Verdrießlich blickte Wampo auf. »Herr? Welcher?«

»Der mit den guten Augen!«

»Der ist fort.«

Eigel erschrak. »Wohin?«

»In die Ramsau.«

»Welchen Weg hat er genommen?«

»Dort hinunter!« Bruder Wampo deutete mit dem Arm.

Ohne Gruß eilte der Kohlmann davon. Im Wald, auf kotigem Pfade, fand er die frische Trittspur einer Sandale, die Spur des Weges, den Eberwein genommen. Als er das Tal der Ache erreichte, scholl ihm ein Gewirr von heiseren Stimmen entgegen. Zwischen den Bäumen tauchte eine Schar kreischender Weiber auf, über dreißig an der Zahl, nur wenige Männer unter ihnen: der Hanetzer, die Winklerbuben, der Waldhauser und der Urstaller, der Schmied von Ilsank und der Koppelecker, der dem zur Klause ziehenden eilenden Haufen begegnet war und sich ihm angeschlossen hatte. Die Augen des Kohlmanns funkelten. »Ihr lauft mir gut in den Weg! Ich will euch Feuer in die Strohköpf werfen.« Das weißbärtige Kinn auf den Stecken gelegt, so rief er sie an: »Wohin, Leut?«

»Zum Lokwald! Zu den Gottesmännern!«

Er lachte. »Da werdet ihr schieche Köpf machen zu dem Gruß, der bei der Klaus auf euch wartet!«

Wilder Lärm erhob sich, und der Köppelecker schrie: »Luset, Leut! Er ist bei der Klaus gewesen. Reden soll er! Mein Vieh liegt unter der Lahn, und keiner will mir graben helfen. Mein Vieh ist hin. Das wird genug sein! Oder muß ich noch mehr verlieren? Red, Eigel, red!«

Der Kohlmann reckte sich. »Dein Vieh ist hin? So? Und der Richtmann ist in Not mit seinem Buben. Und hinter ihm her sind die Wazemannsleut. Dem Kaganhart ist Feuer über sein Haus gefallen. Und die Hilmtrud liegt im Blut. So weit hat's kommen müssen! Wie in der Thingnacht der Bidem hingelaufen ist unter euren Füßen, hat keiner merken mögen, wie's an der Zeit steht! Keiner hat fragen mögen: wer beutelt die Berg? Was für einer ist das, der so starke Faust hat? Warum tut er's? Für wen will er Zeugnis ablegen, für den Spisar oder für die Gottesleut? Keiner hat fragen mögen! Jetzt auf einmal packt das Grausen euch an, weil jeder merkt: Not auf Not kommt über alle, die auf dem Totenmann geschworen haben!«

»Ich bin weggeblieben vom Thing,« schrie der Hanetzer wie besessen, »ich hab nit mitgeschworen!«

»Haben denn wir geschworen?« kreischte eine Weiberstimme. »Und wir armen Weiberleut sollen büßen, weil unsere Manner das Hirn im Buckel haben!«

Eine Bäuerin hob zwei Fäuste wie Hämmer. »Ich schlag dem meinigen alle Knochen auseinander.«

»Recht so!« übertönte der Schmied von Ilsank mit seiner Bärenstimme den Lärm. »Wär's mir nachgegangen, alles wär anders geworden im Thing. Jetzt weiß ich, was ich tu. Ich geh zur Klaus.«

»So geh doch!« höhnte der Kohlmann. »Der Hammel meint, er darf nur hinlaufen zur Klaus und schreien: ihr guten Gottesleut, da bin ich, jetzt helfet mir in der Not, jetzt feiet mein Haus wider Glut und Brand, mein Vieh wider Lahnen und Bären! Und von den Gottesleuten soll keiner fragen: warum erst heut? Hat unser Glöckl nit gerufen Tag um Tag? Wo hat ein Tor sich aufgetan für uns? Euch sollen wir helfen? Wer hat denn uns geholfen? – Laufet nur hin! So reden sie. Mich soll keiner bei der Klaus mehr sehen, es müßt denn sein, daß ich kommen kann und rufen: ihr guten Gottesmänner, schauet, was ich getan hab für euch! Ich hab nit mitgeschworen auf dem Totenmann. Aber dabeigewesen bin ich doch. Das mach ich wieder gut!« Er drängte sich aus dem schreienden Haufen.

Der Köppelecker hielt ihn am Kittel fest. »Red! Eigel! Was hast du im Sinn?«

Die Augen des Kohlmanns glitten hinauf gegen den König Eismann; dann warf er einen wägenden Blick über die kleine Zahl der waffenlosen Männer und schüttelte den Kopf, als müßte er einen Gedanken, der in ihm aufgetaucht, von sich abwehren. »Reden? Mit euch? Wozu? Ihr habt saure Milch im Leib. Kein Blut!« Seine Stimme hob sich. »In der Ramsau hausen noch Mannerleut. Zu denen geh ich. Zu denen sag ich: Herr Waze ist mit seinen Buben zu Berg gestiegen, sein Haus steht leer und wär so leicht zu werfen wie ein Strohdach. Haben die Füchs erst ihren Bau verloren, so bleibt für die Jagdhund leichte Hatz.« Die Augen des Alten sprühten. »Das will ich in der Ramsau sagen und weiß, was ich zur Antwort hör. Merket auf, ihr Milchblüter! Es gibt noch was zu schauen, vor der Tag ein End hat! Und morgen bei der Klaus, da könnet ihr zuschauen, wie die Ramsauer ihren Dank holen von den Gottesleuten!« Lachend schritt er davon.

Tobendes Geschrei erhob sich hinter ihm. Das Kreischen der Weiber übertönend, klang die Stimme des Schmiedes von Ilsank: »Zu Wazemanns Haus! Was die Ramsauer können, bringen wir auch noch fertig. Feuer in das Fuchsloch!«

Eigel blickte zu den weißen Schneefeldern des König Eismann hinauf und hob die Faust. »Kehr heim, du! Und du findest einen Gruß vom selbigen, dem du die Salmued genommen!« Jenseits der Ache verhallte der Stimmenlärm im dichten Gehölz. »Meinem Fluch sind Füß gewachsen. Gib acht, Herr Waze, er lauft dir in die Stub!« Jagenden Schrittes folgte Eigel dem Pfad. Bei einer Furt, die an seichter Stelle durch die Ache zog, fand er wieder die Trittspuren Eberweins. Sie führten zum Gehöft des Schapbachers. Vor dem Hagtor sah er ein kleines Mädel. »Ist nit ein Gottesmann vorbeigekommen? Ein Lichtbartiger?«

»Wohl! Nach dem Huzebuben hat er gefragt und ist weiter gezogen gegen die Windach.«

Der Kohlmann eilte durch das dichte Gehölz. Von weitem hörte er das dumpfe Rauschen des hochgeschwollenen Wildwassers. Als er die Lichtung gewann, sah er den Mönch über das Felsenufer der Windach aufwärts steigen. »Herr!« Das Rauschen der Gewässer verschlang den Ruf. Eigel klomm über den steilen Hang empor, und als er den Mönch erreichte, griff er nach seiner Kutte. Eberwein wandte das Gesicht. Wie vor dem Anblick eines Gespenstes fuhr der Kohlmann zurück. Was den Greis so tief erregte, das war nicht der Kummer allein, der aus Eberweins Augen sprach. Unter lallenden Worten streckte Eigel die Hände. Eberwein, beim Rauschen der Windach, verstand ihn nicht; er faßte den Arm des Kohlmanns und zog ihn vom Ufer gegen den Waldsaum. »Eigel! Es steht auf deinem Gesicht zu lesen, du bringst mir üble Botschaft!«

Der Kohlmann sprach von dem erschlagenen Knecht, von Ruedlieb und Rötli, von ihrer Flucht mit dem Richtmann, von aller Not im Fischerhaus, vom Auszug der Wazemannssöhne und von Sigenots Bergfahrt Und immer hing sein Blick wie gebannt an den Zügen des Mönches, als möchte er von sich abweisen oder festhalten, was verworren in ihm aufstieg und wieder versank in die Dämmerung vergangener Zeiten.

Eberwein rüttelte den Arm des Kohlmanns. »Solche Botschaft bringst du, und stehst vor mir wie auf steinernen Füßen! Auf! Und führe mich! Oder hast du Furcht? So weise mir den Weg zum Eismann und bleibe!«

»Furcht?« Eigel erwachte. »Soll geschehen mit mir, was mag! Bevor ich hin bin, bleibt mir noch allweil Zeit zu einem Streich. Der soll ausgeben.« Wieder hingen seine Augen am Gesicht des Mönches. Schwer atmend schüttelte er den Kopf, und an Eberwein vorüber eilte er quer durch den Wald einem Pfad entgegen.

Die beiden hatten bis zum Windachersee noch weiten Weg. Doch über alle Ferne klang ihnen ein dumpfes Brausen von jener Stelle entgegen, an der die wilde Ache dem See entströmte und in schäumendem Fall sich niederstürzte über die hohe Felsmauer, die das Seebecken gegen das Tal versperrte. Dieses Rauschen hatte anderen Klang als sonst. Seltsame Laute mischten sich in das grollende Getön: bald ein Zischen wie von springendem Gewässer, bald wieder ein Klirren wie von fallenden Ketten.

Als im Wald sich eine Gasse öffnete, griff der Kohlmann erschrocken nach dem Arm des Mönches. »Herr! Dort schau hinauf!«

Wie ein weißer Silberguß ging der Fall der Windach über die Felsen nieder, so reich an Wasser wie sonst nach schwerem Regen. Dem Fall zur Seite hatte der See sich einen zweiten Ausfluß durch die Felsen gebrochen. In der Steinmauer klaffte eine Spalte, durch die ein mächtiger Wasserstrahl gleich der blitzenden Klinge eines riesigen Krummschwertes mit zischendem Brausen hinausschoß in die Luft, um die Tiefe unter ihm mit wirbelndem Wasser zu überschütten.

»Schau nur,« stammelte Eigel, »der Bidem hat eine Fragel in die Wand gerissen!«

Eberwein hörte nicht. »Was stehst du? Wir haben Eile!« Er schwang sich über einen Felsblock, der den Pfad versperrte, und stieg zwischen den Bäumen empor, während Eigel ihm mühsam zu folgen suchte.

Immer wieder blickte der Kohlmann scheu zu dem Gesicht des Mönches auf und schüttelte den Kopf unter leisem Gemurmel.

»Wenn ich nur wüßt, was mich anschaut aus seinen Augen?«


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