Ludwig Ganghofer
Die Martinsklause
Ludwig Ganghofer

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3

Sigenot hatte die Angelrute und das hölzerne Lägel, das von Wasser troff und schwer war, von der Erde aufgenommen. Da stand Eberwein vor ihm. »Du bist Sigenot, der Fischer?«

Sigenot nickte nur, und forschend hing sein Blick an Eberweins Zügen. Bruder Schweiker kam herbei, neugierig, mit gutmütigem Lächeln; der Fischer schien ihm zu gefallen.

»Ich habe schon gehört von dir!« sagte Eberwein. »Und Gutes! Hier, meine Hand zum Gruß!«

Sigenot rührte keinen Finger. »Ich biet meine Hand nur einem, mit dem ich gut bin. Von dir weiß ich nit: bist du mir Feind oder Freund?«

»Ich bin aller guten Menschen Freund, also auch der deine.«

Der Fischer schüttelte den Kopf. »Ich kenn dich nit, und bei mir macht eine linde Red noch keine Freundschaft.«

Schweiker bekam einen roten Kopf. »Laß dir raten, Fischer: red ein lützel sanfter! Und nimm die Hand! Der sie bietet, ist dein neuer Herr.«

Sigenot trat einen Schritt zurück und maß den Bruder vom Kopf bis zu den Füßen. »Ich versteh deine Red nit.« Schweiker wollte erwidern, doch Eberwein legte die Hand auf seinen Arm und winkte ihm zu schweigen. »Wie kann da ein neuer Herr sein, wo kein alter gewesen?« sagte der Fischer. »Ich sitz auf meinem Haus, das nie gezinset und gesteuert hat, und die Fischenz ist mein freies Eigen. Ich hab keinen Herrn.«

Lächelnd blickte Eberwein in Sigenots Augen. »Das mag ich nicht glauben, Fischer.«

»Ich sag, ich hab keinen Herrn, und meine Red ist wie Stein.«

»So wär auch jener dein Herr nicht, der aller Menschen Herr ist? Jener Eine dort oben?«

»Der?« Sinnend hob Sigenot die Augen zum blauen sonnleuchtenden Himmel. »Wohl! Den laß ich mir gefallen als Herrn, wenn's derselbig ist, den der alte Hiltischalk in der Ramsau meint. Aber ich glaub, es müssen zwei da droben hausen: dem Hiltischalk der seinig und der andere, den der Magere mit dem Kreuz gemeint hat, und der die Rösser scheu macht und die Weiber zornig. Den behaltet für euch. Muß ich da droben einen Herrn haben, so halt ich zu dem, den der Hiltischalk meint. Und jetzt laß mich in Fried, ich muß meiner Fischweid nach!« Er nickte einen Gruß, ließ die Angelschnur durch die Finger gleiten und schritt dem Ufer der Ache zu.

»Ist das ein Lümmel, ein unguter!« brummte Schweiker, der den Fischer ungerne scheiden sah. »Soll ich ihn wieder holen?«

»Laß ihn! Um diesen zu gewinnen, bedarf es einer besseren Stunde.« Eberwein wandte sich ab und sah nach der Richtung, die Waldram genommen hatte. »Sein erstes Wort,« sprach er leise vor sich hin, »und schon liegt ein Schatten auf meinem hellen Weg!«

Schweiker stand noch immer inmitten der Wiese und spähte in die Büsche, hinter denen Sigenot verschwunden war. Da hörte er Bruder Wampos Stimme: »He, Schweiker, komm!« Er ging zum Feuer, bei dem sich Wampo nach dem überstandenen Schreck schon wieder häuslich mit Spieß und Braten eingerichtet hatte.

»Komm, dreh noch ein Weil, er wird bald gar sein. Ich hab ein Wörtl mit dem Fischer zu reden.«

»Du? Mit dem Fischer?«

»Sein Lägel hat Wasser,« Wampo kniff die Augen zu und schnalzte mit der Zunge, »es muß auch Fisch haben!« Mit beiden Händen hob er die Kutte, sprang davon und erspähte hinter den Stauden den Fischer, der gerade das Lägel niedersetzen wollte, um die Angel zu werfen. Geschäftig die Hände reibend, lächelnd und nickend, ging der Bruder auf ihn zu. »Gottes Segen über dich, mein Sohn!«

Sigenot hob die Augen.

Wampo zwinkerte, fast bis zu den Ohren verzog sich sein lachender Mund, und während er mit dem Fingerknöchel an das Lägel pochte, fragte er: »Hast du heut schon was gefangen, mein Sohn?«

»Ich bin meiner Mutter Sohn, nicht der deinige. Aber gefangen hab ich, denn ich hab gefischt.«

»Gefangen? So? So? Schöne Fische?«

»Gering Zeug fang ich nit.«

»Freilich, ein rechter Fischer! Gefangen also? So? Laß einmal sehen!« Wampo wollte nach dem Lägel greifen, aber Sigenot streckte die Angelrute vor. Seufzend legte der Bruder die Hände über das Bäuchlein und sah den Fischer an, mit Augen voll tiefer Kümmernis. Da mußte Sigenot lächeln. »So schau halt!« sagte er und öffnete den Deckel des Lägels. Hurtig fuhr der Bruder mit der Nase bis dicht an die Lücke. »Ei, da wimmelt ja ein Buckel neben dem andern!« Er richtete sich auf, und sein Gesicht strahlte. »Jetzt sag, mein Sohn –« Da erinnerte er sich der abweisenden Rede Sigenots. Zutraulich klopfte er ihm auf die Schulter. »Von mir kannst du dir das gefallen lassen. Ich könnt sagen: so redet die Kirche mit ihren Kindern. Aber zu dir sag ich: schau, lieber Fischer, bin ich nit so alt, daß ich dein Vater sein könnt? Und bist du nit so jung, wie mein Bub wohl sein möcht, wenn ich einen hätt? Gelt, ja? Und drum sag, mein Sohn, wie wär denn das, wenn du mir für Gottes Lohn und freundlichen Dank von deinem Fang ein paar Schwänzlein ablassen tätest? Hm?«

»Fisch willst du haben? Das hättest du kürzer sagen können.«

»Kurz oder lang, was meinst du dazu?«

»Nichts mein' ich!« sagte der Fischer lächelnd; je länger er den Bruder betrachtete, desto fröhlicher wurde sein Gesicht. »Auf die Fisch da wartet Herr Waze, ich hab ihm die Ferchen zugesagt zum Mahl auf die Nacht.«

»Herr Waze?« Wampo spitzte die Lippen wie zum Pfeifen. »Von dem hab ich schon gehört! Der soll die schönen Fisch alle haben, zum Mahl auf die Nacht? Aber schau, wir haben ein Mahl zu Mittag. Und haben nichts dazu als einen großen Hunger und ein kleines Stückl Fleisch. Und Mittag kommt vor Abend, Mittag ist jetzt! Also, tu eine gescheite Red, sag Ja!« Der Bruder legte die Hände auf den Gürtel und machte die freundlichsten Äuglein, die er zustande brachte. »Schau mich an, Fischer! Wenn ich dich gar schön bitt, kannst du da Nein sagen?«

»So nimm halt!« lachte Sigenot. Er drehte das Lägel um. Mit einem dicken Wasserguß flossen an die zwanzig Forellen in das Moos und hüpften silberschimmerig durcheinander.

Bruder Wampo wußte nicht mehr, wohin er mit seinen Händen greifen sollte. »Ei, ei, ei!« Das war der ganze Ausdruck seiner Freude. Er sah nicht, daß Sigenot sich lachend entfernte, und dachte nicht an Gruß und Dank, sondern warf sich auf die Erde nieder, höhlte die Kutte zu einem Sack, und schlipp, schlupp! verschwanden die zappelnden Fischlein eines nach dem andern im Schoß der Kirche. »Ei, ei, ei!« Stolpernd sprang der Bruder auf, rannte dem Feuerplatz entgegen, und breit vor Eberwein sich aufpflanzend, mit strahlendem Gesicht, zog er eine pfündige Forelle aus der Kutte und rief lachend: »Schauet, Herr, das ist die erste Steuer, die unser Kloster gehoben hat im Berchtesgaden!«

Eberwein lächelte, und hinter ihm ließ sich eine rauhe Stimme vernehmen: »Ein guter Anfang! Nur lustig fortgehoben! Und wohl bekomm euch, was Herr Waze und seine Buben noch übriggelassen!« Während Bruder Wampo zum Feuer rannte, ließ sich der Sprecher dieser Worte, ein stämmiger Kriegsmann, neben Eberwein auf einen Steinblock nieder. Es war Herr Friedrich von Haunsperg, der erzbischöfliche Kastellan der Salzburg. Ein grauer Spitzbart verlängerte das harte, knochige Gesicht, darin zwei graue, scharfblickende Augen funkelten; am Gürtel trug er ein breites Schwert, einen Dolch an dünner Eisenkette, und unter dem grüngefärbten Lederwams klirrte das Ringhemd. »Ich bin um Euretwillen schön in die Irre geritten!« sagte er lachend zu Eberwein. »Draußen beim Rotemannsbach wurde mir das Warten zu lang, ich wollt Euch ein Stück den Berg hinauf entgegenreiten, im dichten Gehölz hab ich den Pfad verloren, und wär der Knecht nicht gekommen und hätt nach mir geschrien wie ein Jochgeier, wer weiß, ob ich den Weg so bald wieder gefunden hätt!«

»Ich beklage die Übermüh, die ich Euch durch mein Zögern verursacht habe. Doch wüßtet Ihr, was ich erfahren und gesehen, Ihr würdet mich entschuldigt halten.«

»Entschuldigt seid Ihr für alle Fälle. Aber nun leget los, Herr Pater,« die Augen des Kastellans wurden kleiner, und über seine schmalen Lippen zuckte ein kaum merkliches Lächeln, »oder muß ich schon sagen: Herr Propst? Also, erzählet, wie hat Euch das Ländlein gefallen, das Ihr Euch angesehen habt von oben herab?«

Eberweins Augen leuchteten; er hatte kein Ohr für den versteckten Spott dieser Worte und begann zu erzählen.

Inzwischen schaffte Bruder Wampo drüben am Feuer mit blitzschnellen Händen; bald sprang er zum Bratspieß, bald wieder zum Kessel, in dem er die Forellen sott. Dabei wußte er für jeden der Knechte ein Geschäftl; sie mußten flink durcheinandersurren wie die Hummeln. »Schwitzet nur, heut hab ich noch gute Zeit!« kicherte Wampo. »Steht die Klaus einmal, dann muß ich alles selber schaffen!«

Nah im Walde klangen wuchtige Beilhiebe; Bruder Schweiker hantierte mit der Axt, und wo er hinschlug, sprangen die Splitter und sanken die jungen Bäume. Nach einer Weile kam er, ein Dutzend dicker Stangen auf dem Rücken schleppend; viere trieb er in den Grund und legte über die Stangen eine Steinplatte als Tisch; daneben richtete er zwei kleine Bänke. Als sein Werk zu Ende gediehen war, kam Bruder Wampo herbeigeschossen, deckte ein weißes Linnen über den Tisch, legte drei Holzteller auf die Platte, Löffel und Messer, und neben jeden Teller eine kleine Handzwehle mit rotgesticktem Saum.

Schweiker riß die Augen auf. »Mensch? Wo hast du denn das herrische Zeug her?«

»Gestern auf die Nacht hab ich's dem Tafeldecker in der Salzburg abgehandelt.«

»Was hast du ihm gegeben dafür?«

»Eine Litanei.«.

»Hast du sie schon gebetet?«

»Wann hätt ich denn Zeit gehabt? In der Nacht hab ich schlafen müssen, den ganzen Vormittag laufen, und jetzt hab ich alle Hände voll zu schaffen!« Er rannte zum Feuer.

Mit schiefem Kopf sah ihm Schweiker nach. »Wenn der nit vergißt an die Litanei, heiß ich Hansel. Ich will's ihm lieber abladen.« Er schlug ein Kreuz, verschlang die Hände und wanderte murmelnd in den Wald hinein.

Bruder Wampo holte indessen die Forellen aus dem Kessel, legte sie säuberlich auf eine hölzerne Platte und umgab sie in Ermangelung eines würdigeren Schmuckes mit einem Kränzl kleiner Fichtenzweige. Er trug die Platte zum Tisch und lief, um die Herren zu rufen, die er in unmutigem Gespräche fand; auf Eberweins Zügen brannte die Erregung, und Herr Haunsperg schien übler Laune zu sein. Der Bruder machte eine Verbeugung, die einem Koch des herzoglichen Hofes zur Ehre gereicht hätte, und sagte: »Das Tischl ist gedeckt, wohl bekomm's den Herren!«

Herr Haunsperg sprang auf. »Das erste gescheite Wort, das ich höre!« Und zu Eberwein sich wendend, meinte er lachend: »Kommt, Pater, lassen wir jetzt die Zungen ruhen und dafür die Zähne arbeiten!« Er ging zum Tisch.

»Wo ist Waldram?« fragte Eberwein.

Bruder Wampo rannte davon, daß die Kutte flatterte. Nach kurzer Weile kam er zurück und schüttelte den Kopf. »Ihn hungert nit, hat er gesagt, ihn speiset die Gnade Gottes.«

Schweigend wandte sich Eberwein zum Tisch, faltete die Hände und sprach das Gebet. Herr Haunsperg lächelte kühl, doch er entblößte das Haupt. Auch die Brüder und mit ihnen die Knechte standen betend abseits. Man hörte das Murmeln der Ache, das Knistern des erlöschenden Feuers und die sachte Plauderstimme, die der leichte Windhauch in den Wipfeln der Bäume weckte. Dann saßen sie alle und aßen, die Herren am Tisch, Schweiker und Wampo neben dem Feuer, die Knechte tiefer im Wald. »He, Bruder!« rief Herr Haunsperg. »Mich dürstet, gib zu trinken her!«

Wampo lief und kam mit einer schweren Bitsche. Herr Haunsperg öffnete den Deckel. »Wasser? Damit bleib mir vom Leib! Laß Wein anfahren. Ich hab doch bei der Ladung ein Fäßl gesehen! Zapf an!«

Bruder Wampo machte ein verlegenes Gesicht und schielte hustend nach dem Pater. »Der Wein ist für Gottes Tisch bestimmt!« sagte Eberwein.

Brummend hob Herr Haunsperg die größte Forelle von der Platte.

Als Wampo zum Feuer zurückkehrte, fragte Schweiker: »Was hat's denn gegeben?«

»Der Haunsperger hat vom Meßwein haben wollen.«

»Da wird ihm die Zung trocken bleiben!«

Wampo schmunzelte; was er sich dachte bei diesem Schmunzeln, das verschwieg er; Bruder Wampo schien seine kleinen Geheimnisse zu haben, auch vor Schweiker. Oder meinte er nur: daß beim Forellenschmausen alles Reden von Übel wäre? Mit stillem Eifer bewies er, daß er im Fischverspeisen ein Meister war. Während Schweiker mit seinen plumpen Händen den Fisch packte, wie der Schmied die Goldnadel, faßte Wampo die Forelle zierlichen Griffes mit zwei Fingern am Kopf, mit zwei Fingern am Schwänzl. Ein flinker Zuck, und in zwei appetitlichen Spalten löste sich das weiße zarte Fleisch vom Rückgrat los – schlick, schluck! und von der Forelle war nur noch das leere Gerippe vorhanden, das ins Feuer flog.

Als die letzte Forelle und das letzte Restlein des Bratens verschwunden war, leckte Bruder Wampo fein säuberlich die Finger ab, wischte die Hände über die Kutte und seufzte tief.

»Was hast du?« fragte Schweiker.

»Ach, Bruder, mir schwant was!«

»So red doch! Was?«

»Mir schwant, als käm eine böse Zeit für uns. Mir schwant, als hätten wir heut auf lang hinaus zum letztenmal gegessen, wie's einem Menschen wohltut.«

Lachend zuckte Schweiker die Schultern. »Was liegt daran, wenn's ein lützel grob kommt!« Er blickte das waldige Tal entlang, und seine Augen nahmen einen sinnenden Ausdruck an. »Es kommt halt, wie Gott will! Schau, deswegen sind wir Gottesstreiter. Da mußt du denken: unser lieber Herr Jesus Christ ist auch in die Wüstenei gegangen, und da hat er auch nit Fisch und Kälbernes gegessen alle Tag!«

»Freilich,« meinte Bruder Wampo kleinlaut, »aber ihm hat sein himmlischer Vater all Tag einen Engel geschickt mit Himmelsbrot.«

Schweiker legte die Arme um die Knie und sagte langsam: »Wenn's uns einmal recht schiech geht in der Klaus, und wir bleiben nur gut und fromm – meinst du nit, Bruder, daß der liebe Herr uns in der höchsten Not auch einen Engel schicken tät mit Himmelsbrot?« Er lächelte. »Ich wär mit einem Bröserl schon zufrieden. Das tät bei mir reichen fürs ganze Leben! Einmal hab ich gehört, wie ein Pater gepredigt hat: wer gespeiset aus Gottes Hand, und wer gegessen des Himmels Brot, hat er gesagt, der fühlt sein Herz erhoben in Freud und reiner Süßigkeit, ihn quälet nimmer Sorg und Kummer, und seine Seel ist voll des Glückes, das ihr Gott gegeben!« Er strich mit dem Rücken der schwieligen Hand über die Stirne.

Als die Herren ihre Mahlzeit beendet hatten, räumte Bruder Wampo den Tisch; solange er zugegen war, schwieg das Gespräch. Dann sagte der Kastellan mit kühlem Lächeln: »Ich will Euch meinen Rat nicht aufdrängen, aber wenn Ihr ebenso klug seid als fromm, dann richtet Ihr Euch nach meinen Worten. Ich kenne Herrn Waze. Er ist nicht besser und nicht schlechter als alle sind, die an solcher Stelle sitzen. Sein Graf war immer weit und hat sich um Land und Leute im Gaden den Teufel gekümmert.«

»Ihr redet derb, Herr Haunsperg!« mahnte Eberwein in mühsam bekämpfter Erregung.

»Ich wollte nur sagen: Herr Waze hat in seiner Einöd nie einen Druck von oben gespürt, und das hat ihn übermütig gemacht. Ich rate, findet Euch im guten mit ihm ab! Über die vierzig Jahre sitzt er als Spisar im Berchtesgaden.«

»Und das ist sein einziges Recht?«

»Ihr meinet, nach dem Landgesetz? Soll ich die Wahrheit sagen, ja! Aber muß denn ein Recht immer ein geschriebenes sein? Das Herkommen, Pater, wenn es graue Jahre auf dem Buckel hat, ist auch ein Recht, und das hält oft besser als Eure geschriebenen Gesetze.«

»Ich will das Recht des Herkommens, auf das sich Herr Waze stützen mag, nicht verneinen. Ich hab es heute schon gesagt, er soll in meinem Lande sein, was er bisher gewesen, soll seinen gerechten Teil haben an Zins und Steuer, und den Wildbann will ich ihm nicht beschränken. Doch soll er meinem Land ein guter Walter sein, nicht ein Wolf in der Herde.«

Herr Haunsperg verzog die Lippen. »Ach was, Wolf! Wen reißt er denn am Fell? Den Bauer! Mit Euch wird er zechen und jagen.«

Dunkle Röte flog über Eberweins Züge. »Mich lüstet nicht nach solcher Kurzweil. Mag Herr Waze Unbill über Unbill gegen mich begehen, ich will es dulden. Aber das Wohl meiner Bauern, die Unschuld und das Recht in meinem Land werd ich vor ihm und seinen Söhnen zu wahren wissen.«

»Man merkt Euch an, Herr Pater, daß Ihr noch niemals Land und Leute in der Hand gehabt. Sonst würdet Ihr anders reden und den Bauer billiger schätzen. Aber ich hab keine Sorg um Euch! Werdet nur erst warm auf dem Herrensessel! Den Rahm schöpfen, der am besten schmeckt, das lernt sich leicht. Ihr werdet bald hinter das Sprüchlein kommen: Bauernbutter ist Herrenfutter. Ich erleb's noch!«

»Das glaub ich kaum, Herr Haunsperg, und wenn Euch der Himmel auch Methusalems Alter schenkt.«

»Dafür wär ich dem Himmel dankbar. Aber genug jetzt! Ich hab Euch meinen Rat gegeben, Ihr schlagt ihn in den Wind. Über Jahr und Tag wollen wir uns wieder sprechen. Ihr werdet bald dahinterkommen, wie mit Herrn Waze am besten zu fahren ist. Mit Gewalt geht's nicht, ich sag's Euch noch einmal voraus! Das haben seine Herren im Grafengaden seit langen Jahren gemerkt und haben ihn hausen lassen, wie er wollte!« Herr Haunsperg lachte spöttisch. »Gerade Ihr hättet die geringste Ursach, seine Art zu schelten. Denn hätten die im Grafengaden nicht seit lang gespürt, wie schlecht sich mit Herrn Waze die Kirschen essen, so hätte Frau Adelheid von Sulzbach das fromme Gelübde ihrer Mutter kaum erfüllt. Die frommen Frauen werden wohl gewußt haben, weshalb sie dem Orden nicht fruchtbares Land mit zinstragenden Bauernhöfen schenkten, sondern diesen verlorenen Fetzen Bergland, von dessen spärlicher Steuer Herr Waze das Schmalz in die eigenen Tiegel schöpfte und seinem Herrn nur die schimmeligen Sauerkäse schickte. Man muß klug schenken, Pater, auch wenn man dem Himmel schenkt.«

Auf Eberweins Lippen schien ein zorniges Wort zu liegen; doch es wurde nicht laut. Ruhig klang seine Stimme: »Ihr redet übel, Herr Kastellan, und Euer bischöflicher Herr möchte solche Rede mit Zürnen vernehmen.«

»Meint Ihr?«

»Ihr habt scharfblickende Augen. Aber wie unklar sieht Euer Blick in dieser Sache! Wollten die frommen Frauen dem Himmel eine Freude machen, welch ein besseres Geschenk hätten sie wählen können, als gerade dieses unwirtbare Tal mit seinen armen, von Unrecht und Gewalt bedrückten Menschen, denen noch kein Schimmer des Heils geleuchtet, denen vom Brot des Himmels nur verstreute Brosamen zugefallen sind. Daß zwischen dieser Menschen Hütten ein Gotteshaus sich erheben möchte, von dessen kreuzgeschmücktem First das Licht hinausstrahlt in die Dunkelheit, einen neuen freundlichen Tag erweckend – das, Herr Haunsperg, war der fromme Sinn der Schenkung, die das Schicksal dieses Landes in meine Hand gelegt.«

»Gut, Pater! Reichet das Himmelsbrot mit vollen Händen! Ihr scheint Überfluß zu haben. Ich meine nur, es wird Euch die Erfahrung nicht erspart bleiben, daß Eure neuen Herzenskinder den gewohnten Sterz und Sauerkäs besser vertragen als Euer feines Klostergebäck.« Herr Haunsperg blickte nach der Sonne. »Die Zeit verrinnt, wir müssen an den Aufbruch denken.«

»Für diese Mahnung dank ich Euch! Wir haben mit Reden eine kostbare Stunde verloren. Ich könnte das offene Tal schon erreicht haben, und Ihr auf dem Heimritt schon das Walser Feld.«

Betroffen blickte der Haunsperger auf. »Was soll das heißen? Ich reite mit Euch und wähle den Platz, auf dem die Klause stehen soll.«

»Ich danke für Euer Geleit. Reitet heim, Herr Kastellan. Ich wähle selbst.«

»Das geht nicht an, Pater! Ihr seid ein Fremder im Land. Und mein Bischof will –«

»Hier gilt mein Wille!« unterbrach Eberwein die grobe Rede. Stolz richtete er sich auf. »Es ist mein Land, auf dem wir stehen.«

Dem Kastellan blieb das Wort in der Kehle stecken; mit halbgeschlossenen Augen maß er die Gestalt des Mönches. Dann lachte er. Und wandte sich gegen den Wald. »He, Ruppert!« Einer der Kriegsknechte kam gelaufen. »Die Pferde her! Wir reiten heim!« Ohne Gruß und Abschied folgte Herr Haunsperg dem Knechte. Eberwein legte die Hände auf die Brust und atmete, als hätte er eine drückende Last von sich abgewälzt. »Bruder Schweizer!« rief er. »Laß die Saumtiere laden, wir brechen auf!«

Ein geschäftiges Treiben begann; Eberwein selbst überwachte die Ladung und griff mit kundigen Hängen zu.

Herr Haunsperg war zu Pferd gestiegen; als er unter den Bäumen hervorritt auf den offenen Weg, trat ihm Waldram entgegen. Vom Pferd herunter reichte ihm der Kastellan die Hand. »Lebt wohl, Pater, wir reiten heim!«

Waldram furchte die Brauen. »Seid Ihr schon müde geworden im Dienste Gottes?«

»Ich und müde?« Herr Haunsperg lachte. »Wenn Ihr mich ungern scheiden seht, so müßt Ihr mit dem Propst von Berchtesgaden rechten. Ihm ist der ›Herr‹ zu Kopf gestiegen wie junger Wein; er hat mir bedeutet, wo die Grenzen seines Landes liegen.« Der Kastellan gewahrte den finsteren Blick, der aus Waldrams Augen zu Eberwein hinüberfunkelte; er neigte sich im Sattel und dämpfte die Stimme. »Er ist mit dem Herrenspielen flink bei der Hand, Euer Propst. Das werdet auch Ihr noch fühlen!«

»Ich werde tragen, was Gott mir auferlegt.«

»Eurer Frömmigkeit alle Ehre, Pater! Aber ich meine fast, die frommen Väter zu Raitenbuch hätten besser wählen können.«

»Sie wählten, wie es ihnen gut schien.«

»Freilich! Aber ich rede, wie mein Bischof redet. Er hat Euch lieb gewonnen, Pater! Gestern vor Schlafengehen sagte er zu mir: ›Wenn ich zu walten hätte in dieser Sache, und wer weiß, ob die Zeit nicht kommen wird, dieser Waldram hätte mein Vertrauen. Ist das ein Mann! Göttliche Glut jeder Gedanke, göttliche Kraft jedes Wort.‹ Ja, Pater, so sagte er.«

Waldram schwieg; dünne Röte färbte seine bleichen Wangen, und heißer brannten seine Augen.

Herr Haunsperg lächelte. »Ich weiß, Euer frommes Gemüt kennt die Eitelkeit nicht. Doch die Meinung meines hohen Herrn soll Euch Freude machen und Euren Mut heben. Ihr geht einem schweren Kampf entgegen. Und ist bei Eberwein die gähe Hitze verflogen, und kommt bei ihm die Zeit der ratlosen Schwäche –«

Waldram hob den hageren Arm. »Dann will ich ihn stützen mit meiner Kraft.«

»Das ist ein Wort! Und nun lebt wohl, Pater! Ihr habt mich guten Mutes gemacht.«

»Gottes Geleit auf Euren Weg! Und bringet Eurem Herrn den Gruß seines frommen Knechtes!«

»Das will ich, Pater! Gott befohlen!« Herr Haunsperg gab dem Pferde die Sporen und folgte den beiden Knechten, die schon ein gut Stück Weges vorausgeritten waren. Bei einer Wendung des Pfades blickte er noch einmal zurück und lächelte. »Rodet und pflanzet, pflüget und säet! Wenn die Ähren stehen, komm ich wieder und lege meines Herren große Hand auf Euren Schweiß.«


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