Ludwig Ganghofer
Die Martinsklause
Ludwig Ganghofer

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10

Lärm füllte die Hofreut des Fischerhauses. Mit heiseren Stimmen schrien die Almerinnen, und laut brüllten die Rinder, die scheu umherrannten. Die Männer mußten die Arbeit verlassen und den Dirnen zu Hilfe kommen. Nur schwer gelang es, die Rinder Sigenots von der Herde des Richtmanns zu scheiden und im Stall zu bergen. Die Scheune vermochte die fremde Herde nicht zu fassen. Man mußte an die Errichtung eines Schuppens denken, um den Tieren Schutz vor dem Regen zu bieten. Während die Männer Pfähle und Bohlen herbeischleppten, hörte Wicho laute Schläge am Hagtor. »Da kommt der Herr!«

»Schau erst über den Hag, eh du auftust!« mahnte Eigel.

Wicho stieg auf den Lugaus und fuhr erschrocken zurück – Herr Waze zu Roß und zwei Knechte mit Sauspeeren hielten vor dem Tor.

»Was ziehst du den Kopf zurück?« rief Herr Waze. »Kennst du mich nit?«

Eigel und der alte Senn faßten ihre Äxte und rannten zum Tor. Hilmtrud, über deren Gesicht ein jähes Erblassen ging, wollte ihnen folgen, aber Kaganhart packte sein Weib am Arm: »So bleib doch! Wir müssen nit überall dabei sein.«

Wicho hatte die Arme über das erhöhte Flechtwerk des Hags gelegt und auf Wazemanns Frage die Antwort gegeben: »Wohl, Herr, ich kenn dich.«

»Siehst du nit, daß ich Einlaß will?«

Wicho nickte.

Herrn Wazes Stirne wurde rot. »Du Schuft! Tu mir das Tor auf, oder du sollst für die Säumnis zahlen!«

»Schuft? He, du!« rief Wicho einem der Wazemannsleute zu. »Dein Herr hat dich gerufen! Tummel dich und zeig ihm den Heimweg. Es macht grob Wetter heut. Schau nur, das Wasser lauft ihm schon beim Stiefel heraus.«

Herr Waze ritt dicht an den Hag heran. »Ruf mir deinen Herrn!«

»Mein Herr ist –« Wicho verstummte, weil er den Fischer mit des Richtmanns Leuten auf der Lände erscheinen sah. Er stürzte zum Haus, riß den fünfzackigen Näbiger von der Wand, eilte über den Hügel hinunter und keuchte: »Das Tor auf!«

Als Herr Waze den Fischer erblickte, öffnete sich schon der Hag, und Wicho stellte sich mit Eigel und dem Altsenn an Sigenots Seite, während die zwei Mägde des Richtmanns mit ihren Kraxen in das Tor flüchteten.

Über Wazemanns Lippen huschte ein dünnes Lächeln; er hatte rasch die Fäuste gezählt, die wider ihn und seine beiden Knechte waren. »Fischer? Du mußt ein übles Gewissen haben. Ich seh, du rufst mehr Leut um dich her, als du füttern kannst an deinem Tisch.«

Sigenot wollte Antwort geben, doch Eigel kam ihm zuvor und schrie: »Wenn du meinst, ein gutes Gewissen müßt allein seinen Weg suchen, warum denn hat man dich im Gaden noch nie ohne Knecht gesehen? Aber steck dich hinter hundert Knecht, es wird doch eine nach dir greifen! Schau dich um! Sie steht schon hinter dir und hebt die Fäust.«

Herr Waze warf einen scheuen Blick über die Schulter; er sah nur seine Knechte. »Was will der Narr?«

»Kennst du die Salmued nimmer?«

Sigenot legte die Hand auf Eigels Arm, und ruhig fragte er: »Herr Waze, was wollt Ihr bei meinem Haus?«

Langsam wandte der Spisar die funkelnden Augen von dem Kohlmann und sah den Fischer an. »Die Neugier hat mich hergetrieben. Ich möchte wissen, warum du deinen Hag erhöhen und festen mußt?«

»Es steht der Winter vor meinem Tor, der Schnee wird steigen, und die Wölf haben hohen Sprung.«

»So? Da laß deinen Hag nur wachsen, eh sie springen. Und eine Frag noch. Mir fehlt ein Knecht. Weißt du von ihm?«

»Wohl, Herr! Euer Henning bringt ihn heimgetragen auf dem Speerholz.«

»Wer hat ihn erschlagen?« schrillte die Stimme Wazes. »Du?«

»Ob ich's getan hab, wird sich weisen im Gericht.«

»Du wirst dich stellen?« fuhr es über die Lippen des Spisars, und seine Augen schossen einen Blitz.

»Ja, Herr! Aber nit in Eurem Haus, sondern vor dem Sitz der Klosterleut, die nach Recht die Herren sind im Gaden. Ich hab mein Leben und Haus in ihre Hand gelegt. Schauet, Herr Waze,« Sigenot deutete nach dem Kreuz, »da steht ihr Herrenzeichen vor meinem Hag!« Er wandte sich zu den Seinen. »Geht ins Haus, ihr Leut, wir wollen das Tor schließen. Herr Waze und ich, wir haben zu End geredet.« Zögernd folgten die Leute dem Geheiß des Fischers, der die Hofreut als der letzte betrat.

Wie versteinert saß Herr Waze im Sattel. Als die Torflügel sich schlossen, streckte er die Faust und knirschte: »Auf morgen, Fischer!« Er warf das Pferd herum und ritt am Hag entlang. Da sah er Hilmtrud auf dem Lugaus stehen; sie hielt mit der Faust einen Prügel umfaßt und stieß ihren Mann zurück, der sie vom Hag wegreißen wollte.

»Du?« lachte Herr Waze. »Hast du dich auch zu ihm gesellt? Gib acht, dir soll in des Fischers Haus noch heißer werden als unter dem eigenen Dach!«

Erbleichend taumelte Hilmtrud, als hätte ein Faustschlag ihr Gesicht getroffen. »Mordbrenner!« kreischte sie wie von Sinnen und wollte den Prügel schleudern. Schreiend klammerte sich Kaganhart an ihren Arm; sie riß sich los und schwang sich über den Hag, stürzte in die Pfütze, raffte sich auf – »Mordbrenner!« keuchte sie, und während Kaganhart jammernd zum Hagtor eilte, rannte sie mit geschwungenem Prügel dem Spisar nach. Unter den Bäumen, nahe der Achenbrücke, erreichte sie ihn, faßte das Roß am Schweif und schlug. Herr Waze hatte den Jagdspeer vom Sattel gerissen und fing den Streich auf, der abgleitend auf den Rücken des Pferdes fiel. Das Tier schlug aus; stöhnend taumelte Hilmtrud, vom Huf am Arm getroffen, ließ den Prügel sinken, und gleich einer Wahnsinnigen sprang sie an dem Spisar hinauf, die eine Hand um seinen bewehrten Arm, die andere an seinen Gürtel klammernd. »Mein Haus – du Mordbrenner – gib mir mein Haus wieder!« Sie riß und zerrte, daß Herr Waze im Sattel wankte. Die Knechte sprangen ihm zu Hilfe, während vom Tor her die Rufe der näher eilenden Männer klangen.

»Macht mich ledig von der Katz!« befahl Herr Waze, der auf dem scheuenden Pferd nur mühsam noch den Halt bewahrte.

»Mein Haus!« keuchte Hilmtrud, und während sie, am Spisar hängend, vom Pferde geschleift wurde, riß sie den Wildfänger von Wazemanns Gürtel. »Mordbrenner! Jetzt sollst du mir zahlen –« Da erloschen ihre Worte in röchelndem Laut; ein Knecht hatte ihr den Jagdspeer in den Rücken gestoßen; den blanken Stahl noch in der geschwungenen Faust, stürzte sie blutend auf den überschwemmten Grund, und über sie hinweg gingen die Hufe des Pferdes. Als Sigenot mit den Seinen zwischen den Bäumen herbeisprang, verschwand Herr Waze schon jenseits der Achenbrücke, und seine Knechte warfen sich in das bergende Gebüsch.

»Trudli, Trudli!« jammerte Kaganhart. Nun sah er auf dem Rücken des Weibes, das mit dem Gesicht auf der Erde lag, den sprudelnden Blutquell. »Wazemann!« Im Rauschen des Regens weckte sein gellender Schrei das Echo an der Falkenwand. Einen Augenblick stand er vom Entsetzen wie versteinert; dann riß er die Axt aus Eigels Hand und stürzte über die Achenbrücke. »Wazemann!« schrie er und spähte nach allen Seiten. Öde lag der triefende Wald um ihn her. Jähes Schluchzen erschütterte seine Brust, und seiner zitternden Hand entfiel die Axt. Zwei von des Richtmanns Knechten mußten ihn stützen, seine Knie schlotterten, bei jedem Schritt drohte er niederzusinken. Sein Schluchzen wurde zu lautem Weinen, als er sah, daß Sigenot das todwunde Weib auf die Arme hob und zum Hagtor trug. Heilwig und die Almerinnen kamen klagend gelaufen, während die Männer unter Verwünschungen die Fäuste gegen den Falkenstein erhoben. Nur Sigenot schwieg. Vor dem Hagtor zögerte sein Schritt, und langsam glitten seine Augen an dem Kreuz hinauf, von dessen weißen Balken das Wasser niedertroff; schwer atmend trat er mit seiner blutenden Last in die Hofreut und trug die Sterbende in Wichos Kammer; dort legte er sie auf das Heubett und löste den blanken Stahl aus den krampfhaft geschlossenen Fingern.

Während die Männer und Dirnen sich in das enge Stübchen drängten, das schon im Zwielicht des sinkenden Abends lag, fiel Kaganhart schluchzend vor dem Lager nieder. Sigenot versuchte ihn aufzurichten. Mit den Fäusten stieß Kaganhart den Fischer von sich. »Du! Du bist schuld an allem! Hättest du uns nit hergezerrt in dein Bluthaus, so tat sie noch leben. Du! Du bist schuld an allem!«

»Bauer,« unterbrach ihn Wicho, »das ist übler Dank.«

Sigenot schob den Knecht beiseite. »Laß ihn schelten! Ich kann ihm nit unrecht geben. Ich hab sein Weib unter mein Dach und in meinen Schutz gerufen. Schau her,« er deutete auf Hilmtrud, »so viel ist mein Schutz noch wert! Drum will ich keinen mehr halten bei mir. Jeder von euch kann gehen, wie er mag. Ich halt euch Treu. Mir braucht sie keiner zu bieten.« Einen Blick noch warf er auf das sterbende Weib und verließ die Kammer.

Draußen stand er im strömenden Regen. Der kalte Wind wehte ihm die triefenden Haarsträhne ins Gesicht. Seine Augen suchten den Falkenstein und Wazes Haus. »Recka,« schrie es in seiner Seele, »in der Stund, in der ich dich gehalten hab an meinem Herzen, hat meine Not begonnen! Ich hab's gewußt: ich soll keine frohe Stund nimmer haben im Leben, seit ich untreu worden bin an meinem eigenen Blut!« Er strich mit dem Arm über die Stirne und trat ins Haus. In der Halle saß der Kohlmann auf dem Herdrand zu Mutter Mahtilts Füßen. Steinern ruhte sie in ihrem Sessel und hob nur die Augen, als Sigenot in der Tür erschien. Er ging auf die Mutter zu und legte den Arm um ihre Schulter.

»Wie geht's ihr?« fragte Eigel.

»Schlecht.«

»Und nimmer Hilf?«

Sigenot schüttelte den Kopf. Da klang das schrille Lachen seiner Mutter, und zu ihm aufblickend, streckte sie die Hand und deutete durch das Fenster nach dem Kreuz. Sigenot wandte sich ab.

»Fischer!« Der Kohlmann sprang auf, ein Scheit in der Faust. »Du, der einzige Mann im Gaden, laß nur du den Mut nit sinken! Halt fest an dir selber! Und sag, was soll geschehen jetzt?«

»Frag die andern! Es geht nit um mich allein.«

Das zornige Lachen des Kohlmanns hallte zwischen den Wänden. »Ging's nach meinem Willen, ich wüßt schon, was ich tät! Ich möcht die Händ eintauchen in der Hilmtrud Blut und herumlaufen im Gaden. Einem jeden möcht ich die blutigen Finger hinstrecken vor die Nas und schreien: Jetzt riech, Bauer, Blutschmack hat die Supp, die ihr gekocht habt auf dem Totenmann!« Er warf das Scheit in das Herdfeuer und verließ die Stube. Als er Wichos Kammer erreichte, sah er die Leute um das Lager gedrängt und hörte Kaganharts schluchzende Stimme: »Sie tut die Augen auf!«

»So lupf ihr doch den Kopf,« stammelte Heilwig, »sie möcht in die Höh.«

»Ja, Trudli, komm, ich tu dich heben!«

Seufzend richtete Hilmtrud sich auf und fuhr mit den Fingern übers Gesicht, als hinge ihr das Haar in die Augen; nur langsam schien sie die Leute vor ihrem Lager zu erkennen, zuletzt ihren Mann. »Hartli? – Bin ich allein hin? – Oder hat er auch seinen Treff?«

»Freilich, freilich!« stammelte der Bauer, der mit dieser Lüge seinem Weib eine Wohltat zu erweisen meinte.

Tief atmete Hilmtrud, und lächelnd schloß sie die Augen, als wäre sie müd und möchte schlafen nach harter Arbeit. Schwer winkte sie mit der Hand. »Leut – geht hinaus!« Als sich die Kammer geleert hatte, rückte Hilmtrud an den Bauer heran und streichelte ihm das nasse Haar. »Hartli, ich hab dich lieb gehabt.«

»Wohl, Trudli! Und ich dich auch.«

»Tust du mir verzeihen?«

»Freilich, Trudli! Alle unguten Reden –«

Sie schüttelte den Kopf. »Die mein' ich nit. Da sind wir allweil auf gleich gewesen. Ich mein' unser Haus – ich, Hartli, bin schuld –« Schwäche befiel sie, und ein roter Tropfen sickerte aus ihrem Mundwinkel.

Kaganhart starrte wortlos in das Gesicht seines Weibes.

»Ich bin schuld – ich hab's ihm verraten, Hartli, von der Thingnacht –«

»Ihr guten Mächt! Wie hast du denn so was tun können!« Er fuhr sich in die Haare. »Und ich hab schiech geredet wider ihn im Thing!«

»Drum hat er Feuer geworfen in unser Haus. Der Mordbrenner!« Sie ballte die Fäuste.

»Weib!« jammerte der Bauer. »Unser Haus!«

»Er hat mich auf der Straß gestellt –«

»Muß man denn da gleich alles ausreden?«

Unwillig hob sich die Stimme des Weites. »Hast ja du auch nit geschwiegen – und willst doch ein Mannsbild sein!«

»Hast du es nit aus mir herausgedruckt mit Schelten und Streiten?«

»Hättst mich streiten lassen, du Lapp!«

»Weil bei dir schon einer aufkommt, du ungute Dingin du!«

»Den schau an! Keifen will er auch noch! Schwören kann er. Aber den Schwur halten? Wie die Henn das Gackern!«

»So ein Weib! Im letzten Schnaufer noch muß sie raiten und raffeln!«

»Raffeln? Wer raffelt? Wart, die Raffel zahl ich dir heim!«

Draußen standen die Leute und hörten die kreischenden Stimmen. »Es muß ihr doch nit so schlecht sein,« stotterte Heilwig, »sie zanket schon wieder.«

Wicho öffnete die Tür, und hinter ihm drängten sich die anderen in das Stübchen. Auf dem Heubett sahen sie Hilmtrud halb aufgerichtet; mit der einen Hand hielt sie ihren Mann am Haar gefaßt und hob die andere zum Schlag.

»Auslassen!« schrie der Bauer in Zorn und Schmerz. »Wirst auslassen oder nit?«

Hilmtruds Finger lösten sich und stöhnend sank sie über das Heu. Erschrocken sprangen die Leute zum Lager. Noch einmal suchte Hilmtrud sich aufzurichten. »Hartli, mein guter Hartli –« Dann fiel sie zurück, und ihre Glieder streckten sich.

»Trudli! Was ist dir denn? So red doch!« klagte der Bauer. Da erkannte er den Tod im Gesicht seines Weibes.

Eigel verließ die Kammer. »Es ist der Müh wert, daß einer Mensch wird!« Im strömenden Regen sank er auf einen Steinblock und starrte hinaus in die grauen Lüfte.

Vom Bergwald herüber, durch alles Rauschen, klang das Geläut einer heimkehrenden Herde, und ein Hüterbub jauchzte, als wäre Sonnenschein und Frühling über ihm, nicht gießendes Gewölk und sinkender Winter.


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