Ludwig Ganghofer
Die Martinsklause
Ludwig Ganghofer

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17

In der Mittagssonne ritt Herr Waze über die Schönauer Felder. Auf einzelnen Äckern schnitten die Leute das Korn, auf anderen lagen schon die gebundenen Garben und harrten des Erntekarrens. Wo Herr Waze ritt, eilten die Knechte und Mägde auf ihn zu und küßten unter scheuem Gruß den Steigbügel.

Am Gehöft des Kaganhart führte sein Weg vorüber; das Tor war geschlossen. Lautlose Stille lag über dem Hag. Als Herr Waze durch einen Hohlweg gegen den Talwald ritt, begegnete ihm die Hausfrau des Kaganhart mit beladener Kraxe. Scheu blickte sie zu dem Reiter auf und trat seitwärts in die Dornbüsche. Herr Waze musterte das Weib. Ein dünnes Lächeln. »Woher, Hilmtrud?«

»Von der Alben, Herr!«

»Wo ist dein Hauswirt?«

»Der kehrt morgen heim.«

»So? Nachtet er auf den Alben?« Wie zwei Dolche blitzten die Augen des Reiters. »Oder hat er einen Weg in der Nacht?«

»Einen Weg, Herr?« stotterte das Weib. »Ich weiß nit, was Ihr meinet.«

Eine Weile schwieg Herr Waze. »Da hast du eine schwere Krax voll Zeug. Wenn du abladest daheim, so vergiß nit, daß mir dein Hauswirt von Sonnwend her noch die halbe Steuer schuldet.« Hilmtrud erblaßte. »Schau doch,« lachte Herr Waze, »meine Mahnung treibt dir alles Blut aus dem Gesicht. Ihr braucht euer Sach wohl selber? Das ist ein schlechter Sommer heuer. Ich möcht deinem Hauswirt die Steuer gern erlassen. Aber ein Dienst wär des anderen wert.«

»Was müßt er schaffen dafür?« fragte die Bäuerin hastig.

»Nit viel. Nur heimlich müßt er mich wissen lassen, für wann er zum Thing auf dem Totenmann geladen ist.«

»Herr,« stammelte sie, »wie kann er das? Der Thingbot ruft unter Schwur.«

»Da wirst du halt die Steuer zahlen müssen! Und heut noch. Oder ich müßt dich morgen mahnen lassen!« Freundlich grüßte Herr Waze und ritt davon. Er hatte den Wald noch nicht erreicht, da kam die Bäuerin ihm nachgelaufen, ohne Kraxe. Mit beiden Händen faßte sie den Bügel, und Herr Waze verhielt das Roß. »Was willst du noch?«

»Euch sagen, was ich weiß, ich hab's erlauscht!« raunte das Weib mit bleichen Lippen. »Er ist geladen in der heutigen Nacht, wenn Vollmond einsteht.«

»Heut schon? Da hab ich Eil!« Herr Waze gab seinem Pferd die Hacken.

»Herr, Herr!« keuchte Hilmtrud, klammerte sich an den Bügel und ließ sich vom Rosse schleifen. »Euer Wort, Herr, daß es heimlich bleibt, und daß die Steuer –« Weiter kam sie nicht; um nicht unter die Hufe des Pferdes zu geraten, mußte sie den Bügel fahren lassen und taumelte rücklings in die Dornbüsche.

Jagend sprengte Herr Waze davon, vor dem niederhängenden Gezweig des Waldes auf den Hals des Pferdes gebückt. Bald erreichte er den Reitweg, der emporführte zu seinem Haus. Bei einer Wendung des Pfades konnte er über die Bäume niederblicken auf das Fischerhaus, in dessen Hofreut er vier Männer bei der Arbeit sah.

»Er hat seine Sennen gerufen und festet den Hag. Schlag nur die Pfähl und leg die Balken! Sie sollen mir den Weg nit sperren, wenn deine Stund gekommen ist.«

Als Herr Waze sich dem Burgtor näherte, kam seine Tochter ihm entgegengeritten; wie ein steinernes Bild saß sie auf ihrem Rappen, die beiden weißgefleckten Bracken sprangen ihr voraus, und während sie mit der Linken die Zügel hielt, trug sie auf der Rechten ihren Liebling Edilo, der sich unsicher, das Gefieder sträubend, an den Handschuh klammerte. Finster sah Herr Waze auf seine Tochter, die schweigend vorüberreiten wollte. Heiß fuhr es ihm in die Stirn, er riß das Pferd herum und sperrte den Weg. »Betrag dich wider mich, wie dir die Laun steht! Aber Narrheit im Weidwerk leid ich nit. Die heiße Tagsonn ist keine Zeit zum hohen Flug.«

»Ich reit nit zu meiner Lust,« erwiderte Recka, »ich reit um des Falken willen. Er krankt seit der heutigen Nacht, Flug und Freiheit werden ihm wohltun.«

»Was soll ihm fehlen? Er steht in Futter und Pfleg und war noch gestern frisch. Aber ich kenn den Vogel: stützig ist er wie du!« Schweigend sah Recka den Vater an und setzte das Pferd in Gang.

Herr Waze murrte ihr nach: »Wie die Mutter war! Der gleiche Blick!« Zornig stieß er dem Roß den Stachel in die Flanken und sprengte dem offenen Tor entgegen.

Eine Weile später zogen zwei berittene Knechte aus Wazemanns Haus. Als hinter ihnen die Fallbrücke sich gehoben hatte, fragte der eine leis: »Wohin, Gesell?«

»Ich hol den Rimiger im Lokwald. Wir reiten nach der Salzburg zum Haunsperger. Und du?«

»Zum Fuchsloch auf dem Totenmann. Ich hab stille Arbeit heut nacht.« Sie setzten die Pferde in Trab. Als sie zur Achenbrücke kamen, hörten sie vom Fischerhaus die Beilschläge herüberklingen.

»Was die wohl schaffen mögen?« fragte der eine. Und der andere sagte: »So neugierig ist unser Herr auch! Ich muß vorbeireiten und Umschau halten.«

Sie trennten sich; während der eine dem Lauf der Ache folgte, ritt der andere über die Brücke und der Lände entgegen; als er unter den Bäumen hervorritt, sah er neben dem offenen Hagtor eine Grube ausgeworfen. Sigenot kam aus der Hofreut, auf seiner Schulter zwei schwere, zum Kreuz gefügte Balken schleifend; Wicho mit einer Schaufel und die beiden Sennen mit Beilen und kurzen Pfählen folgten ihm. Sigenot ließ den Kreuzstamm in die Grube gleiten und richtete ihn auf; Wicho schaufelte, und die beiden Sennen trieben rings um das Kreuz die Pfähle in den Grund. Verblüfft sah Wazemanns Knecht den Schaffenden zu. »He, Fischer! Bist du ein Ramsauer worden?« rief er. »Was machst du da?«

Sigenot blickte auf. »Ich stell vor meine Hofreut einen Wächter.«

»Hui, du,« lachte der Knecht, »vor dem werden die Wolf aber laufen im Schnee!«

Die Sennen blickten dem Knechte nach, der lachend davonritt; der eine, dem der Bart schon grau war, kratzte sich hinter dem Ohr, lugte an dem Kreuz hinauf und fragte: »Wicho, was meinst du?«

»Ich mein', was mein Herr meint!« erwiderte Wicho und stampfte mit den Füßen um das Kreuz her die Erde fest. »Wenn er sagt, das Holz hilft, so hilft es auch.«

Sigenot war über den Hügel emporgestiegen und hatte die Halle betreten. Mutter Mahtilt saß im Lehnstuhl, Edelrot vor ihr auf dem Herdrand, neben dem flackernden Feuer; ihre Gesichter waren bleich und ernst; seit dem Morgen kannten sie die Gefahr, die über dem Dach ihres Hauses hing. »Mutter, schau durchs Fenster,« sagte Sigenot, »es steht schon!«

Mutter Mahtilt schüttelte den Kopf und wandte die Augen zur Herdflamme; sie griff nach den dürren Kräutern, die neben dem Herd in einer Ecke lagen, zog eine Himmelbrandstaude hervor und warf sie in das Feuer. Sigenot sagte ernst: »Was rufst du die guten Holden, Mutter? Von allen Guten der Beste hat seinen Kreuzarm wehrend ausgestreckt vor meiner Hofreut. Der ist stärker als tausend Männer in Wehr und Eisen. Das hat mir einer gesagt, der die Treu ist und nit Lügen redet.«

Stumm saß Mutter Mahtilt und legte eine neue Staude in die Flammen, während Sigenot zum Steintisch ging, die Eisenhaube über den Scheitel drückte und mit dem Schwertgurt die Hüften umschloß. Zum Herde zurückkehrend, streifte er mit der Hand über das graue Haar der Mutter. »Komm, Rötli!« Er faßte die Hand der Schwester und verließ mit ihr die Halle. Schweigend, Hand in Hand, stiegen sie über den Hügel hinunter und traten vor das Hagtor.

»Schau, da steht es!« sagte Sigenot, die Schwester zum Kreuze führend. »Jetzt leg deine Hand an das Heilholz!« Edelrot tat es, und über die Hand der Schwester drückte Sigenot die seine. »Jetzt schau hinauf und sag: ›Mein guter Herre, du mein Gott!‹«

Edelrot flüsterte: »Mein guter Herre, du mein Gott!«

Aufatmend legte Sigenot den Arm um Rötlis Schulter. »So, Schwesterlieb, jetzt hast du einen festen Hüter! Geh hinein zur Mutter und bleib bei ihr! Jetzt tu ich ohne Sorg den Weg, auf den der Schwur mich ruft.« Er führte die Schwester zum Hagtor und schritt der Ache zu.

»Wohin geht er?« fragte der jüngere der Sennen. Und der ältere murmelte: »Ich mein' wohl, daß ich es rat.« Aber Wicho fiel ihm ins Wort: »Wenn du's weißt, so schweig!« Der Alte nickte, und seine grauen Augen spähten hinaus in die Ferne, in der eine dunkle Waldkuppe aus dem Tal emporstieg, der Totenmann.

Sigenot folgte dem Pfad am Ufer der Ache und erreichte den Untersteiner Forst. Da hörte er das Geläut zweier Hunde.

Es waren Reckas Bracken, die in den Achensümpfen stöberten. Am Rande des Röhrichts hielt die Wazemannstochter auf ihrem Rappen und spähte über das Schilf, auf erhobener Hand den trauernden Falken. Die Hunde jagten. Rotwild, das im Sumpfe Kühlung gesucht, flüchtete dem Walde zu, behängt mit Schlamm und triefend von Wasser. Eine Weile war Stille, dann wieder läuteten die Hunde. Es rauschte im Schilf, und eine Kette Rohrhühner stob auseinander. Recka enthaubte den Falken und schwang ihn unter lautem Ruf: »Holiiih!« Edilo schlug wohl mit den Schwingen, aber nur, um den Halt nicht zu verlieren, und seine Fänge klammerten sich am Handschuh fest. Erschrocken blickte Recka auf ihren Liebling. Er schüttelte das Gefieder, zog den Kopf zwischen die Schwingen, und während er lechzend den Schnabel öffnete, folgte sein unruhiger Blick den entschwindenden Hühnern.

»Edilo? Trautgesell? Was ist dir?« stammelte Recka. Sie ließ die Zügel sinken, drückte den Falken an ihre Brust und streichelte ihm Kopf und Schwingen; aber so sacht ihre Hand auch glitt, sie schien den Falken zu drücken, denn er sträubte sich wider die Zärtlichkeit seiner Herrin. Die Hunde jagten, und ängstlich kreischend hoben sich zwei Wildenten über das Röhricht. »Holiiih! Holiiih!« Mit kräftigem Schwung warf Recka den Falken in die Luft. Edilo taumelte, doch er breitete die Schwingen und begann zu schlagen, flatternd hielt er sich einen Augenblick auf der gleichen Stelle, dann klang sein gellender Schrei, und pfeilschnell flog er den kreischenden Enten nach, die sich über die Baumwipfel erhoben hatten und dem Schönsee entgegenstrebten. »Er gesundet!« jauchzte Recka, und auf jagendem Roß, durch aufspritzendes Wasser und brechendes Röhricht folgte sie der Jagd.

Im Schatten des Hochwaldes wanderte Sigenot. Da klang über ihm das klagende Geschrei einer Wildente; er blickte auf, es rauschte in den Wipfeln, und wenige Schritte vor ihm stürzten zwei zum Klumpen geballte Vögel mit dumpfem Fall auf den Moosgrund. Die Flügel gespreizt, den Hals mit offenem Schnabel auf die Erde streckend, lag die Ente im Verenden unter dem Falken, der die eine »Hand« in ihren Rücken, die andere in ihren Hals geschlagen hatte; er hielt die Schwingen steil erhoben und hackte mit dem Schnabel nach dem Kopf der Ente. Festgebissen hing er an seiner toten Beute, sein Gefieder blähte sich auf, seine zitternden Schwingen fielen, und lautlos sank er in das Moos, mit den scharfen »Händen« noch verkrampft im Fleische seines Opfers.

»Ihr Liebling!« Sigenot eilte auf den Falken zu. Da sprengte Recka zwischen den Bäumen her, mit dem zornigen Ruf: »Laß deine Hand von meinem Falken!« Sie glitt aus dem Sattel. Nun sah sie den Falken liegen, leblos. »Edilo!« In Schreck sich niederwerfend, löste sie mit zitternden Händen die Fänge des Falken und rüttelte ihn, als könnte sie ihn gewaltsam wieder zum Leben erwecken. »Edilo!« Die Schwingen des Vogels hingen schlaff, sein Kopf baumelte, und über die erloschenen Augen waren halb die dünnen, gelben Lider gefallen. Recka ließ unter klagendem Laut den verendeten Falken zu Boden sinken. »Mein Einzigs, mein Letztes und Liebstes!«

Der Fischer sagte mit schwankender Stimme: »Wenn ich den Falk wieder lebig machen könnt, ich weiß nit, was ich gäb!«

Recka hörte nicht, was er sagte; nur der Klang seiner Stimme schlug an ihr Ohr; sie hob die funkelnden Augen, und ihr Gesicht verzerrte sich. »Fischer, was hast du meinem Falken getan?«

»Ich hab ihn nit angerührt.«

»So hat ihn wohl die Ente zu Tod gestochen mit ihrem stumpfen Schnabel? Oder hat sie ihn erwürgt, da sie schon verendet lag? Er flog und lebte. Deine Hände haben gegriffen nach ihm!« Sie trat vor den Fischer hin, bebend vor Zorn. »Was hast du meinem Falken getan?«

»Nichts, Recka! Und meine Red ist Treu und Wahrheit.«

»So treu und wahr, wie daß mein Falk noch lebt!« fiel Recka dem Fischer mit schriller Stimme ins Wort. »Wenn du ihn schon erschlagen hast, so hab auch den Mut und sag mir's ins Gesicht! Sag's frei heraus: das ist die Vergeltung für Hennings Pfeil und Stein!«

Erbleichend war Sigenot zurückgetreten.

»So nimm sie, deine Buß!« Mit zuckender Hand hob sie den Falken von der Erde und schleuderte ihn vor die Füße des Fischers. »Hennings Pfeil hat dich gefehlt, mich hast du getroffen in meinem Liebsten. Und üble Buß hast du genommen. Henning hat geschlagen wider einen, der in Wehr und Eisen geht. Du hast geschlagen wider mein wehrloses Tier. Noch schlechter als er, bist du!« Der Zorn erstickte ihre Stimme, sie wandte sich ab und ging zu ihrem Pferde, das mit schleifendem Zügel zwischen den Bäumen graste.

Da vertrat ihr Sigenot den Weg. Seine Augen brannten. »Du hast mir gesagt, was keiner, der Mannsnamen hat, mir sagen hätt dürfen, ohne daß ich ihn niederschlagen hätt mit meiner Faust.«

Heiser lachend richtete Recka sich auf und griff nach dem Messer am Gürtel.

»Laß die Hand von deiner Wehr! Ich brauch nit denken, daß du ein Weib bist, ich denk nur, was du gestern getan hast für meine Schwester. Und der Schimpf, den du mir angetan, ist wettgemacht. Noch einmal sag ich dir: ich hab deinem Vogel an keine Feder gerührt. Ich hab gesehen, wie er fallt, und wie ihm das Lachen ausgeht. Und mir ist leid gewesen um ihn, denn ich hab gewußt, daß der Vogel dir lieb ist. Hätt ich Buß gesucht für Hennings Pfeil und Stein, so hätt ich anderen Weg genommen als zu dir und deinem Vogel. Ich hab geschieden zwischen deinem Bruder und dir. Und hab ich ihn gehaßt wie der Tag die Nacht, dir bin ich gut gewesen wie der Baum dem Licht. Was schaust du mich an? Das Wort ist heraus. Und weil wir schon raiten miteinander, soll geraitet sein bis auf das Letzte! Dir bin ich gut gewesen, seit ich denk. Zu dir hab ich aufgeschaut wie die Morgenerd zur lieben Sonn. Das hättest du merken können auf dem Weitsee in der Sturmnacht, in der ich untreu mein eigen Blut hab sinken lassen, weil ich greifen hab müssen nach dir!«

Reckas Gesicht verfärbte sich. Sie tastete nach einem Baum, als bedürfte sie einer Stütze.

»Und seit ich dich in selbiger Nacht gehalten hab an meinem Herzen, derzeit hab ich hangen müssen an dir in Weh und Lieb. An dich hab ich denken müssen in Licht und Finsternis, öfter in jeder Stund, als der streifende Wolf in der Schneenacht die eigene Fährt überläuft!« Verstummend drückte Sigenot die Fäuste auf seine Brust, als müßte er gewaltsam den Sturm bezwingen, der in seinem Herzen entfesselt war.

»So sprich doch weiter!« stieß Recka mit versagender Stimme hervor. »Red es zu End, was mein Vater begonnen hat in der heutigen Nacht! Es klingt deine Red zu der seinigen, wie das Echo zum Hall.« Sie lachte zornig. »So sag es doch, daß du handeleins mit ihm geworden! Sag es doch, daß du geschachert hast und den Preis bestimmt, für den du mit ihm gehen willst und zu ihm halten wider die Klosterleut! Eins aber merk dir: eh du mit deiner heißgewordenen Fischhand rühren sollst an mich, eh mögen die da draußen beim Lokstein meines Vaters Dach über mich und meine Brüder werfen!«

Sigenots Augen richteten sich mit hartem Blick auf Recka. »Ich weiß nit, was du meinst. Daß ich zu deinem Vater steh für einen Weg, auf dem ich Treu und Recht nit find, dafür gibt's keinen Preis in der Welt, und möcht er so schwer auch wiegen, wie du mir gewogen hast. Ich kann mein Herz nit umwerfen, wie der Bauer den Acker mit seinem Pflug. Aber sterben kann ich an meiner Treu, die meinem Haus und Blut gehört, und dem, was recht und gut ist. Schau her!« Er raffte einen dürren Ast von der Erde. »Schau den Stecken an! In aller Not, die deine Brüder sinnen wider mein Haus, nach allem Schimpf, den du mir angetan, hängt meine Lieb an dir wie Holz an Holz! Aber so –« mit jähem Ruck zerbrach er den Ast und schleuderte das eine Stück zur Linken, das andere zur Rechten, »so gehen unsere Weg auseinander! Ich bin, was ich sein muß. Und du bist Blut von Wazes Blut. Zwischen dir und mir ist ein Wasser, das nimmer ausrinnt, zwischen dir und mir ein Berg, der nimmer fallt und eben wird.« Er wandte sich ab und schritt durch den Wald der Ache zu.

Recka stand zitternd und ballte die Faust. »Triff ihn, Henning!« keuchte sie. »Triff ihn! Und ich will den Streich nit schelten!« Stöhnend schlug sie die Hände vor das Gesicht, und so stand sie lange an einen Baum gelehnt. Endlich ließ sie die Arme sinken; wie versteinert waren ihre Züge. Sie ging auf den Falken zu, hob ihn von der Erde und bestieg das Roß; langsam ritt sie durch den Wald, keinen Zügel führend, dem Pferde die Sorge um den Weg überlassend. Im Schoße hielt sie ihren toten Liebling, und während sie starr auf ihn niederblickte, suchte ihre zitternde Hand das wirre Gefieder zu glätten.

Um die Wildente, die vergessen im Moose lag, begannen die Fliegen zu summen.

Der Abend kam, still und mit goldschönem Schimmer. Ein leiser Wind erwachte, und von den grünen Buchen flatterte zuweilen ein gelbes Blatt zur Erde; im Sommerleben der Natur erwachte die Ahnung des nahenden Winters. Über den Feldern der Schönau, hoch in den Lüften, kreiste eine Schwalbenschar, die sich sammelte zur Reise.

Im roten Schein der sinkenden Sonne wanderte Sigenot, einem Pfad am Ufer der Ramsauer Ache folgend, über die Halden der Strub, vorüber an kleinen hagumschlossenen Hütten. Von der Höhe des Lokiwaldes klang der Hall der Glocke. Sigenot verhielt den Schritt, blickte hinauf über das schattige Waldgehänge, strich mit der Hand über die Stirn und wanderte weiter.

Die Glocke klang. Sie läutete den letzten Feierabend der Woche ein und grüßte mit ihrem Hall die vollendete Klause, auf deren mit Reisig, Moos und Rinden gedecktem Dach ein grünes Tannenbäumchen befestigt war.

Bruder Wampo kochte am flackernden Feuer das Abschiedsmahl für die Knechte, die in der Mondnacht mit den Saumtieren heimziehen sollten nach der Salzburg. Waldram lag im Zelte, gepeinigt vom Schmerz der Geißelwunden, die nicht heilen wollten; Eberwein schaffte noch im Zwielicht des Kirchleins, an der hölzernen Platte schnitzend, die er für den steinernen Altar gefertigt hatte. Vom ragenden Kreuz blickte das farbige Bildnis des Erlösers auf ihn nieder; durch eine der schmalen Fensterluken fiel noch ein roter Strahl der sinkenden Sonne und umschimmerte die blutende Herzwunde des stillen Bildes.

Vom Strang der Glocke hinweg war Bruder Schweiker wieder in die Klause getreten, um die kleinen Kammern zur Not für die erste Nacht noch wohnlich einzurichten. Seine Augen hatten einen suchenden Blick, und alle Arbeit tat er wie ein Träumender.

Die Knechte hatten ihr Mahl genommen und standen zur Heimfahrt bereit, jeder ein Saumtier führend, jeder ausgerüstet mit einer Kienfackel, deren Flamme in der Nacht die Raubtiere verscheuchen und den Weg erleuchten sollte, bis das Licht des Vollmondes niederfiele in das enge Tal. Mit herzlichen Worten gab Eberwein den Knechten Abschied. Schweiker drückte wortlos ihre schwieligen Hände und streichelte die Saumtiere zum Gesellendank für die Arbeit, die sie redlich mit ihm geteilt hatten in dieser fleißigen Woche. Seufzend blickte Bruder Wampo den abziehenden Knechten nach.

Als sie im Dämmerschein des Abends zwischen den Bäumen verschwanden, sagte Eberwein: »So stehen wir allein und wollen vertrauen auf den Schutz des Himmels. Bruder Schweiker, reiche mir die Stola und das heilige Wasser, daß ich unsere Klause weihe, ehe wir zur ersten Nacht unter ihrem Dach die Häupter bergen.«

Schweiker ging zu den Zelten; als er zurückkehrte, küßte er das weiße, goldgestickte Band, das er um Eberweins Schultern legte. In sinkender Nacht, umgeben von lautloser Stille, umschritten sie das Kirchlein und die Klause. Mit bewegter Stimme sprach Eberwein die Worte der Weihe und taufte die Klause auf den Namen des heiligen Martin. »So wie du, Martine, der du nun wohnest in Gottes Nähe,« sprach er, aufblickend zum Himmel, an dem die ersten Sterne blitzten, »so haben auch wir unser frommes Haus errichtet in Wald und Einöd, zwischen irrenden Menschen und schleichendem Getier. Sei diesem Haus, das deinen heiligen Namen trägt, ein Schirm und Schutz!« Die Brüder sprachen das Amen.

Im Kirchlein wurde das ewige Licht entzündet und in der Herdstube das erste flackernde Feuer. Waldram, der kaum eines sicheren Schrittes mächtig war, wurde von Eberwein in die Klause geführt. Schweiker brach die Zelte ab und verwahrte das heilige Gerät und die Werkzeuge; Bruder Wampo schleppte das kleine Gebinde mit dem Meßwein und die schmal gewordenen Vorräte in eine der Kammern. Dann saßen Eberwein, Wampo und Schweiker auf niederen Holzklötzen um das flackernde Feuer, dessen Flamme den ersten Ruß an die hölzerne Mauer hauchte. Rot leuchtete der Herdschein in die stille Nacht hinaus, denn Tür und Fenster waren noch unverwahrt. Man besprach den kommenden Tag.

»Ich will im Morgengrau die Messe lesen,« sagte Eberwein, »dann will ich den Stab zur Hand nehmen und hinauswandern über den weiten steinigen Acker, auf dem wir pflügen sollen und Gottes Samen streuen. Unseren Bruder Hiltischalk in der Ramsau will ich grüßen, und von meinen Wegen der erste soll der armen Hirtin gelten, damit ich nach ihrer Wunde sehe.«

Schweiker beugte den Kopf gegen das Feuer, während Bruder Wampo seufzte: »Jetzt wird das Bartele so bald wohl nimmer kommen! Das ist ein schiecher Mensch, der das getan hat!«

»Er soll es sühnen an dem Kinde, so wahr ich Herr dieses Landes bin!« Eberwein erhob sich. »Herr Waze will nicht kommen, so muß ich ihn rufen zum andernmal!«

»Schick mich, Herr!« fuhr Schweiker auf. »Ich will denselbigen, der Henning heißt, wohl finden in Wazemanns Haus.«

Eberwein schüttelte den Kopf. »Nein, Bruder! Du hast mir zu schnelle Fäuste für solche Botschaft. Ich brauche nur eine Zunge.«

»Da muß halt die meinige herhalten!« meinte Wampo. »Schicket nur mich, Herr! Ich will reden mit diesem Waze und seinen Buben, jedes Wörtl ein Pfeilschuß. Ich fürcht mich nit. Ich will mich schon rüsten mit Kreuz und Rosenkranz, dann sollen sie nur anrucken wider mich.«

Ein freundliches Lächeln ging über Eberweins ernstes Gesicht. »So ziehe morgen hinaus zum Schönsee! Und kommst du in Wazes Haus,« Eberweins Augen blitzten, »so lad ihn im Namen unseres Heiligen, seines Herrn, binnen drei Tagen mit seinem Sohne Henning zu erscheinen vor meinem Aug. Es ist Gericht, das ihn erwartet.«

»In unseres Heiligen Namen, ich lad ihn, Herr!«

»Nun wollen wir den Tag beschließen!« Sie löschten in der Stube das Feuer und gingen zur Ruhe. Eberwein und Waldram schliefen in getrennten Zellen, Schweiker und Wampo gemeinsam in einer Kammer, die an die Wand des Kirchleins stieß.

Um die stillgewordene Klause lag die Nacht. Sanft rauschte die Ache im Tal, der kühle Nachtwind machte die Wipfel der Bäume raunen, und zahllose Sterne funkelten am Himmel, den der nahende Vollmond über den östlichen Bergen schon zu lichten begann.

Aus dem schwarzen Schatten des Waldes trat ein Mann auf die Rodung. Der Anblick des Balkenhauses und der geheimnisvolle Lichtschein, der aus den Fensterluken des Kirchleins schimmerte, bannte seinen Fuß. Lange stand er, auf das vorgestreckte Grießbeil gelehnt. Dann wanderte er lautlos über die Lichtung hinweg, im Walde verschwindend. Unter den Bäumen rief ihn eine gedämpfte Stimme an: »Zeitlassen, Nachbar!«

»Zeitlassen auch!« klang die leise Antwort. »Wohin zur Nacht?«

»Ich mein', wir haben den gleichen Weg.«

»Wohl! Komm nur! Wir müssen gut ausschreiten, wollen wir droben sein, bis Vollmond einsteht.« Schweigend schritten sie weiter auf dem dunklen Pfad.

Dieser Pfad war nicht der einzige, der sich belebte in der stillen Nacht. Überall in weiter Runde, auf offener Flur und in dichtem Walde klangen Schritte, auf jedem Weg und Steg. Zuweilen tauchte der Schein einer Fackel auf und ging wieder unter in Finsternis. Dunkle Gestalten wanderten, bald einzeln, bald zu dreien und vieren gesellt, und sie alle suchten das gleiche Ziel.

Von der Höhe des Totenmannes reckte sich eine Feuerzunge über die schwarzen Gipfel empor. Zu der Stätte, an der sie brannte, war das Thing gerufen, das entscheiden sollte über Wazemanns Haus und das Geschick der Klause, über die kommende Zeit im Gaden. Jeder Schritt auf rauhem Stein, der klirrende Aufschlag eines jeden Grießbeils klang in der stillen Thingnacht wie das Rollen eines eisernen Würfels.


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